#104 Wie man weiter glaubt

73 Kommentare zu „#104 Wie man weiter glaubt“

  1. Zum Glück habt Ihr in der zweiten Hälfte noch die Kurve zur Mystik gekriegt. Ich persönlich hätte mir da eine andere Gewichtung gewünscht, da ich den Eindruck habe, dass Ihr Euch bei den Themen Gottesbild und Bibel schon länger im Kreis dreht. Die evangelikalen Denkmuster muss man natürlich insbesondere einem pietistischen Professor nachsehen, zumal viele Aussagen für dieses Lager sensationell und progressiv sind und vor einigen Jahren undenkbar gewesen wären. Mein Großvater, der selbst in Tabor ausgebildet wurde, würde sich vermutlich im Grabe umdrehen ?. Ich kann nur bestätigen, dass die Vertiefung der Mystik auch für die Christenheit von entscheidender Bedeutung ist. Dabei ist es aber nicht förderlich von „normalen“ Mystikern in Abgrenzung zu anderen wie Meister Eckhard zu sprechen. Ich möchten Euch einfach ermutigen über den eigenen (christlichen) Tellerrand zu schauen. Jay hat ja in der ersten Folge mit Johanna betont, dass er kein Schubladendenken möchte. Und es ist auch “Labeling“, wenn bei Fragen der Spiritualität immer eine Abgrenzung zu anderen Religionen stattfinden muss. Wir sollten hier lieber nach Schnittmengen suchen, die es besonders bei der Mystik gibt. Nachdem Ihr schon den Mut hattet einen Atheisten einzuladen, wäre doch die Zeit reif für einen buddhistischen Gast. Z.B. Euren Podcast-Kollegen Michael „Curse“ Kurth; ein wirklich authentischer und bodenständiger Typ. Herzliche Grüße, Daniel

    1. Danke für die Nachsicht! Ja, schnellere Kurze zur Mystik wäre vielleicht sinnig gewesen – aber live ist live, und das macht ja auch den Charme des unvorhersehbaren Redens aus, dass immer wieder neue Schleifen entstehen können…
      Beim Thema Tabor früher und heute bin ich manchmal verblüfft, wovon viele einfach so ausgehen. Natürlich war es dort früher „konservativer“, so wie die 1950er konservativer waren als die 1990er. Gerade für de Theologie sollte man das nicht einfach eins zu eins übertragen. Wenn der Großvater da war, hat er vielleicht noch Dr. Erich von Eicken erlebt. der 30 Jahre lang der prägende Leiter war. Der hat selbstverständlich jedes fundamentalistische Bibelverständnis abgelehnt, und das viel ausdrücklicher und entschiedener formuliert, als ich das in meiner iranischen Art so mache.
      Wir erleben heute weniger eine Zunahme von Liberalität, sondern von fundamentalistischer Selbstabschottung religiöser Gruppen, denn was ich sage, ist im Kontext auch pietistischer Theologie eigentlich kaum strittig. Dass manches heute wieder GESAGT werden muss, ist eigentlich kurios. Aber nun ja: so ist es in manchen Bereichen unserer heutigen Welt, oder?

    2. Wieso einen Buddhisten? Wenn wir innerhalb des Christentums nach „Schnittmengen“ suchen und erst mal die Standpunkte, die uns fremd oder unangenehm sind, innerhalb unserer eigenen Religion anzugucken und zu akzeptieren versuchen, würde das meiner Meinung nach völlig reichen.
      Bei anderen Religionen ist bei mir persönlich erst mal Schluss mit dem Interesse an einem Dialog. Das würde mich vollends verwirren auf der Suche nach Wahrheit.

      1. Klar, jeder wie er will. Niemand muss sich mit dem Buddhismus auseinandersetzen. In erster Linie wollte ich die drei Hossa-Talker herausfordern. Punk‘s not dead ?. Aber natürlich ist das ihre Sache, wen sie einladen. Mir haben u.a. die buddhistischen Weisheiten in den letzten zwei Jahren unheimlich viel geholfen. Ich bin und werde deswegen aber kein Buddhist. Das im Einzelnen auszuführen würde jetzt zu weit führen bzw. zu lang werden. Dennoch erlaube ich mir nochmals das mir so wichtig gewordene Zitat von Ajahn Chah wiederzugeben, weil es hier so gut reinpasst: „Wenn du ein bisschen loslässt, wirst du etwas Glück erfahren. Wenn du viel loslässt, wirst du viel Glück erfahren. Wenn du vollkommen loslässt, wirst du vollkommen glücklich sein.“

  2. Super Talk. Habe mir gleich das Buch gekauft, heruntergeladen und angefangen zu lesen. Sehr gehaltvoll. Ich glaube, ich bestelle mir das Buch über die Sünde auch gleich noch. 🙂

  3. Hey Ihr,

    toller Talk, danke! Das Buch werde ich mir garantiert anschauen, auch wenn ich wohl nicht ganz zur Zielgruppe gehöre. Ich hatte meinen Glauben verloren, weil ich auf der liberalen Seite vom Pferd gefallen bin… (Und mir scheint, dass die jeweiligen Glaubenszweifel, die einen wegtreiben, viel mit der Herkunft zu tun haben. Toby Faix u.a. erwähnen das in ihrer Studie über Glaubensverlust am Rande, dass sie nur die Muster beschreiben, die typisch für evangelikal Geprägte sind.)

    Ich war erstaunt, als Thorsten von Leuten wie mir als „post-liberal“ sprach. Wusste gar nicht, dass es diesen Begriff wirklich gibt. Obwohl ich ihn neulich erst hier in den Hossa-Kommentaren für mich spontan „entwickelt“ habe… 😀

    Wo bitte finde ich andere Post-Liberale, Thorsten? Die Post-Evangelikalen haben immerhin Hossa u.a. als Anlaufstelle, aber wo werde ich verarztet?

    Das ist jetzt nur bedingt ein Scherz. Ich bin ja nun zum Teil wieder in Zusammenhängen, wo der gleiche Kram erzählt wird wie damals, als ich langsam rausgerutscht bin. Meine Glaubensprobleme konnten insgesamt 4 Pfarrer/innen nicht nachvollziehen. 3 von diesen 4 erinnerten mich immerhin an meine Taufe, aber eher in Richtung „Kulturprotestantismus“, schien mir. Nix von Zusagen Gottes… Meine intellektuellen Probleme, die gerade mit liberaler Theologie zu tun hatten, kapierte niemand, war ja alles geklärt und in wissenschaftliche Schubladen verpackt. (Ja, mir leuchtete liberale Theologie, die total intellektuell ist, tatsächlich intellektuell irgendwann nicht mehr ein…) Schwer zu erklären für andere, die aus einer anderen Ecke kommen… Dass man auch mal beten könnte, empfahl mir niemand… (Der Glaube kam erst viele Jahre später wieder, beten hat dabei eine Rolle gespielt…) – Aber ich bin ja Leid mit meiner Landeskirche gewöhnt, und so einfach werden die mich dieses Mal nicht los…

    Den Gedanken, dass sich Post-Liberale und Post-Evangelikale irgendwo „progressiv“ treffen könnten, fand ich natürlich auch schön. Das ist ja genau der Grund, warum ich hier mithöre und mitdiskutiere. Die Hossas sprechen oft Themen an, die meine liberalen Geschwister vor Jahrzehnten ad acta gelegt haben, über die man aber nochmal neu nachdenken muss, meiner Ansicht nach (Kernprobleme der Liberalen: wer ist eigentlich Jesus, und was machen wir mit der Bibel? Und ganz wichtig, wird aber regelmäßig übersehen: liberale Formen der Werkgerechtigkeit).

    Andererseits werden hier aber auch oft Themen angesprochen, die für mich sehr weit weg sind („Leiterschaft“, „Autorität“, Sühnopfertheologie) oder die ich schon längst nicht mehr habe (wie politisch ist das Christentum) oder nie hatte (ist Homosexualität Sünde). Dann halte ich mich aus den Diskussionen raus, klar. Umgekehrt finden meine Themen dann eben nicht statt, weil es eben doch zwei verschiedene Perspektiven sind.

    Wie soll man gemeinsam „progressiv“ sein (also „voranschreiten“), wenn man aus zwei unterschiedlichen Richtungen kommt und in zwei verschiedene Richtungen blickt? Da gibt es keine mathematische Schnittmenge. Die Silbe „post-“ sagt ja nicht nur „ehemals“, sondern auch „auf Basis von“. Da gehen die Unterschiede schon los mit den Büchern, die man gelesen hat. (Post-)Evangelikale lesen offenbar wesentlich mehr bis hauptsächlich amerikanische Autoren (klar, da ist das Herz des Evangelikalismus der zeitgenössischen Ausprägung, und dort sind auch die Hauptakteure der kritischen Bewegung). Ich habe vor allem deutsche Theologen gelesen von Jugend an (auch klar, denn die Philosophie und liberale Theologie hat in Deutschland Spitzenleistungen hervorgebracht).

    Alle, die nicht so gern oder viel lesen, denken jetzt wahrscheinlich „ach, das ist doch nicht so wichtig“. –
    Doch, ist es! Denn auch die, die wenig lesen, werden davon beeinflusst, wie sie über Themen denken oder was überhaupt ein Thema ist. Das läuft über kommunikative Mutiplikatoren, zu denen natürlich auch Hossa gehört.

    Und da ist mir Rob Bell dann z.B. zu oberflächlich und „esoterisch“ und amerikanisch. Der berührt meine Fragen noch nicht mal ansatzweise. Ich habe neulich mit einem Theologie-Prof darüber gesprochen, dass der Landeskirchen-Mainstream anscheinend die post-evangelikale „Bewegung“ nicht mitkriegt und dass es da einen anderen Büchermarkt gibt, den der Prof nicht kannte (wer ist Rob Bell?!). Aber ihm wurde plötzlich klar, dass er damit auch unter seinen Studenten rechnen muss.

    Das Gespräch über „Mystik“ fand ich super, aber viel zu kurz! Bereits der Begriff ist weltanschaulich aufgeladen, wie Thorsten kurz andeutete. Ich hätte gerne noch mehr gehört, denn gerade Protestanten (egal welcher Herkunft) haben da heutzutage ein Sprach- und Praxisproblem. Da kann man mehr von katholischen Geschwistern und Luther himself lernen.
    Spannender Vortrag zum Thema Luther und Mystik (bezeichnenderweise von einem evangelischen Theologen an einer katholischen Akademie gehalten…):

    https://www.akademie-rs.de/fileadmin/user_upload/download_archive/religion-oeffentlichkeit/20170807_Zimmerling_Luther.pdf

    Und ich sehe das anders als Daniel weiter oben. Ein katholischer Theologe (Schüler von Karl Rahner, der ein faszinierendes Buch übers Beten geschrieben hat) sagte mir mal Ähnliches über Meister Eckhard wie Thorsten hier im Talk.

    Warum „darf“ es denn keine (inhaltlichen) Abgrenzungen von anderen Religionen geben? Abgrenzung hat etwas mit Klärung und nicht automatisch mit Abwertung zu tun. Echte Toleranz beruht darauf, den anderen zu respektieren, obwohl er anders ist. Momentan scheinen aber viele in unserer Gesellschaft (nicht nur Christen) andere zuerst gleichmachen zu wollen, damit sie dann anschließend tolerant sein können… Eine Einheitssoße hilft niemandem.
    Und es ist auch nicht sofort böses „Labeling“, wenn man Begriffe und Konzepte entwickelt. Ohne sie keine Wahrnehmung. Bei Begriffen, die zu ideologischen Schlagworten geworden sind, stehenzubleiben, ist das Problem. Das löst man aber nicht, indem man Unterschiede negiert.

    Klar, ladet ruhig mal einen Buddhisten ein (da könnten wir dann mal drüber diskutieren, warum heutzutage die Mystik des Verschmelzens so hoch bewertet wird und das Gebet / die Mystik des Gegenübers weniger „wert“ zu sein scheint).

    Allerdings: warum soll ich denn unbedingt immer von anderen lernen sollen? Das sage ich als jemand, der mehrere muslimisch Geprägte im Bekanntenkreis hat. Von ihnen habe ich viel gelernt, ja, aber nichts für meinen persönlichen Glauben. Außer dass wir ein grundsätzlich unterschiedliches Gottesbild haben. Warum sollte ich das nicht benennen?

    Oder was hat mir der Podcast mit einem Atheisten gebracht? Sage ich als eine der damaligen Hauptdiskutandinnen (und selber phasenweise Atheistin in der Vergangenheit). In bezug auf meinen Glauben: rein gar nichts. Ich weiß jetzt lediglich, welche kommunikativen Fallen ich in Zukunft vermeiden werde und mit welchem „Typus“ Atheist ich gar nicht erst diskutiere.

    So long – im wahrsten Sinne des Wortes. Mal wieder… 😀

    Liebe Grüße
    Ina

  4. Vielen Dank, Ina, für Deine Gedanken!
    Die Postliberalen, tja… Als Ex-Marxist sage ich mal: Gerade in Deutschland haben die oft kein „Klassenbewusstsein“, ihr Status ist ihnen oft nicht ausdrücklich bewusst, sie brauchen dieses Label oft auch nicht. Faktisch gibt es im Raum der Kirchen ganz unterschiedliche ChristInnen, die man so nennen könnte. Die ganze Wort-Gottes-Theologie ist letztlich postliberal, also alle, die wesentlich angeregt sind von Karl Barth, Dietrich Bonhoeffer oder auch Jürgen Moltmann. Die Genannten kommen ja alle nicht aus pietistisch-evangelikalen Hintergrund, und doch grenzen sie sich alle ganz entschieden ab von liberaler Theologie, liberal im Sinne von: ausdrücklich zeitgenössisch, modern, aufgeklärt und christlich so weit, wie ein ziemlich robustes Selbstverständnis als modern das erlaubt. Die Postliberalen spüren: das ist letztlich eine Religiosität inmitten eines unabgeschlossenen Verdunstungsprozess, das trägt auf Dauer nicht.
    Es gibt andere: die spirituellen Strömungen, die Taize entdecken, oder das Herzensgebet, das Pilgern, die Stille suchen, Kontemplation und Meditation einüben etc.; aber auch die mit hochkirchlichen Impulsen: Liturgie, Kirchenväter, keltisches Christentum usw.
    Und das spielt in der Kirche eine große Rolle, das findet sich (hoffentlich!) doch überall. aber wie gesagt, oft ohne „Klassenbewusstsein“, anders als etwa bei Menschen, die sich aus verengter Frömmigkeit losreißen. Die wissen oft ganz genau, was hinter ihnen liegt, manchmal auch zu genau, hier wäre manchmal etwas mehr Hermann Hesse gut: „Nimm Abschied, und gesunde“. Das liegt m.E. daran, dass in der Kirche die Übergänge leichter sind: Liberale können leichter weitergehen lassen, wer meint, was Substanzielleres zu brauchen…
    Ich glaube dass Post-, Links- und Exevangelikale sehr profitieren können, wenn sie mit lebendiger Spiritualität, aufgeklärter Bibelfrömmigkeit und christlich-sozialem Engagement in ganz anderer Gestalt bekannt werden.
    Und in den USA finden ja Leute mit solchen Hintergründen bisweilen zueinander, z.B. Richard Rohr und Brian McLaren.
    Es gibt m.E. halt auch viel Pietistisch-Evangelikales, das seine eigene Geschichte, Tiefe, Schönheit, Weite etc. hat. Manche können das vielleicht festhalten, manche einiges wiederfinden; vielleicht können es künftig auch ganz andere Glaubenstypen für sich entdecken. Die Gospelmusik wäre z.B. undenkbar ohne den Urevangelikalen Musikstar Ira Sankey. Überhaupt die Bereitschaft zur ästhetischen Zeitgenossenschaft unterhalb elitärer Hochkultur… da könnte Kirche viel lernen.

  5. Das war ein gehaltvoller Talk und ich habe ihn schon mehrmals gehört! Für mich waren viele wertvolle Gedanken dabei.
    Ich gehöre wohl zu den traumatisierten Ex-Evangelikalen, die morgens aufstehen und wissen, was sie NICHT mehr glauben – ich kann Ulrich Parzany nicht mehr sprechen hören, fühle mich bei den meisten Worship-Songs extrem unwohl, mir stellen sich bei dem Wort „Sühneopfer“ die Nackenhaare auf und wenn ich eine Predigt aus meiner alten Gemeinde anhöre, bekomme ich Panik (und zwar im klinischen Sinn, nicht im übertragenen) und möchte rufen: Nein, falsch, stopp, so stimmt das aber gar nicht, das ist so eng, nicht-jesusmäßig, das macht kaputt… Ich tu mich so schwer mit dem Abendmahl-Feiern, wenn ich weiß, die anderen verstehen das Abendmahl ganz anders als ich und haben eine andere Vorstellung davon, was Sünde ist usw.
    Und ja: ich ertappe mich dabei, als „Konvertitin“ wiederum fundamentalistisch zu werden und alles, was mich an früher erinnert, als „falsch“ oder „krank“ abzustempeln. Für ein wohlwollendes Aufeinander-Zugehen und Dinge-Stehenlassen sind viele Wunden noch zu frisch.
    Ich habe selbst die fromme Sprachlosigkeit erlebt. Ich finde es sehr wertvoll, durch eine Phase der frommen Sprachlosigkeit gegangen zu sein, weil sie mich in die Reflexion gebracht hat darüber, was ich da eigentlich immer (mit)gesprochen habe, wie ich abgestumpft bin und wie vieles zur Heuchelei wurde. Ich weil ich endlich das ablegen konnte, was ich immer mitsprechen musste, was aber mit meiner Lebensrealität immer weniger vereinbar wurde.
    Mir hilft der Gedanke sehr, dass es eine tiefere Dimension gibt hinter dem, was wir sehen (oder auch gedruckt in der Bibel lesen) und dass wir die Bedeutung von Kreuz und Auferstehung nicht allein daran festmachen können, was nach Außen sichtbar ist (und dass die Jünger Jesus am Kreuz gar nicht mal gesehen haben!). Das erinnert mich an die Diskussion hier mit Markus Till über die Auferstehung, die Frage danach, ob es nur dann wirklich eine Auferstehung war, wenn leiblich und wenn ja, wie leiblich usw. Das Auferstehungsgeschehen ist eben nicht daran festzumachen, ob Jesus nun Fisch gegessen oder wie er ausgesehen hat. Die Todesüberwindung und das Geschenk eines neuen Lebens bei/mit/in Gott ist in dem auferstandenen Leib allein nicht zu sehen. Aber genau daran hängen sich so viele Debatten und Konflikte auf (auch mit Atheisten). Das hängt wohl mit dem Wunsch zusammen, einen fassbaren Gott zu haben, einen, der sich nicht entzieht und der erklärbar ist (oder, im Falle von Atheisten: dessen Nicht-Existenz erklärbar ist). Und mit dem Wunsch, ein theologisches Modell, einen Glauben als greifbare Theorie zu haben, die einen absichert vor der Ungewissheit des Lebens und dessen, was nach dem Tod kommen wird. Ich kenne den Gedanken von früher gut, dass man einfach nur die „rechte Lehre“ braucht, damit man auf der sicheren Seite steht (und letztlich nur das zählt wegen Hölle usw.). Und dabei stehen wir doch alle nur als wir selbst vor Gott. Und das ist eben nicht auf das Jenseits begrenzt; ich finde, man sieht das in den Begegnungen Jesu mit Menschen ganz deutlich, dass er sie als sie selbst sieht und durch und durch kennt. Da kommt es auf die Beziehung an, da bleibt, wie auf dem Berg, nur Jesus übrig – ohne Gesetz, ohne Propheten, ohne religiöse/weltanschauliche Hülle.

    Ich bin auch sehr für einen Buddhisten-Talk!! Mir haben vor allem die Denkanstöße aus dem Buddhismus erst wieder einen Zugang zum christlichen Glauben ermöglicht (über die Mystik). Die Sache mit der Fremdheit passt für mich übrigens sehr gut zur Frage nach Sünde und Erlösung. Als ich das Buch „Sünde“ gelesen habe, habe ich für mich den Begriff neu definieren können als eine Entfremdung von mir selbst, dem Nächsten und Gott. Und da brauchen wir Erlösung. Also ich bin zwar nicht fremd in dem Sinne, dass ich hier irgendwie fehl am Platz bin, aber ich bin von mir entfremdet und ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich auf der Suche nach mir selbst Gott wiedergefunden habe – eben weil er in mir lebt und weil er mich durch und durch kennt und diese enge Beziehung mit mir haben möchte.

    So. Sorry – gehaltvoller Talk, lange Antwort… 😉

    1. Hallo Katja,
      Bei dem vielen, was du sagst, sagst du auch ganz vieles, was ich auch so oder so ähnlich sagen könnte. Am schönsten finde ich aber den letzten Satz. <3
      Ich hab das einmal so formuliert :
      "Meine Seele und Gott wohnen im gleichen Tempel. Hier treffe ich sie beide."

    2. „Panik im klinischen Sinne“ – feel you Sister. Auch noch nach 20 Jahren, TheologieStudium, Annahme der inneren Pietistin, Reclaiming des Wortes „Fromm“ für mich. Immer noch. Musste ich kurz sagen. Und merke: ich würde mich freuen, wenn die klugen und mir keine Panik verursachenden Ex-Post-Wasauchimmer-Evangelikalen ihre Gedanken und Gespräche mehr in Richtung der landläufig „Liberalen“ (Thorsten Dietz hat ja oben gezeigt, dass das Wort nicht zutrifft – ich bin wenn’s drauf ankommt, eher Team Barth als Team Schleiermacher und im Zweifel immer Team Befreiungstheologien und seit Nadia Bolz-Weber lutherischer als je – Sorry Namedropping) richten würden und weniger zum 94. Mal um die Historizität der biblischen Texte mit Evangelikalen Ringen -ich meine doch, das ist gesellschaftlich eine sehr kleine Minderheit, die das derart lebensrelevant findet.

  6. Huiii…. das sind aber lange Kommentare! Hat noch einer Lust auf einen weiteren??

    Also, kurz zu mir: In theologisch konservativer, formmoderner Brüdergemeinde irgendwo im Dillkreis (!) aufgewachsen. Theologiestudium zum gymnasialen Lehramt an liberaler Uni. Gemeindecrash mit 29, ein gutes Jahr lang Abstinenz. Heute in formmoderner, theologisch mittelmäßig konservativer FeG, mehrere Jahre Reli-Unterricht am Gymnasium im Bible-Belt. Gerafft?

    Ich gebe zu, ich habe nicht alle Hossa Talks gehört. Vielleicht vier oder fünf. Die ersten und die beiden letzten. Und einen Worthaus-Vortrag von Anfang bis zum Ende. Ich bin keine gute Hörerin. Eher eine Seherin. Also ZUseherin. Ich möchte gerne sehen, wer zu mir spricht. Aber gut. Man muss ja mit der Zeit gehen. Also Podcast.

    Im Kinderglauben aufgewachsen, gehalten, getragen. Bis im Jugendalter die ersten Zweifelkrisen kamen. Und die kamen nicht nur ein bisschen, sondern mit Macht. Ganz klassisch. Aber immer sind mir im evangelikalen Zirkus Menschen begegnet, die – wenn ich davon sprach – ihre eigenen Fragen und Zweifel ebenfalls zugegeben haben. Selbst im Biblischen Unterricht wurde nicht die Verbalinspiration gepredigt, sondern in Ansätzen ein differenziertes Bibelverständnis gelehrt. Immer waren da Menschen (natürlich nicht alle!), die ihren Glauben eben nicht als theologische Theorie, sondern als Praxis verstanden haben, deren Lebensausdruck sich insgesamt im „Und DENNOCH bleibe ich fest an dir“ manifestierte.

    Deswegen ärgert mich manchmal das „Evangelikalen-Bashing“, das zwischen den Zeilen bei Gofi und Jay mitklingt. Evangelikale Gemeinden sind doch nicht kopfhomogen! Da gibt es Menschen, die denken, die ehrlich sind, die zweifeln und die das auch zugeben. Überhaupt: das DENKEN! Jay fragt im letzten Drittel des Talks (ich fasse die langen Ausführungen zusammen 😉 ), wie man mit biblischen Zusagen umgehen soll. Natürlich, indem man DENKT. Die Schöpfungsgeschichte erzählt es doch – wir sind zum Denken befähigt. Wir dürfen Gutes von Bösem unterscheiden. Dass das ein hartes Brot ist, ist doch klar! Dafür gab´s den Rausschmiss aus dem Paradies! Und Paulus haut in dieselbe Kerbe: Prüft alles und das Gute behaltet!

    Einer dieser ehrlichen, zutiefst evangelikal geprägten Menschen gab mir damals folgendes Zitat mit auf den Weg (ich glaube, es ist von Decartes, ist aber auch egal): „Angst vor dem Denken ist Sünde.“ Damit ist alles gesagt. Wenn wir mit der Bibel arbeiten wollen, müssen wir denken. Das wurde mir, man glaubt es kaum, in einer evangelikalen Gemeinde beigebracht.

    Ein weiterer wichtiger Satz: Bevor ich ins Theologiestudium ging, sagte eine ebenfalls zutiefst evangelikale Person zu mir: „Du wirst deine theologische Unschuld verlieren“. Das war gar nicht entmutigend gemeint, das sollte gar keine Angst machen. Dafür kenne ich die Person zu gut. Es sollte mich vorbereiten auf eine Erfahrung, hinter die man nicht zurück kann. Natürlich wird der eigene Glaube in der Konfrontation mit liberaler Thologie erschüttert. Natürlich entstehen neue Fragen, auf die man keine Antworten findet. Und die eine oder andere Frage erfordert eine Entscheidung. Bei mir ist es z.B. die für die leibliche Auferstehung. Ich habe entschieden, das zu glauben. Peng! Dahinter WILL ich nicht zurück. Dass die Bibel Gotteswort im Menschenwort und umgekehrt ist, hat mich dahingehend nicht erschüttert. Im Gegenteil, es hat manche Erkenntnisse vertieft und erweitert. Wie gesagt, es gibt eine Praxis des „Und DENNOCH bleibe ich“. Die erwächst aus einer Entscheidung. Auch, wenn das Wort für den einen oder anderen in evangelikalem Trauma in den Ohren klingelt. Das war für mich nicht immer leicht. Und es wird immer schwierig bleiben. Die Unschuld ist dahin. Und trotzdem kann ich wertschätzen, was ich an guten Wurzeln mitbekommen habe.

    Fazit: Was mir als junger Studentin geholfen hätte, wäre nicht eine Art Feindbild gewesen, wie es hier manchmal durchschimmert…die bösen Evangelikalen…diese weltentfremdeten Menschenfeinde… Das hätte meine Wurzeln ausgerissen. Und ich bin überzeugt, dass mein Glaube dann eingegangen wäre. Es war die Art, die Thorsten Dietz an den Tag legt: Eine Offenheit zum Fragen und Denken, aber auch für Transzendenz! Gottoffenheit. Das ist im Übrigen auch das, was ich in meinem Unterricht immer versucht habe: die Tür aufmachen für Fragen. Raum geben für Zweifel. Aber auch für Sätze, die der evangelikale Kinderglaube einem eingepflanzt hat, ohne diese ins Lächerliche zu ziehen. Tägliche Gratwanderung.

    Natürlich ist nicht alles gut im frommen Lager! Natürlich sind da Menschen, die sich versündigen. Aber die sind anderswo auch!!! Vom Pferd gefallen wird überall. Für mich gibt´s einen Prüfstein für theologische Aussagen. Von Bonhoeffer (wie könnte es anders sein!): „Wir brauchen eine Theologie, die Gott ehrt und den Menschen dient.“ AMEN

    P.S.: Man kann auch seinen Frieden mit der Sühnetodtheologie machen. Sogar, ohne sie aus seinem Denken zu verbannen. Ich empfehle das Buch „Stellvertretung“ von Günter Röhser. Leider nur noch antiquarisch zu erhalten.

    1. Hallo Michaela, danke für deinen engagierten Kommentar. Ich glaube, dass es Grundzüge gibt in der evangelikalen Frömmigkeit und Theologie, die für den Menschen schädlich sind und mit der eigentlichen Botschaft des Evangeliums nichts zu tun haben. Wenn man das kritisiert, ist das kein Bashing. Kann sein, dass wir uns manchmal vergalloppieren und dass manche Witze gar nicht so witzig sind, wie wir meinen. Aber ich glaube, dass wir in 104 Folgen (von denen du vier bis fünf gehört hast) ziemlich deutlich gemacht haben, dass wir keine konkreten Menschen attackieren, sondern Theologien und Systeme. Ansonsten stimme ich so ziemlich allem, was du schreibst, zu.

      1. Es stimmt, ich habe nur wenige Folgen gehört. Aber wenn nach 104 Folgen eine Haltung durchschimmert, die auch in Folge 3 oder 4 schon da war… verstehste, gell?

        Hmm… also, ich finde manches in liberaler Theologie schädlich, manches in der feministischen, in der katholischen oder eben auch in der evangelikalen. Schädliches ist überall. Weil wir Menschen sind. Und weil sich das gar nicht so klar trennen lässt: hier die Menschen, da die Theologien und Systeme. Die sind ja Menschenwerk und nicht vom Himmel gefallen.

        In der aktuellen Diskussion habe ich manchmal den Eindruck, es geht zu wie in der frühen Kirche. Das ist doch alles nix Neues! Gehörst du zu Paulus (den Konservativen) oder gehörst du zu Apollos (den Liberalen), vgl. 1.Kor. 1,12…. Da kann man wie Paulus fragen: „Ist Christus zerteilt?“ (V. 13). Im Kern macht das wenig Sinn. Das eigentliche Wunder ist doch, dass man ÜBERHAUPT an diesen Christus glauben kann. Oder seiner Lebensweise Respekt zollen kann, indem man Gnade vor Recht ergehen lässt. Zum Beispiel. Oder wie immer man auch seine Gottoffenheit zum Ausdruck bringt.

        Wie gesagt, ich hab einen ordentlichen Gemeindecrash erlebt, der genau an diesem Punkt ansetzte. Wenn du plötzlich als Irrlehrerin dastehst, obwohl dir kaum jemand geholfen hat, den Glauben in kritischer Zeit zu bewahren, ist das mehr als bitter. Am Ende blieb nur das Weggehen. Und ich dachte, ich kann nie wieder einen Fuß in einen Gottesdienst setzen.

        Das Verrückte ist nur, dass Gott weiterglaubt, wenn man selbst nicht mehr kann. Das ist doch nicht menschliche Leistung! Es ist Gottesgeschenk. Ihr kommt doch auch nicht los von ihm, trotz Sühneopferschädigung ;-). Er hält doch euren Glauben auch – trotz Erschütterung durch eigene Erfahrung, eigene Begrenzung, kritisches Denken, nicht erhörte Gebete und unbarmherzige Glaubensgeschwister. Für mich ist das das eigentliche Wunder.

        Das schafft ganz viel Freiheit im Kopf und im Herz.

  7. Danke für die persönlichen und gehaltvollen Schilderungen, Michaela und Katja! Ich habe das beides sehr gerne hintereinander gelesen, weil es zeigt: „Evangelikalien“ ist ein sehr weites Feld. Man kann da beglückt und bedrückt werden, Entfaltung finden und Einengung, und nicht selten beides in einer nicht aufdröselbaren Verbindung. Darum finde ich Orte wie diesen so wichtig, wo solche Geschichten erzählt und gehört werden. Es gibt so viel sinnloses Auftrumpfen im Selbstverteidigungsmodus – und ebenso wenig hilfreiches Bashing, wo die Dekonstruktion zu reiner Destruktivität führt. Die evangelikalen Strömungen sind in einer unübersichtlichen Übergangsphase, ehemalige Leitbilder verlieren ihren Glanz, Neues taucht auf, entfaltet aber Anziehung und Abstoßung gleichermaßen. Es wird sicherlich eine Zeitlang stürmisch bleiben. Da brauchen wir (wenn man zumindest im Sinne z.B. meines Büchleins nicht auf polarisierende identity politics setzt) einen langen Atem, sehr Unterschiedliches zu hören und daran zu reifen.

  8. Übrigens, so weit ich sehe, waren Küstenmachers noch nie bei Euch, Jay und Gofi?! Ich finde ja, man kann sich an Gott 9.0 etc. sehr gut reiben; manche Übergänge werden dort sehr plastisch beschrieben, manche Fortführung ist zumindest – ein anregender Stressreiz, wie viel weiter man gehen will – oder eben auch nicht. Fände es reizvoll, die beiden (oder einen) mal bei euch zu hören!

    1. „Stressreiz“ ist hübsch ausgedrückt, Thorsten! Das könnte das Potential für noch mehr Kommentare haben als bei Markus Till oder dem Ketzer-Podcaster… Da werde ich mich auf meine Finger setzen müssen…

      Danke für Deine Antwort oben. Deine Sprache trifft es auf den Punkt: liberale Theologie als „unabgeschlossener Verdunstungsprozess“ und fehlendes „Klassenbewusstsein“ bei Post-Liberalen.

      Etwas mehr Bewusstsein und Sprachfähigkeit wären da aber schon hilfreich, denn ich habe bei einigen den Eindruck, dass sie nicht ausdrücken können, woran sie leiden. Die Kirche ist im Umbruch, aber die verbliebenen Schäfchen verschlafen es entweder oder ringen um Worte, was genau eigentlich schief läuft… Die Vielfalt und Offenheit hat auch eine Schattenseite, die ich nicht richtig zu fassen bekomme… *seufz*

      In persönlichen Kontakten habe ich es auch erlebt, dass Post-Liberale und Post-Evangelikale sich gegenseitig weiterbringen, aber strukturell ist es schwierig, solange Post-Liberale so wenig Bewusstsein für ihre Situation haben und keine eigene Gruppe oder Bewegung sind, an der man sich produktiv reiben könnte. Emergent z.B. dreht sich nach wie vor v.a. um evangelikale Probleme, während Post-Liberale davon nicht wirklich was mitzukriegen scheinen oder sich davon nicht angesprochen fühlen (?).

      Dass ich selber eher in die Ecke der Wort-Gottes-Theologie gehöre, ist mir jetzt eben erst klargeworden. @sprachfähigkeit
      Merci! 😉

      @Michaela
      Ja, man kann seinen Frieden mit der Sühnetheologie machen. Ich glaube selber an sie (neben den anderen biblischen Deutungsangeboten), es gibt ja verschiedene Varianten. Ich bin mit der lutherischen aufgewachsen, die etwas sehr Befreiendes hat, wie ich finde. *fröhlicher_wechsel*

      Das versuche ich Ex- und Post-Evangelikalen zu vermitteln, wenn das Gespräch darauf kommt. Manche sind aber so verletzt (v.a. wenn sie den TULIP-Calvinismus gepredigt bekommen haben), dass sie bereits das Wort Sühne nicht ertragen…

      1. Nur fürs Protokoll: Ich habe kein Problem mit der Sühnetheologie. Und selbst Jay hat in vergangenen Gesprächen seinen DIE-SÜHNETHEOLOGIE-IST-EINE-SCHEISS-THEOLOGIE-Ausbruch schon mehrfach relativiert. Womit wir ein Problem haben, ist mit der heidnischen Vorstellung eines Gottes, der ein Blutopfer benötigt, um verzeihen zu können. Das mag manchmal ein bisschen untergehen, weil wir nun mal Gespräche führen und keine Vorträge halten. Aber wir haben das Thema immer wieder gestreift und arbeiten auch jeder für sich an einer gewissen Ausdifferenzierung. (War mir wichtig, das mal irgendwo schriftlich festzuhalten) Aber selbstverständlich habe ich so wie du Verständnis für jeden, der bei dem Wort ‚Sühne‘ rot sieht.

        1. Du hast jetzt direkt auf meinen Kommentar geantwortet, nicht auf Michaela…
          Euch beide hab ich gar nicht gemeint.

          Aber gut, wenn man Dich in Zukunft zitieren kann, falls es mal wieder zu Missverständnissen oder Sühne-Diskussionen in den Kommentaren kommt. 😉

          1. Je sais. Ich wollte auch dir antworten, weil mir nicht klar war, ob du das überhaupt weißt. Aber dann ist ja alles gut. 🙂

        2. Pardon an euch drei – da hätte ich präzisieren sollen… Mir stellen sich bei dem Begriff „Sühneopfer“ die Nackenhaare auf, weil ich mit eben dieser Vorstellung aufgewachsen bin, dass Gott nur verzeihen kann, wenn er dieses Blutopfer bekommt. Und weil es Christen gibt, die mit diesem Begriff um sich werfen, ohne sich überhaupt mal mit der israelitischen Sühneopferpraxis auseinandergesetzt zu haben (sie verstanden zu haben, erwarte ich von niemandem – und wenn sich jemand findet, der sie verstanden hat und sie mir erklären möchte, werde ich ihm/ihr auf ewig dankbar sein 😉 ). So.

          1. Ich sag doch: Günter Röhser. Lehrstuhl für NT an der Uni Bonn. Das Buch heißt „Stellvertretung“.

            Damit kann man guten Gewissens weiterglauben.

          2. Hey Katja,

            ich habe nur auf Michaela geantwortet, die ja sagte, man kann seinen Frieden mit der Sühnevorstellung machen. Und das war mir etwas zu stark formuliert, weil jeder Mensch anders mit Konzepten umgeht, mit denen er oder sie „gegängelt“ wurde. Ich wollte damit nur diejenigen „verteidigen“, bei denen die Heilung länger braucht. Mir fiel da konkret jemand ein, mit dem ich mal über seine Probleme damit gesprochen habe.

            Ich hatte also gar nicht speziell Dich im Sinn, aber gut, dass Du es nochmal präzisiert hast. Ich kenne diese Interpretation „Gott musste Blut sehen“ erst durch die Talks und Diskussionen hier, weil ich eher lutherisch geprägt bin (und da ist Kreuz und Sühne eher ein Geschenk und Liebeserweis und Anlass zur Freude).

            Unabhängig davon ist Sühne im AT und bei den ersten Christen im NT etwas, was ich mich nicht getrauen würde zu erklären. Wenn Du mal über etwas stolperst, gib Bescheid. Da bin ich ganz Ohr und auch mein Leben lang dankbar. 🙂

            Michaelas Buchtipp setze ich mal auf meine Leseliste. (@Michaela: Aber nicht um „guten Gewissens weiterglauben“ zu können. Ich glaub ja schon an das Geschenk, ich will es nur besser verstehen.)

            LG, Ina

        3. Also, „Frieden machen“ damit war für mich harte theologische Arbeit. Ist ein Friedensschluss ja immer. Das war für mich nicht leicht., Ina. Dahinter steht eine Veränderung des eigenen Gottesbildes und auch der eigenen Heilsvorstellungen. Und nicht zuletzt die Frage nach der Versöhnung!

          Vielleicht solltet ihr Günter Röhser mal einladen. Seine Sicht hat meine revolutioniert. Er erklärt die Sühne vom Alten Testament her, stellt das in den Kontext der ersten Christen und erklärt, wie die überhaupt auf die Idee kamen, der Tod Jesu hätte was mit Sühne zu tun.

          Es ist ja eine zutiefst menschliche Idee gewesen, dass Götter / ein Gott Opfer braucht. Menschenopfer. Das findet sich ja in vielen, vielen ursprünglichen Religionen. Und das Judentum erzählt mit der Nicht-Opferung von Isaak, dass der Gott Israels keine Menschenopfer will! Das war schon revolutionär. Abraham hatte die Idee, dass Gott das von ihm fordert. Und der macht ihm einen dicken Strich durch die Rechnung, weil er eben kein Blut braucht.

          Und wenn ich das jetzt richtig erinnere, was ich bei Röhser vor 20 Jahren im Studium hörte, dann macht Gott das auch in der Hinrichtung Jesu. Wie Abraham hatten die Menschen damals die Idee, sie müssten Menschen ermorden, um Gerechtigkeit zu schaffen. Immerhin wurde Jesus wegen Gotteslästerung angeklagt! Die Absicht, ihn zu töten, war keine Sühneabsicht, kein intendierter Akt der Versöhnung, nach dem Motto: wir kreuzigen den Mann, der von sich selbst behauptet, er sei der Messias, damit Gott gnädig ist. So war das nicht. Es war Aggression, Machtstreben, Ignoranz, Gewaltgeilheit. Und vieles mehr.

          Und was macht Gott? Die größte denkbare Sünde, die die Menschen überhaupt begehen könnten, begehen sie: nämlich Gott selbst / seinen geliebten Sohn zu töten. Und Gott dreht das einfach um. Er TUT SO, als wäre das der Sündenbock. Eigentlich hätte er daraufhin die Menschen verwerfen müssen. Aber das tut er nicht. Durch die größte begehbare Sünde hindurch, in der höchstdenkbaren Gewalt, die Menschen an den Tag legen können, wirkt er Gnade. Nach seinem Ratschluss tut er so, als sei das „für uns“ (wie es bei Paulus zigmal heißt) passiert.

          Heißt: Es hätte den Kreuzestod nicht gebraucht. Vielleicht war er gar nicht unausweichlich. Vielleicht aber doch. Jedenfalls glaube ich nicht, dass Gott dieses Opfer gebraucht hat. Er hat ihn durch seine große Gnade zum Opfer „gemacht“, indem er dem menschlichen Akt der Grausamkeit seine Gnade entgegensetzt. Das kann theologisch untermauert werden mit der Exegese der Wendung „nach seinem Ratschluss“, aber das kriege ich jetzt nicht mehr hin.

          Das war für mich damals eine völlig neue Lesart des Kreuzesgeschehens. Keine Ahnung, ob das jetzt verständlich wird. Jedenfalls hab ich Frieden darin.

          So erinnere ich es von damals. Und so habe ich Frieden gemacht. Wer das theologisch untermauert lesen möchte, der sollte vielleicht tatsächlich das Buch von Röhser lesen. Oder ihr ladet ihn mal ein.

          1. Da hab ich Deine Formulierung zum Friedenmachen falsch verstanden. Ich wollte das keinesfalls irgendwie relativieren, wie schwer das für Dich war!

            Und ich hab ja leicht reden, weil ich die Idee, dass Gott Blut braucht, erst seit kurzem kenne. Ich habe mir hier in den Kommenatren zu einer Osterfolge dazu mal die Finger wund geschrieben, weil es für mich im AT glasklar ist, dass Gott keine Menschenopfer will und später bei den Schriftpropheten GAR keine Opfer mehr. Sühne kann daher nur eine Versöhnung der entfremdeten Menschen mit Gott und nicht die Besänftigung eines rachedurstigen Gottes sein.

            Einiges von Röhser klingt bekannt für mich. Ich habe auch mal bei einem Katholiken gehört, dass die Menschwerdung Gottes eine Hochzeit zwischen Himmel und Erde werden sollte, aber dann zur Bluthochzeit wurde. Eine Art Betriebsunfall sozusagen. Dafür habe ich hier in den Kommenatern von einem „Bibeltreuen“ eine auf den Deckel bekommen.

            Anderes, was Du über Röhser schreibst, klingt selbst für meine liberalen Kreise ziemlich abgefahren. Da werde ich also mal reinschauen, auch wenn ich mir nicht sicher bin, wie weit ich ihm folgen würde. 🙂

          2. Danke Michaela für deine Ausführungen! Das ist super interessant und hilft mir weiter (auch wenn ich, wie Ina, bei der ein oder anderen Stelle ausgestiegen bin) – das Buch setze ich auf jeden Fall auf meine to-read-Liste!
            Mir ist beim Lesen deines Kommentars die Predigt von Jay zur Opferung Isaaks eingefallen, die ich hiermit wärmstens weiterempfehle: https://soundcloud.com/jesustreff/mit-gott-per-du-opferung-isaaks-1mose-221-19
            Danke auch Ina für das Bild mit der Hochzeit!

    2. Küstenmachers? Du meine Güte. Was MICH interessieren würde wäre mal ein Talk über das Christsein im
      Alltag. Mehr Nächstenliebe durch Mystik? Was hat sich denn bei mir geändert in den letzten Jahren? Bringen mir die neuen Erkenntnisse was im täglichen Leben mit Kranken, Alten, Gefangenen, Schwachen?
      Dem Klientel, das Jesus so wichtig war? Wieviel Zeit widme ich der Diakonie? Hat sich mein Verhältnis zu schwierigen Arbeitskollegen verbessert? Da gibt es ein weites Feld auf das man mal gemeinsam einen Blick werfen könnte.
      LG, Christa

      1. <3 Mehr Nächstenliebe durch Mystik?

        Liebe Christa, du sprichst mir aus der Seele. Und ich liebe Mystik!

        Meine Glaubensgeschichte war so, dass in meinem Umfeld schon das Wort Mystik in einen Topf mit Okkultismus und so geworfen wurde. Ein völliges NoGo. Da ich meine rebellische Phase hatte (naja, oder mein wissbeieriger Charakter selber wissen wollte, wie ich das sehe), wurde es dann erstmal richtig interessant für mich. Ich las ziemlich viele nicht empfohlene Bücher und lernte was ganz neues kennen.

        Ich fand richtige Schätze in diesem Bereich, und dachte, warum um Himmels Willen sind wir so verängstigt, wenn es darum geht, andere Wege des Glaubens auch mal auszuprobieren. Solang e ich mich nicht von Gott lossage, kann ich überall mit ihm hingehen, innerlich und äußerlich und ich kann mich mit ihm darüber unterhalten, bzw. ihn um Führung und auch um Schutz bitten. Immerhin steht in meiner Bibel, das wir Freunde sind und er uns alles erklärt. Also tauschte ich erstmal Lobpreis , Predigten und Bibelauslegungsfragen gegen Schweigen, und das Gebet um innere Begegnung und Veränderung. Es hat mich ruhiger gemacht, sicherer in seiner Liebe. Unbeeindruckter über Streitfragen (sollen sie doch streiten, wenn sie unbedingt Lust drauf haben). Meine Gemeinde fand mich komisch., aber ich möchte nicht mehr davon weg. Es hat mich viel stärker verwurzelt, weil es eine unabhängigere Art ist, mit Gott zu leben. Übrigens wäre es schöner gewesen, wenn in der Gemeinde die "Mystiker" auch ihren Platz hätten, also, wenn es nicht ausgespielt werden würde. Denn was mir fehlt, (wahrscheinlich eine emotionale Sache) ist, die Gemeinschaftserfahrung mit anderen. Zusammen Jesus nachfolgen. Zusammen Gutes tun, eine Heimat schaffen, usw. Aber ok…. alles kann man halt nicht haben auf der Welt.

        Das was du erwähnst, ist extrem wichtig und hat sich durch meine veränderte Art zu glauben eher verstärkt, weil ich keinen christlichen Stress mehr habe und ich irgendwie einen größeren und weitherzigeren Gott erlebt habe.

        "Was hat sich denn bei mir geändert in den letzten Jahren? Bringen mir die neuen Erkenntnisse was im täglichen Leben mit Kranken, Alten, Gefangenen, Schwachen?
        Dem Klientel, das Jesus so wichtig war? Wieviel Zeit widme ich der Diakonie? Hat sich mein Verhältnis zu schwierigen Arbeitskollegen verbessert? Da gibt es ein weites Feld auf das man mal gemeinsam einen Blick werfen könnte."

        Und da wiederum kann eine Gemeinschaft vielleicht besser etwas bewirken, als lauter Einzelmystiker, ….. keine Ahnung. Manchen Leuten, die man zu den "Schwachen" zählt, freuen sich, dass ich mehr Zeit habe. Andere Sachen, wie z.B. tolle, menschenfreundliche, aufbauende Gottesdienste zu gestalten kann man einfach nur zusammen mit anderen machen.

        Und zu deiner Frage, ob Mystik mehr Nächstenliebe bringt, würde ich sagen: Leute, die dauerhaft abheben und ihre Nächstenliebe verlieren, haben nie wirklich viel davon gehabt. Sie sind vielleicht eher etwas eigenbrötlerich und haben nicht so den sozialen Blick. Ohne Mystik würden sie wahrscheinlich dann dicke Kommentare lesen oder Eisenbahnen zusammenbauen oder so was…

        Leute, die die Mystik neu entdecken, haben vielleicht zeitweilig einen anderen Fokus, oder sie müssen sich von einem anstrengenden Glauben erholen, wie ich damals. Werden aber wahrscheinlich bald auch den kleinen Weg, die Alltagsmystik entdecken, wo sie in einem starken Bewusstsein, das Gott auch in den einfachen Dingen da ist. Und das hilft so sehr, wenn man sich um Menschen kümmert, denen es nicht gut geht und die ausgegrenzt werden.

        Das fand ich richtig toll in dem Talk, dass Thorsten Dietz das erwähnt hat, ich habs jetzt nicht mehr so im Kopf, aber er sprach von der einfachen Mystik. Ich dachte dann gleich, diese Art ist die, die immer geht: Gott, der Menschenfreund an meiner Seite. In meinem Herzen. In der Zukunft. In der Dunkelheit. Im Nichtverstehen…….. der Freund der da ist. Der Freund, den man alles fragen darf. Der Freund der liebt wie kein anderer. Einerseits mich…. was mich stark und glücklich macht. Anderseits diese kaputte Welt… was mir Hoffnung gibt, dass er was tun kann.

        Und diese Art "Mystik" kann man sogar reichlich in Lobpreis- und Gospelsongs finden, wenn man Meister Eckhart (haha, und seinen Pumuckl) etwas zu fremd findet. Er ist gut, aber nicht soooo sehr relevant für das Leben hier und jetzt, und wahrscheinlich würde er es selbst so sehen. Charles de Foucault z.B. ist ein gutes Beispiel für einen sozial hingegebenen Mystiker.

        Ganz liebe Grüße und ich finde es super, dassdu es erwähnt hast.

        1. Liebe elbenfrau,
          danke, dass Du so ausführlich geantwortet hast und mir einen Einblick in Dein Erleben gegeben hast.
          Ich selber habe überhaupt keinen Bezug zur Mystik, aber bevor ich mich mit diesem Thema (vielleicht) beschäftige, ist es mir doch wichtig, zu erfahren was es bringen und bewirken kann/könnte. In meinem bisherigen Verständnis ist Mystik etwas abgehobenes, dunkles, geheimnisvolles und mitunter gefährliches. Zumal ich überhaupt kein Typ zum Meditieren oder so bin. Meine „Baustellen“ sind eher das praktisch gelebte Christentum im Alltag, die Nächstenliebe, die Früchte des Geistes ect. Da mangelt es mir so manches Mal, leider und ich weiß nicht, ob ich meine wenige Freizeit (mein Beruf ist sehr anstrengend und ich bin tgl. 10,5 Std. ausser Haus) mit „Übungen“ oder so verbringen will. Ich bin auch nicht intellektuell, eben eher pragmatisch.
          Aber mir sind die Worte zum Gebet ausgegangen und ich bin unsicher, wie sich meine Beziehung zu Gott zukünftig gestalten sollte.
          Ich finde deine Ausführungen sehr gut, weil sich doch viel Positives in deinem Leben getan hat, gerade auch in der Beziehung zu anderen Menschen.
          Ja, es gibt Menschen, die eher „diakonisch“ getaktet sind und für mich sind Christen, die nicht in der Nächstenliebe tätig sind, niemals ein Vorbild. Da kann man noch so viel abgehobenes Zeug erzählen (Kirche 9.0 z.B.)
          Wobei geben und nehmen natürlich immer zusammengehören- je nach Lebenssituation.
          Na ja, wir sind ja alle im Lernprozess und es ist spannend, neues dazuzulernen. (Falls man das so schreibt 😉 )
          Liebe Grüße und noch mal danke, Christa

          1. Liebe Christa, bist du DIE Christa, die keine Buchempfehlungen mag? (Vielleicht hab ich mir das jetzt falsch gemerkt).

            Aber ich würd dir trotzdem gern ein Buch empfehlen, das mich über viele Jahre immer wieder inspiriert und ermutigt hat. Richard Foster „Gottes Herz steht allen offen“. Oder auch „Nachfolge feiern“. Sehr alltagstaugliche Bücher, nicht einengend oder so, aber auch nicht zu kopflastig.

            Da werden alle möglichen Gebetsformen und damit auch Zugänge zu einer Begegnung beschrieben. Macht einfach Lust darauf, seine Beziehung mit Gott noch etwas zu erweitern. Manchmal bricht einem ja auch ein Zugang irgendwie weg, auf einmal passt etwas nicht mehr, was immer selbstverständlich war… da ist es dann gut, zu denken, ok, fang einfach mit etwas anderem an….

            Als sozialer, diakonischer Mensch denke ich, braucht man es doch unbedingt auch, dass man eine Kraftquelle hat. Man wird sonst schnell selber verurteilend gegenüber anderen und sehr streng…. oder ausgebrannt.

            Wenn Mystik für dich ein komischer Begriff ist, dann nenn es doch einfach anders…. da verstehen die Leute die unterschiedlichsten Sachen drunter.

            Ohne „Mystik“ bleibt nicht viel übrig, als viel Arbeit und/ oder Rechthaberei. und Moral… also wette ich, dass eigentlich (hoffentlich) jeder Christ eigentlich einen mystischen Anteil in seiner Gottesbeziehung hat. Ohne ist es wirklich eigentlich nicht mal Nachfolge zu nennen, oder? Alles was mit Liebe, Vertrauen, Freundschaft zu Gott zu tun hat, oder auch mit ehlrichen Fragen an ihn, und mit Offenheit für sein Reden und die Bereitsschaft von ihm dazuzulernen, würde ich als Mystik bezeichnen. Oder auch ein gutes Werk tun, aber nicht, dass es getan ist, sondern das Bewusstein, der Menschenfreund ist jetzt hier dabei, wenn ich mich mit einerz.B. einsamen Person unterhalte…. das Wahrnehmen… das alles sind mindestens sehr gute Vorstufen zu einer Begegnung.

            „““und es ist spannend, neues dazuzulernen. (Falls man das so schreibt ? )“““

            aber ja…. viel Spaß dabei!

            Liebe Grüße, die Elbenfrau

  9. Puh.. wenn man nicht aus der Branche kommt muss man sich dieses Mal wirklich ein Lexikon daneben legen.. Die vielen Begriffe und Namen die ihr alle um euch werft…Außer Johanna, Sie redet für jeden verständlich. <3
    Trotz allem ein guter Talk. Zum Thema Bibel: mittlerweile bin ich unsicher, ob man die Bibel als Buch zum Lesen jedem empfehlen kann. Je mehr ich mich "direkter" damit befasse umso mehr halte ich es zu anspruchsvoll für einen der nicht ständig theologische Bücher welzt. Mittlerweile nutze ich sie lediglich gelegentlich als Nachschlagewerk. Früher habe ich wie viele gedacht, man könne alles wörtlich nehmen. Da hatte ich natürlich einen ganz anderen Draht zu diesem Buch.
    Aber da es nicht so ist, sehe ich für mich zur Zeit in anderen Kanälen mehr Futter zur Entwicklung..

  10. Hallo ihr Lieben, nee, meine prämodernen Pietisten haben mir noch nie einen verfügbaren Gott gepredigt. Ich habe nur Leute kennengelernt, die die Textgattungen der Bibel zu unterscheiden wussten und denen klar war, dass bestimmte Dinge zu bestimmten Leuten gesagt werden und vieles heilsgeschichtlich zu verstehen ist. Gut, wenn ihr nur so ein paar „Verlorene“ wieder zurückgewinnen könnt… Nennt die Stille Zeit halt Mystik, es freut mich, wenn Gutes neu belebt wird. Und außer mir lassen diese Leute es auch an der Liebe nicht fehlen. Nur mag ich gar nicht, wenn zu Beginn gegen dieses Kinderlied polemisiert wird: Bei einer lieben Diakonisse, die dieses Lied immer gesungen hat, kam meine Tochter zum Glauben..Geht es denn nur mit Polemik auf beiden Seiten? Was mich betrifft, stimmt das
    leider. Und nun mein Diskussionsbeitrag, der mir am Herzen liegt: Alles konzentriert sich am Ende auf Jesus, ja das stimmt, aber ER ist es, der auch nicht an einem Tüpfelchen dieses Wortes rüttelt, der zwar gegenüber den vermeintlich ganz Schlauen um das richtige Verständnis desselben ringt, aber keinerlei Zweifel an dessen Genügsamkeit, Eindeutigkeit, Geschichtlichkeit und ewiger Gültigkeit hegt. Alles andere empfinde ich als Majestätsbe leidigung, macht mich unsäglich traurig, ist aber Neupietismus, der mich umgibt. Und jetzt? Auszug aus Neuevangelikalien, Altersheim, auf der anderen Seite vom Pferd fallen? Klar ist, wenn nicht mehr gesagt werden kann „Gott aber sagt …“ sagt Gesellschaft, die Mehrheit, die Jungen, die Starken …. Aber süchtig macht eure Sendung dennoch. LG

  11. Danke, Danielt, für Deinen Hinweis!
    Zur Bibel nur diesen Gedanken: Es hilft, finde ich, wenn man sich klarmacht: „Die Bibel“ gibt es ja nicht einfach so. Es ist eine Bibliothek, über ein Jahrtausend gewachsen und Jahrtausende lang immer wieder neu gelesen.
    Es sind die Geschichten, die letztlich jeden Menschen, nicht nur jeden Gläubigen direkt angehen. Die Geschichten von den Erzeltern, von Mose, Miriam und Aaron, von Saul und David, vor allem natürlich von Jesus.
    Etwas anderes ist es – mit den Gesetzestexten, Prophetie etc: man macht sich und anderen etwas vor, wenn man so tut, als könnte man die Einzelbestimmungen in Levititkus und Deuteronomium, die Zeitkritik etwa von Hesekiel und Micha, die theologischen Höhenflüge eines Paulus un den Bilderrausch des Sehers Johannes einfach als einen „Liebesbrief Gottes an dich persönlich“ lesen. Das ist Nonsens und schürt Illusionen, die nur frustriert werden können. In all dem steckt ungeheurer Reichtum – der sich aber höchstens im Laufe eines ganzen Lebens mal hier und da ansatzweise entfalten kann.
    Mit den großen Erzählungen warm werden, mit Abraham aufbrechen, mit Jakob sich durchwurschteln, mit Mose die Freiheit finden und an ihren Folgekosten leiden, mit Saul und David alles gewinnen und wieder verlieren, und immer wieder mit Jesus unterwegs sein, das ist die tiefste Schicht von Sinn, Angesprochen- und Hineingerissenwerden in eine wahrhaft unendliche Geschichte. Wer die Bibel so entdeckt, für den wird sie hinreichend zum Licht in allen Lebenslagen. Alles weitere – versteht keiner einfach so unmittelbar.

  12. @Ina: Was ist denn TULIP-Calvinismus?
    @Thorsten: Ich komme innerhalb des evangelikalen Spektrums aus der ganz engen Ecke, ich würde das im Rückblick als Sekte bezeichnen… Meine Sprachlosigkeit dauert an und mein Bedürfnis nach Abstand auch. Allerdings ist die Sehnsucht nach Gemeinschaft mit Gott und anderen trotzdem da… Daher tut es gut, wie du mit deiner Hörerschaft umgehst: Ich spüre dir immer die Sensibilität für Leute wie mich ab, gleichzeitig finde ich dein Werben für Begegnung und gegenseitiges Verständnis ungemein verlockend im Sinne von: es trifft mich genau in dieser Sehnsucht. Und nebenbei erfährt man immer davon, was es in der theologischen Tradition noch alles zu entdecken gibt (wo es früher nur CLV und CV-Verlag gab). All das macht mir Hoffnung, irgendwann wieder Teil einer christlichen Gemeinschaft sein zu können. Vielen, vielen Dank dafür!
    @Hossas: Wo ich gerade schon dabei bin 😉 – ihr habt viel dazu beigetragen, dass ich mich aus alten Zwängen befreien konnte, ohne dabei das Christentum ganz über Bord zu werfen. Danke!!

    1. Hey mARI,

      das ist eine Spielart des Calvinismus, die in den USA sehr verbreitet ist, aber wohl auch hier vorkommt. TULIP meint die Anfangsbuchstaben der 5 Hauptprinzipien, die ich leider nur auf Englisch sagen kann (falls ich sie falsch übersetze oder erkläre, muss mich jemand korrigieren):

      T – total depravity (grundsätzliche Verdorbenheit des Menschen)
      U – unconditional election (Erwählung, zu der der Mensch nichts beitragen kann)
      L – limited atonement (Sühne und Vergebung nur für die Bekehrten und Erwählten)
      I – irresistible grace (unwiderstehliche Gnade Gottes, deren Ruf die Erwählten aber mit ihrem Willen folgen müssen, d.h. „Lebensübergabe“ etc.)
      P – perseverance of saints (diejenigen, die Gott gerufen und auserwählt hat, sind Heilige, die bis zum Ende im Glauben ausharren; diejenigen, die zweifeln oder wegbrechen, waren dann eben nicht auserwählt)

      Viele Grüße
      Ina

      1. Liebe Ina,
        vielen Dank für die Erklärung – wieder was gelernt. Kommt mir inhaltlich (leider) sehr bekannt vor…
        Übrigens finde ich deine Beiträge unheimlich wertvoll für mich persönlich… Mein Umfeld besteht eigentlich nur aus Evangelikalen und Ex-Evangelikalen, daher ist es sehr interessant, mal eine andere Perspektive einzunehmen und von dort aus auch mal das zu sehen, was die eigene Frömmigkeit vielleicht doch Wertvolles enthält. 😉
        LG!

        1. Danke schön, das freut mich. 🙂
          Da ist auf jeden Fall einiges, was man an evangelikaler Frömmigkeit schätzen kann. Die Frage, was Glaube mit mir persönlich zu tun hat z.B. Oder die ganzen pietistischen Wurzeln.

          Soweit ich das von außen beurteilen kann, liegt das Hauptproblem in den ganz engen Gemeinden meist in diesen TULIP-Prinzipien, deshalb dachte ich mir schon, dass Dir das bekannt vorkommen wird… Die gehen tatsächlich auf Calvin zurück, haben im amerikanischen Kontext aber Formen angenommen, die mir ungesund vorkommen. Von da wurden sie dann in den letzten Jahrzehnten zu uns zurück exportiert und haben den klassischen deutschen pietistischen Evangelikalismus sehr verändert.

          Mich ärgert an TULIP-Vertretern, dass sie immer so tun, als seien sie die wahren Hüter des traditionellen Protestantismus und alle anderen Protestanten hätten den rechten Weg verlassen. Die Wahrheit ist aber, dass wir seit fast 500 Jahren einen inner-evangelischen Konflikt zwischen Lutherischen und Reformierten haben.

          Hier in Deutschland ist bis heute das Luthertum stark vertreten – im Gegensatz zu den USA und dem größten Rest der Welt. Und hier mussten die verschiedenen Protestanten miteinander klarkommen, weil sie nicht überall eigene Landeskirchen hatten, sondern es oft in der gleichen Landeskirche miteinander aushalten mussten (ich komme aus so einem Kirchenkreis, wo man zwangsweise von den Fürsten aus Verwaltungsgründen zusammengestopft wurde). Man hat voneinander gelernt, und manche Konflikte haben sich abgeschliffen. Die heutigen Reformierten hier in Deutschland würden die 5 Prinzipien sicherlich nicht so krass formulieren.

          Wenn also TULIP-Gefrustete mal mitbekommen, dass das nur eine der beiden Hauptströmungen ist, die es im Protestantismus schon immer gab, und dass man deshalb nicht das ganze Christentum über Bord werfen muss, ist ja schonmal viel gewonnen. (Das ist mir alles kürzlich erst klargeworden, deshalb wollte ich es mal ausformulieren. 😉 )

          1. Ja, das alles ist wirklich hilfreich zu wissen, vielen Dank. Allein das Nebeneinander-existieren so vieler verschiedener Auffassungen relativiert schon vieles. Und Relativierung ist tatsächlich sehr wichtig für uns Ex-TULIPs. Für dich sind wahrscheinlich andere Dinge wichtig, nehme ich mal an…? 😉

  13. @alle Sühnetod-Kommentatoren. Deswegen weiter hier unten:

    Meine aktuelle Auffassung:

    a) Sünde wird in der Währung „Tod“ bezahlt
    b) Vergebung – das Gegenteil – gibt es gratis
    c) Befreiung vom Gesetz wird hingegen ín der Währung „Tod“ bezahlt – von Jesus

    Gruß toblog, churchinbalance.de

  14. Liebe(r) (?) mARI,

    ja, ich bin gerade mit ganz anderen Sachen beschäftigt. Für mich geht es eher um Konzentrierung statt Relativierung, weil manche meiner Kirchenvertreter viel zu viel relativieren. 😉

    Persönlich profitiere ich da von Ex- oder „Soft“-Evangelikalen. 🙂
    Manche landen ja in den Landeskirchen, und da bin ich jetzt in meinem allerersten Hauskreis (Hauskreise sind ungewöhnlich für die meisten landeskirchlichen Gemeinden, das ist irgendwie „zu fromm“) und lerne es schätzen, gemeinsam die Bibel zu lesen.
    Eine evangelikale Freundin spielte eine große Rolle, als ich anfangen wollte zu beten (!).

    Es sind so Fragen, die Thorsten kurz erwähnte. Alternative Gottesdienstformen mit mehr „spirituellen“ Komponenten wie Taizé oder Thomasmesse, die aber immer nur stattfinden, wenn einzelne Leute sich engagieren und das organisieren. Da muss ich quer durch die Stadt oder sogar Region fahren zu anderen Gemeinden, und habe das Gefühl, dass es meine Landeskirche grundsätzlich eigentlich einen Scheixxx interessiert, weil die Kirchenleitung eine Idee von „modern evangelisch“ hat, die an den Bedürfnissen und Fragen der Leute vorbeigeht.

    Oder mich treibt die Frage Jugendarbeit um. Die ist – gelinde gesagt – ein Armutszeugnis. Es gibt v.a. die Möglichkeit für frisch Konfirmierte, sich zum „Teamer“ ausbilden zu lassen. Alle anderen, die damit nichts anfangen können, aber durch die Konfi-Zeit anfingen zu glauben, werden alleine gelassen. Man könnte das eine moderne Form der „Normierung“ von Kirchenmitgliedern nennen. Ich kenne da eine 17jährige, wo ich mir nicht sicher bin, ob ihr Glaube das überlebt. Sie erinnert mich sehr an mich selbst früher…

    Meine eigene Gemeinde (also die, die offiziell für mich zuständig ist) bietet für Leute in meinem Alter (ich bin so alt wie Jay und Gofi) NIX an. Da gibts nur den Standard: Mutter-Kind-Gruppe, Seniorentreff, Chor, 1 x im Monat eine Lesung (die meist nicht viel mit Glaube zu tun hat) oder ein Gospel-Konzert, Ende der Fahnenstange. Wenn ich nicht in anderen Gemeinden Kontakte hätte, wäre vor ein paar Jahren mein frisch erwachter Glaube schnell wieder verkümmert.

    Daneben bewegt mich das diffuse Gefühl, dass viele klassische Landeskirchler „verwirrt“ sind, es aber nicht ausdrücken können. In meinem anderen Lesekreis z.B. (in einer wieder völlig anderen Gemeinde) lesen wir alles mögliche, von Luther oder Calvin bis ultra-liberale Sachen. Meist bin ich die einzige, die sich „das Maul verbrennt“ und fragt, was dieses oder jenes Buch eigentlich noch mit dem Evangelium zu tun hat und was mir das für den persönlichen Glauben bringt. Oder ob es uns wirklich weiterbringt, dieses oder jenes rein psychologisch zu erklären, da könnten wir auch einen Gesprächskreis an der Volkshochschulde und nicht in der Kirche machen. (Wozu brauche ich eigentlich Gott, wenn der zu einer Art „Welterklärungspointe“ wird und sonst nichts erfahrbar mit mir zu tun hat?)

    Ich fühlte mich dort lange als Quälgeist, aber inzwischen habe ich mitbekommen, dass einige in der Lesegruppe (so „klassisch-bürgerliche“ Kirchenmitglieder, die von sehr Frommen oft als „Kulturchristen“ verspottet werden) das zu schätzen wissen, weil ich ihrem Unbehagen einen Ausdruck gegeben habe.

    In Gesprächen am Rande dieser Treffen stellte sich nämlich heraus, dass sie auch ein Gebetsleben haben (und da auch wertvolle Erfahrungen oder bohrende Fragen haben), aber kein Mensch spricht darüber… Dass sie sich auch fragen, wie sie die Bibel lesen sollen, aber es gibt oft gar keinen Bibelkreis. Oder was sie mit dem AT und dem „zornigen“ Gott dort machen sollen oder ob man den Gottesdienst moderner oder liturgischer gestalten sollte usw., aber sie getrauen sich anscheinend nicht, es öffentlich zu sagen. Es herrscht eine Atmosphäre (ich überspitze mal) „Glaube ist eine bestimmte ethische Haltung und wer andere Fragen hat, hat die evangelische Moderne nicht kapiert“…

    Ich hab das Gefühl, die wirklich inspirierenden Sachen muss man mit viel Aufwand und ohne Förderung GEGEN die Kirche machen. Jay hat das gut formuliert… – Das ist doch alles verrückt!

    Danke für die Frage, da konnte ich mich mal austoben (Du merkst, dass mich das alles ziemlich aufregt) 😉

    LG, Ina

    1. Liebe Ina, das sind wirklich interessante Einblicke. Es scheint mir tatsächlich das andere Ende des Spektrums zu sein. Denn unsereins hat ja zu kämpfen mit Übergriffen ins Private, (erzwungenen) Engagement bis zur Erschöpfung, usw. Daher klingt das, was du schreibst, für mich beinahe verlockend – obwohl ich natürlich deinen Frust total verstehen kann.
      Da fragt man sich doch irgendwie: Gibt es auch Gemeinschaften jenseits dieser beiden Extreme? Kann man sich nicht engagieren, ohne Engagement von allen einzufordern? Kann man verbindliche Gemeinschaft leben, ohne den Einzelnen zu gängeln? Kann man ein klares Bekenntnis haben und trotzdem Raum für verschiedenste Meinungen? – Ich meine eigentlich: ja. Aber angesichts der unterschiedlichen biografischen Prägungen wird mir doch mulmig: Was dem Ausdruck seines innigen Glaubens ist dem anderen abstoßend. Was den einen näher zu Gott bringt, treibt den anderen von ihm weg. Da frage ich mich dann schon, wie das gehen soll… Diskurs, Gespräch – ja. Aber praktisches religiöses Leben?!?
      Ich weiß jedenfalls nicht, wie ich das momentan mit anderen leben soll – ohne ebendieser Quälgeist sein zu müssen (was nicht meinem Charakter entspricht) oder letztlich immer auf Distanz zu bleiben (was mir auch nicht entspricht).
      Wie kriegst du das hin? 😉
      Ganz liebe Grüße, die mari

      1. Liebe mari,

        das weiß ich auch nicht so genau. Wir leben in bewegten Zeiten, in denen ehrlicherweise niemand so genau weiß, wo die Christenheit in Europa hinschippert und wie wir das alles stemmen sollen. Ich träume ja von so einer Art christlichem „Aufbruch“, aber wenn ich mir anschaue, wie schwierig das mit der Ökumene (auch inner-evangelisch) und allein schon in meiner eigenen Kirche ist, bin ich frustriert. (Wer weiß allerdings, auf welche verschlungenen Pfade uns der Heilige Geist dann doch noch führt, obwohl wir die ganze Zeit denken „hä?“)

        Manchmal denke ich, das Problem hatten auch schon die frühen Christen. Denk mal an die Korinther, was bei denen los war. Oder die Streitereien zwischen Paulus und Petrus. Oder Jakobus, der paulinische Gemeinden „nachmissionieren“ wollte…

        Ohne den Hauskreis wäre ich aufgeschmissen, und das halte ich für meine Kirche für eine gute Idee, so etwas mehr auf die Beine zu stellen. Das läuft auch nicht immer alles harmonisch ab, weil ja jede(r), wie Du sagst, andere Bedürfnisse hat. Und andere Geistesgaben. Wenn der Rahmen aber klein genug ist und alle auf Augenhöhe sprechen können, befruchtet man sich da sehr gegenseitig.

        Die Kirche in Korea z.B. lebt von Hauskreisen, weil der Grund und Boden so teuer ist. Da gibt es dann in Seoul 30.000 Mitglieder und 3.000 Hauskreise! Die auch der Anonymität in den Wohn-Klos entgegenwirken und Gemeinschaft und Glaube stärken.

        Generell halte ich die Größe von Gruppen für ganz entscheidend, wenn man sich verständigen will. Im persönlichen Kontakt sieht vieles nochmal anders aus. Die Biographie des anderen steht einem viel deutlicher vor Augen. Und man kann sich ein Beispiel an Jesus nehmen: erstmal miteinander essen, bevor man sich gedanklich austauscht.

        Und neben dem stinknormalen gemeinsamen Essen könnten evangelische Christen aller Richtungen sowieso ganz generell mal mehr Abendmahl feiern, finde ich. Das verbindet und stärkt total, wenn man im Kreis steht, es sich gegenseitig gibt und voneinander empfängt und „für DICH gegeben“ sagt. Wobei das natürlich nicht von mir, meinen Worten oder Gesten abhängt, sondern von Christus gewirkt wirkt. Da bin ich ja ganz lutherische Old School. 🙂 Das ist wirklich eine gemeinschaftliche Spiritualität, die einen nähren kann und weitermachen lässt… (Obwohl man den oder die doof findet oder die meisten gar nicht persönlich kennt. Weil es Gott macht.)

        Das nützt Dir wahrscheinlich alles jetzt konkret nicht viel, weil es viele evangelikale Gemeinden gibt, die gerade über die Hauskreise ganz schön Druck machen. Wenn das in Deiner Gemeinde möglich ist, würde ich direkt und gezielt einzelne Leute ansprechen, die offen genug sind, und selber einen Kreis starten. (Und gemeinsam kochen vor dem Diskutieren.) In jeder Gruppierung gibt es (spätestens am Rand) Menschen, die den ganzen Gruppenkram auch kritischer sehen. Es muss ja nicht Bibellesen sein (das haben die meisten Frommen schon genug im Leben gemacht und finden oft eine Pause ganz gut), sondern thematisch zu den Fragen, die Dich oder andere beschäftigen. (Da würde ich aber vollmundige Leute, die immer wissen, wo es langgeht, konsequent fernhalten.) Aus so einer Gemeinschaftlichkeit ergibt sich alles andere. Wie man Gemeinschaft lebt, kann man, glaube ich, nicht theoretisch, sondern nur praktisch und kontextabhängig beantworten.

        Wenn das nicht geht oder Du unsicher bist oder sowieso nicht weißt, ob Deine Gemeinde die richtige für Dich ist, müsste jemand anders hier was dazu sagen, weil mir da die Erfahrung mit den freikirchlichen Strukturen fehlt.

        Für mich persönlich versuche ich, mich damit abzufinden, dass ich häufiger mal die Rolle des Quälgeistes habe, aber vielleicht gehört ja genau das zu meinen „Gaben“ (gegen meinen Willen), denn manchmal kommt auch was Gutes bei raus. Mir wird ab und zu rückgemeldet, dass es anderen was gebracht hat, wenn ich mal wieder alles gegen den Strich gebürstet habe…

        Die Sache mit der Jugendarbeit oder alternativen Gottesdiensten oder etwas anderes, wo ich meine Gaben einbringen kann, lasse ich auch nicht so einfach los. Ich rechne da tatsächlich auch ein bisschen damit, dass der Heilige Geist (der ja immerhin zuständig ist für Gemeinschaft) mir da was vor die Füße wirft (das ich vielleicht erstmal gar nicht so toll finde…)

        Liebe Grüße
        Ina

  15. @Thorsten: Wo finde ich Literatur darüber, wie die Kirchenväter (und vllt auch die ersten Christen) mit der Frage der Historizität der Schöpfungsgeschichte umgegangen sind? Danke für Infos!

    1. Ich hoffe auch, dass Thorsten antwortet!

      Aber hier schonmal ein Tipp aus dem Wissenschaftlichen Bibellexikon (auch wenn die Einträge dort immer sehr anstrengend zu lesen sind… aber informatv).

      Artikel „Epochen der christlichen Bibelauslegung“

      https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/10535/

      Interessant ist da auch der Unterschied zwischen Calvin und Luther, das erklärt für mich so einige Streitereien zwischen Protestanten, was sie unter „allein die Schrift“ verstehen.

      Bei Worthaus 4 über die Bibel gab es auch ein paar gute Einführungsvorträge (wenn auch nicht speziell über die frühen Kirchenväter), weiß aber nicht mehr genau, welche. Ich glaube, es war v.a. der hier:

      „Ist die Bibel Gottes Wort? Bibelaulegung, Bibelkritik und Bibelautorität“ (Wilfried Härle)

      https://worthaus.org/worthausmedien/ist-die-bibel-gottes-wort-bibelauslegung-bibelkritik-und-bibelautoritaet-4-4-2/

      P.S.

      Im WiBiLex gibt es auch sehr spannende Artikel über Stellvertretung und Sühne. Hab ich gestern abend noch gelesen nach unserem Austausch hier. Ist alles gar nicht so einfach, wie es (auch mir zum Teil) immer gepredigt wurde… 🙂

      https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/53986/ (Stellvertretung)

      https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/31922/ (Sühne im AT)

      https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/53994/ (Sühne im NT)

      1. Danke Ina. Das WiBiLex ziehe ich auch immer mal zu Rate. Habe dort auch schon die Sühne-Artikel gelesen, aber so recht schlau geworden bin ich nicht. Den Stellvertretungsartikel werde ich lesen.

  16. @Katja. Die Kirchenväter sind natürlich ein weites Feld – zumal sehr vieles ja auch nicht auf Deutsch greifbar ist. Es gibt eine ältere Textsammlung von Alfons Heilmann, Texte der Kirchenväter; Bd. 1 bietet 200 Seiten zur Schöpfungstheologie. Grob kann man sagen: für die Theologen ab Origenes war es selbstverständlich, die Schöpfungsgeschichte im Horizont ihres Weltwissens auszulegen. Sie haben die Bibel nicht einfach aus der Bibel erklärt oder wortwörtlich absolut gesetzt, sondern intensiv ins Verhältnis gesetzt zu platonischen und aristotelischen Naturkonzeptionen. Einen exemplarischen Überblick bekommt man in der Arbeit von Charlotte Köckert, Christliche Kosmologie und kaiserzeitliche Philosophie Die Auslegung des Schöpfungsberichtes bei Origenes, Basilius und Gregor von Nyssa vor dem Hintergrund kaiserzeitlicher Timaeus-Interpretationen (Platon), Tübingen 2009. (Sehr anspruchsvoll!) In der Tradition nach Origenes (Didymus etc.) wird sehr klar betont, dass man die Schöpfungsgeschichte nicht wörtlich auslegen darf, sondern symbolisch verstehen muss.
    Man muss auch sehen, dass diese „frühwissenschaftliche“ Exegese sich nicht auf Dauer durchsetzt. Origenes wird aus ganz anderen Gründen im Osten zunehmend abgelehnt. Augustin vertritt im 5. Jahrhundert der Sache nach zwar auch noch einen Ansatz, der nicht alles in der Bibel historisch nimmt. (Sehr nett ist das Büchlein: Barbara Drossel: Und Augustinus traute dem Verstand: Warum Naturwissenschaft und Glaube keine Gegensätze sind, im Brunnen-Verlag, Gießen, 2. Aufl. 2015. (Frau Drossel hat einen FeG-Hintergrund, ist Naturwissenschaftlerin, aber nicht kreationistisch)). Faktisch aber kam Augustin wo immer es nicht ausgeschlossen war auf eine historische Deutung der Urgeschichte. Und das zieht sich durch bis in die frühe Neuzeit. Es gibt aber auch mittelalterliche Theologen, die vereinzelt die Urgeschichte symbolisch deuten.
    Das ändert sich radikal in der Aufklärung, wo man ganz einfach sieht, dass vieles nicht zu halten. Die Alte Kirche hat insgesamt Teil am antiken Weltbild, sie ist aber weitgehend wissenschaftsoffen und darin nicht biblizistisch.

    1. Vielen Dank für die ausführlichen Tipps! Da habe ich ja zusammen mit Röhser Lesestoff für den kommenden Winter 😉 Mit lateinischen Texten könnte ich auch was anfangen, zur Not auch mit griechischen, aber da ist mir das Übersetzen zu langwierig und ich bin sehr aus der Übung.

  17. Hallo elbenfrau,
    doch, ich mag Buchvorschläge, und vielen Dank für Deinen. ich werde mal versuchen, mir das Buch zu verschaffen.
    Es ist eher das Wort „Mystik“, was mich gedanklich sofort ins (finstere) Mittelalter versetzt, düstere Katakomben, Verschwörungen, seltsame Gestalten ect. Und auf heute bezogen assoziiere ich Atem- und Meditationsübungen u.ä., was mir ziemlich fremd ist. Ich habe mir den Talk nochmal angehört, und das was Thorsten Dietz über die einfache Mystik sagt, spricht mich schon an. (Ich war ja 20 Jahre lang in einer charismatischen Gemeinde). Wenn es „einfach“ nur um eine Begegnung mit Gott geht, bin ich natürlich sehr interessiert, glaube aber nicht, dafür Übungen oder so machen zu müssen. Was das so oft zitierte „Schweigen“ auf sich hat, habe ich bisher noch nicht herausgefunden. Im übrigen: Ohne Gotteserfahrung scheint mir der ganze Glaube sinnlos zu sein. Jedenfalls für mich, dann ist es wirklich nur noch diakonische Arbeit. Na ja, was heißt nur, besser als ein Leben auf der „Egoschiene“ ist es wahrscheinlich schon.
    Liebe Grüße, und danke für den Buchtipp, Christa
    Liebe Grüße, Christa

  18. Lieber Ralf,
    Jens Stangenbergs Vortrag vom „schwärmenden Christus“ fand ich auch sehr anregend und faszinierend. Bei Gedanken wie einer „neuen Form der Kirche“ wäre ich vorsichtig. Denn: Jede Bewegung, Strömung, Gruppe wird sich nach einer gewissen Zeit oder mit einer gewissen Größe von allein institutionalisieren und wird entsprechend mehr und mehr organisatorische Aspekte integrieren müssen. Das sollte man als selbstverständlich und notwendig akzeptieren – und nicht den romantischen Traum einer rein bewegungsförmigen „Gemeinschaft“ hegen.
    Ernst Troeltsch unterschied Anfang des 20. Jahrhunderts soziologisch drei Grundgestalten von „Kirche“: a) Volkskirche, b) Sekte und c) Mystik. Die a) großen Gebilde der Volkskirchen sind in Jahrhunderten gewachsen, sie sind sehr komplexe rechtliche, wirtschaftliche Gebilde – und sie werden uns alle noch überleben. Aber ja: Sie sind in einer krisenhaften Situation, weil der Großtrend der Individualisierung potenziell immer mehr Menschen herauslöst aus alten Bindungen. Moderner sind die Formen b) der Sekte; exklusives gemeinschaftliches Christsein mit intensiver Bindung und klaren Regeln; und c) der Mystik, individuelle Frömmigkeit, die sich aus unterschiedlichen Traditionen bedient und allein dem inneren Kompass persönlicher, erfahrungsbasierter Überzeugung verpflichtet ist.
    Troeltsch träumte schon von einer elastischen Volkskirche, die zunehmend der persönlichen Mystik Raum gibt, Anregung- und Korrekturimpulse setzt. Ich denke, dass alle drei Grundformen für sich allein den Glauben vereinseitigen – und sie alle drei einander zur Ergänzung benötigen. Das hieße: die Kirchen bräuchten mehr Mut zu dichten Gemeinschaften in ihrer Mitte, diese mehr Öffnung für Kirche, Ökumene, und beide mehr Raum für die Wege der Einzelnen, bei denen hoffentlich die Einsicht wächst, dass Glaube immer eine soziale Dimension hat, die Verbindung mit Tradition benötigt. Ich finde im Übrigen, dass gerade das soll scriptura, eine Vielfalt von Theologien, die alle auf eine Mitte bezogen sind, dafür eine unverzichtbare Grundlage ist.
    Stichworte wie Fresh Expressions oder Emerging Church stehen ja für Aufbrüche innerhalb bisheriger Strukturen. Das Stichwort einer „Mixed economy“ (Moynagh) zielt auf eine solche konstriktive Verbindung, wie sie auch mit vorschwebt.
    Wie die Dinge liegen, wird es dergleichen nur im Plural geben, schon die Großkirchen sind ja zu inkompatibel, um sich in absehbarer Zeit enger zu verzahnen. Aber eine für einander geöffnete Vielfalt solcher Bemühungen hätte ja auch vielfältige Chancen.

    1. Lieber Thorsten,
      vielen Dank für Deine ausführliche Antwort.

      Meine Formulierung „eine neue Form der Kirche“ zeigt meine sprachliche Unzulänglichkeit darin, einen Kerngedanken kurz und knapp auf den Punkt zu bringen. Ich stimme Dir, Thorsten, in allen Punkten deiner Ausführungen zu – und dennoch scheint mir ein wesentlicher Aspekt nicht berücksichtigt zu sein. Es ist etwas, was unser Leben von allen vorherigen Generationen dramatisch unterscheidet und was erst in den letzten 20 Jahren so richtig Fahrt aufgenommen hat und sich weiter beschleunigt.

      Nach dem Digitalen zieht das Virtuelle in unseren Lebensalltag ein. Jeder kann sich theoretisch mit jedem vernetzen. Beziehungen zwischen Menschen entstehen, die noch nie gemeinsam am selben Ort zur selben Zeit waren. Die Kommunikation zwischen „Fremden“, die sehr schnell zu „Vertrauten“ werden können, findet in Echtzeit statt und niemand muss seine Umgebung dazu verlassen. Das Verbreiten von Nachrichten geschieht in rasanter Geschwindigkeit. Jeder kann theoretisch sofort darauf reagieren und sich an öffentlichen Diskussionen – wie dieser hier – beteiligen. Das war noch nie zuvor in der Menschheit möglich. All das verändert unser Denken, unser Fühlen, unsere Wahrnehmung und weckt (teilweise) andere Bedürfnisse als noch vor 25 Jahren. Es gibt Menschen, die einige Arbeitskollegen, mit denen sie täglich Kontakt haben, noch nie physisch getroffen haben. In der Arbeitswelt vieler Menschen wird bei Beendigung eines nur wenige Monate dauernden Projektes, das gerade produzierte bereits „die alte Version“ genannt. Am folgenden Tag beginnt die Entwicklung von etwas Neuem und „Besseren“ in einem neuen Projektteam mit anderen Beteiligten. Kurzfristigkeit erhält absoluten Vorrang. Befristete Arbeitsverträge, erhöhte Mobilität. Es wird immer mehr Flexibilität verlangt. Die Bezugspersonen außerhalb der eigenen Kernfamilie wechseln in allen Lebensbereichen deutlich schneller als in vergangenen Zeiten. Die nächste Generation ist noch viel flexibler und wird sich möglicherweise viel unverbindlicher geben. Versuche, mit einem Teeny Absprachen bezüglich eines Treffens in 2 Wochen zu tätigen, scheitern meistens kläglich. Bis dahin könnten ja noch andere, bessere Angebote locken, also kann man sich doch nicht jetzt schon festlegen!

      Vergleichen wir das mit der Lebenswelt Mitteleuropas zwischen 1850 und ca. 1990, dann existierte damals eine größere örtliche Gebundenheit und es gab nicht selten langfristige Lebensplanungen. Mit der Berufs- und Partnerwahl war das Leben viel stärker festgelegt als heute. Die Strukturen örtlicher Kirchengemeinden und Gemeinschaften, wie wir sie typischerweise seit Mitte des 19. Jahrhunderts kennen, passten dazu wunderbar. Sie sind alle auf Langfristigkeit angelegt und im Prinzip wie Vereine aufgebaut, was irgendwie folgerichtig ist, denn außerhalb einer Kirche oder eines Vereins gab es im 19. Jahrhundert keine rechtliche Basis für Zusammenkünfte von Christen. Man trat also per Geburt oder irgendwann aus freien Stücken in eine christliche Gemeinschaft ein und blieb dann dort bis zum Lebensende. Auf diese weltliche Vereinsstruktur wurden die antiken Texte der Paulusbriefe angewandt und je nach Lesart entstanden Leitungsstrukturen, die (fast) alle eine pyramidenförmige Ausbildung von Hierarchie zur Folge hatten. Die Gemeindeleitung/Pastor als verlängerter Arm Gottes auf der Erde und darunter der Rest, der geführt werden muss, damit alles seine Ordnung behält. (Stark karikierend in einem Satz zusammengefasst.) Übrigens leiden Vereine aller Art unter demselben Schwund an Mitgliedern und engagierten Leuten wie die Kirchen. Schon aus diesem Grund muss man den Einfluss von gesellschaftlichem Wandel auf die Kirche und ihre Mitglieder viel höher gewichten, als das manchmal geschieht. Ich erlebe momentan den Aufstand gegen jegliches „von oben herab über die Köpfe der Leute hinweg“ in politischen und auch gemeindlichen Diskussionen. Die Frage nach dem Leitungsverständnis in Gemeinden ist so aktuell wie selten zuvor.

      Vor ein paar Wochen bin ich auf eine Predigt von Jens Stangenberg gestoßen, in der er ein paar Gedanken weiter ausführt, die an das Bild des schwärmenden Christus anknüpfen. Die „Pneumatokratie“ und die Frage, ob diese in der Kirchengeschichte überhaupt jemals voll zur Geltung kam. Ab Minute 16:55 -> https://zellgemeinde-bremen.de/de/node/590

      Ungezügelter christlicher Individualismus ist keine Option; massenhafte Hinwendung zu Event-Kirchen ist nicht zu erwarten. Gemeinden, die klare Regeln und Verhaltensmaßstäbe vorgeben und vereinsmäßig durchorganisiert sind, scheinen mir schon seit Jahren nur für Menschen attraktiv zu sein, die das sich ständig wandelnde Leben tendenziell als Überforderung empfinden und einen Ort brauchen, an dem am besten alles so bleibt, wie es angeblich immer schon war. Die evangelische Landeskirche und die katholische Kirche in meiner Stadt schließen und verkaufen Immobilien und reißen jedes Jahr mehrere ihrer Versammlungsgebäude ab. Kirchbauten werden manchmal kaum 40 Jahre alt und die jüngsten Aktiven in den Kirchengemeinden stehen bereits im letzten Lebensdrittel. In den freikirchlichen Gemeindebünden fragen sich viele, wie es weiter gehen soll. Es gibt nur horizontale Bewegung. Es fehle eine Erweckung, hörte ich letztens zum x. Mal. Mit anderen Worten: der Ball liege bei Gott – Und wir machen derweil so weiter wie bisher in mindestens 150 Jahre alten, oder gar über tausend Jahren alten Grundstrukturen?

      Zumindest in den Städten gibt es genügend Orte, an denen sich kleine und mittelgroße Gruppen auch ohne eigene Gebäude zu den unterschiedlichsten Anlässen und Aktivitäten treffen können. Zell-Gemeinden mit wechselnden Gruppenzusammenstellungen scheinen mir in ihrer Grundidee die oben beschriebene, veränderte Lebenswelt praxistauglich zu berücksichtigen. Das könnte eine Grundidee sein, von der ausgehend eine „neue Form“ (mit aller Vorsicht formuliert) von Kirche sich ausbilden könnte. – Das Bild des „schwärmenden Christus“ lässt mich jedenfalls nicht mehr los. Und ein Austausch zu diesem Thema zwischen Dir, lieber Thorsten, und Jens Stangenberg wäre sicherlich sehr befruchtend und inspirierend für alle Hörer, die wie Du „Weiterglauben“ und unseren großen Gott nicht klein denken wollen.

      1. Danke für diese anregenden Überlegungen! In der Tat, ich denke, das Thema: was ist heute Kirche, Gemeinschaft, welche Formen brauchen wir, welche stories sind aber auch schlicht auserzählt, disfunktional – diesen Fragen müssen wir uns so oder so stellen. Bei Worthaus werden wir uns wohl Frühjahr 2020 damit ausführlicher beschäftigen. Denn die Probleme der bisherigen Strukturen sind ja unübersehbar: Die Großkirchen leben von der Substanz, bei aller Sympathie, die ich für vieles bei ihnen aufbringe, aber hier bedürfte es mit ganz anderer Ernsthaftigkeit intensiver Such- und Experimentierbewegungen, wie man heute und morgen Glauben gemeinsam leben kann. In der evangelikalen Welt war Willow Creek für Jahrzehnte der Goldstandard für Führung und Leitung; und in was für eine Leitungskrise ist man dieses Jahr dort geschliddert! Der allgemeine Schock sitzt offenbar vielerorts noch zu tief, als das man ernsthaft fragt – was das für ein Leitbild in Sachen Leiterschaft bedeutet.
        Und naja, das genaue Gegenteil von falsch – ist was immer genauso falsch oder schlimmer… Eine Frage, die Fortsetzung verdient!

        1. Oh ja, das große Vorbild Willow Creek. Man müsste einmal eine Umfrage in den von Willow geprägten Gemeinden durchführen, wie viele Menschen aufgrund eines zu tief inhalierten Willow-Leitungsverständnisses ein Burnout erlebt haben.

          Bill Hybels Fall zeigt (mal wieder), wie wichtig es ist, dass ausnahmslos alle Leiter innerhalb der Gemeinden Kontrolle für sich selbst einfordern müssen. Dies dient dem Schutz der Leiter vor Anfeindungen und vor sich selbst. Leider werden kritische Nachfragen nicht selten als Misstrauen gegenüber Gott, der eine Gemeindeleitung ja berufen habe, gedeutet und als „ungeistliches“ Verhalten in Gemeinden abgelehnt. Es gibt endlose Beispiele dafür, dass Leiter nach einigen Jahren in der immer selben Position schwere Fehler begingen und großen Schaden für sich und andere anrichteten. Es bekommt auf Dauer keinem Menschen gut, aus der Menge von Seinesgleichen auf irgendeine Art herauszuragen. Eine Konsequenz aus den bitteren Erfahrungen von Willow Creek könnte sein, konkrete Leitungsaufgaben aller Art zeitlich viel stärker zu begrenzen. Zeitlich stärkere Begrenzung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten wäre auch mit dem Gesellschaftstrend kompatibel. Die Autoren der amerikanischen Verfassung haben sehr weise gehandelt, als sie die Amtszeit des US-Präsidenten auf 4 Jahre und nur einmalige Wiederwahl – also maximal 8 Jahre – begrenzten. 2018, im Land Adenauers, Kohls und Merkels (mit ihren sich qualvoll lang hinziehenden Amtszeiten) für einige ein revolutionärer Vorschlag.

  19. @ Thorsten: Gerade habe ich den aktuellen Worthausvortrag über Bonhoeffers Ethik gehört. SUPER! Herzlichen Dank dafür! Das hat mir SO geholfen!!

  20. Woah, eine wirklich nachdenkliche Folge.
    Finde den Mystik Teil fast am besten, weil er so alttagsnah ist. Auch noch mal interessant, das ganze theologisch einzuordnen.
    mystischer Lobpreis ist bei mir die american recordings von Jonny Cash.
    Werde mich in nächster Zeit mal darauf konzentrieren.

    1. Der späte Cash ist natürlich eine Klasse für sich; Jeder, der das noch nicht kennt, darf sich glücklich schätzen, wieviel wunderbare Entdeckungen er da noch vor sich hat… Mystischer Lobpreis ist dafür ein gutes Label. Ich denke ja, dass Bob Dylan in guten Momenten seiner Pilgerschaft sich da ebenfalls einiges aus Seele und Kehle geholt hat, was einen Zeit und Raum vergessen lässt; nicht nur in den drei Platten der Jesus-Years, sondern quer durchs Gesamtwerk, von A Hard Rain’s A-Gonna Fall bis Ain’t Talkin.
      Überhaupt ist das Grenzgebiet von Kunst und Religion – anspruchsvoller wie fruchtbarer Boden zugleich für jede künftige Gestalt des Glaubens. Denn allzu oft ist das, was heute an religiösen Gedanken floriert, nicht in Sichtweite zur kulturellen Selbstverständigung unserer Zeit – und das, was heute an religiöser Kunst wirklich im Gebrauch ist, allzu oft Kopie von Kopien.

  21. Das Problem ist halt, das „Worship“ oft nur zur zur Selbstbestätigung meiner Glaubensidentität dient und keine Fragen oder gar Fragen aufwerfen darf.
    Am Wochenende gab es auf dem Fest der gefährlichen Ideen Lieder von Gungor, die mich wirklich berührt haben. Aber der ist halt auch etwas progressiver,wie es scheint.
    Apropos Kunst: gibt es deinen GoT Vortrag den du auf der Karl Haim Tagung hälst, dann irgendwo online als Audio Datei oder Skript?
    Interessiert mich total!

  22. Hey Torsten,
    ich denke dass ist auch ein wenig der religiösen Selbstspiegelung in vielen „Worship“ Songs geschuldet, die wenig Raum für Fragen oder gar Zweifel lässt.
    Wo du schon mal hier bist: Gibt es deinen GoT Vortrag von nächster Woche dann irgendwo zu hören?
    Würde mich brennend interessieren!

    1. Der Vortrag bei der Karl-Heim-Gesellschaft ist erst mal eine Live-Performance; Mitschnitt ist nicht geplant, aber: ich hatte schon Vorgespräche, die GoT-Deutung im Rahmen von Podcasts zu verarbeiten, wenn der Hype nächstes Jahr wieder anhebt. So oder so wird da was kommen…
      Aber herzlich willkommen, Marburg ist immer eine Reise wert! Auf der Tagung spricht ja auch Michael Blume, den Hossa-Hörer kennen werden.
      https://www.karl-heim-gesellschaft.de/pdf/Flyer-2018.pdf

  23. Stefan Olschewski

    Ich höre gerade den Talk, und denke spontan:
    Vielleicht müssen wir die Bibel zum Teil eher wie ein künstlerisches Gesamtwerk sehen. Künstlerische Werken beinhalten selten einen offensichtlichen Sinn oder ein offensichtliches Ziel. Häufig lässt ein künstlerisches Werk einen im ersten Moment „alleine“. Eine Deutung ist schwierig und das Werk entzieht sich dem auch sehr gerne.

    Wenn ein künstlerisches Werk ein klares Ziel offen legt und dem Betrachter, der Betrachterin es direkt mit dem ersten Blick offen legt, dann ist die Möglichkeit groß, dass der Blick vom Werk, welches auch immer, abschweift, bzw. das Werk verlassen wird. Man hat es ja „verstanden“. Wenn du weisst, was der Zweck, der Sinn oder das Ziel ist, brauchst du auch nicht weiter nachdenken, darauf schauen und in Begegnung oder in einem „Gespräch“ mit dem Werk stehen.

    Vielleicht ist das offene oder auch teils sich gefühlt „widersprechende“ an der Bibel gerade ihr großer Wert, da wir weiter über die Inhalte nachdenken und versuchen herauszufinden, was dieses Werk uns heute zu sagen hat. Sie ist streitbar und widerstandsfähig und wir müssen uns an ihr „reiben“, wie an einem künstlerischen Werk, bei dem manchmal Sprachlosigkeit der geeignete Zugang wäre.

    1. @Stefan
      Das ist ein schöner Vergleich. Vor Kurzem hat mir ein Freund erzählt, dass er gerne mit einer zweiten Person in ein Museum geht, dass zuerst jeder für sich die Kunstwerke betrachtet und sie dann noch einmal zu zweit die Kunstwerke ansehen und jeder dem anderen erzählt, was ihn bei den Kunstwerken angesprochen hat und wie er sie versteht. Dadurch bekommt dann jeder einen weiteren, tieferen Blick auf die Kunstwerke. Das ist doch mit der Bibel genauso. Wir brauchen den Austausch mit anderen über die Texte. Die anderen erzählen uns, wie die Texte zu ihnen sprechen oder was sie bei der Betrachtung herausgefunden haben. Und wir lernen dadurch die Bibel in ihren vielen Facetten kennen und die Texte bekommen mehr Tiefe.

      1. Stefan Olschewski

        @Katja

        Das ist schön, dass sie sich jeder für sich Zeit nehmen, bevor sie in den Austausch gehen. Ich bin selbst angehender Kunstvermittler und das Paradox liegt schon in dieser Job-Berezeichnung. Was hilft der einzelnen Person, besser gesagt, einer Gruppe von 25-30 Personen einen Zugang zu einem Werk zu erhalten. Minimale Hintergrundinfos, mehr davon, alternative Zugänge durch Methoden, etc. oder einfach Schweigen und das Werk auf sich wirken, sich vom Werk anschauen lassen.
        Da sind wir, so denke ich, auch in einem Bereich wie mit der Bibel umgegangen werden kann. Wann ist Theologie hilfreich und vor allem notwendig, wann braucht es das Schweigen, das eigene Assoziieren und wann das Gespräch.

        Ich denke, dass Glaube und Kunst sich näher stehen, als gedacht wird. Vielleicht ähnlich wie in „Narziß und Goldmund“ von Hesse. (Ich glaube, ich lese es mal wieder). Das Gefühl unserer Zeit ist Erneuerung irgendwie. Das kommt im Talk raus, im Fragen wie Glaube heute sein, und in der Kunst und den Menschen im Land geht es ähnlich, denke ich. Der Punkt an dem Weichen gestellt werden.

  24. Mein Problem mit Gott ist das schlichte, dass man ihn nicht sehen kann. Ein plattes „Ich glaub nur, was ich sehe!“ ist eben ein echtes Argument. Da erscheint es mir wie ein Griff in die Zauberkiste, einfach die Mystik rauszukramen und zu sagen „Gott ist im Verborgenen“. Letztlich sind die menschlich-religiösen ERklärungen, warum Gott sich zurückgezogen hat (z.B. Sündenfall) für mich nicht zufriedenstellend.

    Thema 3. Wege:

    Ich bin Anhänger der Freidenkerei. Jeder sollte seinen Weg finden. Das sind dann natürlicdh viele verschiedene dritte Wege. Ich glaube es gibt einen Wahrheits- und Möglichkeitsraum, innerhalb dessen wir Konstrukte ud Erfindungen machen können von Wegen. Die Welt hat dann eben viele verschiedene Räume (z.B. Religionen oder Ethikkonzepte). LEider konnte ich den Live-Talk heute nicht hören, da die Technik schlapp gemacht hat, aber da war ja auch das Thema Polyamorie nachgefragt. Ehe etc. sind in dieser Theorie nur menschliche Konstrukte und es kann auch andere sinnvolle Wege geben. Wobei sich die Frage stellt, wieso Gott uns so durch trial and error laufen und in giftige Pflanzen beißen lässt. ICh fasziniere mich für die Geschichtsphilosophie, erkenne aber auch, dass es die ersten Menschen echt schwer hatten (Evolution vorausgesetzt ;-).

    Vor kurzem habe ich meiner Schwester gesagt, dass ich den evangelikalen Glauben auch daher habe bleiben lassen, weil es mir bei Richard Rohr so zurechgebogen vorkam und dann kann man es auch bleiben lassen. Ich will schon einen plausiblen Weg finden.

    Können verschiedene Religionen wahr sein? Ich finde das Bild schön, dass drei Blinde einen Elefanten abtasten, der erste am Rüssel sagt: Ein Elefant ist ein langer Schlauch. Der am Bauch sagt: Ein Elefant ist eine stramme, dicke Kugel. Der am Ohr sagt: Ein Elefant ist wie ein flauschiger, haariger Lappen.

    Das ist natürlich mehr ein Bild aus der praktischen Philosophie statt aus der theoretischen. Doch in der theoretischen Philosophie ist ja auch festzuhalten, dass Christen, die die einzige Wahrheit in der Bibel sehen, anerkennen, dass es dort Widersprüche gibt (z.B. Vorherbestimmung und freier Wille), die sich z.B. ergänzen.

    1. Thorsten Dietz

      Lieber Andi, Danke für Deinen Kommentar!
      Ein paar Gedanken zu Deinen Gedanken. Du schreibst „Ein plattes ‚Ich glaub nur, was ich sehe!‘ ist eben ein echtes Argument.“ Mmh es ist ja eher eine Prämisse, eine weltanschauliche Grundhaltung: nur solche Wirklichkeitsbehauptungen gelten zu lassen, die durch empirische Evidenz gestützt sind. Und dann sind Nachweise empirischer Evidenz eben zwingende Argumente, und das beharrliche Ausbleiben ist noch keine Widerlegung, aber zumindest ein starkes Argument dafür, dass etwas höchst unsicher wenn nicht irreal ist.
      Die Frage ist ja: Ist diese Grundhaltung zwingend? Aufgrund welcher Argumente? Ja, sie ist unwiderlegbar, sie ist ja auch keineswegs selten; dann vertritt man eben einen konsequenten Agnostizismus oder Atheismus. Und Debatten sind dann auch überflüssig. Aber: unwiderlegbar ist vieles. Auch mancher Unsinn. Das Argument für diese Grundhaltung ist schon stark: Empirische Evidenz ist ein Truthmaker mit maximaler Gewissheit. Hier zieht man sich auf die sicheren Inseln des Wissens zurück.
      Ich denke halt: dieser Empirismus bringt auch eine ziemliche Verarmung der Wirklichkeitswahrnehmung mit sich. Schon Ethik und Ästhetik sind ja kaum noch möglich bzw. bedürfen eines ziemlichen Aufwandes, um als halbwegs ernstzunehmend Sinnfelder der Wirklichkeit beschrieben zu werden.
      In den Religionen gehört es gewissermaßen zu den Grundregeln: Niemand hat Gott je gesehen. (Joh 1,18) Das Christentum wird durch diese Grundhaltung ja nicht widerlegt, es wird von vornherein ausgeschlossen, weil hier das Sehen auf das Unsichtbare (2Kor 4,18) zur Grundlogik des Glaubens gehört.
      Wie sieht man auf das Unsichtbare? Nun ist es in unserer Religionsgeschichte die These, dass Gott in allem gegenwärtig sei. Die ganze Schöpfung ist erfüllt von seinem Ruhm. Und Menschen können angesprochen werden von quasi allem, dass da mehr ist. Und weiter: die biblischen Erzählungen setzen diese Universalität immer schon voraus; und erzählen von qualifizierten Vergegenwärtigungen Gottes. In einem brennenden Dornbusch. Einem Berg in Blitz und Donner. Einer Feuer und Wolkensäule. Oder in einem stillen, sanften Säuseln. Dergleichen gibt es – und es kann nicht einfach in Wissen für alle verwandelt werden, was einzelne Bezeugen. Und so die christliche Geschichte: Jesus ist der Ort der Orte. Das Zeichen der Zeichen. In ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig. (Kol 2,9) Woher weiß man das? Gar nicht. Es ist ein Zeugnis, eine Spur, eine Schrift an der Wand, die Mitte eines uralten Buches, Stoff alter und neuer Lieder und Gedichte. Eine Geschichte, die weiter und weiter und weiter erzählt wird. Dass sie einleuchtet erzwingt keine empirische Evidenz, kein logisches Schlussverfahren kein argumentatives Schachmatt. Ihr Einleuchten ist unverfügbar. Mir hat die Geschichte eingeleuchtet. Mir ist dieser Jesus evident. Wieder und wieder, quer durch alle Zweifelswellen und -wogen hindurch. Und in ihm und mit ihm dieses Geheimnis, das wir Gott nennen, dieser Sinngrund, Wahrheitsanker, Fluchtpunkt aller Hoffnung, Quelle jeder Liebe. Und wenn er das ist, dann ist er ein Gott für Freidenker, der sie gerade nicht nötigt, sondern seine Zeichen stehen lässt und wartet in Geduld. Wie die Väter verlorener Söhne es so machen. Und dann ist es gut, alle Wege zu verlassen, die einem umplausibel erscheinen. Dann ist es sinnvoll, der Garten menschlicher Religionen aufmerksam zu mustern. Wo man von der dergleichen gewarnt wird, ist die Zuversicht in die innere Kraft des eigenen Glaubens vielleicht nicht allzu hoch.
      Also, so bin ich unterwegs. Dritte Wege gibt es nur im Plural.

      1. Das haben Sie sehr schön gesagt, Herr Professor 🙂

        Statt des zwanglosen Zwangs des besseren Arguments, das mir einleuchtet, wäre es der zwanglose Zwang der bedingungslosen Liebe Gottes, die in mich hinein leuchtet und die eigentliche Patina der Dinge zum Vorschein bringt.

        Patina sage ich nur, weil ich gerade die Superhändler gucke, die reden ständig davon.

        Ich war aber auch schon in der Kirche:
        https://bierdeckelromane.wordpress.com/2020/05/01/gottesdienst-im-zeichen-von-corona/

    2. Ich persönlich finde es oft hilfreich, das Gegenteil von dem anzunehmen, woran man zweifelt – und dann würde ich denken: Wenn Gott sichtbar wäre, kann es unmöglich Gott sein, da das, was Teil von Raum und Zeit ist, nicht dessen Ursache sein kann. Paradoxerweise ist somit die Bedingung unseres Glaubens gleichzeitig der Grund unseres Zweifels.

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