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Wir erwähnen es in dieser Folge nicht ausdrücklich, aber es passt ganz gut: Vor etwas über einem Jahr hat Gofi seinen Ausbruch aus seinem bisherigen religiösen Umfeld in diesem kleinen Buch beschrieben. Bestellen kann man es zum Beispiel hier oder hier. Das Cover-Bild ist übrigens das Gemälde, von dem wir in dem Talk sprechen.
Da würde ich doch gerne ein Zitat von Siggi einstreuen
“ erzählen sie dem Kind, wo sie jetzt schon wissen, dass sie es später zurücknehmen müssen (Weimar 2017)
Trifft es ganz gut.
erzälen sie dem Kind nichts.. 😉
Noch ein Buch der beiden vom letzten Mal:
„Warum ich nicht mehr glaube: Wenn junge Erwachsene den Glauben verlieren“
von Tobias Faix , Martin Hofmann und Tobias Künkler
Da werden ähnliche Geschichten erzählt.
Oh Mann, das ist echt verrückt, dass es so vielen Leuten so geht. Wie gut, dass es Projekte wie eures gibt, in denen man auch andere „Ausgebrochene“ finden kann!!
In Gesprächen mit meinen „alten“ GemeindefreundInnen merke ich, dass es tatsächlich vom individuellen Charakter abhängt, wie man das, was man so hört, aufnimmt und verarbeitet und ob es einem Angst macht und schadet oder eine Hilfe ist. Ich bin ja so der Plastiktüten-Walfisch-Typ und hab ALLES ernstgenommen, wovon mir mein Leben lang gepredigt wurde, dass ich es ernst zu nehmen habe – paradox irgendwie, dass gerade die, die das alles locker sehen besser fahren, obwohl sie immer wieder sagen, dass das, was sie hören, total ernstzunehmen ist und DIE Wahrheit… Aber woher kann man schon wissen, wie der Charakter eines Kindes ist (oder sich entwickelt), das man mit der Geburt in so ein Umfeld hineinstellt? Und wenn die Eltern von diesem Gemeindeumfeld und seiner Theologie so begeistert sind, dann fragen die sich sicher nicht, ob das irgendeinem ihrer Kinder charakterbedingt schaden könnte. Ich hab eher erlebt, dass man da noch mal ne ordentliche Schippe schlechtes Gewissen oben drauf bekommt, wenn man entdeckt, dass einem das alles nicht so gut tut, weil man anders empfindet (sowas wie „Dann stimmt halt mit DIR was nicht, aber die message ist absolut richtig und für jeden zu jeder Zeit wahr und gültig!“)
Zu der Sache mit dem schlechten Gewissen/dem traurigen Gott bei „Gebotsübertretungen“: ich stelle mir bei sowas mittlerweile die Frage, welche Auswirkungen/Konsequenzen das auf meine Beziehungen/auf mich und auf andere Menschen hat. Und dann ist es für mich auch handfest&realistisch und ich brauch keine dunklen Mächte und keinen beleidigten Gott, um zu wissen, dass das halt doofe Konsequenzen haben kann, wenn ich lüge, weil ich damit Vertrauen missbrauche, oder dass es meine Beziehung kaputt machen kann, wenn ich Pornos gucke, weil ich dann unrealistische und unerfüllbare Erwartungen an meine/n PartnerIn habe (sofern er/sie kein/e PornodarstellerIn ist 😉 ) und ihn/sie und mich enttäusche. Also das kann man wirklich auch ziemlich pragmatisch à la „auf eine stark befahrene Straße rennen“ handhaben. Grade mit Kindern/Jugendlichen. Braucht aber halt Empathiefähigkeit. Und möglicherweise ein Auf-die-Schnauze-Fallen. Da sind Drohungen und Strafen schon gerne mal die kurzfristig effektivere Variante…
Eure Gedankengänge zu Adam&Eva und der Mündigkeit versteh ich nicht. Denn bei Adam&Eva geht es ja gerade darum, dass sie danach eben NICHT mündig sind, sondern in Abhängigkeiten kommen (Mann herrscht über Frau, Frau begehrt Mann, Mann ist vom Ertrag des Feldes und seiner eigenen Leistung abhängig…) und wenn ich Luther recht verstehe, wars auch nix mit dem freien Willen hinterher. Wenn sie wirklich mündig geworden wären, dann wär ja auch diese Jesus-Erlösungs-Sache irgendwie unnötig (sofern es Gottes Ziel mit uns ist, uns in die Freiheit und Mündigkeit zu führen). Ich verstehe Mündigkeit als etwas Positives und die Frage „Sollte Gott gesagt haben?“ ist ja bei den unmündig gemachten Christen eine, die sich an ihre LehrerInnen/Erziehende/MitchristInnen richtet und fragt, ob Gott wirklich dieser zornige, angstmachende, strafende, beleidigte Gott ist und eben NICHT die, ob es Gott wirklich gut meint. Na, vielleicht stehe ich auf dem Schlauch… Wie habt ihr das gemeint mit Adam&Eva?
Also ich habe das so verstanden, dass der Impuls zu fragen, selbst zu sein, in uns steckt und gelebt werden will. Mag unbequemer sein als als Lemming im Paradies zu leben, aber man begegnet Gott dann auch von Angesicht zu Angesicht. Ist also mündig. Gott kann dich nicht mündig „machen“, das kannst du nur selbst. Und wer weiß, vielleicht war das ja der Plan die ganze Zeit? Mündig zu werden und dann zu erkennen, dass wir nichts wissen, vertrauen dürfen, uns hingeben dürfen? Apropos Zeit: wenn du mal davon kommst, dass es Zeit bei Gott nicht gibt, ist Jesus also schon gestorben, während die Menschen im Paradies sich versteckt haben….?
Das mit dem Impuls zu fragen sehe ich auch so. Plastisch gesprochen: für mich ist die Schlange nicht etwas, was von außen in das Paradies eindringt, sondern was Gott geschaffen hat. Und sie wird anfangs noch nicht einmal als besonders bösartiges Tier dargestellt, sondern als besonders kluges Tier.
Die Idee mit dem Plan: Mündigkeit – Erkenntnis des Nichtwissens – Vertrauen lernen klingt interessant.
In meiner Bibel 😉 geht die Geschichte allerdings so, dass die Menschen mit Gott VOR dem „Mündigwerden“ in einer Beziehung von Angesicht zu Angesicht gelebt haben und ihm DANACH nicht mehr unter die Augen treten wollten, weil sie sich geschämt haben… und es, soweit ich weiß, auch danach niemandem mehr möglich/gestattet war, Gott von Angesicht zu Angesicht zu sein, weil das niemand hätte ertragen können (bei Mose und bei den Propheten bin ich mir grad nicht so sicher…)
Und dafür, dass sie „Lemminge“ waren, hatten sie ziemlich viel Verantwortung und Einfluss und Eigenständigkeit im Paradies (siehe meine Antwort auf Jays Antwort)
Mir ist nicht klar, warum du das Paradies so schlecht machst.
Da gehst du meiner Meinung nach schon zu tief in eine bestimmte Auslegungsrichtung.
Du gehst vom fatalistischen Zeitpunkt aus, das Paradies als Idealzustand danach nur nur noch Leid.
Für mich impliziert die Paradieserzählung die Menschwerdung. Von den Nomaden zu den ersten Städten. Die Erzväter zum Exodus. Und Gott ist immer dabei.
Das Mann hersche über Frau kann man aus bestimmten Stellen rauslesen, aber die Bibel selbst widerlegt diese Interpretation. Denk mal an Rebekka, Ruth, Deborah, Maria, Esther.
Frau begehrt Man -> Potifars Frau?
Erträge anhängig von den Jahreszeiten? Natürlich, das ist der Lauf der Dinge in der natürlichen Welt.
Die Jesus Story verstehe ich auch nicht als ultimativen Kreuzestod sondern eher als Startpunkt. Dort hat sich Gott menschlich gemacht und sich mit der Menschheit versöhnt. Er hat sogar gezweifelt, noch am Kreuz: mein Gott, mein Gott…
Der Weg weist aber nicht zurück in das Paradies, sonder vorwärts.
Mündige Christen geben dieses Vertrauen weiter.
Hoffe, das sind ein paar Anstöße für dich.
Danke für die Anstöße. Vielleicht noch zur Erklärung, damit du mich besser verstehst: Ich gehe nicht vom fatalistischen Zeitpunkt aus, nachdem „nur noch Leid“ kommt. Und auch nicht davon, dass der Weg zurück zum Paradies geht. Sondern davon, dass es auf eine „neue Erde“ hinausläuft.
Ich krieg das, was an Storys in der Bibel nach dem „Sündenfall“ erzählt ist, nur nicht mit Mündigkeit und Freiheit zusammen. Oder auch Aussagen von Paulus wie „Das Gute, das ich will, tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht will, tue ich…“ hören sich jetzt auch nicht grade nach Mündigkeit und Freiheit an. Und ich kann dann auch die Aussage nicht einordnen, dass Christus uns zur Freiheit befreit hat (Gal 5,1). Bräuchte es ja nicht, wenn wir die Freiheit und Mündigkeit schon in unserer „Menschwerdung“ mit dem Austritt aus dem Paradies erworben hätten. Verstehst du, wo ich häng?
Ich kann auch aus Genesis nicht rauslesen, dass die Paradieserzählung die Menschwerdung impliziert (da gehst du aus meiner Sicht wiederum zu tief in die Kantsche Auslegungsrichtung oder in eine, die vom Fortschrittsdenken geprägt ist). Da ist natürlich die Frage, was man unter „Menschwerdung“ versteht. Wenn ich das richtig sehe, ist das für dich zB Sesshaftwerdung, Fortschritt, Zivilisation – für mich sind das andere Dinge, da spielt die Frage nach der Authentizität die Hauptrolle, die Frage, wer ich als Mensch bin, wie ich Ebenbildlichkeit verstehen kann, wer und wie ich in Bezug auf und in Beziehung mit anderen Menschen und auf/mit Gott bin/sein soll usw.
Mit dem „Mann herrscht über Frau, Frau begehrt Mann usw. “ hatte ich Genesis 3,16-19 zitiert (also das, was Gott nach dem Paradies den Menschen als Konsequenzen gibt).
Ich finde den Vergleich von Christen, die ihre Gemeinde/den Glauben/ihr bisheriges Gottesbild verlassen, mit dem „Austritt“ aus dem Paradies insgesamt schief – denn die unmündigen Christen, die mündig werden, hinterfragen und verlassen ja nicht das Paradies/die intime Gemeinschaft mit Gott, sondern eine menschliche Gemeinschaft, die für sie allzu oft die Hölle ist und ein GottesBILD, das sie krank macht. Davon, dass Adam&Eva irgendwie geschädigt oder unterdrückt waren im Paradies und der Schritt hinaus notwendig war, damit sie seelisch gesund und angstfrei werden, ist ja in der Bibel nicht die Rede.
Hallo Katja,
ich habe mir den Talk gerade noch mal angehört und verstehe Deine Frage. Das Ganze war ja im Eifer des Gefechts und damit ins unreine gesprochen und von daher nicht immer ganz glücklich ausgedrückt. Wir haben zB mehrfach gesagt, dass der Mensch durch den Sündenfall/ die Abkehr von Gott mündig geworden sei… – was ich so nicht drucken würde 😉 . Was ich hatte sagen wollen, war, dass mit dem Sündenfall AUCH der Weg des Menschen beginnt, Bewusstsein zu entwickeln. Vorher war die Existenz ja eine komplett naive (wie bei einem Kleinkind), mit dem Sündenfall ist diese Naivität passe, der Mensch muss sich in der Welt zurecht finden, moralische Urteile fällen, anfangen Entscheidungen darüber zu treffen wo und wie er leben möchte etc. Wie man es auch immer dreht, beginnt mit dem Sündenfall sicher auch das, was man den Entwicklungsweg der Menschheit nennt. Man kann darüber streiten, ob diese Entwicklung nicht genauso ohne Sündenfall denkbar ist. Die Gegenargumente wären, dass mancherlei Entwicklungsschritt sich ja erst mühsam gegen Missverhältnisse durchsetzen musste (zB Ablehnung von Sklaverei oder vom Patriarchat, Hinwendung zu demokratischen Denkstrukturen etc), sich also von etwas zu etwas anderem entwickeln musste, was als Entwicklungsschritt eigentlich nicht denkbar ist, in einer Welt in der alles stimmt. So oder so, ist es der Weg, den die Menschheit gegangen ist/ geht. Vom Neandertaler bis heute.
Und in der Menschwerdung des Einzelnen passiert ja analog etwas ganz ähnliches: Mit zunehmendem Alter verliert man seine kindliche Naivität aber erst wenn man sich vom Elternhaus löst, geht das Leben und das eigenständige Bewusstsein so richtig los. Von daher ist die Geschichte vom verlorenen Sohn auch tatsächlich eine analoge Erzählung zu der Paradiesgeschichte aus der Genesis, finde ich.
Wie gesagt, das ist als eine alternative Lesart der Paradiesgeschichte gemeint, mit anderen Schwerpunkten, und nicht als DIE Lesart.
Wird das so ein bisschen klarer?
Für unser Thema fand ich auf jeden Fall Gofis Feststellung sehr gewinnbringend, dass die „satanische“ Urfrage „Sollte Gott wirklich gesagt haben?“ in anderen Zusammenhängen als dem Paradies eine Notwendigkeit ist, um ein paar Schritte weiter zu kommen.
LG,
der Jay
Hallo Jay,
ja, das klingt einleuchtend 🙂 Danke für die ausführliche Antwort.
Und ich sehe das auch so, dass diese kritische „Sollte…“-Nachfrage sehr wichtig ist. Für mich gibt es halt einen Unterschied zwischen dem „intellektuellen Zweifel“, den man beim Herauswachsen aus angeborenen Glaubenssätzen hat und dem „Beziehungs-Zweifel“, der Gottes Liebe&Fürsorge in Frage stellt (was ich in der Paradiesgeschichte sehe).
Ob die menschliche Existenz vor dem Sündenfall eine „komplett naive“ war, wage ich allerdings zu bezweifeln. Immerhin hatte der Mensch davor ziemlich verantwortungsvolle und machtvolle Aufgaben: Erde verwalten und Arten benennen (das klingt vielleicht jetzt aus heutiger Perspektive nicht so wahnsinnig verantwortungsvoll, aber jemandem einen Namen zu geben ist etwas sehr Würdevolles und Verantwortungsvolles), und in der anderen Schöpfungserzählung: Gottes Ebenbild, d.h. sein machtvoller Stellvertreter auf der Erde sein.
Und ich kann dir aus eigener Erfahrung sagen: Kleinkinder stellen oft ziemlich kluge Fragen und machen sich WIRKLICH anständige Gedanken über die Welt, dass ich manchmal nur sagen kann „Chapeau“! 😉
Liebe Grüße
Katja
Ja, das sei Dir natürlich unbenommen 😉
Ich verstehe die Schöpfungserzählung insgesamt ja eher als eine metaphorische, also nicht als einen tatsächlichen Zustand mit zwei Wesen namens Adam und Eva, die Gott von Angesicht zu Angesicht sahen und danach nicht mehr. Wenn man der Evolutionstheorie folgt, dann ist das Paradies als real existierender Ort ja kaum vorstellbar. Von daher gefallen mir natürlich entwicklungspsychologische Deutungen der Erzählung. Oder das Ganze als eine Art Ursprungsutopie zu lesen, die dem Hier und Heute einen (metaphorischen) Platz zu geben versucht. Das hat jetzt alles nur noch bedingt etwas mit dem Thema des Talks zu tun, entspringt aber natürlich aus der Frage, was die Schöpfungserzählung uns (alles) erzählen möchte.
LG,
der Jay
Ursrpungsutopie ist auch der Begriff, den ich der Schöpfungserzählung geben würde. Und da braucht man gar nicht die Evolutionstheorie für, sondern einfach mal nen Blick in den Text, denn da sind so viele Anachronismen und auch nicht-reale geographische Details drin, dass es gar nicht sein kann, dass der Garten Eden, so wie er da geschildert ist, ein realer Ort zu einer bestimmten Zeit war und sich die Story in der Vergangenheit zugetragen hat. Und das muss auch den damaligen HörerInnen klargewesen sein, denn die kannten ja die reale Geographie. (ich fand da einen Vortrag der Marburger Tagung von Dr. Gregor Heidbrink zur Schöpfungserzählung recht inspirierend – mir insgesamt zwar etwas zu sprunghaft im Denken und ich fand nicht alles mega, aber es waren doch interessante Denkanstöße dabei, v.a. die zum Thema „Scham“ https://agorax.de/wp-content/uploads/1_Der-Suendenfall-Die-Suende-kommt-vor-dem-Fall-Gregor-Heidbrink-MRT-2017.mp3) Und ich finde, es ist auch ein bisschen die persönliche Geschichte von jedem Menschen, die er immer wieder mal im Leben erlebt.
Ich meine, der Blick in den Text ist es auch, der zeigt, dass die Stellvertreter Gottes eben keine naiven Lemminge waren, sondern verantwortungstragende Persönlichkeiten mit der Möglichkeit, eigene Entscheidungen zu treffen (sonst hätten sie sich ja auch gar nicht für die Frucht entscheiden können; und gerade dieses Gespräch mit der Schlange, wenn man es nach als „inneren Monolog“ versteht, zeigt ja, dass sie sich ziemlich kluge Fragen gestellt haben). Ich habe manchmal den Verdacht, dass sich das unter progressiven Christen so eingeschlichen hat, dass man jetzt halt nicht mehr sagt „Die Geschichte von Adam&Eva zeigt, wie die Sünde in die Welt kam“, weil man aus der konservativen Blase herausgekommen ist, die den Menschen so schlecht macht und immer auf dem Sündersein herumhackt, sondern dass man halt jetzt sagt „Die Geschichte von Adam&Eva zeigt, wie der gute und notwendige Fortschritt durch das eigene Tun der Menschen in die Welt kam“ – und dann werden Adam&Eva in ihrem Paradiesdasein halt notwendigerweise auch naiv und dümmlich, was ich an dem Text nicht erkennen kann – außer bei Adam in der Schlangenszene, wie er da so stumpfsinnig neben Eva rumsteht und ihr aus der Hand frisst :’D. Man kippt also in die andere Richtung (was ja auch irgendwie verständlich ist, wenn man erstmal alles an Denke wegstrampelt, was einem so geschadet hat). Und das hat dann auch wieder was mit dem Talk zu tun. Ich glaube nämlich, dass es sich bei allem Wegstrampeln und Loswerden doch lohnt, genauso kritisch dem gegenüber zu sein, was sich als Alternative anbietet. Dafür ist Mündigkeit ja da 😉 Es is halt auch nicht alles Gold, was „Fortschritt“ schreit.
Gerade keine Zeit, will nur schnell so viel sagen: 100% Zustimmung! 🙂
LG,
Der Jay
Ah, ich hab noch ne verantwortungsvolle Aufgabe des Adam im Paradies entdeckt: Er durfte entscheiden, welche/r PartnerIn am besten zu ihm passt (erst gibt ihm Gott ja die Tiere und da passt keines so recht) !!
Zum Glück, sonst hätte „die olle Kuh!“ ne ganz andere Bedeutung 🙂
Zum Sündenfall: Vielleicht könnte man das, was passiert, auch als Ego-Utilitarismus bezeichnen.
Also vor dem Apfel:
Das, was gut ist, ist nützlich, weil es der Beziehung zwischen Ich und Du dient.
Und nach dem Apfel:
Alles, was nützt, damit das Du dem Ich dient, ist gut.
Vor dem Apfel wären dann beide mündig, weil beide den Mund aufmachen würden, um ihr Verhältnis unter den Bedingungen des Guten auszuloten.
Nach dem Apfel wäre keiner mehr mündig, da sich beide den Mund verbieten müssten: das Ich aus Angst vor Rebellion und das Du aus Angst vor Strafe.
Und an der Stelle würde es eigentlich erst spannend so richtig spannend werden, von wegen, was das alles mit Gesetz, Strafe und Vergebung zu tun hat, aber ich muss arbeiten. Schade.
Ich kann mit der Verbindung zwischen „Sündenfall“ und Mündigkeit durchaus was anfangen. Da steckt echt was drin und ich denke, so einen Gedanken darf man ruhig mal zu Ende denken und (irgend)etwas davon behalten. Er passt vor allem sehr gut ins Thema. Denn genau darum geht es im Talk ja auch: „Kinder“, die irgendwie „mündig“ werden – und sich dabei in einer Art gefährlicher Situation erleben.
Schon klar: Der Text selber legt durchaus auch die „klassische“ Lesart nahe: Der Mensch wird da ja von Gott ausdrücklich „verflucht“. Aber das Großartige an Texten ist ja, dass wir die anderen Lesarten mit ausprobieren können und dass auch in ihnen etwas drin steckt. Lasst uns nicht vor der Textlektüre schon festlegen, was rauskommen darf.
Der Vergleich mit der moralischen Mündigkeit ist doch geradezu schlagend. Der Mensch „weiß“ (!) um „gut und böse“. Jetzt erst ist er überhaupt schuldfähig. Und genau deswegen wird er nun permanent zur Rechenschaft gezogen. Aber gleichzeitig macht ihn diese Schuldfähigkeit überhaupt erst zum Menschen.
Natürlich haben wir das Problem, ob der Mensch „frei“ ist. Da hast Du schon Recht, Katja. Aber dieses Problem haben wir sowieso und vor allem haben es nicht nur Christen, sondern auch Hirnforscher, Philosophen, Pädagogen etc. – An dieser Stelle nur so viel: Freiheit und Bedingtheit gibt es jeweils in sehr vielen verschiedenen Facetten. Wir sollten das Thema nicht mit einfachen und kategorialen Gegensetzungen erschlagen. Die Zusammenhänge sind ja auch anders denkbar: Freiheit braucht Bedingtheit und Bedingtheit braucht Freiheit. Am Ende müssen wir immer eine gewisse Bedingtheit akzeptieren und eine gewisse Freiheit voraussetzen / fordern. Kant nannte den Menschen deswegen ja „Bürger zweier Welten“. Geht nicht anders.
Ich frage mich bei der Geschichte vom Sündenfall in letzter Zeit v. a. Folgendes.
Als die Schlange behauptet hat „Ihr werdet sein wie Gott“ – hat sie da wirklich gelogen?
Was denkt Ihr?
Hallo Florian,
warum ich den Vergleich mit den mündig werdenden Kindern für schwierig halte, hatte ich bereits geschrieben. Auch wenn es sicher gut passt, das mit dem schmerzhaften Mündigwerden. Aber wie Jay schon geschrieben hat: Man kann darüber streiten, ob die menschliche Entwicklung nicht genauso ohne den „Sündenfall“ denkbar ist.
Was definierst du als die „klassische“ Lesart?
Ich lege nicht vor der Textlektüre fest, was rauskommen darf. Ich habe auch keine Patentlösung für eine „richtige“ Interpretation. Ich schaue mir verschiedene Auslegungsmöglichkeiten an und entscheide dann, was mir grade am plausibelsten erscheint. Und ich schaue in den Text und mache mir dazu meine Gedanken. Und dann fällt mir zB auf, dass die Menschen VOR der Sache mit der Schlange schon verantwortungsvolle Wesen waren und dass gerade Adam in der Schlangenszene als wenig emanzipiert und eher dümmlich rüberkommt; dass der erste „zivilisatorische Akt“, durch den sicht die Menschen als emanzipierte/fortschrittliche Wesen hätten auszeichnen können, nämlich das Kleidermachen aus Fell, nun gerade NICHT von den Menschen ausgeht, sondern dass Gott das macht; oder das das moderne emanzipatorische Überwinden des Patriarchats nur dadurch nötig wurde, dass sich das nach dem „Sündenfall“ erst etabliert hat. Nur weil ich nicht vorbehaltlos die Emanzipations-/Fortschritts-Interpretation teile, heißt das noch lange nicht, dass ich dem Text vorschreibe, wie er zu verstehen ist.
Und eben gerade wegen der Tatsache, dass die Menschen schon VOR der Frucht Verantwortung hatten und Entscheidungen treffen konnten, kann ich mir auch gut vorstellen, dass sie Rechenschaft ablegen konnten – für mich besteht der Unterschied zu NACH der Frucht darin, dass sie sich vorher nicht GESCHÄMT haben, Rechenschaft abzulegen und keine Angst vor Gott hatten, weil sie da in einer intimen, intakten Beziehung zu ihrem Schöpfer gelebt haben und ihre Bedingtheit für sie kein Thema war (auch zu diesem Punkt fand ich den Vortrag von Heidbrink ziemlich interessant)
Ich gehe nicht davon aus, dass die Schlange gelogen hat, denn Gott sagt ja selbst danach: Nun sind sie geworden wie unsereiner (Gen3,22). (Und sie war auch echt schlau, denn sie wusste, dass die Menschen an dem Tag des Fruchtessens nicht sterben würden, obwohl Gott ihnen das vorher angekündigt hatte.) Das menschliche Dilemma besteht mE darin, dass sie mit dieser göttlichen Unterscheidungsfähigkeit nicht umgehen können, weil sie zwar in diesem Aspekt wie Gott sind (sagt Gott ja auch und behält ihnen von da an vor, auch noch vom Baum des Lebens zu essen), aber aus ihrer grundsätzlichen Geschöpflichkeit/Bedingtheit nicht rauskommen.
Deinen Absatz über Freiheit versteh ich nicht… Natürlich haben das Problem nicht nur Christen. Das war auch nicht mein Punkt. Und was du mit „Wir sollten das Thema nicht mit einfachen und kategorialen Gegensetzungen erschlagen“ meinst, ist mir nicht klar. Zumal, da die progressive Einstellung zu dem Text ja ziemlich klar in die einfachen kategorialen Gegensätze „Unmündigkeit/Naivität vor der Frucht und Mündigkeit/Emanzipiertheit danach“ geht. Für mich ist „Abhängigkeit“ auch noch ein Stück weit etwas anderes als „Bedingtheit“.
Dieser Text ist für mich aber mehr als ein bloßes „vorher-nachher“-Bild. In der Adam&Eva-Geschichte sehe ich das herausgestellt, was als Motiv in allen anderen Bibelgeschichten auch auftaucht und was ich als „menschliche Grunderfahrung“ bezeichnen würde (und vllt wird es auch deshalb in dieser „Urerzählung“ dargestellt): der Zweifel daran, dass es Gott gut meint (was sich dann im Neid auf andere ausdrückt) oder klüger ist als der Mensch und der Unmut darüber, dass das Geschöpfsein einen irgendwie „beschränkt“: Kain ist neidisch auf Abel, die Leute bauen in Babel einen Turm, Abraham traut Gott nicht zu, dass er ihm noch einen Sohn schenkt, Esau nimmt lieber das Essen als den Segen, Laban vertraut Gott nicht, dass er seine Tochter irgendwie unterbringt und schiebt sie Jakob ins Bett, Josefs Brüder sind neidisch auf Josef und schicken ihn in die Sklaverei, das Volk nörgelt in der Wüste rum, Mose überstrapaziert die Sache mit dem Stab und dem Wasser, Israel will einen König wie alle anderen auch, David gönnt Uriah Bathseba nicht, etc.
In keiner der Geschichten kommen die Menschen mit ihrem „mündigen“(?) Selbst-in-die-Hand-nehmen wirklich gut weg (deshalb glaube ich auch, dass mit Menschwerdung und Mündigkeit etwas anderes gemeint ist als zivilisatorische Fortschrittlichkeit und selbstgemachte Unabhängigkeit von Gott). Und irgendwie ist das Ende von allen diesen Geschichten doch immer das, was Josef sagt: Ihr habt es böse gemeint, Gott aber hat es gut gemacht. Oder auch: Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg, aber Gott lenkt die Schritte.
Das Spannende daran ist ja, dass die ErzählerInnen dieser Geschichte(n) ein recht deutliches Bewusstsein dafür haben, dass „es anders gedacht war“ bzw. dass es auch was anderes geben könnte oder dass das Menschenverhalten nicht besonders glorreich und zielführend ist, sondern dass sie letztlich doch auf Gottes Barmherzigkeit und Fürsorge angewiesen sind und seiner Autorität unterstehen (eben dass sie bedingt sind). Und da könnte man sich dann fragen, woher dieses Bewusstsein kommt…
Katja,
mit „dumm und naiv“ triffst Du nicht, was ich mit der menschlichen „Naivität im Paradies“ meine. Bei Dir klingt das sehr wertend. So meinte ich es nicht, sondern eher im Sinne eines ungebrochenen Seins. So wie Kinder in einer heilen und behüteten Familie, wo die Welt in Ordnung ist, wo es keine Notwendigkeit für moralische Einschätzungen gibt, es nicht die Notwendigkeit gibt, darüber nachzudenken, wie die Ressourcen verteilt sind, ob es Rollenbilder gibt und diese angemessen sind oder ob der Weihnachtsmann tatsächlich die Geschenke bringt und überhaupt, ob der Blick mit dem man die Welt betrachtet, ihrer angemessen ist (alles ist ja gut, bzw. wird als gut und stimmig wahrgenommen). All das wird erst mit dem Bruch notwendig. Insofern setzt der Sündenfall, der Bruch, die Menschheit mindestens in eine Entwicklungs-Bewegung (und sei es nur auf die Suche nach dem verlorenen Urzustand, der als Ahnung weiter wirkt). In dieser Lesart liegt der Schwerpunkt nicht auf dem Beziehungs-/ Vertrauensbruch zwischen Mensch und Gott, sondern eher darauf, das Sein und den Entwicklungsweg des Menschen nach dem Paradies zu verstehen. So verstehe ich jedenfalls den Kantischen Gedanken. Der Mensch im Paradies wird also nicht als „dumm und naiv“ abqualifiziert, sondern es wird konstatiert, dass das jetzige Sein des Menschen (was das Einzige ist, was wir wirklich kennen und beurteilen können) ein anderes ist, andere Notwendigkeiten mit sich bringt und mit dem Sündenfall seinen Anfang und seine Entwicklung genommen hat. Die Geschichte der Menschheit gäbe es sozusagen ohne Sündenfall nicht.
Allen Deinen Gedanken zum Vertrauens- und Beziehungsbruch zwischen Mensch und Gott stimme ich zu. Das wäre für mich die Stärke dieser traditionellen Lesart der Urgeschichte. Es geht mir also nicht darum, diese Lesart zu verneinen oder als überflüssig zu bezeichnen, sondern eher darum, zu schauen, inwiefern die biblische Urgeschichte auch für andere Perspektiven nutzbar zu machen ist, bzw. dazu, was sich aus ihr zusätzlich über die Existenz des Menschen und dessen Entwicklung aussagen ließe.
Auch finde ich, dass wir – wie die Bibel – unbedingt mit der guten Schöpfung beginnen müssen und nicht mit ihrem Fall. Mit dem Segen und nicht mit dem Problem. Mit der Annahme, dass unsere Welt immer noch etwas mit der ursprünglichen zu tun hat, selbst wenn die Notwendigkeiten vor denen wir in ihr gestellt sind, andere sind als im Paradies.
Deswegen habe ich oben auch von den Begriff der Mündigkeit wieder zurückgenommen, bzw als unglücklich bezeichnet, weil er eben so klingt, als wollte ich den Urzustand der Menschen mit „dumm & naiv“ gleichsetzen. Zum Urzustand kann ich ja aber gar nichts sagen. Ich weiß nicht, ob und wie sich der Mensch ohne Sündenfall entwickelt hätte. Ich sehe aber, dass offensichtlich eine Entwicklung der Menschheit im Gange ist. Wir denken heute anders über das Leben, die Welt und Gott als die Menschen in der Bronzezeit. Es wäre vermessen zu sagen, dass wir heute mündig sind oder in jeder Hinsicht mündiger als die Menschen der Antike, aber das insgesamt eine Entwicklung (in Richtung Mündigkeit) von Statten geht, ist doch schon erkennbar (Spiral Dynamics liefert zB ein ganz gutes Tool, um diese Entwicklung nachzuzeichnen). Wie gesagt, das alles bedeutet nicht, dass der Mensch im Paradies unmündig war, oder doof oder in diese Sinne naiv. Aber naiv im Sinne, dass er keine problematische Welt kannte, mit der er sich auseinanderzusetzen hatte, schon.
Auch die Kinder der behütetsten Familie werden diesen Kokon irgendwann verlassen und sich mit der Welt wie sie ist auseinandersetzen müssen.
Im aktuellen Worthausvortrag von Thorsten Diez über die Schöpfung (https://worthaus.org/worthausmedien/die-schoepfung-8-5-1/) spricht er darüber, dass die Urgeschichte/ Schöpfungserzählung erst mit der Sintflutgeschichte abgeschlossen wird, weil sie erst danach bei der tatsächlichen, uns bekannten Welt ankommt. Das fand ich einen interessanten Ansatz (der mir komplett neu war), der deutlich macht, dass die Autoren eben versuchen zu fassen zu kriegen, was unentfremdetes, ungebrochenes, tief mit Gott vereintes Leben meinen könnte, dabei über Andeutungen nicht wirklich hinauskommen, um dann der Notwendigkeit Rechnung zu tragen, vom Mythos zum realen Leben zu kommen.
Ich hoffe, das war alles einigermaßen nachvollziehbar… 🙂
Lg,
der Jay
Hallo Jay,
oh, danke für deine Zeit!! Das war nachvollziehbar.
Ich bestreite nicht, dass sich der Text für andere Perspektiven nutzbar machen lässt. Man kann jeden Text irgendwie nutzbar machen. Ich sage nur, dass manche Nutzbarmachung aus meiner Sicht keinen Sinn ergibt 😉 [und du ahnst nicht, wie gut das tut, sowas hier sagen zu können, nach so vielen Jahren, in denen ich keine eigene Sicht haben durfte!]
Ja, ich hatte dein „komplett naiv“ tatsächlich als abwertend verstanden. Ebenso wie „Lemminge“ in Antjes Kommentar. Und auch „Unmündigkeit“ aus der aufklärerischen Perspektive – also dass Unmündigkeit etwas Minderwertiges ist und der Mensch durch den Sündenfall sich zu einem höherwertigen Wesen weiterentwickelt hat. Und mit dieser Prämisse wird dann das Paradies aus meiner Sicht degradiert zu einer heile-Welt-Blase mit Einhörnern, Zuckerwatte und Weihnachtsmann, fernab von der Realität, aus dem sich die Menschheit notwendigerweise herausentwickeln MUSSTE. Oder dass man sagt: der Schritt aus dem Paradies/ aus der intimen Gottesbeziehung war nötig, damit der Mensch sich zum wahren Menschen weiterentwickeln kann. Und ich sehe das halt nicht so 🙂 – anders als die Notwendigkeit, dass sich Kinder aus der heilen Familienwelt mit vorgegebenen Rollenbildern etc. herausentwickeln müssen. Also ich meine, man kann das Paradies nicht mit der Kindheit vergleichen im Sinne einer Art „überwindungsbedürftigen Vorstufe“ zum Erwachsenensein. Ich bringe das Paradies, den Sündenfall und das „Danach“ also nicht notwendigerweise in direkte Verbindung mit der Entwicklungsgeschichte der Menschheit – iSv Fortschritt, Technik, Politik, Aufklärung etc. -, eben weil ich zum Einen nicht sicher bin, ob es da wirklich einen notwendigen Zusammenhang gibt, und zum Anderen denke, dass mit dem „Erkennen von Gut und Böse“ nicht die Entwicklung des moralischen Bewusstseins oder eine Art Emanzipation gemeint sein muss. Ich würde eher sagen, Paradies, Sündenfall und das „Danach“ zeigen die Entwicklungsgeschichte der menschlichen Gottesperspektive (die ihrerseits natürlich auch das beeinflusst, was wir schlechthin als „die Entwicklungsgeschichte der Menschheit“ bezeichnen). Und für mich ist Entwicklung auch nicht automatisch positiv konnotiert. Da gibt es Aufs und Abs, Fort-und Rückschritte und es geht nicht straight immer höher/besser. Sieht man ja immer wieder zB in Fragen der Bioethik, dass uns technischer, wissenschaftlicher, medizinischer Fortschritt nicht automatisch zu besseren Menschen macht… Ich finde auch das spiral-dynamics-Prinzip unglücklich (zumindest das, was ich bisher davon gelesen hab), weil das für mich so rüberkommt, als würde der Mensch sich immer zu einem höherwertigen Wesen mit immer besserer Erkenntnis mausern (können). Das entspricht aber mE nicht der Realität unserer Welt. Und auch nicht unseres persönlichen Lebens. Und es verleitet dazu, diejenigen abzuurteilen, die „noch nicht soweit“ sind. Ich sehe das mittlerweile leider zu oft unter progressiven Christen, dass die Konservativen in ihrer naiven Blase belächelt, runtergemacht, verletzt werden. Wie lieblos. Aber Hauptsache Fortschritt… Ich denke, da hatte Paulus schon recht, als er geschrieben hat, dass nichts an Erkenntnis etwas wert ist, wenn die Liebe fehlt.
Aber deine Auffassung von Naivität deckt sich mit meiner Vermutung, dass der Sündenfall den Blick auf die Geschöpflichkeit und Bedingtheit veränderte, nämlich dass damit die Bedingtheit als negativ wahrgenommen wird und die Welt „nicht mehr in Ordnung“ ist. Für mich ist das nicht ein „der rebellische Mensch hat die Beziehung zu Gott kaputt gemacht und dann war da der Graben zwischen Mensch und Gott“ (was für mich die traditionelle Lesart wäre; oder zumindest die evangelikale ;)), wenngleich dieser Aspekt der Rebellion ja vorkommt, sondern, der Mensch hat plötzlich nicht mehr den GESUNDEN Blick auf seine Beziehung mit Gott (nämlich, dass er trotz seiner Bedingtheit und Abhängigkeit vom Schöpfer angenommen und geliebt ist), sondern einen BESCHÄMENDEN. Es ist der Perspektivwechsel, auf dem mein Fokus liegt, nicht eine Tat der Beziehungszerstörung (und auch nicht die Frage der Emanzipation), verstehst du, was ich meine? Insofern schadet also nicht der Mensch der Beziehung (oder gar Gott, der dann zornig wird), sondern sich selbst dadurch. Denn die Beziehung bleibt ja bestehen und Gott derselbe. Hm, ich bin nicht sicher, ob das so rüberkommt, wie ich das meine…
Den Schöpfungsvortrag von Thorsten Dietz fand ich auch sehr gut und er hat hilfreiche neue Ideen in meinen Kopf gebracht 🙂
Katja
Ja, das finde ich alles gut nachvollziehbar und durchdacht. Bin im Boot 😉
Wie gesagt, ich wollte gar nicht DIE neue Lesart bewerben, sondern lediglich erklären, wie ich was gemeint hatte.
LG,
Der Jay
Na dann: Mast und Schotbruch 😉
Meine Argumentation (also das mit dem Perspektivwechsel) ist übrigens dieselbe wie neulich bei der Frage, ab wann wir Kinder Gottes sind und was es mit dem „Geist der Kindschaft“ bzw. „Geist der Knechtschaft“ auf sich hat.
Und ich hab sie kurz nach der VaterUnserDiskussion zufällig in einem Artikel wiedergefunden, der sich mit der „unvergebbaren“ Sünde der Lästerung des hl Geistes beschäftigt.
https://higherthings.org/articles/catechesis/unforgivable/
Ah, mir kamen grade noch ein paar Gedanken: Mit den Einwänden zur Freiheit/ Hinweisen auf die Abhängigkeiten hatte ich diesen (aus meiner sicht zu blauäugigen) „Juhu wir sind ENDLICH frei durch unsere Emanzipation, die sich symbolisch Fruchtessen zeigt“-Gedanken etwas in Richtung Lebensrealität abdämpfen wollen. Vielleicht hast du mich da falsch verstanden. Ich gehe nicht davon aus, dass die Menschen nach dem „Sündenfall“ unmündig/abhängig werden, sondern, dass sie vorher schon mündig sind (wenngleich als Geschöpfe bedingt), aber dass sich durch das Fruchtessen etwas in ihrer Wahrnehmung über ihre Bedingtheit und ihre Rechenschaftsablage ändert. Vielleicht kann man das „Erkennen von Gut und Böse“ auch nicht im typisch aufklärerischen Sinne als „Erlangen von moralischem Bewusstsein“ verstehen, sondern als „Erkennen, welche Art der Beziehung Mensch-Gott// Mensch-Mensch gut/lebensförderlich/gesund ist und welche nicht“. Da schließen sich dann mE auch gut die Fragen nach Sünde/Vergebung/Jesus an. Und das lässt sich auch mit dem „Emanzipationsprozess“ von unmündig gemachten Christen in Zusammenhang bringen – da läuft nämlich auch ein Erkenntnisprozess ab über die Lebensförderlichkeit/Gesundheit der Gottesbeziehung (nur halt in die andere Richtung: von der schamhaften/angstbesetzten Beziehung, die die eigene Unzulänglichkeit immer als Defizit wahrnimmt hin zu dem Sich-Bergen im liebevollen Gott und Sich-angenommen-Wissen TROTZ der eigenen Bedingtheit und Unzulänglichkeit).
Spannender Talk! Vielen Dank.
Übrigens gehen in der feministischen Theologie Auslegungen über die Geschichte mit der Schlange in ganz ähnliche Richtungen. Die klassische „Sündenfall“-Auslegung hat ja in Theologie und Kirchengeschichte auch ein fatales Frauenbild hervorgebracht und legitimiert – Eva, die Frau als Schwache, Verführbare und (den Mann) zur Sünde Verführende. Ich fand eure Überlegungen zu der Geschichte sehr inspirierend.
Vielen Dank für den Hossa Talk 118! Er schließt sich – wie ich finde – gut an den 117er an. Glaubensvergiftung – ein sensibles, ganz wichtiges Thema, das mich schon seit längerer Zeit sehr nachdenklich macht. Ich habe gute Anregungen durch Euren Talk bekommen! Ich wünschte mir sehr, dass wir Älteren aus den Fehlern der Vergangenheit lernen könnten, ohne dabei an Glaubenstiefe und Glaubenskraft zu verlieren…
Oh ich kenn das so… das „Stoppschild“-Synonym, die Angst vor Gott…. ich hab Ängste und Panik durchgestanden und jetzt mit 35 erlebt was Gnade für mich bedeutet. Dass ich nicht jede Sünde bekennen muss um nicht in die Hölle zu kommen…. ich höre diesen Podcast und höre euch über alle meine Zwänge reden- das ist gerade voll krass.
Vielen Dank für diesen Hammer Talk. Ihr seid mir immer noch eine riesen Bereicherung und Hilfe auf meinem Weg mit dem Glauben klarzukommen. Ich bin so oft frustriert und wenn ich mitbekomme was immer noch in einigen Gemeinden abgeht erfüllt mich das sehr oft mit Schmerz und Wut.
Ihr habt einige Themen angesprochen die mich zur Zeit sehr beschäftigen.
Was ich problematisch sehe ist dass dieser Blödsinn und die Angstmacherei nicht aufhört. In Diskussionen höre ich oft dass die Themen sich ja eh in ein paar Jahren von selbst erledigen. Das sehe ich anders. Auch in meinem Alter (Anfang 20) gibt es eine Menge stock konservativer und verängstigter Christen die weit weg davon sind mündig zu sein. Ein System und ein Glaube der solch totalitäre Strukturen begünstigt und Menschen derart klein hält ist mir sehr unsympathisch und ich hänge immer wieder an dem Punkt. Menschen und Gemeinden die gebrochene und nachplappernde Gläubige heranzüchten möchte ich schon gar nicht mehr als Geschwister bezeichnen.
Nun zu meiner Frage. Ist es vielleicht an der Zeit für die „Progressiven“ aufzustehen, bestehende Strukturen zu ändern und nicht nur zu verlassen und endlich den Arsch hoch zu kriegen gegen all das Unrecht und die Unmündigkeit so vieler Christen egal welchen Alters. Leider ist es ja so dass bei Spaltungen und Streit der klügere „liberalere“ der andere in ihrer Meinung akzeptiert, meistens nachgibt. Ich bin schlicht zu dem Schluss gekommen dass passiver Widerstand oft nicht mehr ausreicht und dringend etwas passieren sollte. Solange das nicht geschieht werden immer wieder Menschen und vor allem auch Kinder Opfer dieses Systems. Wie könnte das konkret aussehen für jeden einzelnen aber auch für die ganze Szene?
Liebe Grüße Paul
Lieber Paul,
das kenn ich SO gut. Ich fühle mit dir 🙂
Meine Erfahrung ist, dass sich diese bestehenden Strukturen nicht ändern lassen, solange sich die Menschen darin nicht ändern. Denn es gibt genug Leute, die sich in diesen Strukturen geborgen und wohl fühlen und denen sie Halt geben (und die das dann halt auch für ihre Kinder als das Beste sehen). Die haben gar nicht die Notwendigkeit, da rauszukommen, weil sie damit gut fahren. Und es überfordert sie, wenn man ihnen das Rauskommen anbietet oder ihnen mit anderen, ungewohnten Denkweisen kommt. Die häufigste Reaktion ist dann Dichtmachen und erst recht an dem Bisherigen festhalten. Bei manchen meiner GesprächspartnerInnen ist das wie Gehirnwäsche. Und mit Verschwörungstheorien legen sie sich dann alles zurecht, was nicht in ihr Weltbild passt. Und irgendwie ist es für mich oft der einzige Weg, das zu respektieren, auch wenn es weh tut. Und ganz viel beten, dass Gottes Liebe sie durch und durch trifft.
Aber ich erlebe auch, dass gerade Menschen, die in Lebenskrisen sind, davon profitieren, wenn ich mich mit ihnen über meine Lebens- und Glaubenskrise(n) unterhalte und dass sie offen und berührt davon sind. Vielleicht ist das genau das, was „Glaube ist ein Geschenk“ bedeutet, und dass der heilige Geist bei allen Menschen unterschiedlich wirkt.
Manchmal, wenn ich mich gerade mal wieder an einem Gegenüber abarbeite, fällt mir auf, dass mir früher das, was ich jetzt sage, auch total unverständlich war und es erst viele Jahre Krise gebraucht hat, bis ich das verstanden hab, was damals andere Leute zu mir in meiner Blase gesagt hatten. Was Gnade ist und Liebe Gottes und Gerechtigkeit und Freiheit. Und dann muss ich lernen, geduldig zu sein und auch dieses Gegenüber loszulassen in Gottes Hand.
Auch wenn ich auch gern einfach mal kräftig auf den Tisch hauen das System sprengen würde 😉
Liebe Grüße
Katja
Lieber Paul,
ich kann dich so gut verstehen. Ich bin in einer christlichen Gemeinschaft aufgewachsen, die ich mittlerweile als Sekte bezeichnen würde. Sie hätte mich kaputt gemacht, wenn ich den Absprung nicht geschafft hätte. Und der „Absprung“ hat 10 Jahre gedauert.
Die meisten, die ich von damals noch kenne, glauben immer noch exakt dasselbe. Auch ein Großteil meiner Familie. Ich kenne nur wenige, die es schaffen rauszukommen und noch weniger, die dann trotzdem noch glauben. Ja, das macht wütend. Mich auch. Mittlerweile glaube ich, man kann nur denen helfen, die eine große Sehnsucht nach Veränderung in sich tragen. Denen kann man Mut machen und die Angst nehmen. Allen anderen kann man nicht helfen. Dass immer die eher „liberal“ eingestellten gehen, liegt in der Natur der Sache. Man kann Veränderung nur mit denen leben, die es wollen. Die, die am Alten festhalten wollen, bewegen sich ja nicht. Man müsste sie mit „Gewalt“ vertreiben, wenn sie sich nicht überzeugen lassen. Und das ist sicher keine Art, wie man eine positive Veränderung herbei führen kann oder will. So ist das mit der Jesus-Bewegung: Sie kann eine machtvolle Bewegung sein, aber sie basiert auf Freiwilligkeit. Sie ersetzt nicht den alten Druck durch einen neuen Druck, dem sich alle beugen müssen; sondern sie verführt zur gewaltlosen freiwilligen Veränderung mündiger Menschen.
So sehe ich das zumindest.
Und was die Kinder angeht: Die kann man nur über ihre Eltern erreichen. Und dann ist man wieder am Anfang dessen, was ich eben geschrieben habe.
Trotzdem gebe ich dir insofern Recht, dass ich glaube, man sollte versuchen, im Dialog zu bleiben und dort auch deutlich Stellung zu beziehen. Sonst schmoren beide Lager – Konservative und Liberale – nur im eigenen Saft.
Verstehst du, was ich meine?
Deinen Satz mit der Verführung rahm ich mir ein – großartig!
Vielen Dank für das Thema. Ich selbst habe mich sehr viel damit beschäftigt, weil ich in meiner theologischen Ausbildung sehr viele Kinderfreizeiten geleitet habe, und dabei natürlich auch gemerkt habe, wie die Gottesbilder von Kindern aus evangelikalen Elternhäuser sind.
Ein wesentlicher Faktor ist dabei natürlich unsere „Bekehrungstheologie“. In ihrer extremen Ausformung sind ja auch Kinder im Alter von fünf Jahren in der Hölle, sollten sie sterben. Also wird viel über Sünde, Hölle usw. gesprochen. Die Konsequenzen sind, dass die Kinder Sünde nur noch als eine moralische Kategorie sehen (was ja auch ein Bestandteil von Sünde ist aber eben nicht alles) und dass sie sich jedes Jahr und wahrscheinlich auch zwischendrin Bekehren. Diese Kinder scheinen also eine GrundverUNsicherung zu haben, der sie nur durch ihre permanenten Lebensübergaben begeben können. Im nachhinein bin ich froh, dass sich auf meinen Kinderfreizeiten kein einziges Kind bekehrt hat ;-).
Als nächster Faktor kommen natürlich die Eltern dazu. Und die können auch nur das weitergeben, was sie selber mitbekommen haben. Die Eltern, insbesondere die Mutter wird als Gott erlebt. Und wie die Eltern handeln wird dann auf das Gottesbild übertragen. Ich habe mal einen Vater erlebt, der Tonaufnahmen seines Sohn in Trotzsituationen gemacht hat, um sie dann später vorzuspielen. Da ist ja schon vorprogrammiert wie das Gottesbild aussehen wird. Und diese Prägungen bleiben sehr lange bestehen. Ich glaube auch, dass die Menschen, die „scheinbar“ gut damit zurechtkommen, mit einer anderen Prägung ihren Glauben als noch vielmehr bereichernd erleben würden. Also nicht nur den sensiblen oder zwanghaften Kindern geht etwas verloren sondern allen, weil jedes Kind verletzbar ist.
Deshalb haben meine Frau und ich manchmal auch gewisse Hemmungen unsere Kinder in den KIGO zu schicken, weil wir nicht wissen was da evtl. gesagt wird.
Zu dem Thema kann ich noch ein paar Bücher empfehlen. Einmal Tillmann Moser – Gottesvergiftung. Da schildert er, wie er Gott als Kind erlebt hat. So z.B.:
„Aber weißt du, was das schlimmste ist, das sie mir über dich erzählt haben? Es ist die tückisch ausgestreute Überzeugung, dass du alles hörst und alles siehst und auch die geheimsten Gedanken erkennen kannst … In der Kinderwelt sieht das dann so aus, dass man sich elend fühlt, weil du einem lauernd und ohne Pause des Erbarmens zusiehst und zuhörst und mit Gedankenlesen beschäftigt bist … Durch den Satz, ‚Was wird der liebe Gott dazu sagen?‘ war ich früh meiner eigenen Gerichtsbarkeit überlassen“
Also nicht leicht verdaulich, aber zeigt doch ganz gut, was im Seelenleben eines Kindes angerichtet werden kann. Vielleicht sollte man Im Anschluss aber auch noch „von der Gottesvergiftung zu einem erträglichen Gott“ lesen 😉
Und dann kann ich noch den katholischen Religionspädagogen Karl Frielingsdorf empfehlen. Der hat ein paar Bücher zu der Thematik geschrieben, die sie zum Teil inhaltlich aber stark überschneiden. Im Grunde geht es aber um ein paar „giftige“ Gottesbilder, die sehr häufig vorkommen und wie die Bibel aber ein anderes Bild aufzeigt. Weil so wie das Wort Gottes vergiften kann, kann es auch heilen. Ich musste da bei eurem Gespräch über die Schlange an die Versuchung Jesu denken. Da wird versucht mit dem Wort Gottes zu vergiften aber Jesus argumentiert auch mit dem Wort Gottes dagegen. Ich würde sogar behaupten, dass in der Geschichte der Satan biblizistisch argumentiert und Jesus systematisch-theologisch.
Als letztes möchte ich aber auch noch mal sagen, dass die aktuellen christlichen Kinderlieder schon in eine andere Richtung gehen. Da kommt viel mehr Gottes Liebe und Gnade zum Ausdruck. Als ich mal in meiner Predigtreihe über krankmachende Gottesbilder „Pass auf kleines Auge“ vorgelesen habe war es für die meisten schon auch in Ordnung, das sich es kritisiert habe. Also da tut sich schon etwas in den Gemeinden.
Grüße
Daniel
Einfach erstmal ein schnelles Danke. Ein sehr guter Talk. Es ist jetzt drei Uhr Nachts, ich muss dringend ins Bett. Alles Liebe von Patrick (Habe noch begeistert in den Kommentaren gelesen…)
Hi,
ich bin in einem sehr frommen Elternhaus aufgewachsen und habe vieles auch so erlebt. Aber das hat mich nicht davon abgehalten meinen eigenen Glauben zu finden und zu leben. Ich habe jetzt selbst Kinder und weiß, dass ich nicht alles richtig machen kann. Aber ich möchte Gott als liebenden Vater vermitteln. Glauben „machen“ kann ich sowieso nicht.
3 Punkte habe ich doch:
1. Es wäre viel spannender gewesen, wenn das Gespräch nicht ein sich gegenseitig Recht geben wäre, sondern kritische Fragen/Ergänzungen da gewesen wären.
2. Wenn du die dämonische Welt abschaffen willst und negierst, was ist dann mit Engeln und guten Mächten? Dieser „unsichtbare Blödsinn“ sind nicht „gesagte Dinge“ und kann man manchmal durchaus „verifizieren“. Ich habe da erst vor kurzem mit jemand gesprochen, der in Südostasien und Afrika handfeste Erlebnisse hatte. Und der war vorher auch eher sehr skeptisch dem Gegenüber.
Dass das in der Kindererziehung nicht so hilfreich ist sehe ich aber auch. Gehört zum Mündigwerden, sowas außerhalb meines Erfahrungsschatzes zu sehen und anzuerkennen.
3. Wenn dich der Glaube krankmacht, dann ist es der falsche Glaube, nicht der falsche Gott. Dann musst du dich davon emanzipieren. Und, um das schöne Bild vom „verlorenen Sohn“ zu bemühen: Der war immer noch der Sohn, auch als er weggelaufen war. Wenn mein Kind von mir wegläuft bleibt es immer noch mein Kind. Punkt. Die Rückkehr war doch die Rückkehr dahin, wo es Liebe, Annahme und einen reich gedeckten Tisch statt eines Schweinetrogs gab. Und diese Geschichte hat Jesus den Pharisäern erzählt, die wahrscheinlich genau gewusst haben, dass sie mit dem zweiten Sohn gemeint waren. Und dessen Glaube und Bild vom Vater war krankmachend.
„Glaubensvergiftung in der Kindheit“ ist ein guter Titel. Aber die wenigsten Eltern wollen ihre Kinder vergiften …
… Obwohl, manchmal … 😉
Meiner Meinung nach muss auch jeder, der das Vorrecht hatte, Gott von Muttermilch an kennenzulernen irgendwann aufhören diese Muttermilch zu trinken, in seinem Glauben erwachsen zu werden und seinen eigenen Glauben finden. Ob er in der Kindheit mit dem strafenden Gott „vergiftet“ wurde wurde oder mit dem Schmusegott „verwöhnt“ ist egal.
Es gibt noch viele Anmerkungen, aber das soll es erstmal sein…
Liebe Conni,
du schreibst:
„Wenn dich der Glaube krankmacht, dann ist es der falsche Glaube, nicht der falsche Gott.“
Wo ist da der Unterschied?
Oder anders gefragt: Wie soll ein missbrauchtes, traumatisiertes Herz zwischen beidem unterscheiden?
Das geht wohl nur in der Theorie.
Klingt ehrlich gesagt für mich als Betroffene ein bisschen nach “ Ist ja deine eigene Schuld, musst halt richtig glauben. “ Und das kann man nun wirklich nicht gebrauchen. Wenn du es anders gemeint hast, müsstest du es bitte noch mal erklären.
Liebe Mari, ich erlaube mir mich hier ungefragt einzuschalten (ich hoffe das ist für dich ok). Zunächst verstehe ich sehr gut, was du meinst. Ich halte es auch nicht für förderlich in Glaubensfragen von richtig oder falsch zu sprechen, zumal Gottesbilder immer subjektiv sind. Ich halte mittlerweile auch das Wort „Gott“ für problematisch. Mir gefällt daher das Bibelzitat „Ich bin der ich bin“ sehr gut. Dennoch würde ich gerne eine vermittelnde Darstellung zur Prägung durch die Eltern und die eigene Entwicklung des Glaubens vertreten. Ich bin nämlich der Übezeugung, dass das woran wir (früher) geglaubt haben, immer auch aufgrund einer eigenen Entscheidung zustande kam. Die Entscheidung des kleinen Kindes an einen „falschen“ bzw. ungesunden Glaubenssatz zu glauben ist dem Kind natürlich nicht vorwerfbar. Aber die Frage der „Schuld“ spielt dabei keine Rolle . Es ist aber sehr hilfreich zu erkennen, dass die früheren Glaubenssätze (auch) durch eine eigene Entscheidung, dies für wahr zu halten, zustande kam, da man diese Entscheidung dann selbst (sogar rückwirkend) ändern kann. Dies hast du offensichtlich bereits getan, worauf du aufgrund der recht krassen Umstände (sektenähnliche Strukturen) sehr stolz sein kannst. Deinen Eltern einen Schuldvorwurf zu machen, würde ohnehin nichts bringen. Ich denke, dass sie ihr Bestes getan haben und dass du dieser wundervolle Mensch, der du unzweifelhaft bist und der sich gerade auf einem spanenden und befreienden Weg befindet, ohne sie nicht geworden wärst. Herzliche Grüße, Daniel
Hallo Daniel,
inwiefern ist es für dich problematisch, noch die Bezeichnung GOTT zu verwenden?
Mir ist es zB eine Hilfe, weiterhin von GOTT zu sprechen, weil mir das zeigt: er ist immernoch derselbe („ich bin der ich bin“) und er ändert sich nicht, auch wenn ich jetzt anders über ihn denke. Für mich war das der entscheidende Schritt zur Veränderung, dass ich verstanden habe, dass es einen Unterschied gibt zwischen meiner Gottesvorstellung und Gott selbst. Und dass er es aushält, wenn ich mein Denken über ihn verändere.
Ich konnte mich auch als Kind nie wirklich freiwillig für meine Gottesvorstellung entscheiden, denn ich hatte keine (Aus)Wahl, weil die eine mir ja als die einzige und wahre vorgegeben und mit Gott gleichgesetzt war. Sie zu verändern hätte bedeutet, Gott zu verlassen – und was mir dann drohte, dürfte hier wohl bekannt sein… 🙁
Katja
Lieber Daniel,
Vielen Dank für deinen liebevoll geschriebenen Kommentar. Einschalten ist immer erwünscht. 😉
Was du zu der Entscheidung zu glauben schreibst, kann ich intellektuell nachvollziehen, emotional nicht. Entscheidungsmöglichkeiten haben sich für mich frühestens ab dem Teeniealter eröffnet, und selbst dann war es mir – bedingt durch die Geschlossenheit des religiösen Systems, aber auch durch meinen Charakter – erst mal völlig unmöglich, mich zu lösen. Die Umkehrungslogik ist natürlich bestechend. Ich würde es aber eher so betrachten, dass man in einem gewissen Alter religionsmündig wird und dann die Entscheidung treffen muss, ob man den Glauben der Eltern annehmen oder ablehnen will. Ab da würde ich dann auch tatsächlich von einer eigenen Entscheidung sprechen. (Nur nebenbei: Meine Eltern trifft in dem Ganzen noch die wenigste Schuld. Bei mir selbst sehe ich sie auch nicht. Noch nicht mal bei den Akteuren in der Gemeinde. Sie haben doch alle dasselbe erlebt wie ich, wie sollte ich ihnen etwas vorwerfen? Ich habe aufgehört, nach Schuldigen zu suchen… )
Aber zurück zu meiner Frage an Conni: Sie zielte tatsächlich nicht darauf, wer Schuld hat, sondern darauf, wie man es praktisch hinbekommt, sich „von dem falschen Glauben zu emanzipieren“. Das war ja Connis Vorschlag, und sie hat natürlich erst mal vollkommen Recht.
(Es klang mir nur etwas zu leicht „daher gesagt“, das hat bei mir einen wunden Punkt getroffen.) Ja, man muss sich emanzipieren, das ist genau die Entscheidung, von der ich gesprochen habe: Ich werde mir bewusst, welchen Glauben ich vermittelt bekommen habe und entscheide mich in diesem Fall dagegen, weiterhin das zu glauben.
ABER: Ich habe diesen Gott, den man mir vermittelt hat, mein Leben lang „gekannt“, zu ihm gebetet usw. Mir ist jetzt klar, dass er so in Wirklichkeit nicht ist, sondern grundlegend anders. In meinem Kopf ist das recht klar. Aber fühlen oder erleben kann ich das nicht. In meinem Kopf ist eine Vision davon entstanden, wie Gott wohl sein mag, eine Hoffnung auf einen Gott, der so ganz anders ist. Aber meine Seele kennt nur einen Gott, ich kann nicht einen „alten“ und einen „neuen“ Gott denken. Zu wem soll ich also beten, wenn ich nicht in den alten Sog geraten will? Praktisch funktioniert das für mich persönlich nicht. Daher war das auch ganz und gar keine rhetorische Frage.
(Sorry, ist etwas lang und sehr persönlich geworden, aber ich habe mich von dir dazu ermutigt gefühlt. 😉
Das mit dem „im Glauben erwachsen werden“ ist halt nicht so leicht bei manchen Prägungen. Wenn Gott sehr stark als Kritiker geprägt wurde, der den Menschen in erster Line sein Fehlverhalten vorhält, dann wird es schwierig sich kritisch mit dem Glauben auseinander zu setzen. Genau das habe ich schon erlebt, dass Menschen eine Hinwendung zu einem erträglichen Gottesbild als Verrat und Sünde an dem kritischen Gott empfinden. Das ist in etwa so, als wenn Gott sagen würde: „Wenn du in diese Richtung denkst (oder Hossa-Talk und Worthaus hörst 😉 ) dann habe ich dich nicht mehr lieb.“ Und das ist dann ein sehr langer Weg, weil viele neue, gute und auch richtige Erkenntnisse mit einem schlechten Gewissen einhergehen.
Lieben Gruß
Daniel
Hallo, es ist klasse, dass es Menschen gibt, die trotz ihrer frommen Kindheit und dieser besonderen Prägung kein Leid heute dadurch empfinden. Es gibt Menschen, die haben das völlig anders erfahren. „Kinder kann man nicht erziehen, sie machen sowieso alles nach!“ (Karl Valentin). Wenn Kinder in einem rigiden frommen System aufwachsen, dann ist das eben ihre kleine Welt in der das Gottesbild grundgelegt wird. Gofi hat es anklingen lassen, dass unser Gottesbild dem entspricht, wie wir unsere Eltern als Kinder erlebt haben. Meine Eltern sind Kinder der Kriegsgeneration, vertriebene und verlassene Kinder.
Und dann wurden sie auch noch Pfarrleute! Wir drei Geschwister, die in den 70/80er Jahren aufwuchsen, hatten einen absoluten Gehorsam ihnen gegenüber zu leisten sowie die Pflicht niemals ein Anstoß für andere zu sein. Keines von uns Kindern wurde als Persönlichkeit wahrgenommen und nach Gaben und Charakter gefördert. Meine Eltern fanden ihre Berufung im Pfarrerdienst, der Hingabe an ihren Gott und die Menschen. Ihre eigenen Kinder hatten sie auch „hingegeben“….
Heute bin ich fünfzig — und auf der Suche nach Gott! Es ist ein äußerst mühsamer, schmerzhafter, befreiender, häufig auch frustrierender und dennoch heilsamer und notwendiger Weg für mich.
Sehr bewusst haben wir unseren eigenen Kindern die Freiheit gegeben sich für oder gegen den Besuch ALLER kirchliche Veranstaltungen zu entscheiden. Sie sind u.a. nicht getauft!
Oft habe ich verängstigt nachts meinen Mann geweckt, weil ich sie nicht in die christlichen Versammlungen mitgeschleppt hatte und der o. beschriebene Pfarrers—Grossvater ein drohendes Schreckensszenario der kompletten Familie prophezeite.. Wir warten noch darauf.
Tief in mir hadere ich immer noch mit der Güte Gottes (obwohl ich sie tagtäglich erlebe)….Wirklich glauben zu können, dass Gott es gut meint, er treu ist und niemals willkürlich handelt fällt mir sehr sehr schwer. Ganz zu schweigen von seiner BEDINGUNGSLOSEN Liebe!!!!!
Mir hilft es sehr Hossa—Talk zu hören, in euer Erleben hinein zu hören , euren Zweifeln und Fragen zu lauschen, bei eurem Ringen dabei zu sein und zu wissen, dass ich nicht alleine bin mit dem, was ich gerade durchlebe.
Danke euch!
astrid
Liebe Astrid,
ich fühle mit dir!! Meine Geschichte ist zwar anders, aber ich verstehe dich gut! Ich wünsch dir viel Kraft und innere Freiheit. Dass du den ganzen Druck nicht an deine Kinder weitergegeben hast, ist sicher das größte Geschenk, das du ihnen machen konntest.
Alles Gute!
Hallo zusammen, Danke an Mari für
Ihre verständnisvollen, sensiblen und warmen Worte — du verstehst!
Zu Daniel: Mir gehts in keiner Weise darum, den Eltern oder dem frommen Umfeld immer weiter Schuld zuzuweisen….dieses Hinterhertragen ist in meinem Fall, Gott sei es gedankt, Geschichte! Mit meiner jetzigen Sicht auf dieses religiöse System gibt es immer wieder schamvolle Momente, da ich es lange Jahre so selbstverständlich mitgemacht habe. Es gibt Traurigkeit, wenn ich meine zu erkennen, wie Glaube (so,wie ich ihn heute verstehe) verwechselt/gleichgesetzt wird mit Aktionismus, Ego—Gemeinschaft und dem Einhalten gewisser „Vereins—Statuten“. Es ist halt wichtiger dort dabei zu sein, als seinen individuellen Weg mit und zu Gott hin zu finden. Ja, ich scheue mich nicht mal, das heute durchaus sektiererischste zu nennen, weil ich sehe, wie Menschen dort verführt und eingelullt werden. Mich hat mein Aufbruch aus „Evangelikalien“ rausgeschossen aus diesem frommen Milieu. Wie gut —sonst wäre ich keine Hossa—Hörerin geworden…..hätte aber auch nicht den Verlust meines bis dato vermeintlich tragfähigen Glaubens zu beklagen.
Was ich bisher wirklich nicht verstehe ist, dass ich mich als Kind für dieses System selber entschieden haben soll??? Wie ist das denn bitte gemeint!? Mit viel Glück habe ich Eltern, die mich erwachsen werden lassen und zu einem einigermaßen selbständigen Denken anregen. Mit noch mehr Glück unterstütz diesen Prozess ergänzend eine Kirche, die mich auch zu einem mündigem Christsein anleitet. Wo gibts DIE denn, bitte??? Klar muss ich selber suchen…gerade als junger Mensch orientierst du dich aber doch, wenn deine peargroup diesem frommen Umfeld entspringt, genau daran. Ach ja, und natürlich sind dann alle diese erwachsenen Frommen so unendlich froh, dass das Kind die richtigen Freunde hat und nicht abfällt!
Soll ich mich jetzt voller Selbstanklage im Staub wälzen, da es mehr als mein halbes Leben bedurft hat bis ich da raus bin!? Dass ich so blöd war, mich nicht früher für ein anderes Leben zu ENTSCHEIDEND?! Nö! Viel entscheidender ist heute für mich, unsichere und äusserst wackelige Schritte eines Kleinkindes zu gehen, um diese Welt außerhalb der frommen Blase zu entdecken. Der ultimative spannende segensreiche katastrophaler Wahnsinn! Mir ist das mit dem locker—flockigen Statement von wegen: „Triff doch deine eigene Entscheidung“ und — „Zack“ die Sache ist geritzt, schon ein wenig nah gegangen. Wer in so einem frommen System aufwächst merkt häufig sehr lange gar nicht, was da abgeht. Jetzt muss ich leider hier das Beispiel von Kindern heranziehen, die in missbräuchlichen Familien aufwachsen. Sie finden Ihre Lebenssituationen völlig in Ordnung, lieben ihre (
misshandelnden) Eltern über alles und wünschen keinerlei Veränderung. Den gewohnten Schmerz auszuhalten ist das normale Leben. So kann es dir durchaus auch in einer christlichen Gemeinde gehen. Wie froh kann ich sein, dass Gott mich da rausgeholt hat.astrid
Liebe Astrid,
das krasse ist ja, dass es in solchen Gemeinden auch viele missbräuchliche Familien gibt… Ich war immer super dankbar für meine „heile, behütete Familie“. Es war für mich normal, das schlechte Gewissen auszuhalten, wenn ich nicht in den Gottesdienst gegangen bin, oder das „da bin ich aber traurig, wenn du xy tust/unterlässt“, es war für mich normal, kontrolliert zu werden (also da gibts auch schlimmere Varianten der Kontrolle, aber mir fällt das jetzt erst mit Abstand auf, wie kontrollfreakig meine Eltern sind und wie ich es selbst dadurch geworden bin). Ich hielt es für den Hinweis auf eine ganz besonders intakte Familie, dass ich in der Jugend nie rebelliert habe. Und ganz vieles wurde auch schön vor mir verschwiegen (zB psychische Krankheiten in der Familie). Ich kann meinen Eltern auch schwer Schuld zuweisen, weil es ihre Angst vor Fehlern war, die sie zu diesem Verhalten gebracht hat, ihr Wunsch „alles richtig zu machen“. Und auch das religiöse System, das für sie eben das einzig wahre und richtige war/ist und worin sie ihre Heimat haben. Vielleicht am ehesten noch unserem Gemeinde-Guru. Er hätte es besser wissen müssen. Aber vielleicht war auch er schon blind und von seinem Gottesbild zu sehr eingenommen…
Liebe Astrid, ich mir geht es ganz genauso. Und ich fürchte, der Vergleich mit missbrauchten Kindern ist nicht sehr weit her geholt. Ich sehe da auch viele Parallelen.
Ich denke, Daniel hat es gut gemeint; er wollte ja einen Weg aufzeigen, wie man nicht in der Opferrolle stecken bleibt, sondern sich seines eigenen Lebens ermächtigt und sich von der Vergangenheit löst. Nur scheint mir das weder dein noch mein Problem zu sein. Und ich denke, wir haben beide die Erfahrung gemacht, dass es für uns heilsam war uns zuzugestehen, dass wir nicht daran Schuld sind, der Sekte geglaubt zu haben. Schon gar nicht als Kind. Da ist übrigens wieder einen Parallele zu Missbrauchsopfern: Sie fühlen sich schuldig für den Missbrauch und schämen sich dafür. Das ist wirklich schlimm und pervers. So ging es mir auch lange Zeit; immer diese bohrende Frage: Wieso habe ich alles so bereitwillig geglaubt, verinnerlicht, vertreten, verteidigt?
Deshalb denke ich, beides schließt sich nicht aus: Man muss für sich selbst annehmen, unverschuldet in ein missbräuchliches religiöses System geraten zu sein; man muss den Schaden, den es angerichtet hat, verstehen und nachvollziehen, um sich davon zu lösen (das kann seine Zeit dauern, von außen mag das so aussehen, als würde man in der Opferrolle verharren). Erst dann kann man den zweiten Schritt gehen und sein Leben in neuer Eigenverantwortung und Mündigkeit gestalten. (Jay beschreibt das ja immer mit den Begriffen Dekonstruktion und Rekonstruktion.)
Siehst du das ähnlich?
Noch mal was zu der Annahme, dass die existenziellen Krisen in der christlichen Glaubensgemeinschaft nicht thematisiert werden würden: Kennt jemand Philipp Yancey?
Ein amerikanischer Autor/Journalist, der viele Bücher mit den Themen „von Gott enttäuscht“ , wie diese Erfahrungen in Hiob/Prediger thematisiert werden, geschrieben hat. Er schreibt von duzenden Leuten, die ihren Glauben an den Nagel würden, bei dem was ihnen widerfahren ist. Das schlimmste daran sind dann Mitchristen, die tolle Theorien aufstellen, warum Gott so oder so handeln würde. Das zieht sich besonders im alten Testament durch, diese Sinnfragen. Leider wird heute vieles auf das Kreuz verkürzt, bei dem man alles abladen könnte. Stimmt vielleicht auch, nur ist die Welt und wir mit unseren Problemen ja immer noch da.
Über die Psalmen, Hiob, Prediger könnte sowiso mehr gepredigt werden!
Hallo zusammen, nachdem der von mir gewählte Begriff „Entscheidung“ gleich drei (eventuell emotionale) Reaktionen hervorgerufen hat, versuche ich mich an einer möglichst kurzen Klarstellung. Zunächst möchte ich nochmals betonen (s.o.), dass es mir überhaupt nicht um Schuld geht. Ein Kleinkind trifft seine Entscheidungen in der Regel auch nicht bewusst. Das Unterbewusstsein hat damals aus Selbstschutz vermutlich die in der Situation einzig richtige bzw. mögliche Entscheidung getroffen. Mir hat diese Überzeugung jedenfalls sehr geholfen Frieden mit meinem inneren Kind und der Vergangenheit zu schließen und aus meiner Opferrolle herauszukommen. Dies war keine lapidare Entscheidung sondern ein langer Prozess und ist mir in vielen Punkten auch erst mit über 40 gelungen. Als Erwachsene haben wir die Möglichkeit ein bewusstes und selbstbestimmtes Leben zu führen, was sehr wenig bis gar nichts mit Schuld aber viel mit Verantwortung zu tun hat. Ich glaube übrigens ebenfalls noch an die bedingungslose Liebe. Love and Peace, Daniel
Hallo Daniel,
Vielen Dank für deine Klarstellung.
Ich bin mir nicht sicher, ob „Entscheidung“ hier der richtige Begriff ist. Dazu müsste man mal einen Fachmann befragen. Würde mich tatsächlich mal interessieren, wie sich die Entscheidungsprozesse von Kleinkindern und Kindern entwickeln. – Aber es ist deutlich geworden, was du meinst und vor allem, wie der Begriff für dich persönlich mit Inhalt gefüllt ist in Bezug auf deinen eigenen Weg aus der Opferrolle heraus. Ich denke, wir meinen letztlich dasselbe; denn du hast ja deinem inneren Kind auch zugestanden, dass es sich nicht anders hätte entscheiden können. Das ist eine Form der Entlastung, sie meiner Ansicht nach nötig ist in der Verarbeitung. Für mich war dieser Schritt der wichtigere; die Verantwortung im Hier und Jetzt war mir sowieso immer sehr klar vor Augen. Als ich endlich den Gedanken loslassen konnte, „dass mit mir wohl was nicht stimmt“, konnte ich mich dieser Verantwortung viel leichter stellen.
Tja, so hat jeder seinen eigenen Weg mit unterschiedlichen Schwerpunkten…
Hallo Daniel,
sorry, wenn ich deine Zeit nochmal in Anspruch nehmen muss… Mich verwirrt das, was du schreibst. Unterbewusste Entscheidung? Selbstschutz? Das ist, wie wenn du einem missbrauchten Kind sagst, dass es sich unterbewusst doch für den Missbrauch entschieden hat und zwar aus Selbstschutz (der Vergleich passt gut, denn wir reden ja hier auch über geistlichen Missbrauch). Ich hab mich nicht dafür entschieden, auch nicht unterbewusst, in diese Familie hineingeboren zu werden, so erzogen zu werden, in dieser Gemeinde mit diesem Gottesbild aufzuwachsen… (ja klar gibt es so Reinkarnationstheorien, nach denen das möglich wäre, aber ich glaube nicht, dass du sowas gemeint hast).
Und ich kann doch nur eine Entscheidung treffen, wenn ich Wahlmöglichkeiten habe. Hatte ich aber nicht. Auch nicht beim Gottesbild – zumindest keine echten. Sicher steht das Schlagwort „eigene Entscheidung“ im evangelikalen Bereich hoch im Kurs, aber wenn du als „Auswahl“ den sorgenfreien, schmerzfreien Himmel auf der einen Seite und die Höllenqualen auf der anderen Seite hast, ist das doch keine wirkliche Entscheidung…
Für mich ist es gerade wichtig, anzuerkennen, dass ich Opfer wurde – und eben NICHT selbst dafür verantwortlich bin, was da passiert ist, auch nicht unterbewusst.
Freue mich, wenn du mir das nochmal erklären kannst mit der Entscheidung!
Liebe Katja, ich befinde mich gerade sowohl beruflich als auch privat in einer sehr turbulenten Situation und hoffe, dass ich über Ostern Zeit finde, auf deine Kommentare näher einzugehen. Nur vorab möchte ich betonen, das nicht die von mir verwendeten Begriffe „entscheidend“ sind noch wollte ich konkrete Situation bewerten. Mir geht es in erster Linie um Themen wie Bewusstheit und Gegenwärtigkeit. Dafür benötige ich aber zunächst selbst mehr Ruhe und Gegenwärtigkeit. Herzliche Grüße, Daniel
Lieber Daniel,
In Ordnung. Ich wünsch dir gutes Ruhen ? und freue mich auf deine Antwort.
Katja
Liebe Katja, bevor ich auf deine Anfrage näher eingehe, möchte ich zunächst hervorheben, dass mich die persönlichen Beiträge sehr berühren und alle Autor*innen mein tiefes Mitgefühl haben. Im Vergleich dazu sind meine eigenen religiösen Prägungen fast schon liberal. Dennoch empfinde ich meine eigene evangelikale Prägung aus heutiger Sicht als eine Indoktrinierung bzw. etwas drastischer formuliert als Gehirnwäsche und erst heute kam in mir diesbezüglich wieder ein Gefühl von Wut hoch. Diese Emotionen anzunehmen ist auch sehr wichtig, um überhaupt loslassen zu können. Es tut mir mittlerweile auch sehr gut bei Traurigkeit, die Tränen richtig fließen zu lassen und das sage ich als jemand der gelernt hat, dass Männer nicht weinen. Diese persönliche Einleitung soll zudem nochmals deutlich machen, das es mir nicht um bestimmte Worte geht. Du hast in deiner hervorragenden Gegenüberstellung selbst dargestellt wie unterschiedlich Begriffe mit Inhalt gefüllt werden können. Wir sollten nicht auf der Ebene der Worte stecken bleiben. Denn Worte sind nur Mittel zum Zweck. So nun komme ich endlich zu dem Wort Entscheidung. Ich halte diese Wort zunächst für wertneutral und es wird m.E. auch erst durch die Kombination mit Adjektiven zu einer Bewertung (z.B. freie oder unfreie bzw. erzwungene Entscheidung) Jedenfalls treffen sicher auch kleine Kinder schon weit vor dem Teeniealter zahlreiche Entscheidungen. Selbst wenn man dies nicht Entscheidung nennen möchte, so bildet jedenfalls der eigene Körper bzw. das Gehirn Synapsen für verschiedenste Glaubenssätze (der Begriff Glaubenssatz ist übrigens nicht religiös gemeint). Das Unterbewusstsein habe ich zum einen deswegen erwähnt, um deutlich zu machen, dass viele (bzw. tatsächlich die allermeisten) Prozesse nicht bewusst ablaufen und daher nicht vorwerfbar sind. Wenn ich von Selbstschutz durch das Unterbewusstsein gesprochen habe, dann meinte ich den Umgang mit Handlungen anderer, um z.B. nicht aus dem Umfeld herauszufallen oder Liebesentzug zu vermeiden. Damit entscheidet man sich aber nicht für die Handlung des Täters sondern nur für den Umgang damit. Den Vergleich mit dem körperlichen Missbrauch halte ich daher nicht für passend. Natürlich ist es absolut widerlich, wenn Missbrauchsopfer auch noch Schuldgefühle vermittelt bekommen. Worum es mir eigentlich ging hat Mari bereits sehr zutreffend und schön dargestellt. Ergänzend möchte ich noch hinzufügen, dass m.E. auch die Annahme des eigenen Unterbewusstseins zu einer bedingungslosen Selbstliebe, die zur Heilung und Transformation führt, dazugehört. Die Entscheidung in eine konkrete Familie hineingeboren zu werden hatte ich tatsächlich nicht gemeint und gehört auch nicht zu meinen Überzeugungen. Aber jetzt wird’s spooky: Am selben Tag als ich deinen Kommentar gelesen habe, habe ich mir ein neues YouTube-Video von Veit Lindau angeschaut, wo es passender Weise um die Verantwortung der Eltern ging und in einem Nebensatz behauptet wurde, dass wir uns für unsere Familie entschieden. Hört sich zwar schräg an aber warum nicht. Ich wollte zwar noch etwas zur Opferrolle und weil gerade Ostern ist, auch etwas zu dem in diesem Zusammenhang sehr wichtigen Begriff Vergebung schreiben, muss dies aber bei anderer Gelegenheit tun, da meine Antwort schon viel zu lang geworden ist.
Lieber Daniel,
danke für deine Antwort. Ja, Gefühle erst einmal da sein zu lassen, um sie dann loslassen zu können, ist etwas ganz Wertvolles und Heilsames.
Ein wenig besser verstehe ich dich jetzt, 100%ig komme ich noch nicht mit.
Mit Veit Lindau und den meisten seiner Ansichten kann ich nicht (mehr) viel anfangen. Es sind die esoterischen Gedanken, die zwar nach meiner Glaubensdekonstruktion erstmal eine große Hilfe waren, v.a. die Betonung der Selbstverantwortung, der eigenen Stärke, Selbstheilungskräfte usw., aber mir letztlich weder Halt noch Sinn geben konnten (versuch mal, dich NUR an dir selbst festzuhalten, wenn du fällst oder dich selbst auffangen zu wollen! Ich hab da recht schnell gemerkt, dass ich eben kein „schöpferischer Titan“ bin) und nicht zu-frieden gemacht haben, sondern eher wieder Leistungsdruck aufgebaut haben und Schuldgefühle, wenn ich es einmal wieder nicht aus mir selbst heraus geschafft hatte, mich zu heilen etc. Richtigen Frieden und Erfüllung habe ich dann erstmals wieder bei meinem (nicht selbstverantworteten/ zufälligen) Wiederfinden des Gottes der Bibel (oder besser: mein Wiedergefundenwerden durch ihn) empfunden – und interessanterweise vor allem durch die Erkenntnis, dass ich mein Leben tatsächlich nicht im Griff hab, dass ich für mein Angenommensein nichts selber leisten kann und auch nicht muss, dass ich unvollkommen und schwach sein und mich ganz einem anderen anvertrauen darf – ohne mein Selbst-Bewusstsein, meine Selbst-Wertschätzung und meine Verantwortung an den Nagel hängen zu müssen. Und ich war so dankbar, dass ich wieder ein personales Gegenüber gefunden hatte (das aber nicht nur außerhalb von mir ist, sondern an dem ich auf geheimnisvolle Weise auch in mir Anteil habe).
Ich bin gespannt auf deine Gedanken zu Opferrolle und Vergebung!
Katja
Ich finde den Begriff „Entscheidung“ wirklich unpassend. Ich hatte es ja an anderer Stelle geschrieben, dass die Eltern, insbesondere die Mutter für ein Kind „wie Gott“ ist. Du kannst also deinem kleinen Kind erzählen was du willst, es wird es als Wahrheit auffassen. Und damit wird dann auch das gesamte Weltbild und Wertesystem durch die Eltern geprägt. Natürlich gibt es Phasen, wo das Kind eine Eigenständigkeit entwickelt, so hat sich in den letzten Jahren für die Trotzphase auch der passendere Begriff „Autonomiephase“ entwickelt. Aber wenn jetzt durch die Prägung der Eltern z.B. kritisches Hinterfragen gar nicht vorkommt, bzw. „ungeprüftes Hinnehmen“ als gottgewolltes Vertrauen hingestellt wird, wird das Kind gar nicht an den Punkt kommen, wo es überhaupt davon ausgeht sich in irgendeiner Form entscheiden zu können. Das kann in späteren Jahren passieren und ist dann oft ein sehr langer Prozess, weil die Prägungen sehr tief sitzen. Nach meiner Erfahrung aus der seelsorgerlichen Begleitung von Menschen, die durch einen sehr negativen Glauben geprägt wurden beginnt es eher mit einem Gefühl, dem Gefühl, dass etwas nicht stimmt, das Gott doch eigentlich anders sein müsste. Da beginnt dann das „Entscheiden“, sich auf andere Sichtweisen und Standpunkte einzulassen. Aber ein kleines Kind nimmt erstmal alles als gegeben hin, was die Eltern erzählen und prägen.
Grüße
Daniel
Ich habe mal vor kurzem eine Zusammenstellung gemacht, wie ich als Kind und Jugendliche die Bibelgeschichten gehört habe. Wenn ich mit meinen Verwandten und Bekannten, die in einer Gemeinde sind, darüber reden wollte, hieß es nur: „Du schon wieder“, „Musst Du immer alles hinterfragen?“, „Hör doch endlich auf, die Gemeinde schlecht zu machen!“, „Was können wir dafür, dass du als Kind alles falsch verstanden hast?“, „Dass du auch immer alles so ernst nehmen musst!“, „Mach nicht schon wieder so einen Tamtam!“. Darum habe ich das aufgegeben. Aber vielleicht findet hier jemand seine eigenen Kinder-Gedanken wieder…
Und die Moral von der Bibelgeschichte….
Schöpfungsgeschichte:
Die Schöpfungsgeschichte ist genauso passiert, wie es in der Bibel steht und jeder, der von Evolution redet, ist ein Lügner. Die Wissenschaftler haben Schweineknochen vergraben und dann behauptet, sie stammen von Dinosauriern, weil sie Gott nicht gehorchen und lieber sündigen wollen und deine Lehrer und die Eltern der anderen Kinder sind so dumm, dass sie darauf hereingefallen sind.
Sündenfall:
Gott will dich prüfen, dazu hat er mitten im Schönen (Paradiesgarten) einen Test (Baum der Erkenntnis) eingebaut. Wenn du böse/gierig/neugierig oder dumm bist (auf den Teufel=Schlange hörst), wirst du die Prüfung nicht bestehen und er wird dir das Schöne wegnehmen (aus dem Paradies vertreiben). Neugierig sein/Erkenntnis haben wollen ist böse und ungehorsam. Wenn du böse und ungehorsam bist, wirst du von Gott bestraft. Arbeit und Kinderkriegen ist eine Strafe, die Gott sich ausgedacht hat. Es ist total gerecht von Gott, dass er alle Menschen dafür bestraft, weil Adam und Eva ungehorsam waren, auch wenn du das als ungerecht empfindest. Wie kannst du es wagen, Gott zu kritisieren?
Sintflut:
Gott hasst die Menschen und will sie am liebsten umbringen, weil er aber nach der Sintflut voreiligerweise versprochen hat, so etwas nie wieder zu tun, hat er sich die Endzeit ausgedacht und steckt sie für ewig in die Hölle. Nur wenn du ganz brav bist und so wie Noah etwas tust, wofür dich die anderen auslachen und was total unlogisch ist (z. B. ein Schiff auf dem Land zu bauen), wirst du gerettet.
Turmbau zu Babel:
Hochmut kommt vor dem Fall. Wenn die Menschen sich miteinander verbünden und etwas Tolles machen wollen, macht Gott ihnen einen Strich durch die Rechnung und denkt sich etwas Fieses aus. (Und weil er ja immer alle Unschuldigen mitbestraft, muss ich mich jetzt mit Vokabellernen abplagen.)
Isaaks Opferung:
Gott will dich überprüfen, indem er von dir verlangt, dass du bereit bist, das, was du am liebsten hast, herzugeben, obwohl er es überhaupt nicht braucht. Wenn Gott von deinem Vater will, dass er dich ihm opfert, dann kannst du ganz sicher sein, dass dein bekehrter Vater genauso treu wie Abraham sein wird und bereit sein wird, dich zu töten (war besonders perfide, denn mein Vater war Hausschlachter und wir haben manchmal heimlich dabei zugeschaut, wie er ein Schwein abgestochen hat). Wenn du Glück hast, schickt Gott ein Schwein, bevor er dich abgestochen hat, und wenn du noch mehr Glück hast, soll er deinen Bruder opfern, denn du bist ja nur ein Mädchen…
Die 10 Gebote:
1. Du musst immer Gott am meisten liebhaben. Wehe etwas anderes ist dir wichtiger!
2. Du darfst niemals „Oh Gott“, oder „Oh je“ sagen und du musst alle Menschen, die so etwas sagen, darauf aufmerksam machen, dass sie gerade sündigen.
(3. Feiertag heiligen war nicht so wichtig, weil mein Vater am Wochenende selbst arbeiten musste.)
4. Wehe, du bist frech zu deinen Eltern oder hast Widerworte!
5. Also, das kann Gott nicht so eng gesehen haben, denn das Volk Israel musste ja kurze Zeit später die Kanaaniter umbringen. Und für Tiere konnte das eh nicht gelten, denn die wollte er ja geopfert haben.
6. Die größte Sünde ever: Sex-ohne-Ehe; war aber als Kind noch nicht akut.
7. Klauen geht gar nicht; hatte ich aber eh zuviel Angst, erwischt zu werden.
8. Die zweitgrößte Sünde ever: Lügen und Geheimnisse vor den Eltern haben…
9. /10. Hat man gegen dieses Gebot auch schon verstoßen, wenn man sich zu seinem nächsten Geburtstag etwas wünscht, was wer anders schon hat????
Jona:
Gott gibt dir eine Aufgabe, die du doof findest und wenn du nicht gehorsam bist/wegrennst, steckt er dich zur Strafe in einen ekligen Fischmagen =Todesangst (und bist du nicht willig, brauch ich Gewalt). Du musst Mitleid mit bösen Menschen haben (=Missionar werden) und wenn die sich bekehren, stehst du doof da, weil du etwas angekündigt hast, was dann gar nicht eingetroffen ist. Gott hat mehr Mitleid mit den bösen Menschen aus Ninive als mit seinen Propheten =wenn du als Christ ungehorsam bist,wirst du mehr bestraft als die Weltmenschen.
Hiob:
Du kannst dir noch so viel Mühe geben, alles richtig zu machen, um Gott zu gefallen, es wird dir nicht gelingen und selbst wenn du es schaffst, musst du leiden, weil Gott sich von dem Teufel bequatschen lässt, dich zu prüfen.
David erfährt von Sauls Tod:
Du darfst dich nicht darüber freuen, wenn jemandem, der fies zu dir war, etwas Schlimmes passiert, so dass er nicht mehr fies zu dir sein kann. (Allerdings darf man den unschuldigen Überbringer einer Nachricht töten, das findet Gott nicht schlimm.)
Der verlorene Sohn:
Geh bloß nicht von zu Hause weg, das ist Sünde und du wirst auf jeden Fall scheitern.
Barmherziger Samariter:
Du musst immer allen helfen, auch wenn es für dich selbst gefährlich ist. Du musst hilfsbereiter sein als die Allerfrömmsten.
Goldene Regel:
Du musst alle anderen mehr lieben als dich selbst, denn ein Egoist bist du ja sowieso von Natur aus schon.
Andere Wange hinhalten:
Du musst dir von allen alles gerne gefallen lassen, egal wie gemein die anderen sind. Lass dich gerne schlagen.
Hemd_Mantel/reicher Jüngling:
Besitz haben ist schlecht und du musst alles bereitwillig verschenken, auch wenn die anderen viel mehr haben als du.
zweite Meile mitgehen:
Du musst jedem jeden Gefallen tun und dich von allen bis zum get no ausnutzen lassen
Splitter/Balken im Auge:
Du bist auf jeden Fall am bösesten, egal wie böse und gemein der andere ist und darfst dich deshalb auch nie beschweren.
7×70 mal vergeben:
Egal wie gemein der andere war, du musst immer vergeben und nachgeben und machen, was der andere will.
Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder/der Zweifler empfängt nichts/selig sind die geistig Armen:
Gott will, dass du dumm und naiv bist und alles glaubst, was dir die Prediger erzählen/was in der Bibel steht. Wenn du Dinge hinterfragst, kommst du nicht in den Himmel.
Das Kreuz auf sich nehmen:
Gott will, dass du leidest, also jammere nicht herum/stell dich nicht so an/sei nicht so empfindlich. Sei gefälligst dankbar und glücklich über Schmerzen, denn sie sind ein Zeichen, dass Gott dich liebt (wer sein Kind liebt, züchtigt es).
Gott ist ein Gott der Ordnung:
Räum gefälligst dein Zimmer auf!
Freut Euch im Herrn allezeit:
Du sollst nicht rummeckern oder schlechte Laune haben.
Du darfst dich nur im Herrn freuen und weltliche Freuden sind verboten.
Ansonsten gilt: Ja, ja, Vorfreude ist die schönste Freude. Und: Freu dich nicht zu früh, der Igel wartet schon.
Frauen unterordnen:
Du bist ein Mädchen und stehst in der Hackordnung ganz unten. Halt gefälligst deinen Mund und mach, was dir dein Vater/deine Mutter/die anderen Erwachsenen/deine Brüder/deine große Schwester sagen. Du musst noch lernen, dich unterzuordnen, sonst kriegst du keinen Mann.
Nun lebe nicht ich, sondern Christus lebt in mir:
Ich habe kein Recht darauf ich selbst zu sein. Selbstverwirklichung ist Sünde. Ich muss die ganze Zeit so handeln wie Jesus gehandelt hat und an meiner Stelle handeln würde (kriege das aber nicht hin, denn ich bin ja nicht Gott und nicht sündlos, sondern nur ein Mensch), sonst habe ich überhaupt keine Lebensberechtigung. Mein ganzes menschliches Ich ist böse (von Jugend auf) und ich muss alle meine Wünsche und Gedanken abtöten, weiß aber nicht wie ich das machen soll. Wenn ich wieder mal etwas falsch gemacht habe, zeigt das, dass Jesus nicht in mir lebt. Ich habe ihn schon tausendmal eingeladen, aber es klappt einfach nicht. Was ist nur mit mir los? Oder will Gott mich einfach nicht? Ich soll mich selbst und mein Leben hassen und das tue ich auch, aber trotzdem komme ich nicht weiter.
Zusammengefasst: Gott ist die Liebe und gnädig und barmherzig und von großer Güte, aber er ist auch gerecht und will mich dauernd prüfen und hereinlegen, und wenn ich versage, dann steckt er mich in die Hölle, also ist er fies und gemein. Ich bin böse und schlecht und muss für alles dankbar sein, sogar für das Leid, und ich muss mich ganz doll anstrengen alles richtig zu machen, obwohl von vorneherein klar ist, dass ich das nicht hinkriegen kann. Ich finde das alles unlogisch und verstehe das nicht, darf das aber nicht sagen.
Also ehrlich, mein Kinderleben war die Hölle und ich war total verzweifelt. Wegen Gott. Und weil mein Vater sich genau so aufgeführt hat wie dieser Gott, habe ich das auch geglaubt…
Vielen Dank für deine offenen Gedanken. Das tut mir echt leid. Was du schreibst sollte Eltern und Kindergottesdienstmitarbeitern viel bewusster sein, wie manche Geschichten ankommen, bzw. was für eine Botschaft damit vermittelt wird. Ich bin ohnehin der Meinung, dass bestimmte Geschichten für Kinder nicht geeignet sind, z.B. Abraham und Isaak. Luther lehrte diese Geschichte selbst über zehn Jahre und sagte, dass wir Menschen bei dieser Geschichte wie der Esel unten am Berg sind, der das alles nicht versteht. Und dann sollen Kinder das begreifen??? Kinder denken bei der Geschichte eben nicht: Sei gehorsam wie Abraham, sondern sie identifizieren sich mit Isaak, was m.E. fatal für die Eltern-Kind-Beziehung ist.
Vielen Dank nochmals für deine Gedanken. Mir hilft es sehr noch sensibler zu werden. Bei vielen bleibt halt ein nicht greifbares, negatives Gottesbild, sie können es aber gar nicht mehr so in Worte fassen, wie sie alles aufgefasst haben.
Lieben Gruß
Daniel
Liebe Malin,
wie furchtbar. Wie grausam. Mir stehen die Tränen in den Augen.
Aber ja, so oder so ähnlich habe ich die Geschichten als Kind auch verstanden. Meine Eltern waren zwar nicht so hart zu mir, aber ich habe die Logik der Geschichten immer zu Ende gedacht und genauso brutal auf mich selbst angewandt. Sie haben versucht, ihre Menschenfreundlichkeit mit dieser Lesart der biblischen Geschichten zu vereinbaren und sehen bis heute nicht, dass das schlicht nicht möglich ist.
Hast du einen Weg gefunden, heute noch glauben zu können? Das stell ich mir schwierig bis unmöglich vor…
So schrecklich. Und alles auf den Vater gemünzt und seinen Erziehungsstil – einfach mal den Texten die eigene Ansicht aufdrücken, um den autoritären Erziehungsstil zu legitimieren.
Ich kann mich nicht so detailliert an die Auslegungen in meiner Kindheit erinnern (vielleicht hatte ich auch das Glück, dass unsere Gemeinde weiter weg war und ich deshalb meistens im landeskirchlichen Kindergottesdienst vor Ort war), aber der Effekt der Verkündigung insgesamt war bei mir derselbe. Immer diese quälenden Gedanken, dass man es nicht schafft, nie genug ist, nie so ist, wie man sein sollte, nie so sein darf, wie man eigentlich ist…
@Reverend Mole: Hast du Vorschläge, welche Erzählungen in der Bibel kindgerecht sind (außer die ‚Lasst die Kinder zu mir kommen‘ 🙂 ) oder kannst du gute Kinderbibeln/Bücher empfehlen? Wir hatten so ein Buch mit Noah, in dem man auf einem Bild sieht, wie alle Tiere und Menschen ertrinken – erst als Erwachsene ist mir aufgefallen, wie grausam das ist.
Grundsätzlich würde ich kleinen Kindern erstmal nur Geschichten erzählen, wo zum Beispiel Jesus als guter Freund dargestellt wird, der anderen Menschen hilft und versucht Menschen wieder zusammen zubringen. Manche Alttestamentlichen Geschichten gehen auch, z.B. die Schöpfungsgeschichte mit der Aussage, dass Gott alles gut gemacht hat und jedem Lebewesen auch Raum zum Leben gab. Es gibt beim Bibellesebund eine Kinderbibel, die ist sehr „zensiert“, was ich aber auch gut finde: https://shop.bibellesebund.de/produktgruppen/bibeln/bibel-fur-kleine-kinder.html Auch die Schatzbibel von Daniel Kallauch vermittelt ein positives Gottesbild und lässt auch manche Details weg. Aber da muss man halt auch individuell entscheiden, was man seinen Kinder noch zumuten kann.
Ich finde es halt besser, dass kleine Kinder erstmal ein grundsätzlich positives Gottesbild bekommen. Und wenn das gefestigt ist kann man, wenn sie größer sind, auch mal andere Geschichten nahe bringen. Ich finde zum Beispiel die Geschichte von Abraham und Isaak auf dem Berg Moria ist erst was für (Pre)-Teens. Mit denen kann man dann aber auch richtig gut über solche Stellen diskutieren.
Interessant ist in dem Zusammenhang, das ich und meine Frau für diese Position auch schon kritisiert wurden. Es gibt halt Menschen, die meinen, dass man den Kindern bestimmt Geschichten nicht vorenthalten darf. Da ist dann bestimmt auch 2Tim 3,16 im Hinterkopf: „Denn alle Schrift, von Gott eingegeben ist nütze…“ Aber wenn du sie dann fragst, ob man Vorschulkindern auch die Geschichte erzählen darf, aus dem Buch Richter, wo eine Frau die ganze Nacht vergewaltigt wird und dann in 12 Stücke geschnitten wird, wird das natürlich verneint. Also Grenzen ziehen alle in dem, was sie Kindern aus der Bibel zumuten, das taten auch die Juden, die bestimmte Kapitel aus Hesekiel und das Hohelied erst ab einem bestimmten Alter erlaubten zu lesen. Wer es aber mal thematisiert läuft schnell Gefahr als liberal abgestempelt zu werden. Aber das bin ich dann gerne, wenn meine Kinder durch mich kein verkorkstes Gottesbild bekommen.
Liebe Grüße
Daniel
Vielen Dank dir!
Das mit der Geschichte aus dem Richterbuch (weißt du, wo die genau steht?) merk ich mir für mein nächstes Treffen mit meinen bibeltreuen Freunden (aus einer anderen Gemeinde, die wesentlich krasser ist als meine Heimatgemeinde), die ihren Kindern eine fromme Buchreihe über christliche Märtyrer gekauft haben mit grausamen Erzähungen und Bildern und die selber sagen (!), dass die Bücher zwar nicht kindgerecht sind, aber dass es „halt die Wahrheit ist“….Und wenn man so einen Glauben hat, der nicht auf Beziehung abzielt, sondern auf Doktrin, muss man den Kindern möglichst früh solche Bücher zum Lesen geben, um sie auf Linie zu halten…
(ich hab übrigens erst nach meiner Dekonstruktion und Rekonstruktion begriffen, warum Menschen zu Märtyrern werden konnten, einfach, weil sie von dieser Liebe so ergriffen waren, dass sie nicht anders konnten – früher war immer für mich die Frage: Werde ich standhalten? Werde ich an „der Wahrheit“ bleiben? Und es war nur die Angst vor der Hölle, die mich bei „der Lehre“ hat bleiben lassen, verrückt, oder??)
Richter Kapitel 19. Die Auswirkung von Kapitel 19 ziehen sich dann bis Kapitel 21, was auch eine schöne Kinderstunde abgeben würde 😉 .
Lieben Gruß
Daniel
Aber der beste Kinderstundentexte ist doch immer noch der, wo sich Kinder über Elisa lustig machen, dieser die Kinder dann verflucht und die Kinder daraufhin von Bären zerfleischt werden. Halleluja!
Danke für die Richter-Stelle. Mit konkreten Bibelstellen bin ich immer besser beraten in solchen Gesprächen, sonst nehmen sie mich gar nicht ernst. Das passt übrigens zu deinem Kommentar „Ich würde sogar behaupten, dass in der Geschichte (der Versuchung Jesu) der Satan biblizistisch argumentiert und Jesus systematisch-theologisch.“
Diese Vermutung hab ich auch schon länger 🙂 Jesus argumentiert ja aus einem größeren Textzusammenhang/Kontext heraus: alles Dtn-Stellen, und zwar aus dem Dtn-Teil, der das Schma Jisrael enthält, also das wichtigste (?) Gebot für Israel, in dem Gott als der Einzige und die Loyalität und Liebe zu Gott im Zentrum stehen. Und der Teufel pickt sich einfach von verschiedenen Kontexten das zusammen, was ihm halt grade in den Kram passt, um seinen Standpunkt irgendwie fromm zu legitimieren. An der Bibelstellenauswahl von Jesus sieht man auch, dass er eigentlich von Anfang an die Oberhand über Satan hatte und durchschaut hat, worauf er aus war.
„Aber der beste Kinderstundentexte ist doch immer noch der, wo sich Kinder über Elisa lustig machen, dieser die Kinder dann verflucht und die Kinder daraufhin von Bären zerfleischt werden. Halleluja!“
Das stimmt 🙂 Richter 21 ist eher was für Single-Freizeiten.
Grüße
Daniel
Beeindruckend, Malin. Habe ich mir kopiert. Besonders genial das mit dem unlogischen Bootbauen.
Liebe Grüße von Patrick
Zu dem 8. Gebot hab ich vor einiger Zeit was Interessantes gelesen (in einer Zeitschrift, die ich eigentlich für ziemlich „fromm“ hielt 😉 ) Und zwar, dass es bei dem „falsch Zeugnis reden“ nicht ums Lügen geht, sondern darum, dass man anderen Menschen ein falsches Zeugnis über sie ausstellt. Und dass das genau die Menschen machen, die immer über den Glauben der anderen urteilen und ihnen absprechen „echte Christen“ zu sein – denn nur Gott kann die Herzen sehen. Das fand ich richtig gut und befreiend.
Hallo!
Die Bedeutung von „falsch Zeugnis geben wider seinen Nächsten“ findet sich in 1. Könige 21.
Vers 10: Setzt ihm aber zwei nichtswürdige Männer gegenüber! Sie sollen gegen ihn als Zeugen auftreten und sagen: Du hast Gott und den König gelästert. Führt ihn dann hinaus und steinigt ihn zu Tode!
Man muß aber die ganze Geschichte lesen, um das Ausmaß dieser Sünde zu verstehen.
Viele Grüße!
Einige Jahre nach der Erscheinung hab ich mich gerade mal durch die Kommentare gelesen.
Du sprichst mir echt aus dem tiefsten Herzen!!!!!!!!Vor allem mit den 10 Geboten. Die kenn ich auch so. Vor allem Sex vor der Ehe. alles andere kann man übersehen, aber das ist die schlimmste Sünde und man landet automatisch in der Hölle, wenn man nicht sofort bereut und Buse tut.
Aus heutiger Sicht echt krank, aber Kinder glauben leider alles!
Was bei mir noch dazukam, war die Betonung der Familie. Jeder Mensch muss ein heterosexuelle gläubige Familie mit vielen Kindern haben. Das ist das einzig heilbringende. Daher habe ich mich viele Jahre gar nicht getraut meine Familie als „nicht heilbringend“ zu sehen.
Heute, nach 2 Jahren Therapie, kann ich darüber scheiben und finde es einfach nur schrecklich, dass heute noch Menschen so geprägt werden.
Falls das hier noch irgendjemand liest kann ich nur den heißen Tipp geben:
– Sucht euch professionelle Hilfe. Mir das es sehr geholfen zu verstehen, dass ICH wichtig bin und das was ICH will. Ich kann das bis heute nicht fühlen und begreifen aber zumindest kognitiv verstehen und hoffen, das mein Herz es irgendwann lernt.
– Sucht nach einem positiven Gottes Bild. Theologen gibt es genug,, auch wenn euch beigebracht wurde, dass diese keine richtigen Christen sind. Ich finde Worthaus, Jens Stangenberg, Dietz etc. sehr bereichernd und langsam kann ich mir (leider bislang auch nur kognitiv) vorstellen, dass Gott mich lieben könnte und ich wertvoll sein könnte und ich nicht ein von Grund auf schlimmer Mensch sein könnte…….
Heute hoffe ich, dass Gott größer ist und ich nicht rausfalle, aus seiner Gegenwart, auch wenn mich da schon viele
als Ungläubig „rausgeschmissen“ haben,
Hallo!
> 10 Geboten
Von den Geboten sollten wir als Christen nichts lesen, ohne gleichzeitig Galater 2,19 – 3, 27 zu lesen!
> Sucht nach einem positiven Gottes Bild.
Das positive Gottesbild steht in der Bibel.
Die wichtigsten Bücher der Bibel sind:
1. Evangelium nach Johannes, weil dort die wichtigste Person der Bibel am klarsten vorgestellt wird und ihre Botschaft am klarsten verkündet,
2. 1. Brief des Johannes, weil er den wichtigsten Satz der Bibel enthält:
„Gott ist Liebe.“ (1. Joh 4, 16)
> Theologen gibt es genug
Die Bibel ist genug.
> langsam kann ich mir (leider bislang auch nur kognitiv) vorstellen, dass Gott mich lieben könnte und ich wertvoll sein könnte und ich nicht ein von Grund auf schlimmer Mensch sein könnte
„Gott ist Liebe. 9 Darin offenbarte sich die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben. 10 Darin besteht die Liebe: Nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn als Sühne für unsere Sünden gesandt hat.“ (1. Joh 4, 8-10)
Für den Zweck, daß die Liebe Gottes nicht eine intellektuelle Erkenntnis bleibt, gibt es die beste Worship-Musik der Welt: https://www.youtube.com/watch?v=V0eXYR65Z2w
> Heute hoffe ich, dass Gott größer ist
“ dass, wenn uns unser Herz verdammt, Gott größer ist als unser Herz “ (1. Joh 3, 20)
> und ich nicht rausfalle, aus seiner Gegenwart
„Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; 28 und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. 29 Was mir mein Vater gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann es aus des Vaters Hand reißen.“ (Joh 10, 27-29)
>, auch wenn mich da schon viele als Ungläubig “rausgeschmissen” haben,
„Wenn wir von Menschen ein Zeugnis annehmen, so ist das Zeugnis Gottes größer; denn das ist das Zeugnis Gottes: Er hat Zeugnis abgelegt von seinem Sohn. 10 Wer an den Sohn Gottes glaubt, trägt das Zeugnis in sich.“ (1. Joh 5, 9-10)
Alles Gute!
Das ist eine gute Zusammenfassung meiner „Glaubenskindheit“!
Hallo Malin,
willkommen im „Club“, waren wir in der gleichen Gemeinde?
Du hast das sehr sehr gut in Worte gefasst: Die Kindheit in diesem Umfeld mit den ganzen biblischen Geschichten, Geboten, Regeln, Verhaltensmaßnahmen und entsetzlichen Gottesbild, die unsere Lebensgeschichte geprägt und belagert hat. Geistlicher Druck als das ultimative unantastbare Erziehungsmittel. Treffend ausformuliert, du hast dir eine Menge Gedanken dazu gemacht, wow!
Mir hilft es, deinen Tex immer wieder zu lesen und mich daran abzuarbeiten.
Gestern Nacht kam mir der Gedanke, dass wir es hautnah erlebt haben, dass das 1. sowie auch 2. Gebot andauernd von den „Frommen dort“ gebrochen wurde. Sie haben sich ihren ganz eigenen Gott gebastelt und auch seinen Namen ständig missbraucht, um uns damit zu knechten.
Au weia, das wird ja lustig werden für „sie“ am Ende ihrer Tage – da gibt es doch so einen biblischen Text mit einem Mühlstein um den Hals etc., wenn ich mich recht erinnere….
Allerdings ist das für mich gar nicht das Thema, was mit „ihnen“ zukünftig mal passieren wird (sie bestrafen sich wahrscheinlich selbst schon mehr als genug mit diesem rigidem Lebenskonzept). Mir geht es nicht um Rache oder Wiedergutmachung. Ich wünschte mir viel ehr, zu verstehen, was denn da abgegangen ist? Diese Vorstellung, dass das wirklich gezielt gegen die eigenen Kinder eingesetzt wurde geht mir völlig ab. WAS WAR IHR URSÄCHLICHES PROBLEM? MIT WELCHER BLINDHEIT WAREN SIE GESCHLAGEN? WAS HAT SIE ANGETRIEBEN? WELCHEM GOTT SIND SIE GEFOLGT?
Wer selbst Kinder hat, kann sich doch so eine schreckliche Sache nicht wirklich vorstellen, oder!? Meine eigenen, alten Eltern habe ich nur bruchstückhaft damit konfrontieren können. Immer wieder kam der Satz: „Wir haben es nur gut gemeint!“ Hallo?
Würde eventuell gerne von euch hören, wie ihr es schafft mit diesem Gefühlsspagat umzugehen, die Eltern zu lieben, zu respektieren und trotzdem ihre gravierenden Verfehlungen bis heute im eigenen Leben zu spüren.
Um noch kurz auf Maris Frage zu antworten: Ja, Dekonstruktion (furchtbar!!!) und dann Rekonstruktion (anstrengend, hoffnungsvoll – potentiell: FREIHEIT).
Es ist erhellend für mich, eure Gedanken dazu teilen zu dürfen. Stück für Stück konstruiert sich ein neuer/andere Glaube – und ihr helft mir dabei! Danke!
astrid
Ihr Lieben! Vielen Dank für Euer Mitgefühl, das bedeutet mir sehr viel. Ich bin so froh, bei Hossa andere Menschen zu finden, die so ähnlich ticken wie ich. Das Schlimmste ist ja, dass man mit niemandem darüber reden kann oder abgekanzelt wird, und sich ganz allein fühlt. Im Moment läuft in der Gemeinde, in der ich aufgewachsen bin, so eine „Vergeben-und-vergessen-Aktion“: Alles, was in der Gemeinde und in den Familien schief gelaufen ist, soll unter den Teppich gekehrt und die Opfer mundtot gemacht werden.
Warum meine Eltern so gehandelt haben? Ich erkläre es mir so: Sie waren Kriegskinder und mein Vater hat sich aus Angst vor der Hölle bekehrt. Er war katholisch, meine Mutter evangelisch sozialisiert, da haben sie sowieso an Gott geglaubt (und an Hölle und Himmel). In der Gemeinde werden viele Sehnsüchte bedient: Anerkennung, Gruppenzugehörigkeit, Trost, Angstbekämpfung usw. Meine Eltern haben auch Vieles gut gemacht und wahrscheinlich wären sie ohne den Glauben auch keine besseren Eltern gewesen. Die Kriegskindergeneration hat auch nicht, so wie unsere Generation, in der Schule gelernt, Dinge zu hinterfragen. Was mich aber entsetzt, ist, dass sich in meiner Generation auch nicht viel geändert hat.
Was mich immer wieder zu Gott zieht, ist meine Sehnsucht. Und es gab ab meiner Jugend auch positive Gegenkräfte, z. B. der Religionsunterricht in der Oberstufe. Da habe ich eine erste Idee davon erhalten, dass man auch befreiter glauben kann. Ein Zugang zu Jesus war für mich das Buch „Mirjam“ von Luise Rinser.
Wovon ich mich noch weiter befreien will, ist mein ausgeprägtes schlechtes Gewissen (es spricht fast immer mit der Stimme meiner Mutter) und meine Ängste, die mich richtiggehend foltern. Deshalb habe ich mir „10 Erlaubnisse“ erarbeitet, die ich Euch hier vorstellen möchte:
1. Ich darf so viel an Gott glauben und zweifeln wie ich will.
2. Ich darf mir mein eigenes Gottesbild machen und immer wieder verändern. Mein Vater und „die Prediger“ wissen auch nicht mehr über Gott als ich, auch wenn sie es in ihrer ignoranten Dummheit immer wieder behaupten. Sich anzumaßen, dass man weiß, wie Gott ist und andere mit Hilfe von Gott/Heiliger Geist zu etwas zwingen/unterdrücken, das ist „Gottes Namen missbrauchen“.
3. Ich darf lügen und heucheln, wenn es mir angemessen erscheint.
4. Ich darf Fehler machen, so wie andere Menschen auch. Und wenn ich will und kann, werde ich daraus lernen.
5. Ich darf meine Mutter und meinen Vater loslassen und in Gottes Hand geben. Ich bin nicht verpflichtet, mir ständig um sie Sorgen zu machen, und ihre Bockigkeit und Dummheit bis zum bitterern Ende zu ertragen. Ich muss auch nicht (mehr) die Suppe auslöffeln, die sie sich einbrocken.
6. Ich darf mich über die Dinge, die in meinem Leben gut sind, freuen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, weil es anderen Menschen schlechter geht als mir.
7. Ich brauche nicht die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass diese Welt so ist, wie sie ist. Ich kann diese Welt nicht retten und muss es auch nicht versuchen. Ich bin nur für mein eigenes Leben und Handeln verantwortlich.
8. Auch ich darf zuerst für mich selber sorgen und meine Gefühle und Bedürfnisse wichtiger nehmen als die von anderen.
9. Ich muss nicht immer besser sein und versuchen, jesusmäßiger zu handeln als die anderen.
10. Auch ich darf andere Menschen verletzen, um mich selbst zu schützen. Und zu Leuten, die sich mir gegenüber wie ein Arschloch benommen haben, darf ich auch mal richtig fies sein.
Ich erlaube mir, alle „bösen“ Gedanken zuzulassen und meine Wut und meinen Ärger in der Phantasie ohne Tabu auszuleben. Meine aktuelle Therapiemethode ist es, „WUT-MACHT-MUT-GESCHICHTEN“ zu verfassen, in denen ich biblische Motive aufgreife und mit meinen Erlebnissen vermische; da tobe ich mich dann so richtig aus, merke, wie die Wutenergie in Kreativität umgewandelt wird, und dann bin ich ganz überrascht, was da so aus mir herausgepurzelt ist.
Von allen, die mich wieder einnorden wollen, bin ich aber zurzeit auf Maximalabstand und weiß nicht, ob sich das noch mal ändert. Ich denke aber, wer an die Hölle glaubt, lebt selber schon mit einem Bein darin. Und was ich so überhaupt nicht ertragen kann, ist, mich selbst belügen. Meiner Meinung nach ist das größte Problem in der Gemeinde, dass man Dinge, die nicht ins Bild passen, nicht wahrhaben will und weglügt. So kann man Probleme halt nicht lösen und es ändert sich nichts. Ich will aber meine Zeit und Energie lieber in produktivere Aktionen investieren. Es gibt ja auch noch viel Positives auf dieser Welt!
Das ist so wahr! Distanz ist wohl das Wichtigste, um gesund werden zu können. Ich erlebe, wie dann vieles immer mehr in Vergessenheit gerät und Neues an die Stelle tritt; der Glaube ist nicht mehr das alles Bestimmende, sondern bekommt seinen Platz im Leben. Wenn man aber dem Alten immer wieder begegnet, wird dieser Prozess sehr erschwert. Ich wünsch dir viel Mut und dass die Wut dir einen Weg in die Freiheit bahnt!
Wow! So eine Wut-macht-Mut-Geschichte würde ich ja gerne mal lesen!
Vor meiner Wut habe ich ja immer noch total Schiss…
Danke für deine Gedanken!
Hallo Britta,
wenn Du immer noch Interesse an den Geschichten hast, kannst Du ja Jay schreiben, dann gibt er Dir meine Mailadresse.
Malin
Danke!
Liebe Astrid,
Das Kranke ist doch: alle fühlen sich bei diesem rigiden Lebenskonzept auf schräge Art und Weise WOHL: Es muss weh tun, Glaube muss unbequem sein, Nachfolge muss was kosten…(Klar, bedingungslose Liebe kostet ALLES und in unserer Gesellschaft ist es unbequem und man wird meistens untergebuttert, wenn man nach dem Vorbild von Jesus lebt und handelt, aber so war das ja nie gemeint). Glaube ist nach diesem Denken ein System und nicht dazu da, dass er der Seele gut tut, sondern dass er einem zeigt wo der Hammer hängt und für das Seelenheil im Jenseits sorgt. Was er mit der Seele im Diesseits macht, ist völlig egal.
Ich kann nur für mich und die sprechen, die ich gut kenne: das, was einen antreibt, ist der Hang zum Perfektionismus und die Ängstlichkeit, die eh schon angelegt sind und die durch dieses Glaubenskonzept noch genährt werden. Und natürlich das urmenschliche Bedürfnis des Selber-Machen-Wollens. Selbst für das Heil verantwortlich zu sein, es im Griff zu haben, wann man in den Himmel kommt und wann nicht. Die urmenschliche Angst vor dem Tod in den Griff zu bekommen. Und letztlich: Gott im Griff zu haben.
Ich weiß, dass sich meine Eltern viele Gedanken über Erziehung gemacht haben und da sie in diesem Glaubenskonzept ihre „Rettung“ entdeckt hatten, mussten sie das natürlich auch uns weitergeben, mit allen Konsequenzen, die das für die Erziehung hatte. Sie hatten es tatsächlich „nur gut gemeint“ und wollten „alles richtig machen“. Aber es war auch für sie leichter so. Denn mit Strenge und Strafen scheint man effektiver zu erziehen als mit Verständnis und Aushalten und immer wieder nur Lieben. Ich bin oft so wütend und traurig. Und Konfrontation bringt nichts. Und dann wieder denke ich: auch mir werden meine Kinder später wahrscheinlich einmal erklären, was ich alles falsch gemacht habe, obwohl ich „es nur gut gemeint“ habe. Gefühlsspagat ist der richtige Ausdruck. Ich kann nicht anders als hoffen, dass Gott die Wunden mit der Zeit heilt…
Liebe Katja,
ich war zwar nicht angesprochen, aber es spricht mich trotzdem sehr an, was du schreibst. Genauso habe ich das auch empfunden und gelebt: Glaube muss weh tun, sonst ist was nicht richtig. Das ist wirklich total krank und widernatürlich. „Wohlfühlevangelium“ (ich hasse dieses Wort) war was für die Glaubensanfänger, für die Schwachen, auf die man herabschaut. Es drehte sich alles um „Gehorsam“, „Dienst“, „Zerbruch“, „Opfer“, „Zucht“, „Demut“ und „Hingabe“. Ein paar Teens auf einer Freizeit witzelten damals „Meine Demut ist mein ganzer Stolz.“ Sie hatten die Erwachsenen durchschaut. Leider habe ich das damals nicht verstanden. Du hast es hier umso besser auf den Punkt gebracht. Danke für die Ausführungen, das hilft mir bei der Bewusstwerdung.
Was die Eltern betrifft (da das Thema ja hier schon öfter anklang): Da kann ich aus eigener Erfahrung wohl nur teilweise mitreden, das nehme ich dankbar zur Kenntnis. Aber bei vielen anderen habe ich miterlebt, dass es erst der zweite Schritt sein kann, die eigenen Eltern als Opfer des Systems zu sehen. Zuerst ist es wichtig, dem eigenen inneren Kind (auch dem Kind, das man in der Vergangenheit gewesen ist) zuzugestehen, dass es wütend ist, dass es Vorwürfe machen will, dass es einfordern will. Denn Kinder können noch nicht die Komplexität der Welt wahrnehmen, mit der die Eltern es zu tun haben. Und das sollen sie auch nicht! Sie haben Bedürfnisse, sie dürfen fordern, und sie müssen noch nicht die Bedürfnisse ihrer Eltern wahrnehmen oder berücksichtigen. Man darf also die eigenen Eltern anklagen für ihre Versäumnisse und Fehler. Vielleicht MUSS man es auch tun. Wenn vielleicht auch nur für sich selbst, in den eigenen Gedanken – nicht immer ist eine Konfrontation sinnvoll (z. B. Wenn zu befürchten ist, dass die Reaktion die negativen Erfahrungen nur bestätigt oder gar vertieft). –
Erst wenn dieser Schritt getan ist, kann das innere Kind zur Ruhe kommen und dann ist der Weg frei für Überlegungen, wie die Umstände und äußeren Zwänge waren, vielleicht sogar für Mitgefühl mit den eigenen Eltern… Aber das kann dauern.
Das war mir wichtig noch zu ergänzen, denn viele von uns haben die Selbstkritik bis zum Äußersten eingeübt und tun sich schwer damit, anderen Vorwürfe zu machen – nicht zuletzt, weil es oft hieß „Du musst vergeben, sonst…!“ Und weil es letztlich eben doch schmerzt, die eigenen Eltern schonungslos mit ihren Schwächen und Fehlern zu sehen, auch wenn man auf sie wütend ist. 🙁
Was ihr schreibt, dass Glaube wehtun und so richtig schwer sein muss ist mehr als ein Gefühl. Das wird so ganz konkret gepredigt und ist teil der Theologie. Da wird dann gerne Tertulian zitiert: „Das Blut der Märtyrer ist der Same der Kirche“ oder von Open Door kommt der Satz „Glaube wächst an Widerstanden.“
Das Problem ist dann, wenn daraus die Position abgeleitet wird, das es „nur“ so geschieht. Nur wenn es schwer ist und wehtut, dann kommt man im Glauben voran.
Aber das ist so eine typische Halbwahrheit. Ja, durch Widerstände und Verfolgung ist die Kirche gewachsen. Durch Verfolgung wurden die ersten Christen ins Jerusalemer Umland vertrieben und die Gemeinde wuchs. Auch Paulus sieht die Widerstände, die er erlebte nicht als Nachteil, sondern als etwas wodurch das Evangelium gefördert wird. Und es gibt ja auch die stellen, die „Versuchung“ als Möglichkeit des Glaubenswachstums sehen. Aber es ist eben nicht „nur“ so. Um auf das Tertulian-Zitat zurückzukommen: das wird immer falsch zitiert. Er sagte „Das Blut der Märtyrer ist ein Same der Kirche“. Nicht „der“ sondern „ein“ . Er sah sehr wohl, das Glaube und Gemeinde nicht nur durch Leid, Kampf und Widerstände wächst. Und in der Tat war das auch so, die Gemeinde wuchs auch sehr stark in Zeiten des Friedens. Selbst heute ist Verfolgung nicht immer ein Grund des Wachstums, sondern eine Folge des Wachstums, weil Neid entsteht.
Aber in manchen Gemeinden wird dieses Bild, dass Glaube schwer und entbehrungsreich sein muss gerne aufrecht erhalten. Ich glaube aus zwei Gründen:
1. Die Gemeindearbeit läuft dann besser. So kriegst du die Leute dazu auch nach einer vollen Woche sich noch zu engagieren.
2. Ich glaube dadurch findet so eine „Selbstvergewisserung des Glaubens“ statt. Also wenn die Nachfolge schwer und mit Widerständen verbunden ist, weiß derjenige für sich, dass er auf dem richtigen Weg ist. Da schwingt dann Heb 12,6 mit: „Wen er liebt, den züchtigt er“ oder 2Tim 3,12: „Wer fromm leben will, wird Verfolgung erleiden.“ Oder das Jesuswort, dass man sein Kreuz auf sich nehmen soll. Wenn es also schwer wird im Leben kann man sagen: Gott liebt mich und ich bin doch so fromm. Also so eine Art umgekehrtes Wohlstandsevangelium.
Lieben Gruß Daniel
Danke, Daniel. Diese Erkenntnis war für mich sehr wichtig: Nein, ich habe das nicht alles irgendwie falsch verstanden, ich habe mir das nicht in meinem Kopf so zusammen gereimt. Sondern es wird so gepredigt und gelehrt!! Und darin steckt das ganze Unheil.
Das Problem an der ganzen Sache ist vor allem, dass das „Schwere“ am Glauben nicht nur „von außen“ kommt. Natürlich wird gesagt: Die in der Welt, die werden dich auslachen für deinen Glauben… Und der Teufel, der wird dich versuchen… Aber ganz schwierig wird es, wenn gesagt wird „Gott hat zugelassen, dass dir dies Unglück geschehen ist, er hat damit Gutes im Sinn“ oder „Eine Sünde reicht schon, dann bist du von Gott abgeschnitten, denn er kann Sünde nicht ertragen“ oder „er führt dich in den Zerbruch, damit du ein wertvolles Werkzeug für ihn wirst“. Diese Botschaften erzeugen große Angst und vergiften den Glauben tatsächlich. Und es ist natürlich ein noch wirksameres Mittel, die Leute bei der Stange zu halten; Angst kann ein mächtiger und wirksamer Antrieb im Leben sein.
Du hast es gut ausgedrückt: Es sind Halbwahrheiten, die aufgebraucht werden, bis sie am Ende den ganzen Glauben und entstellen. Sie sind viel schwerer zu entlarven als platte Lügen. Ich fürchte, deshalb ist der Weg raus aus einem solchen religiösen System auch so schwer.
Danke für die differenzierte Darstellung! Das hilft mir, das wieder ein Stück mehr auseinanderzudröseln. Und das mit dem „umgekehrten Wohlstandsevangelium“ sehe ich auch so.
Ich habe vor ca. 1 Jahr begonnen, mich intensiver mit Luther zu beschäftigen – zum Einen, weil ich bei dem Worthaus-Vortrag von Thorsten Dietz über Luthers Furcht immer wieder dachte: Der referiert hier MEINE Biographie! und zum Anderen, weil mir aufgefallen ist, dass gerade Evangelikale viel Luther-Schlagwörter benutzen und sich auf die Reformation berufen, aber inhaltlich meilenweit davon entfernt sind (und eher in die scholastische Werkgerechtigkeit zurückgefallen sind mit Selbstgeißelung und Himmel-Erkaufen usw.). Und mit Luther habe ich auch die Sache mit Gesetz&Evangelium erstmal ansatzweise verstanden. Und da bekommen für mich auch die Begriffe „Zucht“, „Kreuz auf sich nehmen“, „sich verleugnen“ usw. eine neue Bedeutung, nämlich die, dass das Gesetz dazu da ist, unser Ego zu töten, in dem Sinn, dass es wichtig ist, um uns zu zeigen, wie wir sind und wie wir eigentlich sein sollten und dass wir das niemals schaffen können – aber NICHT, um uns runterzuziehen, sondern um uns zu zeigen, dass GOTT es ist, der uns Veränderung aus freien Stücken schenkt, und nicht, dass wir daran immer arbeiten müssen – letztlich als notwendiges Pendant zum Evangelium. Ich verstehe auch die Kritik an einem „Wohlfühlevangelium“, bei dem gepredigt wird: „Wir sind eigentlich alle ok, klar machen wir Fehler, aber das ist halt menschlich und Jesus vergibt sowieso alles, also: bleib wie du bist, es ist alles paletti. Und Jesus ist ein tolles Vorbild und wenn du dich für die Armen einsetzt und für die Umwelt, dann bist du ein guter Mensch.“ Ich kann die nachvollziehen, dass man dazu kritisch sagt: Gott wird da irrelevant und Veränderung des Herzens unnötig. Ich glaube nur, das die „Frommen“ daraus falsche Schlüsse gezogen haben und jetzt grundsätzlich gegen alles sind, bei dem Menschen sagen: das tut mir am Glauben gut, das ist Balsam für meine Seele. Ich denke, man muss da auch ganz fein differenzieren und genau hingucken, was mit welchen Begriffen gemeint ist. Mir ist zB bei meiner Gottesbildveränderung aufgefallen, dass ich die gleichen Begriffe verwende, aber dass sie für mich ganz andere Bedeutung haben. Zum Beispiel die Begriffe, die mARi aufgezählt hat: „Gehorsam“, „Dienst“, „Zerbruch“, „Opfer“, „Zucht“, „Demut“ und „Hingabe“. Da gibt es für mich eine klare früher-heute-Veränderung:
Gehorsam früher: unbedingtes Abnicken, Strammstehen vor einem militärisch-diktatorischen Gott; heute: Ge-hor-chen, also mir Zeit nehmen zum Hin-hören auf Gott, den Liebenden.
Dienst früher: ich muss viel für Gottes Reich arbeiten, in der Gemeinde mitarbeiten, Gott dienen, damit er mir gut ist; heute: zuallererst einmal ist Gott gekommen, um MIR zu dienen; Gottesdienst ist Gottes Dienst an MIR; und das ist überhaupt erstmal die Grundlage dafür, dass ich auch Freude daran habe, anderen zu dienen/helfen/sie mit zu tragen…
Zerbruch früher: Gott schlägt mit Leid so lange auf mich ein, bis ich wimmernd seine Heiligkeit anerkenne; heute: Ja, Leid führt mich dazu dass ich „in die Erde falle und sterbe“, und daraus entsteht neue Frucht; aber es ist ein heilsames In-die-Erde-Fallen, auch wenn es furchtbar wehtut – weil es schmerzhaft ist, die Erfahrung zu machen, nichts bringen zu können, nichts schaffen zu können und loslassen zu müssen, die Kontrolle zu verlieren, wo man so gerne Macher sein würde. Aber nur so kann ich eine ganz Empfangende werden, eine, die weiß, dass Gottes Gnade ausreicht und seine Kraft in meiner Schwachheit zum Ziel kommt. Und nur so kann ich verstehen, was es bedeutet, dass er zu den Kranken gekommen ist und nicht zu den Gesunden.
Opfer früher: alles aufgeben, was mir Spaß macht, möglichst nicht so sein wie „die Welt“; schlechtes Gewissen, wenn man mal nichts „opfert“; heute: ich verzichte auf mein Ego aus Liebe zu einem anderen (und zwar nicht, weil ich es MUSS, sondern weil ich es möchte)
Zucht früher: Schmerzen, Leid, was Gott mir absichtlich widerfahren lässt, um mich zu bändigen; heute: schmerzhaftes Erkennen, was alles an Lieblosigkeit in mir herumwabert und mich bei Gott bergen und wieder mit Gottes Liebe füllen lassen wollen
Demut früher: alles so hinnehmen, vor anderen Menschen kuschen, alles schlucken, was einem vorgegeben ist, sich immer im Hintergrund halten; heute: das Gewahrwerden meiner eigenen Unzuänglichkeit im Angesicht Gottes, meiner bruchstückhaften Erkenntnis und ins Staunen geraten über Gottes Wesen/Handeln
Hingabe früher: alles was ich mache, muss möglichst einen frommen Background haben, ich muss ganz viel in der Gemeinde mitarbeiten und bei jedem Gespräch ein frommes Thema anschneiden; heute: ich kann nicht anders, als mich Gott hin-geben, loslassen, vertrauen
Hoffe, das war jetzt nicht zu fromm alles 😉
Nein, gar nicht. Im Gegenteil, dass war sehr hilfreich. Danke für deine Ausformulierungen dieser oft so toxisch vergällten Begriffe. So ähnlich würde ich es auch ausdrücken – hätte das aber nicht so gut auf den Punkt bringen können. Ich kopiere mir das gleich mal, ja? 🙂
LG und gesegnete Ostertage,
der Jay
*ich meinte: die aufgebauscht werden, bis sie am Ende den Glauben entstellen.
Wow, danke, Katja! Wirklich großartig!
Ich versuche auch, die alten vergifteten Begriffe neu zu füllen. Du hast mir gerade dabei geholfen! 🙂
@Jay
Freut mich 🙂
Zu der Zucht und dem Leid muss ich aber noch sagen, dass damit NICHT das Leid gemeint ist, was Menschen anderen antun!! Also nicht in der Art: Gott benutzt andere Menschen, um uns zu züchtigen (und das sind dann zB die Eltern, die einen schlagen. Oder noch schlimmer: Gott hat deine Vergewaltigung benutzt, um dich Vergebung zu lehren – das finde ich widerlich…). Und ich würde das auch nicht zu Slumbewohnern sagen, die durch einen Tsunami auch noch das Wenige verloren haben, was sie hatten und bei denen die Cholera umgeht…Meine Worte waren von meinem eigenen Erleben von körperlichen Einschränkungen/Krankheiten und anderen nicht von Menschen gemachten „Widerfahrnissen“ geprägt. Und es gibt da auch kein „Patentrezept“, was das Erleben und den Umgang mit Leid und das „Lernen daraus“ angeht.
Ebenfalls gesegnetes Ostern! Ich freu mich schon riesig auf den Thomas-Breuer-Talk (ich hab ihn auch als sympathischen, offenen Menschen kennengelernt, der geduldig auf Anfragen reagiert – zumindest auf freundliche 😉 )
Hallo, möchte euch von Emilia meiner Kollegin erzählen.
Sie kommt aus dem Osten Europas und ist eine orthodoxe Christin. Als ich so richtig fertig war, weil ich nicht mehr an Gott glauben konnte und dadurch tief abgestürzt bin, habe ich sie gefragt, wie das mit ihr und ihrem Glauben sei. Eines ist mir eindrucksvoll hängen geblieben. Sie sagte, dass Jesus zusammengebrochen sei unter der Last seines Kreuzes und den vorangegangenen Misshandlungen. Dann kam Simon von K., er hat das Kreuz ein Stück für Jesus mitgetragen. Dann schlug sie den Bogen zu sich und sagte, dass das ihr Leben ausmachen würde als Nachfolgerin Jesu: Das Kreuz/die Lasten der anderen Menschen ein Stück mitzutragen um das Leben einander ein klein wenig leichter zu machen.
Warum erzähle ich das hier! Ihr, die ihr hier ein Stück eures Lebens- und Glaubensweges teilt seid solche Lastenträger für mich. Angefangen mit euch, Jay und Gofi. Mein Kreuz ist zu schwer geworden, ich bin zusammengebrochen.
Die Mitgeschwister / Gemeindechristen dreschen auf mich ein und legen immer noch eine oben drauf (gerade erreichte mich eine wohlgemeinte, entsetzliche Mail eines „Glaubensbruders“ und „Christenfreundes“, der genau weiß, was meine Fehler sind und wie ich bin und zu sein habe – ganz ehrlich, so eine schlimme Mail habe ich nie zuvor in meinem Leben erhalten!).
Gut, dass wir hier gemeinsam auf dem Weg sind.
Malins neuen 10. Gebote hängen jetzt vor mir am Schreibtisch, werden den Weg in meinen Filo finden und mir helfen wieder runterzukommen ins echte ursprüngliche Leben zurück.
Jesus ist doch der, der immer von Fülle und Freiheit gesprochen hat.
Seine Christen-Kinder, haben mir das geraubt.
Es ist an der Zeit, mir all das zurückzuholen.
astrid
Liebe Astrid,
Chapeau. Danke für deine Worte, deinen Mut und dein Dennoch! Dein Post berührt mich sehr.
Ein Stück Auferstehung.
LG,
Der Jay
Liebe Astrid,
es ist gut, zu wissen, dass man nicht allein diesen Weg gehen muss! Wenn Du möchtest, kannst Du Jay oder Gofi nach meiner E-mail-Adresse fragen und wir können uns privat connecten. Ich habe mittlerweile eine ganze Sammlung mit Mails, in denen ich bezichtigt werde, mich über Gott stellen zu wollen, dass mein Verhalten nicht gerade von Nächstenliebe zeuge und es wird mir auch immer wieder angedroht, dass etwas „Ernstes“ passieren könnte, dass ich dann bereuen müsste, gespickt mit Bibelversen oder Liedtexten. Und am Ende versichern sie mir dann, wie lieb sie mich haben…
Und wenn ich in verzweifelten Momenten in mich hineinhorche, dann steigt der Satz auf: „Ich habe Angst, dass etwas Schlimmes passiert und ich bin Schuld!“ Wo das wohl herkommt?
Ich habe vor kurzem noch etwas identifiziert, dass viel zu meinen Problemen beigetragen hat, und zwar sind das die Bücher, die ich als Kind gelesen habe. Zwei, von denen ich sehr beeinflusst worden bin, habe ich letztens „ausgegraben“ und durchgelesen und mir standen wirklich die Haare zu Berge. Das eine heißt „Die Leuchtraketchen“ von Hildegard Krug, es handelt von zwei Schwestern im Grundschulalter, die in der „Kinderstunde“ ein Lied über das „Leuchten für Jesus“ gelernt haben und ihren Vater dann fragen, was mit „Leuchten“ gemeint sei. Und der Vater antwortet sinngemäß, dass man nichts besonderes tun müssen, nur treu sein in kleinen Dingen, Pflichten in Schule und daheim erfüllen, gehorsam, lieb und freundlich sein, mehr nicht. Und wenn der Heiland in unserem Inneren sei, dann müsse es aus uns herausleuchten, wir müssten aber aufpassen, dass nichts Böses dazwischenkomme und unser Licht verdunkele. Als ich das wieder gelesen habe, war mir sofort klar, wie diese Idee, wie Gott mich haben will, in mein Kinderherz gepflanzt wurde! Also, immer gehorsam, lieb und freundlich, welcher Erwachsene schafft das schon? Und wenn man es nicht schafft, tja, dann hat man halt zugelassen, dass etwas Böses ins Herz eingezogen ist und der „liebe Heiland“ ausgezogen! Ich habe mir die Sachen ja immer ganz bildlich vorgestellt… Auch mit dem Teufel im Löwenkostem, der an jeder Ecke auf mich lauert. Ein anderes grottiges Buch heißt „Brigitte und die Wunderkiste“ und vermittelt übelste Bilder, wie Mädchen und Jungen zu sein haben; die Kinder werden dauernd mit Spottnamen belegt (von den anderen, aber auch von Eltern und Lehrern): Bangehäschen, Angsthase, Trotzköpfchen usw. Der größte Hohn für mich: Im Klappentext steht: Telos-Bücher könne man unbedenklich weitergeben, sie wurden verantwortlich augewählt. Klar muss man sie auch in die Zeit einordnen und vor allem das Alter und die Sozialisation der Autorinnen berücksichtigen, trotzdem finde ich das unverantwortlich.
Mich würde interessieren, kennt jemand von Euch die Bücher? Und was habt Ihr so gelesen? Wir hatten viele von Brockhaus, die liegen aber noch auf dem Dachboden meiner Eltern; den Wildenwald und die Schneespuren habe ich hier noch liegen, aber ich musste erst mal wieder eine Pause einlegen… Es gab aber auch eine ziemlich coole Reihe: Hella in der Schlangenhütte, das war sozusagen unsere „christliche“ Pippi Langstrumpf.
Wie auch immer, seid ich (zumindest meistens) meine Angst losgeworden bin, dass mein tiefstes „Ich“ in mir drin abgrundtief böse ist, und ich alle Gefühle zulassen, anschauen und wertschätzen darf und sie als Hinweise betrachte, geht es mir viel besser. Ja, ich erlaube mir auch die „bösen“ Gefühle, wie neidisch sein (jemand hat etwas, was ich auch haben möchte, kann ich es mir vielleicht auch irgendwie beschaffen?), gehässig (hat dieser Mensch mich vielleicht verletzt und ich bin sauer?), rachsüchtig, gierig (was fehlt mir überhaupt?) usw., geht es mir viel besser. Und ich kann es auch viel besser ertragen, wenn andere Menschen sich schwierig für mich verhalten. Ich darf mich ja jetzt auch wehren und mich selbst beschützen!
Katja: Super, Deine Gegenüberstellung der Bedeutung von Begriffen von früher und heute!
Liebe Malin,
diese beiden Bücher kenne ich nicht, aber ein anderes von Hildegard Krug. Und Patricia St. John hatten wir natürlich auch. Vor ein paar Jahren ist mir auch mal aufgefallen, dass es im gesamten Haushalt (neben Büchern aus Schule und Studium) fast nur Bücher aus denselben Verlagen gab (also CV, CLV, Brockhaus, Gerth Medien… Sonst maximal noch Hänssler und Brunnen). Wie soll man es dann schaffen, seinen Horizont zu erweitern?! Auch unsere Kinderbücher waren fast alle aus diesen Verlagen. Also egal, ob Abenteuerroman oder Pferdebuch, es gab immer das gewohnte Setting mit Glaube und Kirche, Gebet usw. (Ich hab zum Beispiel als Kind gern Die 5 Geschwister gelesen. Die haben dann vor jedem Abenteuer erst mal zusammen gebetet. Fand ich damals total normal.) Das muss nicht in jedem Fall so schlimm sein wie die von dir genannten Bücher, aber eine Welt ohne den strengen Glauben der Eltern kommt einem quasi nie unter! Das find ich schon krass. (Und auch sonst gab es ja alles in christlich: Spiele (uljö), Hörspiele, Kalender, Zeitschriften…)
Aber da noch mal rein zu lesen, hab ich mich bisher nicht getraut… Mich hat es schon genug gegruselt, meine alten Tagebücher zu lesen. 🙁
Zu den Gefühlen: Ich musste auch in langer Seelsorgearbeit lernen, mit meinen Gefühlen umzugehen. Ich hatte sozusagen verlernt, normale Gefühlsreaktionen zuzulassen. Wenn mich beispielsweise etwas wütend gemacht hat, habe ich stattdessen Scham gefühlt (weil man nicht wütend sein durfte). Ich konnte anfangs nicht mal benennen, was ich in gewissen vergangenen Situationen gefühlt habe. Und wenn ich versucht habe, Gefühle zu beschreiben, habe ich stattdessen die Gefühle bewertet. Gefühle wurden mir generell als etwas Negatives vermittelt. Es wurde immer davor gewarnt, sich von Gefühlen leiten zu lassen, das schien so mit das Gefährlichste zu sein, was man machen konnte (daher waren auch die Pfingstler alle böse, hehe). Das kommt mir also alles sehr bekannt vor, Malin…
Bei mir 1:1 dasselbe wie bei mARi. Auch im Bereich Musik. Und auch bei den Gefühlen haargenau so. Ausnahme: Freude und Dankbarkeit – freuen musste man sich IMMER und danken. Loben statt Klagen war die Devise. Da mag was Wahres dran sein (mARi hat das mit den Halbwahrheiten treffend geschrieben), aber sowas sagt man einfach keiner kranken Teenie/jungen Frau, der nach und nach die Hobbies und Berufsperspektiven wegbrechen. Und dann auch noch die frommen Freundinnen, weil sie „zu viel jammert und sich mit ihren Wehwehchen in den Vordergrund drängt – es gibt schließlich Leute, die Hunger leiden oder im Bürgerkrieg leben“. Aaaaah.
Schön, dass euch meine früher-heute Liste taugt! Sie kann gern erweitert werden.
Zwei hab ich noch: „Buße“ und „Sünde“ (an „Sünde“ arbeite ich noch)
Buße früher: ständig am Beichtspiegel prüfen, wo man noch sündigt und falsch ist, skrupulöse Fehlersuche, permanentes Anerkennen der eigenen Schlechtigkeit; Buße als Voraussetzung dafür, dass Gott mir vergeben kann und mich wieder liebhat (theologisch wahrscheinlich auf der Grundlage der Taufe Jesu, bei der Gott auch erst „Wohlgefallen“ an seinem lieben Sohn hat, nachdem er die Bußtaufe vollzogen hat); heute: Buße mit dem griechischen Begriff metánoia neu verstanden als Änderung der Weltsicht, der Lebensauffassung, der Gedanken über mich, Gott und meine Umwelt, einfach: das Um-Denken, Neuausrichten, Offenheit für eine neue Sicht, die Gott mir schenkt (hier hat mir sehr der movecast „Jesus verlieren und wieder finden“ geholfen: https://movecast.podbean.com/e/mc-43-jesus-verlieren-und-wieder-finden/); Gottes Vergebung/Liebe ist dabei die Voraussetzung und nicht die Folge
Sünde früher: hauptsächlich moralisch konnotiert, schlechte Taten, selbstverschuldeter Bruch zwischen mir und Gott; heute: Sünde als Zustand, in dem meine Beziehungen Gott/Mitgeschöpfen/Selbst in einer Schieflage sind, in den ich irgendwie verstrickt bin und nicht herauskomme, Sünde als die Abwesenheit von Liebe (Lieb-los-igkeit), woraus sich dann natürlich auch Taten ergeben, Sünde auch als hamartía, als am-Ziel/an-meiner-Bestimmung-Vorbeileben
Eure positiven Rückmeldungen auf meine Begriffsliste haben mich inspiriert, sie weiterzuschreiben. Hier noch „Bestimmung/Berufung“ und „Wahrheit“
Bestimmung/Berufung: früher: Gott hat einen Plan für mein Leben; zuallererst, dass ich so werde, dass ich in den Himmel komme/passe. Und da muss sehr viel dran arbeiten, weil ich so verkehrt bin. Und dann gibt es noch den Plan für DEN einen Mann, DEN einen Beruf, DIE richtige Wohnung… – und das muss ich alles finden, sonst hab ich Gottes Plan verpasst und alles geht schief; heute: meine alleroberste Bestimmung/Berufung ist Kind sein. Und zwar Gottes Kind. Und die zweite Bestimmung: eine Gerettete sein. Das heißt: mich lieben und beschenken lassen (lernen); mir Hilfe suchen bei Gott, ihm mich anvertrauen (lernen); und dann: leben demgemäß, was er in mir angelegt hat an Fähigkeiten, Interessen, Talenten; dem nachspüren, was mich erfüllt, mir Freude macht, mich ins Herz trifft, wo ich „ganz bei mir“ bin und das dann auch an andere weitergeben
„Wahrheit“ früher: es gibt eine absolute Wahrheit, und zwar die Wahrheit über Gott, die meine Gemeinde lehrt (oder in größerem Rahmen: die Evangelikalen); Jesus ist die Wahrheit und weil wir Jesus haben, haben wir auch die Wahrheit; die Wahrheit der biblischen Texte zeigt sich in deren historischer/naturwissenschaftlicher Korrektheit; heute: wahr ist das, was sich an Glaubensinhalten im Leben bewahrheitet, was trägt, auch in schweren Zeiten; es gibt eine „Grundwahrheit“ in der Bibel, die in Jesus Person geworden ist und an der sich alle anderen Aussagen der Bibel (und der PredigerInnen) messen lassen müssen: Gottes bedingungslose Liebe und Gnade, Gottes Ja zur Welt, seine Vergebung. Wahrheiten sollten immer darauf hin geprüft werden, welche Auswirkungen sie haben auf meinen Charakter und meine Beziehungen, ob sie gottesbeziehungstauglich sind und sowohl erlebbar als auch lebbar – oder ob es reine „Systemaussagen“ sind à la „Das ist so und nicht anders. Und das hast du unhinterfragt zu glauben.“
Sehr inspirierend, Katja. Danke!
Hätte ja auch Lust, dich mal privat anzuschreiben… Hast du auch die Hossa-App?
Gern. Du kannst Jay&Gofi nach meiner Adresse fragen.
🙂
hab gerade ein sehr schönes Zitat gelesen als Definition von Wahrheit: „Wahrheit ist eher unter den Trümmern des Lebens zu bergen als in der Geste des Triumphes derer, die sich durchgesetzt haben“
Ich komme ja aus keinem evangelikalen Elternhaus, von daher bin ich mit Jim Knopf, Räuber Hotzenplotz, der Kleinen Hexe usw. aufgewachsen. Aber als wir Eltern wurden haben wir aus der Gemeinde auch Kinderbücher geschenkt bekommen, die wir gleich entsorgt haben. Da wurde oftmals die Liebe Gottes mit einen bestimmten Verhalten gekoppelt. Das ist nicht bei allen Büchern so gewesen, aber es kam schon mal vor. Ich kenne sogar eine Gemeinde, die ihre eigenen Kinderbücher erstellt, damit auf den Bildern die Mädchen auch immer einen Rock anhaben. Das sagt schon ´ne Menge aus.
Ich selber gucke am meisten beim Gütersloher Verlagshaus, Neukichner und Brendow. Ich weiß noch, dass damals in meiner Landeskirche Adrian Plass Pflichtlektüre war. Der kam gleich nach der Bibel,…naja, manchmal auch noch vor der Bibel :-). Als ich dann Freikirchen kennen lernte war eine Sache, die mich erstaunte, dass Adrian Plass zum Teil total unbekannt war. Auch das hat mir eine Menge deutlich gemacht.
Lieben Gruß
Daniel
Liebe Katja,
da ich Ostern keine Zeit mehr gefunden habe, über die Opferrolle und Vergebung zu schreiben, hole ich dies nun nach. Ich verstehe nämlich nicht, warum es für dich wichtig ist, anzuerkennen, dass du „Opfer“ warst. Wenn du damit die Annahme der damaligen Situation und der Emotionen meinst, dann ist dies natürlich, wie bereits erwähnt, wichtig, um loslassen zu können. Mit dem negativen Begriff Opfer machst du dich aber klein und gering, was du natürlich nicht bist. Ich würde da lieber die Position eines „schöpferischen Titans“ einnehmen, obwohl ich den von dir zitierten Begriff auch etwas too much finde. Aber es geht doch um die Frage, ob ich passiv meine nicht erfüllten Bedürfnisse beklage oder aktiv in meinem aktuellen Einflussbereich Veränderungen gestalte. Glücklich macht nur die 2. Variante. Die eigene schöpferische Kraft wird m.E. erst richtig deutlich, wenn man das Selbst spirituell betrachtet. Ich meine die eigene Seele bzw. andere nennen es den göttlichen Kern, die Essenz oder einfach nur das Sein. Wie Eckhart Tolle, einer der größten spirituellen Lehrer unserer Zeit, so schön darstellt, ist der Zugang zur tieferen Dimension des Seins nur jenseits des Denkens möglich. Natürlich ist es besonders schwer aus der Opferrolle herauszukommen, wenn das erfahrene Leid sehr groß war.
Zu dem in diesem Zusammenhang so wichtigen Thema Vergebung würde ich abschließend noch gerne direkt aus Kapitel 6 des Buches „Jetzt! Die Kraft der Gegenwart“ von Tolle zitieren, da ich dies mit eigenen Worten nicht so schön formulieren könnte: „Vergebung bedeutet auf Groll zu verzichten und so das Leid loszulassen. Das geschieht ganz natürlich, sobald du erkennst, dass dein Groll keine andere Absicht verfolgt, als dein falsches Selbstgefühl zu stärken. Vergebung bedeutet dem Leben keinen Widerstand zu bieten – dem Leben zu erlauben durch dich zu leben. (…) In dem Moment, wo du wirklich vergibst, hast du deine Kraft vom Verstand zurückgefordert. (…) Du wirst gegenwärtig, du trittst in deinen Körper ein, du fühlst den lebendigen Frieden und die Stille, die vom Sein ausgehen. Darum hat Jesus gesagt: ,Bevor du in den Tempel eintrittst, vergib.‘“
Lieber Daniel,
danke für deine Antwort.
Mit „anerkennen, dass ich Opfer wurde“ meinte ich das Bewusstmachen, dass ich dafür, was mir passiert ist, keine Verantwortung trage (also für meine Erziehung, meine religiöse Sozialisation) – das hilft mir, weil ich dann aus dem Denken herauskomme, dass ich irgendwie doch daran Schuld habe, dass ich so geglaubt habe/ so ein Gottesbild entwickelt habe (zB deshalb, weil ich aufgrund meines Charakters bestimmte Sätze auf bestimmte Art und Weise gehört habe oder alles so ernst genommen hatte etc.).
In Sachen Vergebung hat mir zum Einen das Bild geholfen, dass die Schuld ALLER Menschen bereits vergeben IST und dass ich nur mich selbst belaste, wenn ich sie anderen nachtrage (im wahrsten Sinne des Wortes). Und zum Anderen die Tatsache, dass wir als Menschen per se Fehler machen, weil wir unvollkommen sind – und dass sich unsere Fehler auch auf unser Umfeld auswirken, mehr oder weniger sichtbar. Ich finde es aber auch sehr wichtig, mir ausreichend Zeit zur Trauer über Verletzungen und Verluste zu nehmen und das nicht einfach wegzuschieben und „Vergebung“ draufzukleben – eben weil ich Dinge nur loslassen kann, wenn ich sie erst einmal wahrgenommen und zugelassen habe.
Sehr gut gesagt, Katja. Genauso empfinde ich auch.
Ich betätige mich gerade im kreativen Verarbeiten meiner Miseren und hier ist ein kleines Ergebnis:
Das Märchen vom bösen Gott
Es war einmal ein Vater, der als Kind immer schlecht behandelt worden war und sich deshalb eine Hornhaut auf seiner Seele zugezogen hatte. Als er zwei Töchter bekam, wollte er gern, dass die beiden immer brav waren, damit er nicht so viel Ärger mit ihnen habe. Also erzählte er ihnen abends die Geschichte vom bösen Gott der Liebe. Und diese Geschichte ging so:
„Es war einmal ein böser Gott der Liebe, der war allmächtig und allwissend und allgerecht und allgütig und hatte tierisch Langeweile. Also schuf er sich ein paar Engel, die immer machen mussten, was er wollte. Weil ihn das nicht befriedigte, dachte er sich etwas Neues aus und machte Himmel und Erde. Irgendwie, niemand weiß, wie das passieren konnte, wurde jetzt aber doch der Oberengel aufmüpfig und von dem bösen Gott der Liebe auf die Erde verbannt, so dass sie wüst und leer wurde. Das machte dem allmächtigen Gott aber nichts aus, denn er konnte ja alles wieder neu und wunderbar ordnen. Am Ende war die Erde wunderschön, es gab Pflanzen und Tiere und einen prächtigen Garten, in denen die beiden ersten Menschen Adam und Eva total vergnügt herumhüpften. Perfiderweise hatte Gott aber in der Mitte des Gartens den Baum der Erkenntnis gepflanzt. Eines Tages sagte Gott zu den beiden, dass sie von diesem Baum nix essen dürften und ließ die beiden allein. Schon kam der aufmüpfige Erzengel in Form einer Schlange angekrochen und verführte die beiden. Und weil sie so naiv waren, fielen sie auch darauf herein, was dann die bekannten Folgen für die ganze Menschheit nach sich zog. Nur wer immer schön brav ist und macht, was sein Vater sagt, darf am Ende zu dem bösen Gott der Liebe in den Himmel und ihn ewig lobpreisen, wer aber aufmüpfig ist und sich nicht an alle Gemeinderegeln hält, der wird nach dem Tod vom Oberengel in der Hölle ohne Ende gefoltert.“
Die kleine Tochter fand diese Geschichte von Anfang an unlogisch und ungerecht. Immer wieder fragte sie den Vater, ob sie auch wirklich wahr sei und grübelte Tag und Nacht darüber nach. Irgendwie konnte sie nicht glauben, dass ein allwissender, allmächtiger, allgütiger und allgerechter Gott der Liebe so gemein sein sollte, sie ewig in der Hölle braten zu lassen, nur weil sie etwas falsch gemacht hatte, aber sie hatte auch tierisch Angst davor, genau dort zu landen.
Eines Tages beging sie die größte-Sünde-ever: Sex ohne Ehe und wurde schwanger. Als aber selbst der eigene Vater Gnade vor Recht ergehen ließ und ihr keinen einzigen Vorwurf machte, da kapierte sie endlich, dass ihr Vater dieses Märchen nur erfunden hatte, weil er selbst seine Hornhaut auf der Seele nicht hatte loswerden können. Sogleich verbannte sie den Gedanken an die Hölle aus ihrer eigenen Seele und der Weg zu einem guten, allmächtigen, allwissenden, allgütigen und allgerechten Gott der Liebe tat sich in seiner ganzen Weite vor ihr auf. Und weil sie noch nicht gestorben ist, so freut sie sich heute und jeden Tag darauf, dass dieser gute Gott der Liebe ihr in der Ewigkeit endlich erklären wird, warum es das Leid und das Böse auf dieser Erde gegeben hat.
Danke!
Lieber Jay, lieber Gofi,
vielen Dank für eure Arbeit und auch diese spannende Folge, die mir viel Stoff zum Nachdenken geliefert hat. Mich betrifft sie – Gott sei Dank! – nicht im selben Sinne persönlich wie einige meine Vorrednerinnen und Vorredner. Ich habe in meiner Kindheit dank meiner Mutter einen liebenden und freimachenden Gott kennen gelernt. „Gift“ ist in meinen Glauben erst viel später durch Kontakt zu anderen Christen eingedrungen, denen Gott ganz anders vermittelt wurde als mir, und ich kämpfe momentan massiv damit, mich wieder davon freizumachen. Ich kann euch insofern nur aus vollstem Herzen zustimmen, dass es für ein zwanghaft veranlagtes Kind (wie ich es war und leider als Erwachsene immer noch bin) geradezu schädlich sein kann, in einer gesetzlichen Gemeinde aufzuwachsen.
ich komme mit meinem Kommentar etwas spät, wollte aber dennoch einen Gedanken loswerden, der mir beim Hören gekommen ist. Wie Gofi habe ich auch so meine Probleme mit der in Stelle Johannes 15 „Wenn ihr meine Gebote haltet, bleibt ihr in meiner Liebe…“ gehabt. Toll, Gott liebt mich – aber nur, wenn ich seine Gebote halte. Und wenn ich das nicht schaffe? Und was denn bitte genau für Gebote?
Ich glaube mittlerweile, der Schlüssel zu der Stelle liegt in Vers 12, wo Jesus klarstellt, was er mit Gebote halten meint: „Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe.“ Kein anders bzw. höheres Gebot hat uns Gott gegeben.
Und das nimmt zumindest mir die Last dieser Verse von den Schultern. Wenn Gott alle Menschen und auch mich erschaffen hat und liebt und sich selbst als Mensch offenbart hat – natürlich bleibe ich dann nur in seiner Liebe, wenn ich anderen Menschen in Liebe begegne. Sonst wäre das doch Heuchelei, oder? Quasi ausgelegt wird das Ganze für mich dann im 1. Johannesbrief ab Kapitel 4 Vers 7. Denn da steht u.a. (Vers 19): „Wir wollen lieben, weil er uns zuerst geliebt hat. 20 Wenn jemand sagt: »Ich liebe Gott«, aber seinen Bruder hasst, dann ist er ein Lügner; denn wer die Menschen nicht liebt, die er doch sieht, wie kann er da Gott lieben, den er nie gesehen hat?“ Da findet sich übrigens auch der schöne Vers den ihr (glaube ich) doch auch im Talk erwähnt: „Die Liebe kennt keine Angst“.
Das sind natürlich nur meine Gedanken, aber wie gesagt: Mir hat das im Umgang mit dieser Stelle erleichtert, mit der ich auch lange gehadert habe.
Generell ist mir zur Thematik dieses Talks übrigens noch das Buch von Ulrich Giesekus eingefallen: „Glaub dich nicht krank“. Er schreibt darin, wie ich finde, super verständlich und fundiert, warum Glaube eigentlich psychologisch gut tut und stark macht, warum manche falsch verstandenen Glaubenssätze aber krank machen können – und auch warum sie eben falsch sind.
Noch mal danke an euch und liebe Grüße
Jasmin
Hier einige Bücher zum Thema, die ich empfehlen möchte:
Heiko Rohrbach: Befreiung von biblischen Alpträumen, Wider Sintflut und Höllenangst
Lorenz Zellner: Gottestherapie, Befreiung von dunklen Gottesbildern
Karl Frielingsdorf: Dämonische Gottesbilder, ihre Entstehung, Entlarvung und Überwindung
Aus aktuellem Anlass habe ich diese Folge nochmal gehört. Danke!!
3 Fragen/Gedanken kamen mir dabei (z.T. wiedermal).
1. Zu eurer Aussage, dass es schwierig genug ist, Kinder möglichst angstfrei zu erziehen und man ihnen bitte die unsichtbare, spekulative Welt ersparen sollte, wurde mir bewusst, dass es für Kinder ja sowieso ganz viel „Okkultes“= Verborgenes, Un-Vorstellbares gibt!
Allein die möglichen Konsequenzen beim Straßeüberqueren sind für ein Kind völlig unvorstellbar – es hat nur das gefühlt „gute“, „lebendigmachende“ Ziel Spielplatz o.ä. auf der anderen Seite vor Augen, den es schon kennengelernt hat!
Auch Zeit ist etwas total Okkultes, nicht Greifbares, im Dunkeln liegendes für ein Kleinkind!
Was das letztlich bedeutet, hab ich noch nicht überlegt 😉, fiel mir einfach nur auf.
2. Dem Vater im Gleichnis vom verlorenen Sohn ist eine Bedingung für seine totale, umarmende Vater-Liebe völlig fremd. Sie ist aus seiner Sicht sogar völlig logisch und notwendig, weil sein Sohn ja durch die Verlorenheit und den (Hunger)Tod durchmusste, vor dem er ihn nicht bewahrt hat/bewahren konnte, wollte, durfte(?)… Sein Vaterherz hat aber offenbar die ganze Zeit (mit)gelitten!
D.h. aber auch: es gab durchaus Konsequenzen für den Sohn auf seiner Reise! Allerdings nicht diesseits des Vaterhauses (die Konsequenz, die das brav daheim Bleiben mit sich bringen kann, sieht man eher beim älteren Sohn…), sondern „ jenseits“ in dem „fernen Land“, am Ende seiner finanziellen Ressourcen bzw. seiner Lebenskraft.
Sogar Jesus hat im Grunde diese Konsequenz „durchlebt“ (oder/und durchstorben)…
Ach doch! Es gibt eine Konsequenz für den zurückgekehrten Sohn! Er findet eine Liebe, die er vor seiner Reise nicht erlebt oder zumindest nicht wirklich verstanden hat (und sein Bruder offensichtlich auch immer noch nicht schnallt)! Und die könnte unglaublich lebensverändernd für ihn sein!!
UND er kommt mit einem Erfahrungs-SCHATZ im Gepäck nach Hause – was DAS wohl in der weiteren Geschichte, die Jesus uns nicht verrät (wie okkult! 😅), für Konsequenzen haben könnte?!!
3. Bei solchen Gesprächen über „den Glauben“ kommt mir immer wieder die Frage, was „Der Glaube“ denn nun eigentlich wirklich ist! Wie definiert ihn das Wörterbuch/Lexikon, wie die „fromme Welt“? Wir Christen scheinen den Begriff besonders für uns gepachtet zu haben! Wie hat/hätte Jesus ihn eigentlich definiert?
Haben wir unseren „Glauben“ vielleicht zu einem Götzen gemacht?
Ich persönlich halte vieles, was als Glauben bezeichnet wird für etwas ganz anderes, nämlich etwas Erlerntes, im schlimmsten Fall Aufgezwungenes; etwas dass man für wahrhalten muss. Es könnte “einfach nur” ein Irrtum sein (m.E. möglicherweise sogar das, was die Bibel – zumindest auch – unter Sünde* verstehen könnte) , der etliche unglückliche (böse) Konsequenzen im Leben dieses Menschen bewirken kann – u.a. Unbarmherzigkeit, Überheblichkeit, Burnout, Verzweiflung,… Frage wäre dann: Wann können wir eigentlich anfangen “wirklich” zu glauben? Die arme kanaanäische Mutter der besessenen Tochter scheint diesen Glauben in den Augen Jesu ja gefunden zu haben…!
*… mit der Bedeutung des Wortes Sünde bin ich ehrlich gesagt trotz Thorsten Dietz‘ genialem Buch auch immer noch nicht fertig…
Hi Britta,
das Buch von Thorsten Dietz zum Thema Sünde hab ich auch und fand es ehrlich gesagt jetzt nicht ganz sooo hilfreich wie erhofft…
Dietz bringt da ja ziemlich viele eigenen Gedanken mit ein und versucht, das Thema in den heutigen zeitgemäßen Kontext zu transportieren (was ja nicht falsch ist !), aber ich hätte mir etwas mehr Orientierung anhand der Bibel erhofft, zum Beispiel eine etwas systematischere Untersuchung darüber, wo und in welchen Zusammenhängen dort der Begriff „Sünde“ vorkommt…
Davon abgesehen glaube ich, dass selbst die Bibel keine allgemein verständliche Definition des Begriffs „Sünde“ zu kennen scheint…
teilweise bekommt „Sünde“ sogar personenhafte Eigenschaften zugeschrieben, wenn z.B. Gott himself zum späteren Brudermörder Kain sagt, dass draußen vor der Tür die Sünde lauert und sie Verlange nach ihm hat…
(das ist der allerste Auftritt des Begriffs „Sünde“ , siehe 1. Mose 4)
Ich bin dann auf Anregung anderer Leute, die schlauer als ich sind, auf folgende Frage gestoßen worden, die ich mittlerweile für zentral (!) halte:
Ist „Sünde“ moralisch zu sehen, also bezogen auf einzelne menschliche Taten ?
Oder ist „Sünde“ eher ein Zustand der Gottesferne, wie es heute wohl in der Mainstream- Theologie Konsens zu sein scheint ?
Lohnenswert ist es, hier mal auf die Wortherkunft zu schauen, die vom altdeutschen Wort „Sund“ stammt, was ein tiefer Graben bzw. ein Abgrund ist…
Im altgriechischen Urtext des NT wurde das Wort „hamartia“ verwendet, was wohl am ehesten so etwas wie „Zielverfehlung“ bedeutet…. auch hoch interessant, wie ich finde.
Einer der -wenn man so will- „Urväter“ der deutschen Evangelikalen, Pfarrer Wilhelm Busch, hat mal in einem Vortrag gesagt:
„Wir sind nicht Sünder, weil wir sündigen, sondern wir sündigen, weil wir Sünder sind !“
Dies würde ja eher gegen einen moralischen Befund und vielmehr für eine wertfreie Zustandsbeschreibung sprechen.
Mit der moralischen Wertung/ Definition wurde leider schon sehr viel Unheil und Mißbrauch in der Kirchengeschichte angerichtet, und auch in heutigen „besonders frommen“ Kreisen ist es ja ein Abgrenzungs- bzw. Alleinstellungsmerkmal, sich über das Tun und – vor allem- das Unterlassen (!) bestimmter Handlungen zu definieren.
(Erkennungsfrage: „Darf man als Christ dieses/jenes tun ?“
Auch die Bibel scheint – so zumindest mein derzeitiger „Zwischenstand“- häufig ein moralbezogenes Sündenverständnis zu transportieren, wenn man sich den Kontext vieler Erwähnungen des Wortes anschaut….
so schreibt Paulus an die Römer:
„Alles, was nicht aus Glauben getan (!) wird, ist Sünde“.
Mittlerweile glaube ich fast, dass der Begriff der „Sünde“ an sich in der antiken Welt des Judentums so geläufig war, dass die biblischen Autoren keine Notwendigkeit sahen, ihn näher zu erläutern bzw. zu definieren…
fast so wie beim Begriff der Hölle („Gehenna“), der ja auch von Jesus fast beiläufig im NT ins Spiel gebracht wird, obwohl davon im AT überhaupt nie die Rede war… als Jünger hätte ich den Meister zu dem Thema aber mal gehörig gelöchert, aber nix wars: keine Nachfragen, alles wird kommentarlos zur Kenntnis genommen.
Erst durch eine Vortragsreihe von Guido Baltes erfuhr, dass in der Antike der Begriff der „Hölle“ interkulturell verbreitet war und daher durch Jesus keiner näheren Erläuterung bedurfte, da seine Zuhörer wußten, was gemeint war…
Ganz großartige Folge! Amen dazu und danke für diese ehrliche Zusammenfassung von dem, was auch mich als Fast-Fünfziger mit pietistischer Kindheit und Jugend trotz Dekonstruktion immer noch betroffen macht.
Vielen Dank für die interessante Folge.
Ich frage mich ein wenig, inwiefern das Gleichnis des verlorenen Sohn dazu geeignet ist, sich „freizustrampeln“… Ist man noch jung, kann man es sich noch leisten, in die Ferne zu ziehen, um dann in immer noch jugendlicher Frische zurückzukehren und z.B. noch eine (christliche?) Familie zu gründen. Ist man schon etwas älter, sieht das anders aus. Da ist vielleicht keine Zeit mehr für eine „zweite Pubertät“.
Man müsste weggehen und in Kauf nehmen, vielleicht auch weg zu bleiben / die Konsequenzen wären höher etc.
Also ich glaube, meine Frage ist, braucht es diese „wilde“ Phase im Leben eines Menschen, wo er rebelliert und zu sich selbst findet? Oder kann man es sich auch nach und nach in einem etwas offeneren Glaubensverständnis einrichten? Vom Gefühl her erscheint mir das feige und zu wenig radikal – aber vielleicht habe ich da die Angst, Gott zu enttäuschen, einfach durch die Angst ersetzt, mich selbst irgendwie zu „hintergehen“.
Also von „all in“ für Jesus, „all in“ für mich und meine Bedürfnisse. Oder muss man sich auch von solchen Gedanken freimachen?
PS.: Hört dieses ständige Hin und Her der Gedanken irgendwann mal auf? Oder kommt immer wieder der Moment, wo man denkt: Oh nein, ich habe alles falsch gemacht, ich denke doch nochmals alles um?
Hallo Michel,
ich gehe nicht davon aus, dass jeder dieselben Entscheidungen treffen muss oder dass es eine Art Plan gäbe, den es abzuarbeiten gelte. Natürlich bringen verschiedene Lebensalter auch verschiedene Lebensphasen mit sich, in denen unterschiedliches „geht“ oder verwirklicht werden kann als in anderen. In allem hast du doch Verantwortung für Dein Leben und die Gott gegebene Freiheit diese zu nutzen und jenes so fröhlich wie möglich zu begehen.
Ich finde es nicht hilfreich „All in für Jesus“ und „All in für mich“ als Entweder-Oder gegenüberzustellen. Das Leben und auch das Christsein ist doch komplexer als diese beiden Aussagen.
Was meinst du mit Hin und Her der Gedanken? Zweifel? Einen Dekonstruktionsprozess des Glaubens? Lebensentscheidungen, die man über den Haufen wirft? Oder etwas komplett anderes?
LG,
der Jay
Lieber Jay
Vielen Dank für deine Antwort!
Du hast recht, ich habe das mit den beiden „All-in“-Aussagen absichtlich etwas zugespitzt …
Mit dem Hin und Her der Gedanken meine ich Folgendes:
Mein Glaube (und damit auch ich) kommt mir vor wie ein Strohhalm im Wind. Zweifel hatten mich schon so weit, den Glauben immer mehr zu relativieren und schliesslich beinahe ganz aufzugeben und Atheist zu werden.
Dann haben mich authentisch glaubende Menschen wieder etwas von Gott sehen lassen … dann dachte ich, ich müsste wieder „all in“ für Jesus geben und ordnete mich wieder diversen Ansichten unter, die mir eigentlich gar nicht passen.
Nun entwickelt sich mein Glaube langsam wieder in eine progressivere Richtung. Und doch: Es ist alles so instabil. Lese ich einen Artikel von der „progressiven Seite“, fühle ich mich beruhigt in meinem momentanen Glaubensverständnis. Schaue ich mir dann wieder konservativere Stimmen an, komme ich erneut ins Zweifeln (Bewege ich mich weg vom Wahren? Darf ich überhaupt meine eigene Gesundheit, mein eigenes Wohlleben als Massstab gebrauchen, um Glaubensaussagen zu beurteilen?). Lese ich dann etwas von Leuten, die Religion insgesamt ablehnen (so Sekten-Aussteiger-Geschichten zum Beispiel), scheint mir mein ganzes bisheriges Leben irgendwie verfehlt. Dann denke ich plötzlich: Wahrscheinlich müsste ich doch alles über den Haufen werfen, um endlich frei sein zu können. Ich halte doch nur an etwas fest, das mir aufgedrückt wurde und vermutlich gar nicht zu mir passt…
Ich weiss nie, was in nächster Zeit passiert, ob mein Glaubensverständnis in den nächsten Wochen wieder einmal komplett über den Haufen geworfen wird. Solche Wechsel der Ansichten bedingen jedes Mal auch eine Infragestellung meiner Lebensweise und bisherigen Entscheidungen. Das Bewertungssystem wechselt halt. Und das ist so extrem anstrengend.
Deshalb möchte ich dann manchmal auch mit all dem nichts mehr zu tun haben und einfach mein Leben leben. Aber irgendwie klappt das nicht.
Danke und liebe Grüsse
Michel
Hallo Michel,
jetzt verstehe ich Deine Ausführungen nicht nur besser sondern sogar ziemlich gut. Exakt in diesem Boot aus Hin und Her und Entweder Oder habe ich einige Jahre meines Lebens gesessen. Ich nehme an, die meisten Menschen, die so etwas wie eine Dekonstruktionserfahrung machen (aus einem weltanschaulichen Wertesystem heraus in ein anderes), finden sich über kurz oder lang für einige Zeit in diesem Boot wieder. Je nach Persönlichkeit kann das länger dauern oder kürzer. Menschen deren inneres Wertesystem sehr darauf geeicht ist, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden und/ oder die eher eine ängstliche Persönlichkeit mitbringen, gehören meistens zu denen, die nicht so schnell aus diesem Boot aussteigen können. Ich habe ca 10-12 Jahre in dem Kahn gehockt.
Das ist keine schöne Erfahrung. Es kann einen ziemlich aufreiben und an den Rand der eigenen psychischen Gesundheit bringen. Und an den Rand des eigenen Glaubens. Auch Dein beinah Atheist werden kenne ich SEHR gut. Allerdings führt meiner Erfahrung nach kein Weg daran vorbei, wenn man ein mündiger Christ/ Mensch werden möchte. Den Mut zu entwickeln, zu eigenen Einschätzungen und Erfahrungen zu kommen und zu stehen, ist ein steiniger Weg, auf dem es mal vor und mal zurück zu gehen scheint und den man nicht ohne Umwege gehen kann (hilfreich finde ich hier, wenn man sich das Motto „Umwege erhöhen die Ortskenntnis“ zu eigen machen kann).
Mir hat auf dieser Bootsreise bzw Wanderung (je nachdem welche der beiden Metaphern man nimmt) geholfen, zu glauben zu üben, dass es stimmt, was Paulus in Römer 8 sagt, dass mich NICHTS UND NIEMAND aus der liebevollen Hand Gottes trennen kann. NIEMAND. NICHTS. Wenn das stimmt, dann braucht keiner Angst vor Fehltritten oder falschen Gedanken zu haben, denen er anhängen könnte. Dann braucht man sich selber nicht mehr religiös abzusichern. Dann ist Gottes tragende Liebe tatsächlich unabhängig von dem, was wir glauben, denken und tun. In mir hat das den Glauben an Freiheit gefördert und mir die Angst vor der eigenen Verantwortlichkeit genommen und mir geholfen, wieder neugierig auf Gott und die Welt zu werden. An all dem ist auch meine Liebe zu Gott gewachsen.
Ich kann ja dein Leben nicht für dich leben (genau darum geht es ja, mündig zu werden), du wirst auf dieser Reise deine ganz eigenen Begabungen, Herausforderungen, Fallstricke, Umwege, Sortiertheiten und Unsortiertheiten, Coolness und Überforderungen mitbringen und erleben. Und das ist völlig ok. Du musst das alles auch gar nicht meistern. Leben ist eben keine Könnung sondern eine Übung. Und Glauben auch. Habe den Mut zu glauben, dass Gott mit dir ist, selbst wenn du an all dem verzweifelst oder länger brauchst als andere (10-12 Jahre musst du mir eh erst mal nach machen ;-)). In Christus ist Gottes Ja gesprochen. Das wird nicht plötzlich ein Jain.
Sei gesegnet.
LG,
der Jay
Lieber Jay
Herzlichen Dank für deine Worte. Das tut gut, zu hören.
Da du geschrieben hast, dass du das Fast-Atheist-Werden auch gut nachvollziehen kannst: Was hat dich denn davon abgehalten?
Ich denke halt manchmal, eigentlich wäre es das Konsequenteste. Denn was, wenn mir meine progressiveren Glaubeneinstellungen von heute in einigen Jahrzehnten doch auch zu eng vorkommen?
Manchmal würde ich halt einfach am liebsten das Kind mit dem Bade ausschütten … Tabula rasa machen …
Und wenn ich es dann doch nicht tue, befürchte ich, mich bloss von Angst leiten zu lassen.
Denn der Drang geht ja weg von allem Engen, weg von auferlegten Dogmen – wie weiss ich denn, wo es angebracht wäre zu stoppen? Warum entscheiden sich deiner Meinung nach gewisse Menschen dafür, trotzdem weiter zu glauben?
Ich habe schon auch Dinge, die ich hier für mich anführen könnte: Momente des Berührt-Seins während Gesprächen mit Gott zum Beispiel, schöne Konzepte wie Gnade, bedingungslose Liebe etc. Aber reicht das aus?
Trifft man letztendlich doch eine fundamentale Entscheidung für oder Gott, in deren Zuge man dann unterschiedliche Erfahrungen macht, die einen wiederum in der zuerst gewählten Entscheidung bestärken?
Damit meine ich:
Wenn ich mich grundsätzlich für ein Leben mit Gott entscheide, bleibe ich weiterhin offen für spirituelle Erfahrungen, ich werde vermutlich einige Zeit mit Menschen verbringen, die auf einer ähnlichen Reise sind (eine Glaubensbubble sozusagen), was dazu führt, dass wir uns in unseren Ansichten und Entscheidungen gegenseitig bestärken …
Wenn ich Gott hingegen komplett den Laufpass gebe, beginne ich, mich an anderen Dingen im Leben auszurichten, ich identifiziere mich mit neuen Leuten, ich höre ihren Geschichten über den (Un)glauben zu, die mich ebenfalls darin bestärken, die richtige Wahl getroffen zu haben …
Es wäre ja toll, wenn Gott mich einfach ziehen könnte (eine Offenbarung). Aber für das erlebe ich mich oft als zu „rational“. Ich denke manchmal, dass meine Persönlichkeit irgendwie eher zu einem Atheisten passen würde. Aber eben, da bekommt man solche Dinge mit auf den Weg, dass ein Schatz im Acker verborgen sei, man müsse nur lange genug danach suchen …
Herzliche Grüsse
Michel
Zum Einen, die Erkenntnis, dass mich das unglücklich machen würde. In einem kalten, sinnlosen Universum zu leben, ist für mich keine Alternative. Ich bin da pragmatisch und irre mich lieber, sollte sich herausstellen, dass Gott bloß eine schöne menschliche Erfindung gewesen ist. Zum Anderen, dass ich den christlichen Glauben so unfassbar entzückend finde, dass ich finde, er sollte erfunden werden, wenn es ihn nicht gäbe.
Ist das nicht eher die Überforderung, die aus der Angst kommt, etwas falsches zu machen/ zu glauben, weil man keinen Weg findet, abzusichern, dass es doch das richtige ist?
Das stand jedenfalls bei mir hinter diesen Gedanken (die mich Eins zu Eins vor einigen Jahren genauso geplagt haben).
Mir hat im Umgang damit geholfen:
1. Ernst nehmen üben,
dass Angst so gut wie nie ein guter Berater ist,
dass Gottes Ja in Jesus niemals Jein ist,
dass der christliche Glauben Sicherheit für Götzendienst hält,
2. Meine Zweifel befreunden (sie sind nicht nur legitime Anfragen, sondern Ausdruck meiner Auseinandersetzung mit dem Leben)
3. Es mit Humor nehmen, wenn mich das Leben, der Glauben überfordert (wie soll man einem unendlichen Universum anders gegenüber reagieren als mit Überforderung?)
4. Weiter leben (so wichtig bin ich nicht).
Im Grunde sind das ja die gleichen Punkte/ Fragen wie oben.
Sollte dir nicht weiterhelfen, was ich oben geschrieben habe, dann schütte das Kind doch einfach mal mit dem Bade aus und schau, ob du es vermisst oder nicht. Wäre doch immerhin auch eine Möglichkeit.
LG,
der Jay
Lieber Jay
Herzlichen Dank für deine Antwort.
Ich hätte nicht gedacht, dass du mir hier mehrmals so ausführlich antworten würdest. Das tat mir gerade sehr gut.
Zu wissen, dass du und viele Hossa-HörerInnen Ähnliches durchgemacht haben, erleichtert mich irgendwie.
Ich habe mir auch euren Talk zu … angehört, mir alle Kommentare durchgelesen, und das hat wirklich echt gut getan.
Von einem anderen Christ einfach mal Zuspruch zu erhalten. Den Zuspruch, den eigenen Weg zu gehen, im Vertrauen, dass Gott dadurch nicht verschwindet. Die Erlaubnis, machen zu dürfen, hilt mir sehr, auch wenn ich dann vielleicht gar nicht alles tue, was ich dürfte, weil ich auch gar nicht alles will. Aber ich DÜRFTE. Ich DÜRFTE, weil es meiner Würde entspricht, meinen freien Willen zu gebrauchen, weil ich auch Fehler machen darf, weil ich manchmal auch Fehler machen muss. Danke!
Michelle