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#165 Die schmutzigen Geheimnisse des Ravi Z.

Triggerwarnung: Liebe*r Hörer*in. Falls Du in der Vergangenheit Opfer von sexuellem Missbrauch oder Machtmissbrauch gewesen bist, könnte es sein, dass manches, was wir in dieser Folge schildern, schreckliche Erinnerungen in dir weckt. Bitte entscheide sorgfältig, ob Du Dir unser Gespräch zumuten möchtest.

Ravi Zacharias wurde zu Lebzeiten auf der ganzen Welt verehrt. Als der Evangelist im Mai letzten Jahres starb, trauerten Zehntausende. Nur kurze Zeit später tauchten Berichte auf, dass Zacharias mehrere Frauen sexuell belästigt und missbraucht haben sollte. Diese Berichte bestätigten sich und wurden im vergangenen Februar von Ermittlern bewiesen. Plötzlich erinnert man sich an ähnliche Vorwürfe, die schon einige Jahre zurückliegen, die aber damals niemand glauben wollte.

Wie konnte es dazu kommen? Wie kann jemand, der auf der ganzen Welt öffentlich für die Wahrheit eintritt, so schamlos lügen? Was sagt das aus über ein verbreitetes Verständnis von Glauben und Leitung?

Dieser Talk macht keinen Spaß. Aber es ist wichtig, dass wir drüber reden.

Steve Baughmans Seiten findet ihr hier und hier.
Lori Anne Thompsons Blog ist hier.
Der Bericht von Christianity Today ist hier.
Ruth Malhotras Brief an das Leitungsteam ist hier.
Eine Erklärung von Gaslighting auf Englisch findet sich hier.
Der Untersuchungsbericht über Ravi Zacharias Taten ist hier.

58 Kommentare

  1. Silas P. Silas P.

    Danke für die neue Folge.
    Mit Ravi auch echt ein interessanter Gast…
    Bin noch nicht ganz durch, aber mir ist aufgefallen, dass diesmal euer Gast seltsam stumm ist.

    Scherz beiseite: Ich finde die Geschichte hinter der Geschichte super brisant.
    Ich glaube, dass es immer da, wo Menschen öffentlich und bewusst als idealisierte Vorbilder auftreten, Menschen immer wieder im Konflikt zwischen inneren Sümpfen und öffentlich verklärten Bildern stehen.
    Dass es gerade in Evangelikalien so viele an diesem Konflikt gescheiterte Figuren gibt, geht glaube ich tiefer als die extremen Macht-Strukturen in diesen Kreisen. Ich denke, dass es vor allem mit der dort typischen „Evangeliums-Predigt“ zu tun: „Ich war Sünder, dann hat Jesus meine Sünde (und meine Krankheit) für immer weggenommen. Und jetzt werde mit meinem guten Beispiel noch möglichst viele bekehren.“

    Wenn man nun zugeben müsste, dass man trotzdem immer noch die gleichen „sündigen“ Wünsche, Bedürfnisse und Fetische hat, hieße das ja, dass entweder man selbst nicht „wirklich“ glaubt oder sogar das ganze Evangeliumskonzept (und aus dieser Sicher der ganze christliche Glaube an sich) falsch ist. Das trifft auf ein Vielfaches auf die Galionsfiguren dieses Systems zu. Das Ganze führt glaube ich zwangsweise in ein System von Heuchelei, extrem viel Druck und geistlichem und sexuellem Missbrauch.

    Aus meiner alten gutevangelikalen Jugendgruppe von damals haben sich min. 90 % komplett von christlichen Gemeinden abgewandt – vor allem wegen dieser Heuchelei und dem Druck. GOTT SEI DANK! (So grotesk das ist…) Ich kenne zwar keine Person persönlich, die sexuell in Gemeinde missbraucht wurde – ABER geistlich Missbrauchte kenne ich umso mehr.

    Ich wünsche mir, dass Evangelikalien wieder mehr die Schwachheit entdeckt, von der Paulus schreibt. („Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“) Und Jesus diese Schwachheit nicht einfach wegnimmt. Ich kann selbst gerade nicht auf den Punkt bringen, was dieses „Leben mit Jesus“ in Schwachheit konkret bedeutet. Ich weiß aber, dass es um einen lebenslangen Beziehungsweg geht, bei dem es vor allem um Freiheit, Ehrlichkeit, Gnade und Liebe geht.

    Bin jetzt doch am Ende der Folge angelangt: Ich erkläre mich hiermit bereit, euch bescheid zu sagen, wenn ihr eure Sicht der Dinge für „wirklich“ wahr und euch für zu geile Hechte haltet 😛 (Ehrlicher Weise muss ich sagen, dass ich erschreckt festgestellt habe, dieses Gaslighting selbst schon angewendet zu haben…)
    Man kann auch ehrlich und schwach sein, ohne Seelenstriptease vorzunehmen. Das macht ihr schon ganz gut. Danke für den Hinweis zu Brennan Manning. Den kannte ich noch nicht.

  2. Sören Schlinke Sören Schlinke

    Krasser Talk! Danke, dass ihr Zwei dieses brisante Thema angesprochen habt! Es tut mir echt weh, zu hören, dass Menschen, die solchen Mißbrauch erlebt haben, nicht geglaubt wird!
    In meiner extrem charismatischen Zeit habe ich einerseits erlebt, wie wir jungen Menschen psychisch unter Druck gesetzt wurden (Heilung und „glaube nur“ etc.), aber irgendwann ist mir aufgefallen, dass ich selber in der Gefahr stand, mit Bibelworten Menschen zu manipulieren.
    Menschen wie Henri Nouwen, Brennan Manning oder Adrian Plass haben mir damals sehr geholfen, nicht wahnsinnig zu werden.
    Mark Twain soll gesagt haben:,,Wann immer Sie sich auf der Seite der Mehrheit befinden, ist es Zeit zu pausieren und nachzudenken.“
    Ich pausiere gerne und versuche es mit Kierkegaard zu halten:“Von allen Betrügern fürchte am meisten dich selbst!“
    Liebe Grüße
    Sören

  3. Katja Katja

    Die armen Frauen. Das ist so widerlich perfide.
    Doppelmoral und Heuchelei sind mir in diesem System so oft begegnet. Bei Ravi Z. scheint sich das zu einer richtigen Persönlichkeitsspaltung ausgewachsen zu haben.

    Vielleicht liegt das Problem in einem Glaubenssystem, das den Fokus auf Wahrheit statt auf Wahrhaftigkeit setzt?
    Wo es wichtiger ist, die Wahrheit zu HABEN, statt wahrhaftig zu SEIN. Über Gott Recht zu HABEN, statt (seine) Gerechtigkeit zu LEBEN.

    • Matthias Matthias

      Hallo Katja!

      Sehr richtig! Das sehe ich auch so – danke für diese kluge Unterscheidung…

      Gruß
      Matthias

  4. Simon Wälchli Simon Wälchli

    Eine Lehre die man aus einem solchen Fall ziehen muss ist, dass jede grössere Kirche/Organisation eine unabhängige Fachstelle/Kontrollinstanz im Bereich Übergriffe haben muss. Diese Stelle muss mit den nötigen Kompetenzen ausgestattet sein. Wir alle sollten unsere Kirchen immer wieder darauf hinweisen, dass es griffige Strategien braucht. Die Realität zeigt leider, dass Übergriffe viel zu häufig sind, als dass man sagen könnte „Bei uns passiert doch so was nicht.“ Nichts tun ist Täter-Schutz.

    Was der Beitrag leider bei mir auch auslöst ist, dass ich mich frage was mit der verändernden Kraft Gottes los ist. Anscheinend war der heilige Geist nicht in der Lage diesen Mann wirklich zu verändern und in die Wahrheit zu führen. Das gibt mir schon zu denken. Ist der korrumpierende Effekt von Macht grösser als Gott?

    • Renate Renate

      Ich kann mir gut vorstelen, dass Menschen, deren Existenz von ihrer Arbeit „für Gott“ abhängt und die mehr Einladungen zum Reden annehmen (müssen), als für sie selbst gut ist, automatisch ihre Beziehung zu Gott vernachlässigen und deshalb den Versuchungen nicht widerstehen können.

  5. Sören Schlinke Sören Schlinke

    Danke an Katja und Simon für diese wertvollen Impulse und Fragen!
    Ich besuche selten noch Gottesdienste, aber ich habe so einen Schaden damals erlitten, dass ich nicht weiß, ob ich jemals nochmal irgendwo eintrete. Und, Katja, das Schlimme ist, dass ich zwar nie ein richtiger Leiter war, aber andere Menschen mit meinem gestörten Bibelverständnis verletzt habe, so dass ich heute noch lernen muss, meine Fresse zu halten und nie wieder missionieren werde. Hoffentlich.
    Den echten Freund*innen, die mich so lange ertragen haben und heute noch zu mir stehen, denen sei hiermit herzlich gedankt.
    Und zur verändernden Kraft Gottes: Das bleibt bei mir eine offene Frage. Der Vortrag von Sigfried Zimmer ‚Gott und das Leid‘ war für mich sehr heilsam. Vieles ist im Unterbewusstseins verankert. Was keine Ausrede sein soll. War Ravi Zacharias schon mit 17 Jahren so krass psychopathisch ? Da hat er laut eigenen Aussagen Jesus erlebt und war selbstmordgefährdet. Es ist einfach irre.

    Sören

  6. Hilde Hilde

    Am Schluss, als ihr über Jan Böhmermann gesprochen habt, kam mir der Gedanke, dass so ein geistlicher Leiter eigentlich einen Hofnarren bräuchte, der ihm ab und zu die Wahrheit sagt, so wie ein König im Mittelalter . Das wäre ein cooler Job .
    Der Typ hier muss ein ausgeprägter Narzisst gewesen sein , dann könnte er wirklich geschafft haben , sein Verhalten vor sich selbst zu rechtfertigen .
    ich finde , dass eine bestimmte Art des Glaubens, wo das eigene Leben und Tun für so unglaublich wichtig für Gottes Werk erklärt wird , Narzissmus leider fördert und verstärkt . Berauscht von der eigenen Bedeutung ; das kann man schnell mit Begeisterung für Gott verwechseln .

    • Matthias Matthias

      Genau, Hoffnarr, oder wie jemand (ich glaube Jay?) mal gesagt hat: Jede Gemeinde bräuchte einen freundliche Atheisten, der immer mal wieder kritische Fragen stellt….

  7. Kathi S. Kathi S.

    Interessanter Talk! Ich hab jetzt schon viel zu dem Thema gehört. Mein Mann hat mir vor einigen Jahren von Ravi Zacharias erzählt und damals hab ich ein paar seiner Videos geguckt. Allerdings ist dann etwas passiert, was mich dazu bewegt hat, den Youtubekanal zu deabonnieren. Es hatte mit der Präsidentschaftswahl 2016 zu tun und es war irgendwo ein Post (so erinnere ich mich schwammig), der mich enttäuscht hat und eine gewisse Frustration mit amerikanischen Evangelikalen weiter genährt hat. Da hab ich damals irgendwie gedacht, die sind alle nicht ganz koscher.
    Dann kam das mit den Doktortiteln und mein erstes Gefühl war merkwürdigerweise Häme, so „ach, ist er doch nicht so toll wie er tut.“ Und dann kam die Geschichte mit Lori Anne Thompson und ich hab sofort geglaubt, dass das alles so stimmt. Irgendwie hab ich mich aber damals ein bisschen mies gefühlt, weil ich gedacht habe, ich denke vielleicht zu schlecht von dem Mann, aufgrund meiner Frustration mit den konservativen Evangelikalen.
    Aber dann jetzt vor einigen Wochen diese ganze Geschichte…und jetzt bin ich schockiert in welch großem Stil er Menschen missbraucht hat. Weiß nicht genau, aber mein Mann meinte, dass Ravi Zacharias selbst keine schöne Kindheit hatte. Hab momentan nicht so Lust danach zu suchen, wo er darüber redet. Aber wenn man Menschen missbraucht, war man ja oft selbst mal Opfer von Missbrauch. Was mich irgendwie traurig gemacht hat, war der Gedanke, dass ich eigentlich eine Hoffnung habe, dass Jesus solche Teufelskreise von Missbrauch durchbrechen kann. Man muss den Mist, den man selbst erlebt hat, ja nicht weitertragen. Und ich denke, dass der heilige Geist einem dabei auch gerne hilft, wenn man das will. Wir beten doch „Erlöse uns von dem Bösen.“…

  8. Katja Katja

    @Simon und Kathi S.
    Wow, ja, mit euren Fragen nach der Rolle Gottes trefft ihr einen Punkt, der sonst in der Debatte über Missbrauchsfälle im kirchlichen Bereich gar nicht thematisiert wird. Warum eigentlich nicht?
    Da geht es um die Frage nach den Persönlichkeiten der Täter und um Strukturen, die Missbrauch begünstigen. Vielleicht auch um missbrauchsanfällige Glaubenssysteme.

    Aber, ja, was ist eigentlich mit Gott? Oder besser: Wo ist er?
    Warum ist ihm offenbar nicht daran gelegen, dass das, was verkündigt wird (nämlich der Sieg des Guten über das Böse, der Liebe über den Hass, der Freiheit über die Sucht, des dienenden Gottes über die Mächtigen etc.), nicht auch genau dort, wo es verkündigt wird, unübersehbar im Leben der Gläubigen Raum hat?

    • Anna K. Anna K.

      Ich denke, wenn ein Mensch sich entscheidet, mit Gott zu leben (oder wie es so schön heißt: ihm sein Leben zu geben), dass das nicht bedeutet, dass Gott in diesem Moment Besitz von dem Menschen ergreift und ihn wie einen Roboter steuert. Der Mensch entscheidet immer noch, wie weit er Gott „an sich ranlässt“, ob er ihn in die dunkelsten Winkel seiner „Seele“ schauen lässt und sich helfen lässt, dort „aufzuräumen“ und sich zu verändern, oder ob er das in manchen Bereichen eben nicht zulässt. Deshalb empfinde ich es so, dass hier die Verantwortung, diese Gräueltaten zu verhindern, bei R.Z. und nicht bei Gott liegt.

      • Katja Katja

        @Anna K.
        Ich denke, dass dieses Narrativ eine Ausrede ist, mit der Christen ihren „lieben Gott“ in Schutz nehmen wollen (es ist einfacher und weniger frustrierend, den Menschen als böse und mit freiem Willen zu denken, als einen schwachen, sich nicht mit seiner Liebe durchsetzen könnenden Gott).
        Wenn dem so wäre, dass Gottes Liebe nicht alles überwältigen kann (oder will) – und weshalb sollte sie es irgendwann einmal am Ende aller Tage können/wollen, wenn sie es seit dem Bestehen der Menschheit nicht kann/will? -, dann wird es eine ewige Hölle geben, die verdammt voll sein wird. Dann wird es auch keinen neuen Himmel und keine neue Erde geben, weil Gott von den Menschen in ihrem freien Willen und in ihrem ureigenen Freiheitsstreben gar nicht die Macht zugestanden werden wird, in seiner Liebe und nach seiner Liebe am Ende alles für immer umzugestalten.

        • Anna K. Anna K.

          Hm, mag sein, dass ähnliche Gedanken für die Verteidigung eines „lieben Gottes“ herangezogen werden, ich empfinde jedoch anders und bin froh, eben nicht mehr das Gefühl zu haben, Gott in irgendeiner Weise verteidigen zu müssen. Möchtest du an einen Gott glauben, der dich ungefragt „überwältigt“, wenn du im Begriff bist, etwas Ungutes zu tun? Mir geht es da weniger um die Frage nach dem Freien Willen, als vielmehr nach der Eigenverantwortung für unser Handeln. Wir, nicht Gott, sind für unser Handeln verantwortlich!
          Wenn ich von den Opfern her denke, dann verstehe ich die Frage: „Wo war Gott?“ absolut, denn sie haben sich ja nicht wissentlich und eigenverantwortlich in diese Situation begeben.

          Wie das irgendwann mal laufen soll, dass sich doch alle Gottes überwältigenden Liebe „ergeben“, kann ich mir auch nicht vorstellen… Ich denke nur, dass hier auf der Erde andere „(Natur-)Gesetze“ gelten, als in einer anderen Wirklichkeit… An sowas wie eine Hölle glaube ich persönlich nicht…wenn es sowas gibt, ist das hier und jetzt gerade auf der Erde, für so viele und leider oft auch ohne ihr persönliches Zutun. 🙁

          • Katja Katja

            Hallo Anna,
            Eigenverantwortung ist ohne freien Willen aber nicht denkbar.
            Man kann zB Kinder bis zu einem bestimmten Alter nicht dafür verantwortlich machen, wenn sie um sich schlagen, und dabei einen anderen Menschen verletzen, weil sie schlicht nicht über die Impulskontrolle verfügen und deshalb auch nicht frei entscheiden können, ob sie um sich schlagen oder nicht. Oder nimm jemand, der unwissentlich unter Drogen gesetzt wurde und in diesem Zustand einen anderen schwer verletzt oder tötet…
            An eine Hölle müsstest du glauben können, wenn für dich Eigenverantwortung (und dann eben auch die freie Entscheidung gegen die göttliche Liebe) so wichtig ist.
            Mein Punkt ist der, dass ich nicht nachvollziehen kann, weshalb die göttliche Liebe in dieser Wirklichkeit anders sein sollte als in einer anderen Wirklichkeit. Wenn sie hier Freiheit zur Entscheidung lässt, weshalb sollte sie sie dann in einer anderen Wirklichkeit (die sie ja selbst ist) nicht lassen?
            Und wenn sie in einer anderen Wirklichkeit so wirkt, dass sich alle ihr ergeben, weshalb wirkt sie dann hier (in einer Wirklichkeit mit Gesetzen, die sie selbst erschaffen hat) nicht so?

  9. Anna K. Anna K.

    Danke euch!
    Krass, super spannendes, wichtiges Thema. Der Talk wirft so viele Themen/Fragen auf, dass ihr dazu ne ganze Reihe machen könntet…

    Danke Silas für den Aspekt, dass es für religiöse Menschen (ich denke, hiervon sind nicht nur evangelikale Christen betroffen), besonders schwierig ist, ihre Schattenseiten zu offenbaren, weil sie damit das, was sie predigen/glauben nihilieren würden. Und genau dieser Teufelskreis verursacht so viel Leid und berechtigtes Unverständnis von Außenstehenden dem Glauben gegenüber! Es ist so wichtig, das immer wieder aufzubrechen und dass respektierte/geachtete/erfolgreiche Christen mit ihren Schattenseiten/Brüchen an die Öffentlichkeit gehen, um zu zeigen, dass es eben nicht so ist, dass der Glaube an Gott einen zu einem unfehlbaren Wesen mit einem perfekten Leben macht!

    Ich denke mittlerweile, dass es egal ist, ob man sich „von Gott verändern lässt“, oder eine Therapie macht. Beides führt auf dasselbe hinaus, solange man wirkliche Bereitschaft hat, den Finger auf die eigenen wunden Punkte/Schattenseiten/Unerlöstheiten/etc. legen zu lassen und sich einzugestehen, dass man Hilfe braucht und an sich arbeiten muss.

    Wahrscheinlich ist es bei R.Z. daran gescheitert, dass er in seinem krankhaften/übergriffigen Verhalten Frauen gegenüber nicht bereit war, sich zu hinterfragen oder hinterfragen zu lassen. Ob pathologisch bedingt oder nicht, kann ich mir auch vorstellen, dass er es geschafft hat, sich das alles für sich so zurechtzubiegen, dass er es sich (vor Gott) durchgehen lassen konnte. („kotz“)

    Ich finde die Frage noch interessant, inwieweit man ein Werk (ob weise Bücher über den Glauben, oder Kunst/Musik etc.) unabhängig von seinen „Erschaffer*innen“ betrachten, wertschätzen und sich davon berühren und inspirieren lassen kann?
    Früher waren Menschen, zu denen ich aus bestimmten Gründen aufgeschaut habe, immer sofort bei mir untendurch, sobald ich ihre erste „Leiche im Keller“ oder für mich unverzeihbare Schwäche entdeckt habe, und auch „ihr Werk“ hatte dann in meinen Augen keinen Wert mehr. Doch bei näherem Hinsehen, würde so sicherlich nichts und niemand Bestand haben. Sogar der selbstreflektierteste Mensch mit jahrelangen Therapieerfolgen ist sicherlich nicht perfekt und hat trotzdem noch Blinde Flecke…

    Ich kenne die Bücher von R.Z. nicht, doch denke ich, dass, würden z.B. bei Richard Rohr verachtenswerte „Leichen im Keller“ gefunden werden, ich mittlerweile trotzdem weiter davon ausgehen würde, dass Gott durch ihn gewirkt hat und er viele weise Erkenntnisse hatte, die zu einer guten Entwicklung in vielen Menschen und Bereichen des Glaubens/der Gesellschaft beigetragen haben.
    Auch in der Bibel hat Gott ja durch sehr menschliche Menschen gewirkt. Hatten sie alle in allen Punkten letztlich genug Schuldbewusstsein und Selbstreflexionsbereitschaft, oder wirkt Gott tatsächlich auch durch Menschen, die immer wieder Vergehen begehen und kein Unrechtsbewusstsein dazu entwickeln (können/wollen)?
    Für uns Menschen wiegen manche Vergehen ja wesentlich schwerer, als andere. Ist es wirklich theologisch haltbar, dass das bei Gott nicht so ist und alles gleich schlimm ist?

    Auch denke ich, dass viele Menschen (mich eingeschlossen) dankbar dafür sein können, nicht diese Art von Ruhm/Bekanntheit/Macht zu erleben, wie R.Z., denn dadurch, fürchte ich, werden viele Hürden abgebaut und Abgründe ermöglicht, die ein „normaler Mensch“ gar nicht hat.

  10. Julia Julia

    Es gibt sicher verschiedene Gründe, warum sexueller Missbrauch in religiösen Systemen so begünstigt wird. Schon die Sexualität wird im Christentum oft als makelhaft oder sündig angesehen. Und auch der Frau an sich wurde seit jeher die Rolle der Sünderin zugespielt: Eva, die als erste von der verbotenen Frucht ass und Adam dazu verführte.
    So wird die Frau zur Versuchung, zur Anfechtung oder zum Feind, und der Täter sieht sich als eigentliches Opfer.
    Auch, dass sich viele Männer immer noch als Oberhaupt über der Frau sehen, begünstigt, dass sie ihre Macht ausnützen und die Frau, im wahrsten Sinne des Wortes beherrschen wollen. Vergewaltigung in der Ehe wurde Jahrhunderte lang als gottgegebenes Recht angesehen, vielleicht teilweise auch heute noch!
    Diese schrägen Ansichten tragen ihre Früchte! Da hat die Christenheit noch sehr viel aufzuarbeiten! Ich freue mich schon sehr zu hören, was Veronika Schmidt dazu sagt!
    Die Sache mit der Vergebung birgt leider ebenfalls Probleme. Gott vergibt uns unsere Sünden, wenn wir ihn ehrlich um Vergebung bitten, ja. Er vergibt sie und rechnet sie uns nicht mehr an. Aber auch wenn er uns vergibt, unsere Probleme bleiben, die verschwinden nicht durch die Vergebung! Wir müssen sie angehen und uns Hilfe suchen, egal ob wir ein Suchtproblem, ein unnatürliches sexuelles Verlangen oder Verhalten, oder sonst was haben. Gott nimmt nicht einfach auf wundersame Weise die Probleme weg! Das ist einfach nicht so! Gott wird einen Vergewaltiger nicht von seinen kranken Neigungen heilen und wenn jemand kranke Phantasien hat, wird ihn ein Gebet nicht davon befreien. Da sind wir Christen einfach zu naiv! Und täglich zahlen Frauen den Preis dafür!

  11. Mitchmax Mitchmax

    Nur ein paar Gedanken:

    1) Fairerweise muss man sagen, dass Missbrauchsfälle wie bei Ravi Z. auch im säkularen Bereich auftreten. Das Problem ist kein religionsspezifisches; es kommt überall vor, wo es Machtgefälle gibt, ist also eher strukturell bedingt.

    2) Ein Missbrauch ist umso erschütternder, wenn er in einem geschützten Raum stattfindet, wo das Opfer besonders arg- oder wehrlos ist. So ein geschützter Raum kann etwa die Familie sein, aber z. B. auch eine Gemeinde oder ein christliches Werk. Außerdem würde ich dazu auch Personen zählen, die aufgrund ihres Amtes oder ihrer Stellung ein besonderes Vertrauen für sich in Anspruch nehmen, wie etwa als Pastor oder Seelsorger. Da fällt so eine Tat gleich umso schwerer ins Gewicht.

    3) Bei Ravi Z. & Co. schwingt auch noch eine geistliche Komponente mit, die im Talk auch bereits angeklungen ist. Laut NT sollen Christen heilig und untadelig sein, langmütig und freundlich usw. blablabla. Zusammengefasst: Stellvertreter Christi. Wenn nun aber der Stellvertreter Mist baut, fällt das immer auch auf den Vertretenen zurück. Oder anders gesagt: Was ist ein Leben in Christus überhaupt wert, wenn es mich nicht davor bewahrt, solche Taten zu begehen? Die Marke Gott wird dadurch öffentlich entwertet.

    4) Ich frage mich, ob es sein kann, dass gerade Gemeinschaften mit einer eher rigiden Sexualmoral besonders anfällig für sexuellen Missbrauch sind. Mir scheint es, dass es insbesondere in (US-)evangelikal geprägten Gesellschaften nicht genügend Möglichkeiten insbesondere für Männer gibt, um sexuelle Frustrationen zu erkennen und aufzuarbeiten, woraufhin sich diese möglicherweise (bewusst oder unbewusst) andere Ventile suchen. Habe das Gefühl, dass man(n) darüber mal offen sprechen müsste.

    5) Es wird offenkundig immer noch viel zu wenig unternommen, um Betroffenen die Möglichkeit zu geben, Missbrauchsfälle anzuzeigen und etwas dagegen zu unternehmen. Eigentlich müsste es in jedem Unternehmen und jeder Kirche und Gemeinde bzw. jedem Werk einen Missbrauchsbeauftragten geben, oder?

    6) Keine Sorge, Hossa ist keine Mega Church und wird auch nie eine sein. Es sind einfach nur zwei Dummschwätzer, die ab und zu auch mal was Schlaues sagen. We appreciate that. Sanfte Grüße

    • 6) Keine Sorge, Hossa ist keine Mega Church und wird auch nie eine sein. Es sind einfach nur zwei Dummschwätzer, die ab und zu auch mal was Schlaues sagen. We appreciate that.

      YESSSSSSS!

  12. Andreas Müller Andreas Müller

    Hallo ihr beiden Talker,
    danke für diese Folge. Und danke, dass ihr das Thema so angepackt habt. Ich halte es für sehr wichtig, dass der Umgang mit Macht in frommen Kreisen immer wieder durchleuchtet, bedacht und reflektiert wird. Ich finde es sehr gut, dass ihr in diesem Gespräch eure eigene Rolle als „Meinungsagentur Hossa-Talk“ ansprecht und durchdenkt und euch die Frage stellt, was da eigentlich im „Hossaversum“ passiert, wenn 5000 Menschen in einer Woche eure Folgen hören. Ihr bekommt damit Macht, ohne sie zu fordern, zu verlangen oder zu wollen. Und diese Art von Macht ist tatsächlich gefährlich, denn man merkt es gar nicht, dass sie da ist.
    Vieles, was ihr herausarbeite, kann ich nachvollziehen. Vor allem die Beziehungsgeflechte in Gemeinde, die – meistens ohne Absicht – zum Vehikel von Machtmissbrauch werden können, halte ich für ein großes, unreflektiertes Problem. Hier entstehen Rollenüberlagerungen, Entscheidungsunschärfen und Manipulationsmöglichkeiten, die wirklich gefährlich sind.
    Ich bin Pastor in einer Evangelischen Gemeinschaft und bin bisher von Machtmissbrauch mir gegenüber verschont geblieben (Oder ich war zu dumm es zu merken?!). Ich selbst bin als Pastor immer sehr selbstkritisch mit Macht umgegangen und habe mir durch Supervision und Coaching Hilfe geholt, um meine Rolle zu reflektiere, zu überprüfen und zu verändern.
    Ein Problem hat ich mit dem Teil des Talks, wo ihr – Zitat von Gofis Frau – Menschen, die sich auf verbindliche Lehre einlassen unterstellt, dass sie nicht an Wahrheit interessiert sind. Denn für sie steht die Wahrheit ja bereits fest. Das finde ich in der Absolutheit der Aussage anmaßend. Wenn ihr das als Frage formuliert – ok. Aber nicht als Zuschreibung und Feststellung. Damit beansprucht ihr eine Deutungshoheit, dir ihr eigentlich nicht haben wollt.
    Auch finde ich es legitim zu sagen, dass das, was ein schlechter Mensch sagt, wahr sein kann. Jay, du hast dich sehr gegen diesen Gedanken gewehrt. Und ich wäre ganz bei dir, wenn der Gedanken benutzt wird, um das Verhalten von R.Z. zu rechtfertigen. Trotzdem gilt: Eine wahre Aussage wird nicht durch das schlechtes Verhalten dessen, der sie macht, unwahr. Nochmal – ich meine das nicht als Verteidigung von R.Z. – da gibt es nichts zur verteidigen.
    Ihr habt bei Cobains Erben eine Folge über den Zusammenhang von Kunst und Künstler gemacht. Ein Satz lautete: „Was kann das Werk dafür, dass der Künstler ein Arschloch ist!“ Ich gehe da mit euch: Das Werk eines Künstlers wird nicht schlecht, weil der Künstler Scheiße erzählt. Auf diese Folge angewendet würde ich sagen: „Was kann das Evangelium dafür, dass sein Zeuge – in dem Fall R.Z. – ein Schwein ist?“ Nichts, es wird dadurch nicht unwahr. Allerdings verliert es durch das Versagen des Zeugen an Glaubwürdigkeit. Und das ist – nach dem unfassbaren Leid der betroffenen Frauen – die zweite Tragik dieses Falls.
    Und noch eins: Ich glaube die fromme Welt ist besser, als ihr sie darstellt. Ich denke nicht, dass es der Normalfall in frommen Gemeinden ist, dass es ein Klima des „Gaslightings“, des Machtmissbrauches und der Angst gibt. Es gibt so viele ehrlich und reflektierte Gemeinden, die sich wirklich um Menschen mühen! Das hier und da mal anzuerkennen wäre auch lohnenswert. Vielleicht wäre es ja mal eine Idee, mit ganz normalen, durchschnittlichen Pastorinnen oder Pastoren, Gemeindegliedern und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Talk zu machen. Wenn man immer nur die dunklen Seiten ansieht, kann das Macht bekommen (Yoda lässt grüßen 🙂 ).
    Ansonsten finde ich es klasse, dass es euch gibt, macht weiter!
    Andreas Müller

    • Hallo Andreas,

      Auch finde ich es legitim zu sagen, dass das, was ein schlechter Mensch sagt, wahr sein kann.

      Natürlich. Aber da hast Du mich falsch verstanden. Mir ging es nicht um konkrete Aussagen (Selbst ein Adolf Hitler wird nicht bloß den ganzen Tag Lügen von sich gegeben haben), sondern darum, dass es m.E. für eine vor sich hergetragene Suche nach Wahrheit entlarvend ist, wenn man sich diese begeistert von jemandem erklären lässt, der sich als Hochstapler entpuppt. Irgendwas passt da nicht zusammen.

      Was den Zustand der frommen Welt angeht, ist sicher die Perspektive entscheidend, aus der man das gerade betrachtet. Aber Du hast natürlich Recht, es gibt auch eine ganze Menge Leute und Werke, die sich wirklich bemühen ihre Sache redlich und ohne Machtmissbrauch zu machen. Das darf ruhig auch immer wieder gesagt werden, schon richtig. In einem Talk über einen christlichen Soziopathen und Hochstapler, der als Innbegriff der Integrität und rechtschaffenen Beschäftigung mit dem Thema Wahrheit galt, ist das aber vielleicht nicht so angemessen, oder?

      LG,
      der Jay

      • Andreas Müller Andreas Müller

        Alles ok, Jay. Ich hatte das auch so verstanden.
        Allerdings fand ich es ein bisschen einseitig und wollte mich deshalb äußern.
        In dem Talk war es völlig angemessen, den Schwerpunkt so zu setzen.
        Nichts desto trotz habt ihr schon eine gewisse Neigung, euch an den negativen Auswüchsen abzuarbeiten, statt die schönen Dinge zu feiern. Vielleicht hat das mit euren persönlichen Geschichten zu tun. Je größer die eigenen Brüche, desto höher die Sensibilität für negative Strömungen. Ich meinte das auch nicht als Kritik, sondern als konstruktive Anregung.
        God bless
        Andreas

        • Ich habe das auch gar nicht als Kritik aufgefasst. Alles gut. Und ja, der Hinweis, dass wir ruhig auch mal auf die positiven Dinge schauen können, ist völlig berechtigt.

          LG,
          der Jay

  13. Anselm Anselm

    Manches gefällt mir nicht an eurem Podcast.
    Ich hoffe, das bleibt so.
    Der Sumpf: Ich habe den Eindruck, dass immer da, wo Menschen zu Figuren hochstilisiert werden und ein bestimmtes „Bild abgeben“ müssen, der Druck sehr ansteigt, dieses Bild auch zu liefern. Es braucht in exponierten Positionen Menschen, die sich davon nicht gefangen nehmen lassen. Die auch mal sagen: „Scheiß drauf, ich entspreche eurem Bild nicht. Ich bin nicht für euren Glauben verantwortlich. Ich bin schwach. Deal with it.“ Auch ihr seid ja nicht für unseren Glauben verantwortlich, auch nicht für den der Hossachist*innen.

    Das meiste gefällt mir voll an eurem Podcast. Jungs.

    • Manches gefällt mir nicht an eurem Podcast. Ich hoffe, das bleibt so.

      Das hoffen wir auch. 🙂

      LG,
      der Jay

      • Thomas Rubarth Thomas Rubarth

        Das wäre doch mal ein Spruch für ein Hossa Talk T-Shirt oder Becher. 😉

        Aber mal im Ernst, guter Talk und ich kann gut verstehen, was Gofi zu Anfang nicht nach einer überschwänglichen Begrüßung zumute war. Das Hören des Talks und die Beschäftigung mit diesen Vorgängen hat auch mich sehr betroffen und auch wütend gemacht.
        Liebe Grüße,
        Thomas

        • Das wäre doch mal ein Spruch für ein Hossa Talk T-Shirt oder Becher.

          Haha. Gute Idee.
          $$$ Wird gleich an die Marketingabteilung weitergereicht. $$$ 😉

          LG,
          der Jay

  14. Anna K. Anna K.

    @ Katja

    Hallo Katja,
    ok, gegen den freien Willen wollte ich natürlich nicht argumentieren, nur sagen, dass es mir gerade gar nicht so sehr um ihn geht und ich gebe dir natürlich völlig recht, mit deinen Beispielen. Oft mache ich mir auch Gedanken darüber, wie es sein kann, dass wir alle so unterschiedliche Startbedingungen ins Leben haben und manche fast schon dazu „verdammt“ sind, einmal gegen Regeln zu verstoßen und sich selbst und anderen Menschen zu schaden. Das erscheint mir unfassbar ungerecht und ich kann es mir nicht erklären. (Haha, das ist nett: Ich müsste an die Hölle glauben können… Will ich aber nicht (mehr) :-))
    Deinen Punkt verstehe ich auch.
    Hm, ich stelle es mir so vor, dass es hier auf der Erde sehr viel einfacher ist, Gott, seine Liebe, seine Ideen für das Leben und Miteinander etc. zu ignorieren und seine Präsenz auszublenden…dass man sich in irgendeiner Weise aktiv mit ihm/ihr verbinden muss, um dadurch beeinflußt/verändert zu werden. Auch wenn ich glaube, dass Gott auf gewisse Weise in jedem Menschen präsent ist und wirkt, zumindest soweit, dass dieser fähig ist zu leben, zu lieben, zu wachsen, etc. Und ich stelle mir vor, dass es eine Wirklichkeit ausserhalb dieses irdischen, stofflichen, zeitlich linearen, auf unsere Sinneswahrnehmungen begrenzten Daseins gibt, in der die Präsenz Gottes alles ist…und alle irgendwie Teil von ihr sind… Warum es diese zwei Wirklichkeiten gibt? Keine Ahnung!

    • Katja Katja

      Hallo Anna,
      ich hatte deine Frage noch nicht beantwortet, ob ich an einen Gott glauben möchte, der mich ungefragt überwältigt, wenn ich im Begriff bin, etwas Ungutes zu tun…
      Ja, ich denke, ich fände das wundervoll.
      Wenn ich, statt mein Gegenüber impulsiv anzuschreien oder „Du Arsch“ zu denken, erfüllt würde mit Barmherzigkeit und Liebe und ihm freundlich gegenüber treten könnte.
      Wenn ich, statt automatisch mit Angst und Sorge über die Zukunft zu denken, Frieden in mir hätte.
      Wenn ich, statt mir selbst Vorwürfe zu machen, den Impuls hätte, gnädig mit mir zu sein und mich liebevoll anzunehmen.

      Ich denke, genau das möchtest du auch, wenn du an eine Wirklichkeit glaubst, in der Gott alles ist und alles ein Teil von Gott.

      Mir fällt es wirklich schwer, nachzuvollziehen, weshalb man einerseits so auf die Emanzipation und das „Erwachsensein“ des Menschen gegenüber Gott pocht, das sich darin ausdrückt, dass der Mensch eigenverantwortlich handeln und frei entscheiden kann (so zB auch die Deutung der Adam&Eva-Geschichte als notwendige, dem Menschen seine eigentliche Würde verleihende Emanzipationsentwicklung, damit er vor Gott „auf Augenhöhe“ sein kann), und andererseits an eine andere Wirklichkeit glaubt, auf sie hofft und sie herbeisehnt, in der das nicht mehr so ist und in der bitte auch keine Hölle sein darf, als ein Ort oder ein Zustand, an/in dem Menschen erwachsen und emanzipiert frei sich dazu entscheiden können, ohne Gottes Liebe und Nähe zu existieren.

      • Liebe Katja,
        aber welchen Sinn hat es, sich zu fragen, warum die Welt bzw. Gott nicht so ist, wie man sie gerne hätte? Mit dem Problem, was Du stark machst, schlagen sich die Gläubigen ja nun nicht erst seit gestern herum. „Der Uhrmacher-Gott“, Calvinismus oder auch Atheismus sind ja alles Versuche diese Frage zu beantworten. Für mich keine besonders befriedigenden oder gar christlichen. Irgendwas verliert man immer, wenn man der Frage eine Antwort gibt.

        Die Stärke und Schwäche des christlichen Glaubens ist, denke ich, dass er die Antwortsuche für nicht sehr ergiebig erklärt und sich stattdessenn auf die Welt konzentriert, wie sie ist. Mit einem Gott, der – wenn es Gott gibt – die Sonne scheinen lässt über die Guten und die Bösen und der (anscheinend) tatenlos dabei zuschaut, wenn 6 Millionen Juden vergast, Kinder vergewaltigt und Eltern vor den Augen ihrer Kinder erschossen werden, der Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken lässt und zulässt, dass die Erde auf eine ökologische Katastrophe zusteuert und dass Evangelisten mit der Bibel in der Hand Frauen vergewaltigen und dies als ihren göttlichen Lohn bezeichnen… Uswusf. Mit einem Gott, der in diese Hölle hinabsteigt, nicht um sie zu beenden, sondern um sie zu erleiden.

        Das ist frustrierend, weil man gerne einen anderen Gott hätte. Gibt es aber nicht.

        Man kann Gott nun ein Arschloch nennen oder unter diesen Umständen den Dienst quittieren oder sich zurechtfantasieren, warum das alles doch irgendwie zusammenpasst. Alles ändert nichts daran, dass die Welt morgen dieselbe sein wird wie heute. Und dass man als gläubiger Mensch damit leben muss, dass Gott die Sonne und den Regen anscheinend ohne mit der Wimper zu zucken auch denen zur Verfügung stellt, die anderen furchtbare Dinge antun. Oder christlich gesprochen, dass Gott ins Leid hineinsteigt, ohne es offensichtlich zu besiegen, sondern um dabei die gleiche traurige Figur zu machen wie alle anderen auch, denen Schreckliches widerfährt. Der anscheinend mehr darauf setzt, uns für die (aussichtslose?) Mission anzuheuern, es ihm gleich zu tun. Zu lieben und so lange das zu tun, was wir können, um die Welt, auf die die Sonne scheint und der Regen fällt, zu einem besseren Ort zu machen, ein bisschen mehr Himmel auf der Erde zu ermöglichen, um dann schließlich den Löffel abzugeben, wenn es sich nicht mehr vermeiden lässt.

        Ob Gott dann in einer anderen Welt den Schalter umlegt, nach den wir uns alle sehnen, mag Gott tun oder auch nicht. Darüber wissen wir nichts. Dem einen hilft es, auf so etwas zu hoffen, der andere prangert es nicht ohne Grund als Eskapismus an. Und wieder ein anderer weist darauf hin, dass so ein Glauben, im Angesicht dessen was Gott hier und jetzt bereit ist zu tun, doch irgendwie unlogisch erscheint. All das kommt oder auch nicht. Wir werden es sehen. Oder auch nicht.

        Was bis dahin immer noch da sein wird, ist die tatsächliche Welt, in der Du morgen wieder aufwachst.

        LG,
        der Jay

        • Katja Katja

          Lieber Jay,
          die Sache ist doch: der christliche Glaube konzentriert sich eben nicht nur auf die Welt so, wie sie ist (ebenso wie auch auch viele andere Religionen und Philosophien).
          Er endete nicht mit dem Höllenabstieg und dem Erleiden all dessen, was wir erleiden, sondern er beinhaltet auch dessen Überwindung. Er endete nicht mit Karstamstag, sondern begann mit der Auferstehung. Er existiert wahrscheinlich nur aufgrund der Auferstehung. Der Auferstehung eines Gott-Menschen, der nicht die Botschaft verbreitete „die Welt ist wie sie ist und ihr solltet damit leben lernen und euch nicht die Frage stellen, wieso sie nicht anders sein kann“, sondern der Hoffnung schürte auf eine bessere Welt, auf seine Wiederkunft, auf ein Endlich-wird-alles-gut, auf das „ICH mache alles neu“.
          Und derselbe Gott findet es offenbar okay, dass jemand wie Ravi Z., der diese seine Botschaft weiterverbreitet, genau dazu beiträgt, dass die Welt so beschissen ist, wie sie ist.

          • Nein, Katja, die Sache ist, dass der Gott, den Du beschrieben hast, der Gott des Glaubens ist. Den willst Du aber gar nicht, sondern den Gott des Himmels. Jetzt. Heute. Das ist unmöglich.

            Du wirst morgen immer noch auf derselben Erde aufwachen.

            LG,
            der Jay

          • Andi Andi

            Ich habe mal zu meinem Vater gesagt, dass ich gerne eine glückliche Marionette wäre. Andererseits hänge ich auch sehr an meiner Willens(teil)Freiheit. Teilfrei, weil die Bedingungen schon eine größere Rolle spielen, als im christlichen Behaviorismus behauptet. Bei manchen Leuten ist das LEben so beschissen, dass die Delinquenz die fast logische Sache der Welt ist, während andere Glück haben. Ich denke, die Evolutionstheorie ist da das beste Modell (da ich an Ursünde und Hölle nicht glauben kann, höchstens an eine ANGEMESSENE Bestrafung z.B. im Sinne eines Reueprozesses mit Versöhnung zwischen den Menschen – ein liebender Gott, der sich mit einem Bräutigam vergleicht quält seine Braut nicht ewig, wenn sie es sich anders überlegt, auch nicht passiv in einer Blackbox) mit HErdentrieb und Kooperation einerseits und Fresssen und Gefressen werden andererseits. Die Mormonen glauben, dass Gott ebenfalls wächst und mir erscheint das ein recht guter und schöner Gedanke zu sein – Martin Luthers langer Bogen der Geschichte hin zum Guten. Ich möchte Ebenbild Gottes sein, zumindest eine Miniaturausgabe und ihm selbstwirksam gefallen und frage mich gleichzeitig, warum ich dann so fehlerhaft ausgestattet bin, so voller Schwäche. Auch hier wieder: Evolutionstheorie macht Sinn. Weiß jemand, ob man hier Teilhard de Chardin fruchtbar machen könnte?

          • Andi Andi

            Noch ’n Gedanke zur Willensfreiheit: Ich würde von Gott erwarten, dass er meine Ablehnung aktzeptiert und mir trotzdem in Ewigkeit das Beste schafft aus Liebe. Nichtsdetotrotz kann ich nicht verstehen, wie erzulässt dass eines seiner Kinder ein anderes erschlägt (jeder menschliche Vater würde sie trennen). Christen, die dann mit leuchtenden Augen von der Willensfreiheit fabulieren, nenne ich frech. Gott hätte (wäre er bei der Schöpfung, zum Beispiel beim Urknall allmächtig gewesen, eine Welt schaffen können, in der auf der HGandlungsebene eine Auswahl an ausnahmslos guten Optionen vrliegen würde. Ähnlich wie wir nicht gegen die Schwerraft verstoßen können.
            Ich sehe das alles sehr dialektisch mit Behelfsgeschwurbel, wie häufig dann, wenn man keine eindeutige und befriedigende Antwort hat. Und die Engelein singen: Ge-heim-nis de-hes Glau-be-hens…

          • Katja Katja

            @Andi
            Ich finde es schon lange zynisch, dass Gott in der Bibel als Vater (und Mutter) beschrieben und angesprochen wird. Und behauptet wird, er hätte einen schon vor der Geburt im Blick gehabt, wir wären super wichtig für ihn, er würde alle Tränen und Schmerzen kennen und sehen, täglich für uns sorgen, uns befreien und wie eine Henne unter ihre Flügel nehmen.
            Keine menschlichen Eltern würden tatenlos zusehen, wie ihre Tochter vergewaltigt wird. Es sei denn, sie ist ihnen gleichgültig, sie sind Sadisten oder sie werden daran gehindert (weil sie vielleicht selbst gerade gefesselt daneben sitzen). Aber vielleicht kann Gott auch gar nicht tatenlos zusehen, weil er gar nicht fähig ist, die Taten zu sehen, von seiner alternativen Himmelswirklichkeit aus.
            Ich finde das Willensfreiheitsargument absurd. Jaaa, Gottes Liebe ist halt soo groß und sein Zugeständnis an unsere Freiheit so konsequent, dass er uns sogar ermöglicht, uns gegenseitig abzustechen. Prima.
            Und zu dem verblutenden Sohn, der nach seinem Vater ruft, von dem er immer glaubte, er sei Arzt, sagt der Vater dann: Ich bin nicht der Arzt, der ich behauptet hatte zu sein (zumindest nicht in diesem Leben). Ins Krankenhaus fahren? Äh, nee, sorry, das müsstest du schon selbst machen. Ja, ich weiß, die anderen haben dir erzählt, ich hätte einen Führerschein – das stimmt aber nicht. Aber – hey, ich versteh total, wie du dich gerade fühlst!
            So einen Papa wünscht sich doch jeder.

            @Jay
            Na, gut, dass du so genau die Wahrheit über Gott kennst und weißt, wer, wie, wann und wo Gott (nicht) ist. Und wie man an welchen Gott zu glauben hat.

            Vielleicht unternimmt Gott ja auch deshalb nichts gegen diese Missbrauchsfälle in kirchlichen Kreisen, damit alle Welt endlich erkennt, dass er nicht so ist, wie die Kirche ihn verkündigt. Dass er hier auf der Erde keinen Frieden stiften kann, keine Liebe schenken, keine Herzenserneuerung, keine Versöhnung, keine Würde verleihen, keinen bösen Taten Einhalt gebieten.
            Vielleicht sitzt er tatsächlich in seinem Himmel und will uns sagen: „Leute, Jesus hat damals in seinem jugendlichen Eifer ein bisschen viel aus der himmlischen Wundertüte geholt mit seinen Herzensveränderungen, Heilungen, Friedensstiftungen, Befreiungen und Vergebungen. Ich hab ihm auch gleich eine Standpauke gehalten, als er wieder hier oben war. Das war eigentlich nicht vorgesehen. Ich kann wirklich nichts tun von hier aus. Himmel ist eben nur im Himmel. Für das Gute seid alleine ihr zuständig. Ihr müsst euch nur mehr anstrengen und all die Verhaltensregeln umsetzen, die Jesus euch gegeben hat, besonders jetzt, da euer Planet vor die Hunde geht. Aber, immerhin: Ich weiß jetzt, wie beschissen es euch geht! Bin aber auch echt froh, dass meine Zeit auf der Erde vorbei ist. Und wenn es mir irgendwann danach ist, dann komme ich vielleicht und mache doch mal noch alles gut.“

            Ich will grade gar keine sinnvollen Antworten oder ästhetische Erklärungsmodelle. Ich will einfach nur Frust rauslassen. Über Gott und die Welt und die sinnvollen Antworten und ästhetischen Erklärungsmodelle, die gar keine sind…

          • Liebe Katja,

            Ich will grade gar keine sinnvollen Antworten oder ästhetische Erklärungsmodelle. Ich will einfach nur Frust rauslassen. Über Gott und die Welt und die sinnvollen Antworten und ästhetischen Erklärungsmodelle, die gar keine sind…

            Ja, das verstehe ich. Lass ruhig raus.
            Auf lange Sicht führt das nur eben zu nichts, außer dass man sich im Kreis dreht. Ich hoffe, Du verzeihst mir, wenn ich das so sage.

            Meine Beiden Posts wollten übrigens genau darauf hinweisen, dass die Erklärungsmodelle eben keine sind. Das was Gott zulässt – und ich hatte ja extra krasse Beispiele gewählt, um den Punkt zu verdeutliche – ist menschlich nicht fassbar. Keiner von uns würde seinem Kind derartiges zumuten, wenn er es verhindern kann. Da stimme ich Dir komplett zu, Katja. Ob Gott nicht kann, nicht will, gar nicht da ist, Freude daran hat, es ihn einen Scheiß interessiert, er sich gerade um Parkplätze kümmern muss und deshalb keine Zeit hat, whatever – das wissen wir nicht. Alles was wir aus christlicher Perspektive zur Orientierung haben, ist das Leben Jesu. Und auf diese Fragen bezogen, ist das eben nicht nur tröstlich.

            Und egal was wir über den Gott denken, der 6 Millionen Juden durch Konzentrationslager gehen lässt ohne einzugreifen – unsere Gedanken ändern daran nichts. Die nächsten 6 Millionen stehen schon in den Startlöchern. Wir haben keinen Einfluss auf Gottes Handeln. Außer wir werden selber tätig und nehmen uns des Problems an. Wir können lamentieren so viel wir wollen, am nächsten Tag werden wir wieder in derselben Welt erwachen, die uns dann immer noch fragt, ob wir nun Teil der Antwort sein wollen oder Teil des Problems?

            Darauf läuft das Ganze für mich hinaus. Ob ich Gott wegen unterlassener Hilfeleistung vor Gericht stelle, ändert an der Welt, wie sie ist, genau nichts.

            LG,
            der Jay

          • PS Hier noch eine Geschichte, die mir dazu eingefallen ist:

            Seesterne retten

            Ein furchtbarer Sturm kam auf. Der Orkan tobte. Das Meer wurde aufgewühlt und meterhohe Wellen brachen sich ohrenbetäubend laut am Strand.
            Nachdem das Unwetter langsam nachließ, klarte der Himmel wieder auf. Am Strand lagen aber unzählige von Seesternen, die von der Strömung an den Strand geworfen worden waren.
            Ein kleiner Junge lief am Strand entlang, nahm behutsam Seestern für Seestern in die Hand und warf sie zurück ins Meer.
            Ein Mann, der die Szene eine Zeitlang beobachtet hatte, ging zu dem Jungen und sagte: „Du dummer Junge! Was du da machst ist vollkommen sinnlos. Siehst du nicht, dass der ganze Strand voll von Seesternen ist? Die kannst du nie alle zurück ins Meer werfen! Was du da tust, ändert nicht das Geringste!“
             
            Der Junge schaute den Mann einen Moment lang an. Dann ging er zu dem nächsten Seestern, hob ihn behutsam vom Boden auf und warf ihn ins Meer. Zu dem Mann sagte er: „Für diesen hier hat es etwas geändert!“

  15. Nicky Nicky

    Hi
    mir sträuben sich die Haare. Wie war das:
    Jemand, der sich scheiße verhält kann trotzdem die Wahrheit sagen …. so nach dem Motto: ist ja trotzdem was Gutes dran, er hat ja die Zahl der Gläubigen vermehrt.
    Würden wir an einen Jesus glauben und auf ihn hoffen, wenn sein Leben von solchen miesen Taten gepflastert wäre?
    Überlegt doch mal was ihr da sagt!
    Das ganze System Gemeinde stinkt von innen. Es baut ja geradezu darauf auf dass die „armen Unerlösten“ von den „Erlösten“ unterwiesen werden im „rechten Glauben“ und dieser grundlegende Denkfehler im Miteinander begünstigt alles was mit Macht missbraucht zu tun hat. Das Opfer Kind droht Opfer Kind zu bleiben weil gar kein tiefes Interesse daran besteht die Strukturen zu ändern. Ich habe definitiv die Schnauze voll von frommen Diskussionen über die Macht Gottes. Es ist naive zu glauben der Mensch könne sich durch seine Gottergebenheit von der Verantwortung freikaufen.
    Es kommt mir manchmal so vor als habe der Christenmensch nicht genug Arsch in der Hose und es gehr hauptsächlich um die eigene Erlösung, den eigenen Platz im Himmel, und Abwendung von Leid und Unangenehmen im Leben.
    Ich bin fertig mit dem Kampf um Veränderung in Gemeinde. Es gibt zu Viele die wollen es gead soooo weiter haben wie bisher.

    • Hallo Nicky,
      ich verstehe gerade nicht, worauf sich Dein Kommentar bezieht. Haben wir im im Talk nicht sehr deutlich kommuniziert, dass wir das recht ähnlich empfinden wie Du?

      LG,
      der Jay

  16. Nele Nele

    Mich erschreckt am meisten, dass mich dieser Fall kein bisschen überrascht. Ich denke er ist einer von vielen der jetzt eben öffentlich wird, aber die Dunkelziffer ist sicher riesig.
    Danke also, dass ihr das thematisiert, ganz in dem Bewusstsein, dass ihr zwei Kerle seid.
    Natürlich ist es traurig und schockierend, dass so etwas passiert an einem Ort, wo man es nicht erwarten würde, weil dort eine Botschaft vermittelt wird, die doch genau das Gegenteil verspricht: Liebe und Zuflucht. Aber darüber schockiert zu sein reicht nicht aus. Danke Gofi also für den logischen Schritt zur Selbstreflektion!

    Ich finde die Gründe für die Möglichkeiten sexuellen Missbrauchs innerhalb von christlichen Gemeinden hättet ihr aber noch mehr Raum geben können.
    In ein paar Kommentaren wurde schon mehr dazu gesagt. Ein Hoch der Community, aber wahrscheinlich lesen nicht soo viele Menschen die Kommentare wie Menschen die den Podcast hören. Deswegen fänd ich eine Vertiefung des Themas – besonders mit einer Frau – sehr gut und finde die Idee super, Veronika Schmidt einzuladen.

    Und dann würde ich mich besonders freuen, wenn ihr nicht nur den Aspekt der Gemeindestrukturen beleuchtet, durch die Missbrauch möglich wird. Denn das die Vertuschung von Sünden für den Erhalt des Systems, das Prinzip von Machtpositionen oder Tabuisierung von Sexualität eine Missbrauchskultur begünstigen, ist zwar schrecklich, aber ja auch nicht so sehr neu. Darüber habt ihr schon öfter gesprochen, oder?

    Ich finde viel spannender welches Bild von Frauen nach wie vor in Gemeinden vermittelt wird und in wie weit das im Zusammenhang zu sexuellen Missbrauch steht. Julia hat dazu schon viele gute Punkte genannt, finde ich.
    Sicherlich sind patriachale Strukturen nicht nur ein Problem von Kirche, aber was gesellschaftliche Themen betrifft ist Kirche ja leider häufig ein paar Schritte hinterher.
    Da ja oft die Bibel als Grundlage bzw Begründung für manches Handeln genutzt wäre zb spannend zu hinterfragen, welche Bibelauslegungen ein patriachales Frauenbild unterstützen und warum in vielen Kirchen/Gemeinden so sehr an diesem Bild festgehalten wird.

    Ich freue mich schon wenn ihr, weiter in dem Bewusstsein zwei Kerle zu sein, in der Folge mit Veronika Schmidt auch dieses Thema vertiefend angeht.

    • Anselm Stiehl Anselm Stiehl

      Im Nachgang der furchtbaren Anschläge auf Asiatisch-US-Amerikanische Frauen in Atlanta ist mir das auch nochmal nachgegangen. Diese Frauen wurden, so wie ich es verstanden habe, Opfer, weil sie in den Augen des Attentäters „Versuchungen“ waren. Das ist eine bestimmte evangelikale Logik, die ich auch selber in Reinheits-Ratgeber-Büchern gelesen habe, nur zu Ende gedacht: Da wird dir geraten, deine Blicke von Frauen „wegspringen“ zu lassen, weil sie dich in Versuchung bringen. Damit werden Frauen und Mädchen wieder nur aufs Objekt reduziert. Ihr Mit-Menschsein wird ignoriert. Die Dinge, die wir sowohl in Atlanta als auch bei RZ und überall sonst sehen müssen, haben mit dieser unmenschlichen Reinheitskultur zu tun (Purity). Paulus riet Timotheus nicht, Frauen nicht anzusehen, sondern sie richtig anzusehen – in seiner Sprache „als Schwestern“, also als gleichgestellte, gleichgeliebte Kinder Gottes.
      Ich glaube tatsächlich, das Wegsehen ist Teil des selbsterhaltenden patriachalen Systems. Das Hinsehen, Wahrnehmen (die ganze Wahrheit/Würde/Wert des Gegenübers annehmen) führt zu der Art von Entmachtung der Machthaber, die erst die Voraussetzung für Heilung ist. Alle Entschuldigungen und Bezeugungen von Mitgefühl sind nichts wert, wenn sie nicht mein (Mann, weiß) Verhältnis zu Macht und Kontrolle ändern.

  17. mARi mARi

    Ich musste an den Diederich Heßling in „Der Untertan“ denken, als du, Jay, – eher im Scherz – über die Ergebenheit gegenüber solch mächtigen Männern sprachst und fast denselben Wortlaut verwendet hast: „Fürchterlicher als Gnom und Kröte war der Vater, und obendrein sollte man ihn lieben. Diederich liebte ihn. […] Kam er nach einer Abstrafung mit gedunsenem Gesicht und unter Geheul an der Werkstätte vorbei, dann lachten die Arbeiter. […] ‚Ich habe Prügel bekommen, aber von meinem Papa. Ihr wäret froh, wenn ihr auch Prügel von ihm bekommen könntet. Aber dafür seid ihr viel zu wenig.'“Die Vorstellung, dass es in dieser Zeit (1919 wurde der Text veröffentlicht) anscheinend relativ normal war, einen solchen Vater zu haben, gruselt mich fast noch mehr als die Geschichte von R. Z…. Und ja, mit der Aufarbeitung dieses Männerbilds sind wir schon weit gekommen, aber noch lange nicht fertig. Ihr seid ein gutes Vorbild, indem ihr euch von der Reflexion nicht ausnehmt! Ich bin sehr gespannt auf das Gespräch mit Veronika Schmidt! 🙂

    • mARi mARi

      Mein Kommentar bezieht sich übrigens auf 1:25:30 ff, wo du, Jay, von deinen Erfahrungen mit dem Gemeindeleiter erzählst. Das hat mich an diesen Text erinnert…

      • Ja, das hatte ich auch genauso verstanden. Der Text aus „der Untertan“ passt da wirklich dazu wie die Faust aufs Auge.
        LG,
        der Jay

  18. Kriti-Sir Kriti-Sir

    Die Diskussion erinnert etwas an den Twist zwischen „Kunst und Künstler“.
    Fand es schade, dass ihr als olle Kunstfetischisten nicht lieber den Bogen dorthin geschlagen habt. Aber gut – fülle ich diese Lücke doch gerne :).

    Bei „Kunst und Künstler“ ist es eben nicht so krass, da Kunst ohnehin immer selbsthinterfragend und kritisch ist. Da gibt es eben keine definitiven Aussagen wie „Das ist DIE Wahrheit.“. Hat es ein Künstler deswegen leichter?
    Ein Mann Gottes sollte frei nach Römer 12,1f. sein ganzes Leben dem HERRN widmen und da ist der Bruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit, der durch die ganze Menschheitsgeschichte und durch jeden einzelnen Menschen geht.
    Gott gebracht immer fehlerhafte Menschen, aber er möchte uns ja aus unseren Sünden erretten.
    So wie ich es nun verstanden habe, hat R längste Zeit seine düstere Seite gehabt, von der er nicht ablassen konnte, was zu grausamen Frage führt: Wie konnte Gott ihn so lange gebrauchen? Hätte er ihn nicht fallen lassen müssen? War es für R nur ein Spiel? (Dagegen spricht, was von seinem Totenbett berichtet wird) Wie nahe kann man Gott kommen und sich trotzdem nicht von seinen gröbsten Sünden abwenden?

    Zu der Frage nach der „Wirksamkeit der Bekehrungen“: Es ist ja so, dass nur der Geist Gottes die Herzen zu berühren vermag und kein Mensch. Menschen können uns immer nur zu Jesus führen und wer Vergebung von ihm erfährt, für den sollte der Übermittler der Botschaft dann mehr als zweitrangig werden. („Ich bin auf Apollos getauft. auf Paulus…ihr wisst, was ich meine).

    Die Geschehnisse um Ravi Zacharias selbst sind mir egal. Es geht mir nicht nahe.
    Die katholische Kirche hat scheinbar ein strukturelles Problem damit (auch so ein Punkt, den ihr gar nicht genannt habt).
    Was mich dann doch etwas erschreckt, ist das Ausmaß der Taten Rs. Er hätte auch einfach Pornos schauen können oder zu Prostituierten gehen können, aber nein! er hat Gefallen am Katz-und-Maus-Spiel. Das ist eben nicht einfach Geilheit und Triebabfuhr, sondern „organisierte Sünde“, um es mal fromm auszudrücken.
    Andererseits frage ich mich, ob und wie er damit gekämpft hat. Die eigene Geschlechtlichkeit ist eben auch bei den Katholen ein Thema, das sich nicht unter den Teppich kehren lässt.

    Zum Letzten: Es gibt toxische Männlichkeit, aber auch toxische Weiblichkeit. Menschen beider Geschlechter brauchen die Vergebung Gottes oder zergehen sonst in ihren Sünden. Das muss in die gesellschaftliche Debatte mit eingebracht werden!

    P.S.: Ändert endlich euren Jingle in „J. und Gofy hinterfragen die Welt“ 😉

    • Kriti-Sir Kriti-Sir

      Nachschlag zur Frage des Übermittlers der Frohen Botschaft:
      Art. 8 der Augsburger Bekenntnisse (1530):

      „Die Kirche ist die Versammlung der Heiligen und wahrhaft Glaubenden. Dennoch ist die Kirche ein corpus permixtum, ein „durchmischter Körper“, da sich in ihr auch Heuchler und Schlechte finden.

      Die Sakramente bleiben aber dennoch wirksam, auch wenn die Priester nicht fromm sind. Es hängt nicht am Glauben der Priester, sondern an den Worten Christi. Darum werden auch die altkirchlichen Donatisten als Ketzer verdammt, die die Wirksamkeit der Sakramente vom Glauben der Priester abhängig machen.“ (Zus.fassung nach Wikipedia)

      Im Grunde wird also auch hier der Gedanke unterstützt, dass der Glaube nicht an Personen, sondern an Christus hängt.
      Bemerkenswert ist außerdem, dass diese Passage überhaupt in die lediglich 28 Artikel der AB aufgenommen worden ist.
      Man hat diesen Fall, der nunmehr „mal wieder“ aufgetreten ist, von Anfang der Reformation an mitgedacht.

      Als biblischen Querverweis fällt mir aktuell nur Gal. 1,8 ein: „Aber selbst wenn wir oder ein Engel vom Himmel euch ein Evangelium predigen würden, das anders ist, als wir es euch gepredigt haben, der sei verflucht.“ (LUT 2017).
      Daraus kann geschlossen werden, dass für Paulus der Inhalt der Botschaft das entscheidende Kriterium war und nicht dessen Boten.

      Der Fall ging mir jetzt auch noch etwas nach…
      Was für ein Zwiespalt!

      • Hallo Kriti-Sir,
        aber die Wirksamkeit der Botschaft stand doch gar nicht zur Debatte. Also ob jemand wirklich bekehrt ist, der sich durch ein Buch oder durch eine Predigt von Zacharias bekehrt hat. Die Menschen bekehren sich durch die unsinnigsten Dinge. Cat Stevens wäre beinah ertrunken und hat gebetet, dass er, wenn er überleben würde, er Gott sein Leben schenken würde. Daraufhin ist er Muslim geworden. Nina Hagen ist auf einem LSD-Trip Jesus begegnet, der ihr gegen Dämonen half. Sie ist infolge dessen Christ geworden. Andere sind infolge religiöser Erfahrungen auf LSD-Trips Hindus geworden. Luther hat sich durch ein Gebet zur Heiligen Anna während eines heftigen Gewitters Gott zugewandt. Andere wurden stattdessen vom Blitz erschlagen. Die Eine hat in der Predigt von Ravi Zacharias die Hand Gottes auf ihrem Leben gespürt und zu Jesus gefunden, die andere konnte während derselben Predigt an nichts anderes als Ravi Zacharias Hände denken, die ihren Körper vergewaltigen.

        Wie real religiöse Erfahrungen sind, kann doch sowieso niemand beurteilen. Sie geschehen. Mal in unserem Team, mal im Team der Nachbarreligion. Mal durch LSD, mal durch Aberglauben, mal angestoßen von einem atheistischen Buch, mal angestoßen durch die Lektüre der Bibel, mal als Folge einer Psychose, mal als Folge von Fasten und Beten, mal durch die Predigt eines Heiligen und mal durch die Predigt eines Scharlatans. Punkt.

        (Genauso erleben Menschen übrigens auch ihre Dekonversionen inspiriert von genau denselben Dingen. Die einen werden durch das Lesen der Bibel Christen, für die anderen war deren Lektüre der Schlüssel, Atheist zu werden.)

        Meines Erachtens steht der Inhalt der Botschaft dabei relativ selten im Vordergrund. Das ist nur bei uns protestantischen, Wort-orientierten, Zeltevangelisations geübten Christen so. Wir denken, dass der Ausschlag für eine Bekehrung daran hängt, ob jemand das evangelikale Evangelium verstanden habe. In anderen christlichen Kontexten – und wenn man ehrlich ist genauso in evangelikalen – wird das ganz bestimmt nicht als Hauptursache für eine Hinwendung zu Gott berichtet. Und so geht es in Artikel 8 des Augsburger Bekenntnisses auch nicht um den Inhalt einer Botschaft, sondern um die Wirksamkeit des Sakramentes.

        Natürlich hängt die Wahrheit von Ravi Zacharias Botschaft nicht an seinem Lebenswandel, da hast du natürlich Recht. Und genauso wenig hängt das, was man das Wirken Gottes nennen mag, daran. Aber das war ja auch gar nicht die Frage. Die Frage war, was es über die Liebe zur Wahrheit der Menschen aussagt, die einen notorischen Lügner und Scharlatan zu ihrem Apostel der Wahrheit erklärt haben?

        Mich erinnert das doch sehr an das Jesus-Wort über die Pharisäer, denen er ankreidet, Mücken auszusieben und Kamele zu verschlucken.

        Aber eigentlich ist das allerhöchstens die dritte Frage. Die erste muss denen gelten, die von diesem Scharlatan missbraucht wurden. Und die Zweite der Vorkehrung, dass so etwas möglichst nicht wieder geschehen kann.

        LG,
        der Jay

  19. Jens Geißel Jens Geißel

    Gestern machte ein Freund mich auf das Lied „Jesus He Knows Me“ der Band Genesis von 1991 aufmerksam, als ich ihm von diesem Talk #165 erzählte. Vielleicht erzähle ich vielen von euch hier nichts neues, aber mir fiel es wie Schuppen von den Augen als ich mir das Video dazu angesehen habe. Ein Lied, welches ich gefühlt schon tausendmal gehört habe ohne wirklich zu beachten worum es darin geht. Wen es interessiert, schaut euch doch mal das zugehörige Video an und lasst den Text dazu wirken!
    Sicherlich nicht in allen Punkten auf diesen Talk übertragbar (hier geht es nicht um Sexuelle Übergriffe), aber dennoch sehr viele Parallelen, wie ich finde. Zum Beispiel das Doppelleben des TV-Predigers der hier karikiert wird, wie er ein intaktes Familien- und Gemeindeleben vorspielt und verheimlicht zugleich seine Treffen mit der Freundin, des Freundes und lässt sich von hübschen Frauen massieren und verwöhnen …
    Der Punkt ist doch der: Schon 1991 haben Leute sowas erkannt und angeprangert. Doch auf wie viele taube Ohren, Nichtbeachtung und wahrscheinlich sogar Ablehnung mag dieses Lied wohl bis heute in der „Evangelikalen Welt“ gestoßen sein? … wage ich mal zu behaupten.
    Ich möchte damit sagen: Ein gesundes Maß an Wachsamkeit seinen eigenen „frommen Club“ (wenn man in einen geht) und sich selbst immer wieder zu hinterfragen ist absolut notwendig!

  20. PrinceCaspian PrinceCaspian

    Liebe Hossa-Gemeinde,
    nach Jahren des hemmungslosen Konsums vieler (und Nachdenkens über viele) der hier gelisteten Talks melde ich mich nun erstmals in einem Kommentar zu Wort.
    Zunächst großes Kompliment: Hier wie auch in vielen anderen Hossa-Talks entdecke ich eine Bereitschaft zur Selbstreflexion, die ich jahrelang in christlichen Gemeinden (und auch bei mir selbst) vermisst habe. Danke dafür. Die christliche Szene (weltweit) wäre gut beraten, sich in all ihrem Reden und Handeln solche Selbstreflexion und -kritik als innere Haltung dauerhaft zu eigen zu machen. Soweit mal ganz generell.
    Zum Thema: Ich selbst hatte R.Z. erst seit letztem Jahr und mehr so als Hintergrundrauschen wahrgenommen. Ab und zu hat YouTube mir seine Videos vorgeschlagen, ich kurz mal reingeklickt, mehr auch nicht. Erst durch diesen Skandal ist er mehr in mein Blickfeld geraten.
    Darüber, wie sich solcher Machtmissbrauch bis hin zum sexuellen Missbrauch entwickeln kann, begünstigt von bestimmten Faktoren, die des Öfteren gerade in christlichen Gemeinden vorhanden zu sein scheinen, darüber wurde oben schon viel diskutiert. Ich finde diese Diskussion wichtig und richtig und habe vielen der im Talk und oben genannten Argumente gar nichts hinzuzufügen. Mögen Sie echte Veränderung in den Hierarchien und Machtstrukturen unserer Gemeinden (und anderswo) anstoßen.
    Ich möchte aber an dieser Stelle auch nochmal R.Z. als Person in den Blick nehmen und in dem Zusammenhang ein anderes Problemfeld ansprechen, das mich seit einiger Zeit beschäftigt: Das Verhalten von R.Z. und anderen „gefallenen“ Vorbildern wird ja von uns gerne mal als „krank“ bezeichnet. Die meisten von uns gebrauchen dieses Wort aber wohl kaum im Sinne eines medizinischen Befunds. Sondern um Unverständnis, Ekel und Abscheu über einen Menschen bzw. dessen Verhalten zum Ausdruck zu bringen.
    Was aber, wenn er wirklich krank war? Wenn irgendwas in seinem Kopf tatsächlich nicht „richtig“ oder „gesund“ verdrahtet war (auch wenn ich solche Urteile selbst als extrem problematisch empfinde)?
    Und was, wenn genau das bei etlichen unserer LeiterInnen in den Gemeinden auch (mehr oder weniger) der Fall ist – und dann vielleicht auch noch unser Verständnis von Leiterschaft stellenweise den Machteinfluss von Menschen mit einer (im weitesten Sinne) „problematischen“ Persönlichkeit begünstigt – wenn auch ungewollt? (z.B. die Bühnenpräsenz als bejubelter Prediger in Verbindung etwa mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur.)
    Weiter: Wenn wir auf die oben angesprochene „Eigenverantwortung“ pochen, dann gehen wir ja immer stillschweigend davon aus, dass jeder Mensch ungefähr die gleichen Voraussetzungen für eine solche Eigenverantwortung mitbringt. Was aber, wenn das gar nicht der Fall sein sollte?
    Ich unterrichte Religion an einem Gymnasium. In der Oberstufe besprechen wir u.a., wie der Mensch zu dem wird, was er ist – also grob gesagt, wie er fühlt, denkt, handelt, entscheidet. Klassischerweise wurde hierfür oft ein (in seinen Anteilen veränderbarer) Mix aus Erbanlagen (Gene), Milieu (Umfeld) und freiem Willen angenommen. Seit einigen Jahren versuche ich auch neuere Erkenntnisse aus der Hirnforschung und der Neurobiologie einzuarbeiten. Manchmal wird mir dabei ganz anders – da gibt es Forscher, die im Prinzip behaupten, dass sich das alte Modell von Sühne und Schuld bald als überholt erweisen könnte, da wir eben immer nur im Rahmen der Möglichkeiten handeln können, die uns der spezifische Aufbau unseres Gehirns zur Verfügung stellt – und für diesen Aufbau können wir ja nichts. Die Hirnforschung steht bezüglich dieser „Neuro-Justiz“ zwar noch am Anfang, aber das könnte in den kommenden Jahren schon noch ordentlich Sprengstoff liefern… sowohl für die Justiz als auch fürs Christentum.
    Was also nun, wenn das Hirn von R.Z. tatsächlich so geformt war, dass es ihm erlaubt hat, in einer Art Alternativrealität zu leben, die für ihn vollkommen stimmig war (und er sich deshalb also auch gar nicht notwendigerweise „selbst belügen“ musste)? – Dann stoßen wir mit unseren Be- und Verurteilungen an Grenzen. Ich möchte hier nichts entschuldigen und finde das Verhalten dieses Mannes natürlich trotzdem entsetzlich – aber, um es auf die Spitze zu treiben: Was, wenn R.Z. gar nichts dafür konnte? Mir gefällt der Gedanke selbst nicht. Aber er wäre immerhin denk-möglich.
    Über diese Fragen wäre doch mal eine Folge mit einem Hirnforscher interessant…?

  21. PrinceCaspian PrinceCaspian

    Noch was: Ich bin schon vor einiger Zeit in einen anderen Zusammenhang auf den Begriff des „Gaslighting“ gestoßen, als ich versucht habe, mir das extrem manipulative Verhalten eines Menschen in meinem Bekanntenkreis zu erklären. Danke für den Link zur englischen Website mit den elf Punkten! Da sind mir nochmal einige Kronleuchter aufgegangen. 🙂

    Übrigens, im englischen Artikel wird ja der Begriff auf einen Filmtitel von 1944 zurückgeführt, aber es wird, glaube ich, dort auch nicht weiter erklärt, was das nun mit Gaslampen zu tun haben soll… für alle, die es interessiert:

    „Der Begriff „gaslighting“ leitet seinen Namen vom Theaterstück bzw. Film “Gas Light” mit Ingrid Bergmann ab. In diesem Stück versucht ein Mann seine Frau durch Manipulieren von Gegenständen in ihrer Umgebung in den Wahnsinn zu treiben. Der Film erhielt seinen Titel aufgrund jener Szene, in der der Ehemann die Gaslampen im Raum unbemerkt ein wenig dimmt und seiner Frau einzureden versucht, das Licht im Raum habe sich nicht geändert und es sei bloß ihre Einbildung, die ihr einen Streich spiele.“ (Online-Lexikon für Psychologie und Pädagogik; URL: https://lexikon.stangl.eu/16150/gaslighting)

  22. Mahlzeit,

    eine Bekannte arbeitete in den 90er in einem sozialmissionarischen Arbeitsumfeld in einer deutschen Großstadt. Der Leiter war eine absolut charismatische Persönlichkeit und brachte den Laden wirklich nach vorne. Um die Geschichte kurz zu machen: Ende der 90er stellte sich raus dass er über Jahre _hunderte_ Frauen in der Einzelseelsorge missbraucht hat. Neee nicht geistlicher Missbrauch sondern… Da die Gesetzgebung 1997 erst geändert wurde war es juristisch nicht leicht aufzuarbeiten aber ein Dutzend Opfer hat es trotzdem versucht. Der Fall wurde dann eingestellt. Die Organsisation, die dahinter stand, machte auch nichts obwohl sie davon wusste. Den Opfern wurde gesagt: „Nee ihr dürft nichts sagen, denkt mal was das in seiner Familie ausrichten würde“. So wurden dann auch noch die Opfer zu Schuldigen gemacht.

    Dieser Mann arbeitet weiter in diversen frei-evangelikalen Organisationen. Auch als Leiter und Seelsorger.

    Mein persönliches Fazit: Dieses religiöse System ermöglicht den Machtmissbrauch erst. Das sind keine Einzelfälle. Das ist der ganz normale Wahnsinn. Ein gesellschaftliches Spiegelbild, bloß mit mehr Macht. Einfach widerwärtig.

    Und jeder in den „Leiterschaften“/von den „Leidenschaffenden“ trägt persönlich die Verantwortung wenn so etwas passiert. Es kann sich keiner rausreden.

    Deshalb ist für mich das Thema „Kirche“ durch. Das Konzept ist gescheitert. Verstehe inzwischen auch Menschen nicht mehr, die diese „Kollateralschäden“ tolerieren.

    Musste raus. Sorry.

  23. Angelika Angelika

    Hallo ihr Zwei,
    ich höre euren Podcast in lockeren Abständen und habe mich bis jetzt nicht schriftlich beteiligt. Bin da eher etwas schüchtern.
    Auf jeden Fall finde ich euch sehr erfrischend und ihr regt mich immer wieder an, über Themen tiefer nachzudenken. Vielen Dank an dieser Stelle.

    Zum letzten Beitrag über Ravi Z. möchte ich doch meinen Senf dazu geben.
    Mir kam etwas zu kurz, wie man es vermeiden kann, Opfer zu werden.
    Ich bin evangelikal aufgewachsen als Kastelanskind habe ich direkt an dem Gemeindehaus gewohnt. Ich hatte, außer Schule, kein Kontakt zur „Welt“. Eine Therapeutin sagte mir dann später, ich sei seelisch missbraucht worden. Um die ganze Geschichte kurz zu halten…ich bin vor 17 Jahren ausgetreten… Therapie und die Kontemplation, auch Zazen, haben mich in die Freiheit geführt.
    Dass ich nicht sexuell missbraucht wurde, habe ich meiner Mutter zu verdanken. Da war sie immer ganz deutlich. Sie sagte zu uns: sag laut „nein“, schweige nicht und, obwohl „Scheidung“ damals ein „no go“ war, sagte sie, wenn dich ein Mann schlägt, pack deine Sachen und geh. (habe mich heute, nach dem Vortrag, dafür bei meiner 81 jährigen Mutter bedankt).
    Das meine ich, ist wichtig:“ Macht eure Kinder stark! “ und hinschauen und meinen leisen Gefühlen trauen!

    Und Vorsicht bei „Lehrern“ denen alle hinterher rennen!!
    Mich hat vor kurzem jemand gefragt, wer mein Lehrer auf dem kontemplativen Weg ist. Ich sagte: Keiner. Ich lese viele Mystiker und das Leben hat mir immer Menschen oder Gruppen auf den Weg geschickt, damit ich ein Stückchen weiter komme. Ich geh in kleine Klöster zur Einkehr, die großen Lehrer vermeide ich. Dürkheim meinte mal so treffend, der Meister ist in dir.

    Noch ein Gedanke zur Macht.
    Wenn ich in eine Leitungsfunktion aufsteige oder ich „Nachfolger“ habe, die mich bewundern und mich auf ein Podest heben, was kann helfen, dass ich die Realität nicht aus den Augen verliere?
    Seit September habe ich selber eine Leitungsfunktion (eher zufällig, als angestrebt) und ich habe mich bei einem lieben Menschen darüber beklagt, dass ich manchmal so kähl angemacht werde, so nach dem Motto, wer hat hier das sagen. Das ist so neu für mich. Da meinte er, ich soll über solche Reaktionen dankbar sein , sie helfen dabei, sich wieder zu erden und wenn ich beobachte, was Kritik o. ä. , mit mir macht, kann ich viel über MICH lernen.

    Am Schluss noch eine kleine Anmerkung, die mich bei diesem Podcast wirklich gestört hat. Wie kann man bei so einem schweren Thema, nebenher genüsslich sein Wein schlürfen? Das fand ich wirklich unpassend!!!

    Danke fürs zuhören bzw. lesen meiner Nachricht! Ich werde immer mal wieder, in lockeren Abständen 😉, bei euch reinhören, aber nie aufhören selbstständig zu denken. Also , keine Angst, ich werde euch nicht blind nachfolgen😜. Wir sind alle unterwegs, wir sind gemeinsam unterwegs.
    Ganz liebe Grüße,
    Angelika

    • Liebe Angelika,
      danke fürs Mut machen und Teilen Deiner Geschichte und Deiner guten Gedanken und Ergänzungen.
      LG,
      der Jay

  24. Patrick Rabe Patrick Rabe

    Mhhh, hallo Leute.

    Ich möchte mich bei dieser Folge hier erstmal zurückhalten. Würde mich diesbzüglich über eine mail von Jay freuen. Ich habe schon seit längerem den Eindruck, dass sich in der evangelikalen welt, gerade in der, die von Amerika ausgeht, sehr vieles durchmischt an geistlichem und weltlichem, was z.B. teilweise zu obskuren Besessenheitsphänomenen führen kann. Das beobachte ich kritisch. Für mich waren z.B. fast alle Dinge, die auf den Straßen Amerikas um die Zeit von Trumps Abwahl herum geschahen, von solchen Dingen beeinflusst. Aus gerade dem grund heraus- nämlich die „Geister unterscheiden zu können“ habe ich mich ja schon vor Jahren aus der evangelikalen bzw. pfingstlichen Szene verabschiedet. Ich habe heute, zumindest in Deutschland, das Gefühl, dass manche schon nicht mehr richtig zwischen evangelisch und evangelikal unterscheiden können, geschweige denn zwischen pitistisch-evangelikal und pfingstlich-evangelikal. Diese immer mehr zunehmende „Einheitsoße“ geht mit immer mehr auf den Senkel, zumal es den Blick darauf verstellt, was was ist, und wo jede Konfession vielleicht auch ihre guten Seiten und Aufgaben hat. Ich denke halt, ebensowenig, wie ich mein bester Freund Jan bin (und er trotz seines namens nicht der Jünger Johannes ist…), ist ein evangelikaler Christ ein evangelisch-lutherischer Christ. Mit der Spitzhacke oder mit Hörnerhelmen muss man trotzdem nicht aufeinander losgehen. Und zu Ravi Z. (ich habe noch nie von ihm gehört) oder ähnlichen Fällen: Ich glaube, dass die Liebe und Gnade Christi nichts „wegnimmt“, aber unsere Einstellung zu etwas verändert, und unser verhalten reifer und gesünder macht. Wenn ich darum bete: „Herr, nimm mir etwas weg!“, dann bringe ich damit mindestens implizit zum Ausdruck, dass ich es ablehne und gar nicht haben will. Das ist sehr typisch für die evangelikale Szene (eigentlich schon in der „Lebensübergabe“… Gott hat es uns doch geschenkt, oder?), ist aber, besonders, wenn es mit einer Verdammung dieser Eigenschaft einhergeht (erst bei sich und dann bei anderen), außerordentlich problematisch. Hätte dieser ravi Z. gebetet: „Herr, lehre mich, mit Frauen respektvoller umzugehen“, wäre es vermutlich nicht so weit gekommen. Leider gibt es solche unsinnigen gebete wie „Herr, lass meine sexuelle Lust auf alles erlöschen. Nur meine Ehefrau soll mir noch gefallen.“, immer wieder. meine persönliche erfahrung damit ist folgende. (Nach jahren des Ringens kann ich das heute so sagen): Gott nimmt einem gar nichts weg, was er einem je gegeben hat (am Tage der Geburt. Für alle Pfingstchristen: ich meine hier die leibliche, also körperliche Geburt). Wenn man so betet, wie dieser ravi Z. es offenbar getan hat, dann legt Gott eine Art Dunkelstelle, oder Leerstelle auf diese Eigenschaft. Wenn man sie allerdings dann auch noch verdammt, wird sie zum eigenen feind, der von überallher auf einen zukommen kann, auch aus anderen Menschen oder der übrigen Umgebung. Wenn man christlich um eine verwandlung einer problematischen Eigenschaft in etwas Gutes bittet, passiert aus meiner Sicht ebrn dies: Sie verwandelt sich und man ist erlöst von ihrem dunklen Potenzial. Ich persönlich denke, dass die Ablehnung, verdammung und verwerfung von sexualität in der christenheit (und teilweise auch im Judentum und Islam) zu derartig negativen Auswüchsen geführt hat. Gott schenkt uns unser ganzes Sein. Er sagt nicht: „Dieses oder jenes darfst du an dir nicht mögen, nicht nutzen oder nicht ausleben.“ Dennoch gibt er uns auch die Stimme des Gewissens mit. Wenn wir auf sie hören, merken wir, wenn wir einem anderen schaden oder wehtun. Und dann können wir es lassen, oder Gott bitten, uns zu helfen, es nicht mehr zu tun. Und wenn die stimme des Gewissens in uns verstummt, wird uns dennoch zumindest unsere Umwelt irgendwie zeigen, dass da etwas nicht in Ordnung ist. Ich zumindest halte das Verwerfen und Verdammen von Menschen, Eigenschaften etc. aber auch Tieren oder der Natur für etwas ganz bedauerliches. Gott hat alles so gut gemacht. Jetzt in diesen vorösterlichen Tagen, wenn ich in die natur gehe, sehe ich so viel Schönheit, Freundlichkeit, und so viel Einladendes. Und so wil Gott auch die Menschen zum Blühen bringen. Wenn man ihn lässt. „Du bist doof, du irrst dich, und du hast scheiße gebaut.“ kann man natürlich trotzdem sagen. Auch: „Du bist ein verbrecher.“, oder „Du hast Leben zerstört.“. Das ist aber auch etwas anderes, als eine totale Verdammung.

    Alles Liebe,

    euer Patrick Rabe

  25. X. X.

    ,,Von dieser Art habe ich genug gehört! Nur Last ist euer Trost für mich, nicht Hilfe! Machst du nun endlich Schluss mit dem Gerede? Was reizt dich denn, mir ständig zu erwidern?
    Wenn ihr jetzt an meiner Stelle wärt, dann könnte ich genau die selbe Scheiße erzählen.
    Ich könnte meinen Kopf genauso weise schütteln und euch mit schönen Sprüchen volllabern. Gott hat sein Ziel erreicht: Ich bin am Ende, rings um mich ist es menschenleer geworden.
    NACHDEM DER HERR DAS ALLES ZU HIOB GESAGT HATTE, WANDTE ER SICH AN ELIFAS VON TEMAN UND SAGTE:
    ,,ICH BIN ZORNIG AUF DICH UND DEINE BEIDEN FREUNDE; DENN IHR HABT NICHT DIE WAHRHEIT ÜBER MICH GESAGT WIE MEIN DIENER HIOB.“
    HIOB 16, 2-4+7 und HIOB 42, 7

    WAS SIND WIR NUR ALLE MANCHMAL FÜR VERFICKTE, HOCHMÜTIGE, VERWÖHNTE FROMME GESELLSCHAFT, NICHT WAHR?
    VOLLGESTOPFT MIT PHRASEN UND TOTEN BUCHSTABEN!
    DANKE AN HERR JAY FÜR SEINEN EHRLICHEN ZORN!

  26. Jonathan Batt Jonathan Batt

    Kressich wie viele Kommentare das wieder gab. Und vor allem die Länge, da musst du ja vollamtlich ‚freigesetzt‘ sein, um das zu verarbeiten.

    Naja, ich habe mir eure Ravi-Analyse im langen Waldspaziergang auch zugeführt. Fand‘s wertvoll insofern ihr auf die systemische Problematik hinweist.

    Was ich mich bei eurem selbstkritischen „Wir-wollen-keine-Pastoren-sein“-Geducke ein bisschen gefragt habe ist. Warum nicht? Ihr müsst ja nicht das klassische Pastorenbild des Antwortenspenders und Wahrheitsverwalters bedienen. Es braucht doch gerade Typen wie ihr zwei, die ehrlich leiten – und leiten tut ihr nun mal, wenn ihr ehrlich seid. Die Art, die Kunst des Leitens, des Pastor*innenseins, ist ja gerade der gefragte und benötigte Paradigmenwechsel, wenn wir Menschen sein wollen, die Miteinander fragen und suchen und hie und da finden. Ich bin euch dankbar, dass ihr erkennt in derselben Gefahr zu stehen, wie alle Leiter Antwortenspender für Antwortenbedürftige zu werden. Ist doch gut. Aber ich fände es echt geil und wertvoll, wenn ihr auch mal ein Ideal von Leiterschaft besprechen könntet. Wie sähe es denn aus, wenn ihr zwei Typen in eurer unkonventionellen Art übers Leben zu reden einen alternativen Leitungsstil auch explizit besprecht. Grosse Kirchen müssen nicht einfach scheisse sein, weil sie gross sind. Gross kann toll sein und ihr seid mit uns nun mal gross geworden. Wenn das was Dauerhaftes sein soll was ihr macht (mit Übergabe wenn ihr 91 seid oder so…), wäre es schon eine Idee euch nicht nur über Leiter zu echauffieren (berechtigterweise), sondern alternative und sinnvolle Formen von Leitersein zu bedenken und irgendwie ein Selbstverständnis für eure eigene Art der alternativen Leitung zu definieren. Vielleicht eine Art der Kunst eines fragenden Leitungsstils, des Leiters als Zweiflers aber auch Stauners, der Leiterin als Gesprächsmoderatorin des menschlichen Erfahrungsspektrums, der schönen und schwierigen Phänomene. I don‘t know.

  27. Esther Schmid Esther Schmid

    Hallo zusammen
    Spannendes Gespräch über ein schwieriges und trauriges Thema!
    Was ich noch spannend fände zum diskutieren, oder was etwas gefehlt hat, wäre: wenn so etwas herauskommt (oder auch nur ein Verdacht, oder jemand Anschuldigungen äussert) was wäre dann ein möglichst guter Umgang damit?
    Die Täter sind ja oft Menschen, denen man das nicht zutrauen würde.
    Ich finde es super, dass ihr euch überlegt, wie man verhindern kann, dass es überhaupt zu Taten kommt! Schlimmerweise passiert es ja aber trotzdem immer wieder und da würde mich intressieren, wie es dann weitergehen soll, wenn man es eben nicht einfach unter den Tisch wischen will .
    Was wünschen sich Opfer? Was soll mit dem Täter geschehen? Öffentlichkeit ja/nein?
    Das sind unter anderem Fragen, die mich intressieren würden.
    Viellecht ein Thema für eine weitere Folge?

    • Hallo Esther,
      super Hinweise. Danke dafür. Wir werden im Sommer, wie angekündigt, mit Veronika Schmidt über diese und ähnliche Problematiken sprechen, dafür nehme ich Deine Fragen gleich mal auf.

      LG,
      der Jay

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