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Geschlechtliche Vielfalt, Identität und Diversität
Ihr erinnert euch sicher noch an unsere Folge mit David Gushee, die wir anläßlich des Coming In von Zwischenraum e.V. aufnehmen durften und in der es auch O-Töne von Teilnehmenden zu hören gab. In einem Workshop bei eben dieser Veranstaltung hat Jay damals Sandy Arnold kennengelernt und direkt zu Hossa Talk eingeladen.
Sandy Arnold, früher Pastor und jetzt Bildungsreferent bei Trans-Inter-Aktiv Mitteldeutschland e.V. lebt in Erfurt und nimmt uns mit hinein in biografische Stationen und plädiert für ein neues Verständnis von Geschlechtlichkeit.
Und so reden wir im gemeinsamen Gespräch über geschlechtliche Vielfalt und Geschlechter-Identität, über Wortfindungen und problematische Begriffe und die Unsichtbarkeit queerer Personen in Kirchen und Gemeinden. Wir versuchen der mitunter vorhandenen Verwirrungen und Unsicherheiten entgegenzuwirken, die in Bezug auf diese Fragen immer wieder herrschen.
Und landen in diesem spannenden Talk zwischendurch bei der Frage, ob nicht sogar Gott intergeschlechtlich gedacht werden sollte?
Hier findet ihr das Queer-Lexikon: https://queer-lexikon.net/glossar/
und hier geht es zur Webseite von Trans-Inter-Aktiv in Mitteldeutschland e.V. (TIAM): https://www.trans-inter-aktiv.org
Hi Sandy,
das war wirklich sehr interessant! Danke dafür!
Wenn ich das richtig verstanden habe, bist Du Beraterin und Trainerin für dieses Thema, wahrscheinlich hast Du es da mit Leuten auf diesem Weg wie auch mit Durchschnittsottos zu tun, oder 😉
Also, ich traue mich als ein solcher Durchschnittsotto jetzt mal, ein wenig verkrampft eine Frage zu stellen, die wahrscheinlich nicht nur mir unter den Nägeln brennt:
Ich habe mal gelesen, dass die Selbstmordquote unter einer bestimmten Gruppe Nicht-heterosexuell-orientierter (ich weiß grad nicht mehr welche) überproportional hoch ist. Auch steigen die Zahlen der Teeanager-Mädchen sprunghaft, die sich die Brüste abnehmen lassen. Ich frage mich einfach, woran das liegen kann. Was mich auch beschäftigt ist, was ich als Vater machen würde, wenn meine Tochter das wollte. Ich wäre zum Beispiel dafür, dass man gerade als Jugendlicher sehr stark über Pros und Kontras von einer neutralen Stelle informiert würde. Denn mich so ganz von dem Gedanken zu verabschieden, dass Jugendliche sich auch viel einbilden können, davon könnte ich mich glaub ich net leicht verabschieden 😉
So ganz kann ich mein Anliegen gar nicht greifen. Es steckt auch stark der Gedanke dahinter: Ist es nicht erstmal sinnvoll einem Kind eine Rolle, ein Gerüst zu geben, das flexibel ist. Es also erst mal „ganz locker“ als Junge zu erziehen (und das muss ja längst nicht immer klischeehaft sein) und immer wieder altersgerecht andere Türen aufzumachen, etwa auch spielerisch und humorvoll.
Magst Du ein paar Gedanken teilen zu diesem (leider difusen) Themenkomplex?
Ich hoffe, du nimmst mir die Frage net übel, aber sie muss ja gestellt werden, wenn die eigene Tochter doch mal mit obigem Anliegen ankommt, denke ich.
Danke nochmal Dir,
Andi
Sandy klingt nett.
Alles Gute!
Hallo und danke für das Gespräch!
Fand ich alles sehr gut und verständlich dargestellt. Sehr erhellend, da ja auch auf Vieles etwas näher eingegangen worden ist…
Dass der Widerstand in der Gesellschaft primär auf dem Grund der Überforderung bezüglich Neuem beruht, glaube ich jedoch nicht. Zumindest erlebe ich es bei den Leuten, mit denen ich darüber gesprochen habe, nicht so. Es liegt mMn. nach eher an der unzureichenden Nachvollziehbarkeit des theoretischen Hintergrundes.
Jay und ich hatten vor zwei Jahren schon einmal ein wenig darüber diskutiert.
Für mich ist das große Problem, dass bei aller Abgrenzung zum Binären, sich eben dadurch noch immer in eben diesem Denkrahmen bewegt wird. Solange man im Binären bleibt, und sei es auch (oder gerade) in der Verneinung oder angestrebten Ausweitung, wird man, so meine Vermutung, keinen vernünftigen Grund unter die Füße bekommen, mit dem man dem Otto, wie Andi schrieb, ohne den ständigen Verweis auf das Subjektive befinden, die Sache nachvollziehbar machen könnte.
Ich denke, dass man da ganz prinzipiell schlicht noch nicht weit genug geht.
LG
Jannik
In dem kapitel Geschlechteridentiät beschreibt Sandy eine Begenung mit einem Transmenschen, der von sich sagt, dass er Trans wäre. Wieso sagt ein Mensch das er Trans ist, wenn er/sie jede Nachfrage als belastend empfindet? Oder sogar meint, es gehe den anderen nichts an?
Ich käme auch nie auf den Gedanken, anderen Menschen meine sexuelle Orientierung mitzuteilen. Wer macht so etwas und warum??
Hallo Sandy, Marco, Jay,
auch wenn ihr diesmal nicht explizit um Kommentare gebeten habt ;), habe ich doch ein paar Anmerkungen und möchte auch ein paar Fragen an euch stellen für das nächste Gespräch mit einem ähnlichen Gast oder ähnlichen Gästin*.
Erstmal wieder großes Lob an alle Beteiligten für diesen umfassenden Einblick in die schwierige Materie. Höhepunkt war für mich die Ausarbeitung dessen, was es überhaupt bedeutet „so“ (trans, non-binär,…) zu sein. Das es am Ende dann doch „nur“ ein Gefühl ist oder wenn man die Summe an Veranlagungen/ Interessen betrachtet vielleicht nicht nur, aber doch primär, war das für mich die größte Erkenntnis. Auch im Hinblick auf die Kritik die von einigen Seiten zu diesem „was ist es denn genau“ kommt, fand ich diese Erläuterungen sehr ehrlich und aufschlussreich. Den Bezug zur Bibel find ich sowieso immer super und hat dieses mal wieder voll den Punkt getroffen.
Vor ein paar schwierigen Fragen habt ihr euch aber dann doch leider gedrückt.
Wie stehen die betroffen Personen zum Thema Toiletten, Sport, Umkleidekabinen, Wettkämpfen, Saunen, Vereinen, Gefängnissen,…, also überall da wo es aktuell noch (aus gutem Grund) eine Trennung im binären Sinne gibt und die ein oder andere unschöne Story es bis in den Mainstream hinein geschafft hat.
Daraus resultierend entstehen natürlich auch einige rechtliche Kontroversen mit besonderem Augenmerk auf Jugendschutz.
Das ihr euch diesem vielleicht „heißesten“ von allen Themen fast gar nicht angenommen habt fand ich dann doch sehr schade.
Ansonsten wie immer ein weiter so von mir 🙂
Gruß
Hossafan
Hey Hossafan,
danke für das Lob UND die Kritik. Du hast vollkommen Recht, die gesellschaftlich heißen Eisen haben wir zu wenig angefasst. Nicht weil sie uns zu heiß gewesen wären, sondern weil wir nicht dazu kamen. Das sollten wir zukünftig unbedingt auf dem Zettel haben.
Zu dem von dir angesprochenen Themen kann ich den Podast „The Witch Trials of J.K. Rowling“ sehr empfehlen (https://open.spotify.com/show/2K186zrvRgeE2w0wQjbaw7?si=88c38f433f494844). Das ist eine Podcast-Docu von Megan Phelps-Roper (das ist die aus der Westborow Baptist Church (die mit den „God hates fags“-Schildern) ausgestiegene Enkelin des Gründers). Phelps-Roper beschäftigt sich hier in sieben Folgen sehr einfühlsam mit dem Konflikt zwischen der Trans-Comunity und Rowling (und spricht auch mit beiden Seiten). Dabei geht es dann unter Anderem auch um die von dir genannten heißen Eisen. Sie stellt beide Seiten sehr fair dar. Was mir am besten gefallen hat, ist, dass sie es vermeidet sich auf eine der Seiten zu schlagen und eher dafür plädiert miteinander im Gespräch zu bleiben.
LG,
der Jay
Hm…also ich fand den Talk nicht sehr erhellend, sondern eher mühsam zuzuhören. Für mich wirkten die queeren Geschwister, die ihr bisher eingeladen hattet, wesentlich kompetenter, ich konnte mich viel besser einfühlen in ihre Perspektiven und dann auch für mein Denken und Handeln in diesem Thema sehr viel mehr mitnehmen. Das ging mir auch beim Hören des Zwischenfunk-Podcasts so. Ich glaube, für mich als nicht-Queere ist es extrem hilfreich, persönliche, konkrete Geschichten zu hören. Ich empfand viel Schwere und Unsicherheit, wenn Sandy bei fast jeder Frage sagte, sie sei „schwierig“ und irgendwie nicht so konkret antworten konnte.
Und es war mir ein schwer zu folgendes Wechseln zwischen Geschlechtlichkeit (zB Thema Eunuchen und Intergeschlechtliche, verwendetes Pronomen), (Trans)Identität, Geschlechterrollen (was „tut“, wie „ist“ ein Mädchen, eine Frau…etc), und Sexualität (Beziehungsform lesbisch aber irgendwie kam sie dann auf Bisexualität anderer zu sprechen…). Und dann gegen Ende sprach Sandy noch von Non-Binarität.
Das mag an ihrer Fluidität liegen – die ich, anders als Sandy, nicht als grundlegend bei jedem Menschen annehme und wahrnehme, auch nicht bei den queeren, die ich so kenne.
Für mich war vieles jedenfalls nicht so einleuchtend und hilfreich.
Hinsichtlich der Frage nach den zunehmenden queeren Verortungen von Jugendlichen ist mein Eindruck, dass es viel mehr Jugendliche sind, als es statistisch anzunehmen ist (Sandy sprach von einer stabilen Prozentzahl, ich habe aber nicht so ganz verstanden, auf welche Menschen sie sich bezog. Transidente vielleicht?). Ich glaube, die Sprachfähigkeit hat hier Vor- und Nachteile. Es ist eine riesen Erleichterung für queere Menschen, dass sie sich artikulieren können und dürfen und Communities zum Austausch finden. Aber es bietet eben wieder auch mehr Schubladen an, in die sich einsortiert werden kann. Ich glaube, dass Jugendliche, die gerade auf allen Ebenen ihres Seins Unsicherheit, Veränderung, Verlust von Zugehörigkeiten und Infragestellen alles Bisherigen erleben, eben diese neuen Schubladen auch als Anker nehmen, um irgendwo Sicherheit zu haben und sagen zu können: So bin ich. Das bin ich. Das wäre an sich nicht problematisch, aber gerade, wenn es (s. Kommentar von Andi) um (statistisch gesehen) übermäßig häufig geäußerte Wünsche nach Hormonbehandlungen oder operative Eingriffe geht, würde ich doch dafür plädieren, die Debatte etwas lockerer zu handhaben und, statt mehr Schubladen, Jugendlichen eher sehr großzügig und liebevoll einen „Keine Ahnung, mal Schauen“-Raum zu ermöglichen.
Bzgl der Frage der Schubladen und Binarität habe ich ähnliche Gedanken wie Jannik.
Ein weites Feld….
Sandy äußert sich zu ihrer eigenen Identität letztlich nicht.
Sandy sagt, man dürfe bezüglich ihrer Person das Pronomen „sie“ verwenden.
Sie verweist am Ende auf das QueerLexikon und gibt zu, dass das Thema ganz schön kompliziert ist.
So kompliziert, dass auch Workshops nur bedingt helfen, einen Einstieg zu finden.
Was mir im Talk zu kurz kam, war die Unterscheidung, ob eine Intergeschlechtlichkeit „medizinisch nachweisbar“ (schöne Vokabel!) oder „psychisch bedingt“ ist und wie hier die Relation aussieht.
Der Mensch ist im Kennenlernen eben immer neugierig. Vllt sollte man dann einfach zurückfragen: „Du bist ein Mann. Was bedeutet das für dich?“; dann sollten einige schon ins Nachdenken kommen.
Die Argumentation von Sandy, dass neugierig Nachfragende dann quasi Babyfotos sehen wollen, finde ich nicht ganz nachvollziehbar; klar, die meisten sind bei diesen Thema dann erstmal neugierig und fragen dann eben nach, vllt auch, weil sie interessiert und somit nicht intolerant wirken wollen und die Intimität liegt hier eben in der Natur der Sache. Wobei mich das Beispiel mit der Kreditkarte an der Tankstelle dann eher getroffen hat; aber da sollten wir uns als Gesellschaft auch noch etwas Zeit geben und es an Gelassenheit nie fehlen lassen. Angespannte Ungeduld hat noch nie etwas gebracht.
Schon gemein, dass der HerrGott uns als „männlich und weiblich“ erschuf und nie eine Definition abgelegt hat und dann hat die Sache mit der Schlange ja noch alles verkompliziert.
Am Ende stelle ich mir die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, mit jedem über seine Geschlechtsidentität zu sprechen. Wie viel Intimität hält eine Gesellschaft aus?
Und gerade Queerpersonen tun sich schwer damit und möchten das auch gar nicht an die große Glocke hängen.
Die einzige Queerperson, die ich kenne, ist von der gesellschaftlichen Debatte genervt und möchte einfach ihren/seinen Weg finden.
Die gesellschaftliche und politische Dimension hat man hier nicht diskutiert (wie oben schon jemand erwähnt hat).
Ich spreche mich dafür aus, das Geschlecht bei der Geburt nicht mehr zu erfassen.
Und warum sollte es im Jahr 2023 nicht möglich sein, dass man das Geschlecht nur noch dann erfasst, wenn es für den Antrag tatsächlich entscheidungserheblich ist? (ganz im Sinne der Datenerhebungssparsamkeit)
Und warum sollten sich Formblätter und Ausweise nicht nach Gesinnung aufgeteilt sein. Mutter und Vater hier, Mutter und Mutter dort, und Elter1 und Elter2 da.
Das wäre doch wirklich freiheitlich! Einheit nur da, wo sie wirklich nötig ist. Alles weitere ist ein verwaltungstechnisches Problem. Und gerade beim Eherecht sind wir ja soweit, dass alles Unverheiratete ab einem gewissen Alter sich vermählen darf und die Pronomen bei der Trauung, ob man nun „Mann und Mann“ oder irgendwas anderes wird, kann das Standesamt bei den beiden ja erfragen.
Schwieriger wird es bei den Auswirkungen auf die amtlich erhobenen Statistiken wie dem Bevölkerungsatlas oder etwa die Aufteilung von Straftaten nach Geschlecht; es sei denn man schwenkt auch hier um und erfasst nur noch Gesamtzahlen; da wäre erstmal abzuklären, in welchen Bereichen eine Aufteilung dennoch Sinn macht – zuerst fallen mir da medizinische Daten ein, da man hier die geschlechterspezifische Behandlung erst in den letzten Jahren so richtig auf den Schirm bekommen hat.
Anhand dieser paar Beispiele merkt man ja schon, dass das Thema mal nicht eben auf nem Bierdeckel gelöst werden wird.
…und in den letzten 40 Jahren hat sich gesetzgeberisch in diesem Bereich so einig Gewaltiges getan. Selbstverständlich ist noch nicht alles so, wie es gewisse Fachleute vllt gerne hätten, aber man „sieht“ das Thema.
Frauenparkplätze können sinnvoll sein; ob sie mit der etwaigen Einführung von Unisextoilleten abgeschafft werden, bleibt abzuwarten. Da könnte ich mir vorstellen, dass es den Parkhausbetrieben überlassen wird, wie sie damit umgehen.
Bei Frauen-/Männergefängnissen wird es schon heikler.
Und beim Thema Umkleiden und gerade Sport wird es nicht sinnvoll sein, alle in einem Topf zu werfen. Also nur noch Einzelkabinen und die Sammelkabinen für die Mutigen?
Wenn man Sport nicht mehr nach Männer/Frauen aufteilt, gewinnen zu einem sehr hohen Prozentsatz die Männer.
Wenn eine Transfrau bei Hochleistungssport teilnimmt, gewinnt er/sie dann mit höherer Wahrscheinlichkeit – zum Frust der biologischen Frau.
Hier fällt mir kein salomonisches Urteil ein außer vllt „out of the box“ den Wettbewerbssport generell in Frage zu stellen.
Das Thema „Sexualität abseits der binären Norm“ durchweht auch das Schaffen der Band Rammstein und zeigt auch ein bisschen die gesellschaftliche Entwicklung auf.
„So bin ich dann auch nicht verzagt
Wenn einer zu mir „Fick dich“ sagt“
Rammstein – Zwitter (Mutter; 2001)
Man besingt hier in gewohnt übertriebener Art die Idee eines Hermaphroditen, der sich selbst befruchten kann.
Für das Jahr „2001“ eine gesellschaftliche Konfrontation.
„Wenn sich an mir ein Weib verirrt
Dann ist die helle Welt verwirrt“
Rammstein – Mann gegen Mann (Rosenrot; 2006)
Hier war Rammstein vielleicht schon etwas spät dran, aber doch noch rechtzeitig genug.
„Der Albtraum aller Väter“, der schwule Sohn, der sich von Natur aus zu seinen Neigungen bekennt.
„Ist die Frau im Mann nicht froh,
alles ganz weg – sowieso“
Rammstein – ZickZack (Zeit; 2022)
In dem Lied geht es um die Auswüche der modernen Kosmetikindustrie, die den Menschen als zu verschönerndes Produkt behandelt.
Der obig zitierte Seitenhieb bezieht sich auf die Debatte rund um die Intergeschlechtlichkeit.
„alles ganz weg – sowieso“ könnte auf die Transition von männlich nach weiblich oder auch so verstanden werden, dass der Mensch ohne Geschlecht ein großes (hihi) Problem weniger hätte.
Fazit: Vom Hermaphroditen zur biologischen Geschlechtslosigkeit.