#209 Von der Anmut der Welt m. Tilmann Haberer

Integrale Theologie, Gnade und die Zukunft des Christentums

Das Reden von Gott ist problematisch geworden, gewohnte Gottesbilder tragen nicht mehr und viele Menschen wenden sich vom Christentum ab. Dem setzt Tilmann Haberer in seinem neuen Buch „Von der Anmut der Welt“ Neues entgegen. 

Tilmann Haberer ist Pfarrer, Seelsorger, Buchautor, Übersetzer und Redakteur. Einigen ist er vielleicht bekannt als Mitautor des Buches „Gott 9.0. Wohin unsere Gesellschaft spirituell wachsen wird“. Wir freuen uns, dass Tilmann für den aktuellen Talk bei uns zu Gast ist. Wir sprechen über Gottesbilder, und die großen Schlagworte der christlichen Theologie. Ein Gespräch über Sprache, Ästhetik und möglichen, nötigen Neudefinitionen gewohnter Begrifflichkeiten. 

Ein unglaublich dichter und inspirierender Talk, in dem wir uns von Tilmann an die Hand nehmen und durch die verschiedenen Entwicklungsräume des Glaubens führen lassen und von einem Aha-Moment zum nächsten kommen. 

Das Buch „Von der Anmut der Welt“ findert ihr hier: https://www.penguinrandomhouse.de/Buch/Von-der-Anmut-der-Welt/Tilmann-Haberer/Guetersloher-Verlagshaus/e583728.rhd

13 Kommentare zu „#209 Von der Anmut der Welt m. Tilmann Haberer“

  1. Mit Herrn Haberer würde ich mich saugerne mal austauschen.

    In meinem aktuellen philosophischen Buch beschreibe ich den Weltenlauf als im positiven Verlauf eine „ständige Selbstüberwindung“. Von Rachegöttern über immer noch kriegerische Götter für alle, über noch an Opferkult glaubende „Erlöserfiguren“, über immer noch fundmentalistische Reformatoren, über universalistische Aufklärer hinein in den Pluralismus und einem (teil-)offenen Ende entgegen…

    Ich hadere immer noch mit auch meiner eigenen Pyramiden- und Hierarchiezentriertheit auch in meinem Modell und will da noch mal drüber. Ich glaube, wir müssen weg von einem „Geist über Materie“ und einem analogen „Ich Chef, du nix!“ hin zu einer gleichberechtigten Wechselführung auf Augenhöhe der ehemaligen Pyramidenspitze und der Basis.

    Das mit den Linien (spirituell, kognitiv, musikalisch…) im einzelnen Menschen fand ich interessant. Ich habe für den Weltenlauf in meinem Buch drei gesetzte und eine fragliche Linie on top beschrieben: Basal die darwinsche Entwicklung, darauf gesetzt den ökonomischen Lauf der Güter durch die Geschichte im Sinne Kondratjews (auch hier stehen die Zeichen auf grünen psychosozialen, ganzheitlich-gesundheitsorienterten Produkten und Dienstleistungen…), über dieser Ebene wiederum die Geschichtsphilosophie Hegels und nochmals darüber deskriptiv den Glauben vieler an eine noch mal höhere, theologische Sphäre über der Philosophie. An letztere Sphäre glaube ich nicht, aber ich akzeptiere, dass sie durch den Glauben der Menschen an sie und ihre daraus abgeleiteten Taten die Welt mitlenkt.

    Auch den Begriff der „Räume“ im Sinne von nacheinander ablaufenden Sphären defininiere ich in einem Kapitelchen (von daher ist Ken Wilber nächste Woche ein Muss für mich…): Wir „entdecken“ äußere Wahrheiten und Prinzipien, „erfinden“ daraus abgeleitete Erfindungen und formen die Welt nach dieser Vorstellung, indem wir über die Schnittstelle unseres Gehirns in den Lauf der Materie eingreifen. Auch so ein Wechselspiel.

    Ich würde jedoch deutlich sagen, dass es alles andere als ausgeschlossen ist, dass solche Modelle nur „Eselsbrücken“ sind, um sich die Welt zu gliedern und zugänglich, bearbeitbar zu machen. Unter Prinzipien sammeln wir Sachverhalte über „meistens“, aber meistens gibt es dann halt auch Ausnahmen. So gab es z.B. in der Zeit der Entwicklung der Evolutiinstheologie die holistische Annahme, der Embryo durchlaufe im Mutterleib alle Stadien der menschlichen Evolution – heute wissen wir natürlich, dass das nicht so ist. Natürlich kenne ich jetzt nur diesen Vortrag von Herrn Haberer, aber ich glaube, es würde alles noch glaubhafter machen, wenn er solche Ausnahmen benennte, es wirkt irgendwie zu glatt…

    Die wohl größte Ausnahme dieses Modells wie sehr vieler Geschichtsphilosophien ist ihr großer Fortschrittsglaube. Denn das grüne Bewusstsein für die Indigenen und Unkontaktierten zeigt ja: Dass wir soweit gekommen sind, könnte unser Untergang sein – mit jedem Flug mehr. Und ganz abgesehen davon kann die Materie dem Bewusstsein auch durch einen zufälligen Kometeneinschlag Feierabend bescheren.

    Kleinen Impuls für Türkis: Ein Zeitalter der Kultur? Wenn die materielle Basis gestillt ist, soweit Gesundheit hergestellt ist und sich dann dem Sinn gewidmet wird (und den Rest regelt Chat-GPT mittels angeschlossener Fabriken).

    Es gibt Historiker, die beschreiben die Entstehung von Faschismus und Kommunismus als Folge eines „Schocks“ davon, dass die tragende Religion wegfiel, aber noch keine bewährten Alternativen aufgebaut waren. Ich hoffe, wir lernen daraus und gehen in den neuen Raum (ich nenne in polymythistisch Postmoderne/Ganzheitlichkeit/Zeitalter des Bewusstseins/neue Romantik) mit der Fähigkeit, altes Wissen der Völker mit neuen Wissenschaften sowie Vernunft und Gefühl zu versöhnen.

    (Herr Haberer, lesen Sie hier mit? Ich werde, wenn ich soweit bin mit dem Buch und dem Exposé das Exposé mal Jay schicken, ob er es Ihnen zuschicken mag, wenn Sie Lust auf ein kleines philosophisches Pinpong haben 😉 Seien Sie herzlich gegrüßt, bleiben Sie dran und haben Sie viel Vergnügen beim Schreiben und eine gute Zeit mit Frau und Kindern!

    1. Hallo Andi, ja ich lese mit. Und unter Hossarchisten schlage ich das „Du“ vor 🙂
      Danke für den ausführlichen Kommentar! Ich finde das sehr spannend, was du schreibst und ja, schick mir gern dein Exposé, wenn du so weit bist.
      Zwei Bemerkungen: Zur Hierarchie, das ist echt ein Dilemma. Einerseits möchte ich doch behaupten, dass etwa die Beachtung der Menschenrechte „besser“ ist als Blutrache, insofern gibt es eine Entwicklung zum Positiven (was viel, viel Negatives nicht ausschließt, z.B. dass die Kolonialmächte den unterdrückten Kulturen, Völkern und Menschen die Menschenrechte nicht zugestehen wollten, die sie für sich entdeckt hatten). Und selbst wenn man nachweist, dass sich Positives und Negatives die Waage halten, wenn man z.B. beschreibt, dass Orange nicht nur Penicillin, sondern auch die Atombombe entwickelt hat, bleibt die Beobachtung, dass „weitere“ Bewusstseinsräume mehr umfassen, komplexere Betrachtungsweisen aller möglichen Phänomene zulassen usw. Eine Abiturientin ist in vielem „weiter“ als ein ABC-Schütze. Deswegen ist sie nicht „besser“ oder „wertvoller“… Ich habe durch das Bild mit den Räumen versucht, die Pyramide zu vermeiden, aber ganz ohne Hierarchie geht’s nicht – Ken Wilber würde hier von Entwicklungshierarchie sprechen im Unterschied zu Herrschaftshierarchie.
      Das zweite: Die Annahme eines automatischen und geschichtlich notwendigen „Fortschritts“ ist in der Tat äußerst problematisch. Die Theorie geht aber davon aus, dass neue Entwicklungsschritte geschehen, wenn der bisherige Bewusstseinsraum in die Krise kommt. Dann gibt es die Möglichkeit, dass ein System sich zurückzieht in frühere, vermeintlich sichere Bewusstseinsräume, oder es transzendiert (und integriert) das Bisherige und geht in einen „weiteren“ Raum. Solange ein System funktioniert (und das scheint bei den Unkontaktierten der Fall zu sein), besteht schlicht keine Notwendigkeit zu Entwicklung.
      Das Wort „Entwicklung“ ist im Übrigen in sich problematisch, weil es in ORANGE geprägt wurde und von daher sehr positiv konnotiert ist. Dabei ist es einfach ein prinzipiell wertneutraler Prozess, dessen lebensförderliche Seiten (Penicillin) wir verstärken und dessen lebenshinderlichen Seiten (Atombombe) wir vermeiden sollte, so gut es geht.

  2. 3 Männer und keiner sieht einen roten Anteil bei sich. Ihr müßt an Eurer Selbstwahrnehmung arbeiten.
    Trotzdem ein „anmutiger“ Podcast über ein super Thema.
    Vielen vielen Dank.

    1. Da hast Du wahr gesprochen. 🙂
      Und das könnte man sicher genauso für die eigenen purpurnen Anteile (magisches Denken) sagen. Ist schon spannend, dass man in der Selbstbeschreibung solche „Flecken“ auslässt.
      Danke.

      LG,
      der Jay

      1. Da hat man(n) wohl noch nicht alles integriert 😉

        Ich finde, gerade wenn man/frau sich vor Augen hält, dass alle Entwicklungsräume immer Teil von einem selbst sind und ohne die vorherigen der momentane Haupt-Entwicklungsraum nicht denkbar ist, ermöglicht das gute Interaktion mit Menschen, deren Haupt-Raum ein anderer ist.
        Und es macht demütig und lässt sich gerade NICHT über vermeintlich „niederere Stufen“ erheben. Kein Mensch, der sich überwiegend in einer „höheren Stufe“ befindet, wird dort beispielsweise wirkungsvoll leben, wenn sein beiger Anteil im Mangel ist (d.h. wenn er nicht ausreichend Schlaf oder Essen bekommt und die sexuellen Bedürfnisse – und damit ist auch einfach nur Nähe, Berührungen gemeint- nicht gestillt sind). Und er wird verkümmern, wenn das purpurne Bedürfnis nach Gemeinschaft und Zusammenhalt nicht erfüllt ist. Er wird seine Ideen nicht verbreiten können, wenn er nicht auch mal „rot“ ganz kraftvoll dafür einsteht usw.usf.

        Ich finde, Tilmann hat das im Talk gut veranschaulicht, dass nicht jeder in allen Bereichen im selben Raum ist. Das hilft sehr zur Selbstreflexion und zu Differenzierung und zu Demut und Empathie und Miteinander!!

    2. Naja, ich denke, ich habe mehrfach darauf hingewiesen, dass bei allen Menschen (auch bei mir) die früheren Bewusstseinsräume noch vorhanden und wirksam sind (z.B. Fußball…). Bei der Frage, wo ich meinen Bewusstseinsschwerpunkt verorte, habe ich mich tatsächlich nicht auf Rot bezogen. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass bei mir als Pfarrerskind Rot nicht besonders intensiv ausgeprägt ist (das war ja nicht opportun…). Und ich denke, in den meisten Alltagssituationen spielt bei mir Rot aus diesem Grund tatsächlich keine entscheidende Rolle – das mag bei Jay und Marco ja anders sein 😉

      Ach, und noch was, und vor allem: Wieso sollten Männer mehr Rot haben als Frauen? Da denke ich nicht nur an „Amazonen“ wie Katniss Everdeen und Wonder Woman, sondern auch an Ronja Räubertochter und Pippi Langstrumpf, Marie Curie und Alice Schwarzer – viel schönes und weniger schönes Rot…

  3. Ich hab noch zwei Fragen, die für mich im Talk nicht beantwortet wurden (oder ich hab’s verpasst …):
    Weshalb heißt das Buch „von der Anmut der WELT“ und nicht „von der Anmut Gottes“? Das mit der Welt kam mir irgendwie nicht vor…

    Und: Weshalb kann man Gott als Liebe nicht mit Zorn denken? Ich finde, der Zorn Gottes ist schon ein häufiges Bild in den biblischen Texten und kommt auch bei Jesus vor, sodass man das nicht einfach ausklammern kann. Aber ich denke, dass Gottes Zorn anders ist als der der Menschen (irgendwo steht das auch). Ich würde sagen, dass ein gewisser „heiliger Zorn“ ganz gut mit Liebe zusammengeht, und auch mit Gott als Gerechtigkeit, denn die wird immer dann zornig, wenn es ungerecht zugeht. Und daraus entsteht die Energie, die sich für Gerechtigkeit engagiert.

    1. Warum heißt das Buch nicht „Von der Anmut Gottes“? Ernüchternde Antwort: Dieser Titel würde ein bisschen zu sehr an ein Bibeltraktätchen erinnern… und Buchtitel sind Marketing-Angelegenheit. „Von der Anmut der Welt“ klingt einfach besser und ist etwas provokanter.

      Weshalb man Gott als Liebe nicht mit Zorn denken kann? Das habe ich so, glaube ich, gar nicht gesagt. Gott ist nicht zornig *auf uns* und muss deshalb nicht versöhnt werden, wie es die alte Schultheologie lehrt. Im Kontext von Gerechtigkeit ist Gottes Zorn schon denkbar, auch Gottes Gericht. Aber nicht im Sinn der Vernichtung des Übertreters, sondern im Sinne von Zorn auf die sündigen Strukturen, die nach Gerechtigkeit und Ausgleich schreien.
      Vom Zorn Jesu lese ich nicht viel im Neuen Testament. In Mk 3,5 wird er zornig über die „erstarrten Herzen“ der Menschen, in Joh 11 „ergrimmt“ er angesichts des Todes seines Freundes Lazarus. Die Tempelreinigung ist kein Ausbruch von (Jäh-)Zorn, sondern eine wohl kalkulierte prophetische Zeichenhandlung…
      So viel in aller Kürze.

  4. Interessantes Stufenmodell, spannend wäre, Hegels Phänomenologie des Geistes daneben zu halten, die als eine Art integrale Theologie ja ebenfalls die Bewusstseinsentwicklung auf allen markanten Stufen der Weltgeschichte nachzeichnet. Das müsste aber ein größerer Geist als ich tun – vielleicht findet sich wer?

    Daneben habe ich mich etwas mit Sartres Unterschied zwischen Faktizität und Transzendenz beschäftigt. Mit Faktizität beschreibt er die Welt der Tatsachen – und mit ihr das (ohnmächtige) Gefühl, in diese Welt geworfen zu sein. Transzendenz ist (glaube ich) das, was er mit seinem berühmten Satz meint, dass wir zur Freiheit verurteilt sind. Wir sind dem Faktischen also nicht ausgesetzt, sondern haben die Fähigkeit, die Welt, wie wir sie vorfinden, ständig zu übersteigen.

    Überträgt man Sartres Gedanken auf das Verhältnis von Gott und Welt, dann komme ich auf vier Stufen, die das Handeln Gottes beschreiben. Ich nenne dieses Modell Gott 4.0 🙂

    1. Kosmologische Faktizität: Gott handelt durch natürliche Setzungen und Naturgesetze.
    2. Ontologische Faktizität: Gott handelt durch moralische Setzungen und Gesetze.
    3. Ontologische Transzendenz: Gott übersteigt durch seinen Geist das moralische Gesetz.
    4. Kosmologische Transzendenz: Gott übersteigt durch seinen Geist die Naturgesetze.

    Letzte Stufe wäre im Handeln von Jesus angedeutet und würde im Satz von Paulus seine Erfüllung finden, dass Gott einmal alles in allem sein wird. Was das heißt, bleibt natürlich offen, da Gott immer der schwarze Schwan ist, also dasjenige Ereignis, das sich nicht vorhersehen lässt. Somit wäre die vierte Stufe meine Koralle. 🙂

    Anders als im Talk würde ich bei meinem Modell allerdings doch gerne am strafenden Gott festhalten, da nach jüdischem Verständnis, so wie es verstehe, ja genau dort die Hoffnung begründet liegt.

    Im Faktischen finden sich die Menschen also in einer Welt wieder, die von Pandemien, Krieg und Naturkatastrophen geprägt ist. Was sich u.a. bei den Propheten nun so brutal anhört, dass es nämlich Gott ist, der Pandemien, Krieg und Naturkatastrophen schickt, ist m.E. ein geschickter Schachzug, um die eigene Selbstwirksamkeit wieder herzustellen. Beispiel Krieg: Israel wird von viel größeren Mächten bedroht und steht der Gefahr ohnmächtig gegenüber. Aber eine Sache können sie doch tun: sie können ihren Blick vom Faktischen auf das Transzendente wenden und zu Gott umkehren, dem alle Dinge möglich sind.

    Und vielleicht ist das die Voraussetzung, dass Gott überhaupt handeln kann: dass die Welt überhaupt erst einmal „gottoffen“ ist, was alleine der Glaube ermöglicht (so wie es alleine die Liebe ermöglicht, offen für die Liebe zu sein).

    Wenn Gott allerdings die Menschen mit Pandemien, Krieg und Naturkatastrophen strafen muss, um sie zur Umkehr zu zwingen, könnte man zurecht fragen, ob ein gütiger Gott diese Mittel nötig hat. Strafe würde ich daher eher mit dem Römerbrief so verstehen, dass Gott „sie dahingegeben hat“ – also nichts unternimmt, um die Menschen von dem Weg, den sie eingeschlagen haben, abzuhalten. Was also wie Strafe aussieht, würde eigentlich für einen Gott sprechen, der den Menschen in seiner Freiheit ernst nimmt, um ihn dann doch mit „den Mitteln der Liebe“ (wie Klaus von Stosch es nennt), aus dem Faktischen herauszurufen.

    Die Annahme nun, dass man nur glauben muss, um Leid zu verhindern, legt natürlich den gefährlichen Schluss nahe, dass derjenige, der leidet, einfach zu wenig Glauben hat. Den Schluss umgeht man aber möglicherweise dadurch, dass man den Glauben nicht (nur) individualistisch, sondern strukturell denkt. Ähnlich wie es also eine Struktursünde gibt, gibt es vielleicht einen Strukturglauben, der den Grad der Gottoffenheit dieser Welt beschreibt. Möglicherweise ist es mit dem Glauben also wie auf einer Blumenwiese im Winter: zwar gehen die ersten Blumen schon auf, aber erst, wenn es Frühling wird und sich der Boden strukturell verändert, verwandelt sich die Wiese in ein Blumenmeer.

  5. Die Hossa-T-Shirts sind empfehlenswert. Sie sind bequem, kratzen nicht und laufen beim Waschen nicht ein.
    Vielleicht kaufe ich irgendwann noch mehr. Bevorzugt mit Spruch statt Köpfen.

    Alles Gute!

  6. Liebe Hossachisten,
    ich bin sehr skeptisch, was solche Stufenmodelle anbelangt. Vor allem, wenn diese als Weiterentwicklung gedacht sind. Da kommt es ganz schnell zu einem Blick aus einer Überlegenheitsposition. Nach dem Motto: du bist halt noch auf einer niedrigeren Stufe als ich.
    Klar gibt es eine Entwicklung im Menschen, aber die ist nie linear und auch nicht absolut. Vielmehr habe ich sie als situativ und wellenförmig erfahren. Das habt ihr ja zum Teil selber festgehalten. Deshalb können solche Modelle meines Erachtens zwar ein Anhaltspunkt und – wenn man es so will – eine Hilfe sein, sprachfähig über das zu werden, was Menschen bewegt. Aber ich würde mich hüten, mein Kind nach so einem Modell zu erziehen. Denn es würde mir einen enormen Druck bereiten, wenn mein Kind scheinbar eine Stufe noch nicht „geschafft“ hat, die es aber eigentlich schon haben sollte.
    Was mir dabei am meisten widerspricht ist die Parallelsetzung mit einer scheinbaren Entwicklung der Menschheit. Die ist so nämlich überhaupt nicht haltbar. Und sie spricht Bände von einer eurozentrischen, kolonialen und – ja, kann ich nicht anders sagen – rassistischen Weltsicht. Denn sie spricht Indigenen Kulturen ab, ebenfalls auf einer anderen als den beiden untersten Stufen sein zu können. Auch die Reihenfolge, dass zuerst die vielen Götter und dann der Glaube an einen Gott kommt, ist nicht belegbar.
    Ich habe mich sehr lang mit den indigenen Kulturen Nord- und Südamerikas befasst und da kannst Du im Grunde alle diese Stufen feststellen, obwohl keine der dort ursprünglichen Kulturen mit der unseren vergleichbar ist. Und ich würde sogar sagen, dass gerade einige der nomadisch lebenden, in Stämmen organisierten Völker nach der Beschreibung am ehesten der Stufe sieben entsprechen.
    Deshalb meine Meinung: Vorsicht mit solchen Parallelisierungen, die führen unter Umständen ganz woanders hin, als von den Autor*innen intendiert.
    Nichts für ungut, aber ich konnte das so nicht stehen lassen.
    Ganz herzliche Grüße
    Michael Kafka

  7. Lieber Michael,

    danke für deine ausführliche Kritik. Du rührst natürlich an den sensiblen Punkt, wenn du das Thema der vermeintlichen Überlegenheit ansprichst. Ich bin mir der Problematik bewusst und habe für mich daher den Begriff „Stufen“ durch „Räume“ ersetzt. Und du hast ganz recht, wenn du schreibst, dass Entwicklung nicht linear und nicht absolut verläuft.

    Nie im Leben würde ich mein Kind an diesem System „messen“, das wäre ja absurd. Und trotzdem: Es gibt Entwicklung, das schreibst du ja auch, und irgendwie wollen wir diese Entwicklung auch und fördern sie. Deswegen gibt es Schulen, Universitäten und den Hossa-Talk. Das ist ein gewisses Dilemma, das ich für mich so löse: Es scheint erwünscht, dass ein Mensch, der in eine bestimmte Gesellschaft hineingeboren wird, die Werte und das Wissen und die Skills lernt, die in dieser Gesellschaft und in diesem Bewusstseinsraum gelten. Es geht um Adäquatheit (gibt es dieses Wort?) im gegebenen Raum, nicht um Überlegenheit gegenüber anderen Räumen. Indigene Völker sind für daher mich in einem *anderen* Raum, nicht auf einer niedrigeren Stufe.

    Solange ein System (Mensch, Gruppe, Volk…) gut mit den gegebenen Lebenbedingungen zurechtkommt, gibt es keinerlei Notwendigkeit für Entwicklung. Wenn sich die Lebensumstände aber krisenhaft verändern, gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Entwder das System zieht sich zurück in frühere, (scheinbar) bewährte Räume, die sich sicherer anfühlen. Oder es erweitert sich, wird komplexer und umfassender. Das alles folgt zwar einer gewissen Logik, aber kann nicht bewertet werden (weiter ist eben nicht gleich besser). Ein Beispiel: Orange hat das Penicillin erfunden, aber auch die Atombombe. Und es hat die allgemeinen Menschenrechte formuliert, sich aber nur für sich in Anspruch genommen und sie den kolonialisierten Völkern abgesprochen. Noch mal: „Weiter“ ist nicht besser. Es ist aber, wenn es gutgeht, den Lebensumständen angepasster.

    Den Rassismus-Verdacht möchte ich deshalb auch zurückweisen. Selbst wenn man es so beschreibt, das Inidigene in den „ersten“ beiden Räumen Beige und Purpur leben, ist das kein Werturteil. Sie kommen mit ihren Lebensbedingungen auf adäquate Weise zurecht und deshalb besteht keine Notwendigkeit, in weitere Räume zu gehen. Der Rassismus-Vorwurf ist erst dann berechtigt, wenn mit der Entwicklungsreihe eine
    Wertung verbunden wird. Falls mir das unterlaufen sein sollte, tut es mir leid. Ich versuche, so gut ich kann, solche Wertungen zu vermeiden. Meiner Erfahrung nach ist es aber so, dass rassismussensible und kolonialkritisch aufgestellte Menschen manchmal da eine Wertung heraushören, wo keine (beabsichtigt) ist. Das ist dann aber eher das Problem dieser Menschen. Ich will dir das nicht unterstellen, ich denke an andere, teilweise sehr mühsame Gespräche.

    Ein Aspekt, der in dem Talk nicht zur Sprache kam, ist die Unterscheidung zwischen Transformation und Translation.Ohne diesen Gedanken jetzt ausführlich darzustellen, kann ich hier so viel sagen: Es gibt auch innerhalb der Räume Unterschiede und damit Entwicklungsmöglichkeiten, etwa von geschlossenen zu offenen Haltungen, von lebensfeindlich zu lebensdienlich usw. Ich könnte mir vorstellen, dass, ganz diskriminierungsfrei, Menschen in indigenen Kulturen sehr offene, lebensdienliche Haltungen haben. Das hat aber nix mit den Entwicklungsräumen zu tun. Gelb (ich verwende absichtlich die Farben und nicht die Nummern, da diese schon wieder ein „höher = besser“ suggerieren könnten) ist dadurch definiert, dass es das Regelsystem von Blau, die wissenschaftlich-technische Rationalität von Orange, die pluralistisch-tolerante Haltung von Grün integriert und transzendiert hat, und das kann man von indigenen Kulturen einfach nicht behaupten. Noch einmal: Die Entwicklungsreihe, von der wir ausgehen, enthält keine Wertung. Sie beschreibt Komplexität in verschiedenen Lebensbereichen.
    Ich hoffe, dass ich mich etwas verständlich machen konnte.

    Ganz herzliche Grüße zurück
    Tilmann

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