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#224 Progressiv glauben, geisterfüllt leben

Hossa Talk Live aus Bern

Vor kurzem waren Jay und Marco für eine Live-Tour in der Schweiz. Es waren drei fantastische, tiefe und auch sehr lustige Abende. Natürlich wurden die Talks auch aufgenommen. In Bern haben wir uns darüber unterhalten, ob es möglich ist progressiv und offen zu glauben und trotzdem eine innige und persönliche Spiritualität zu behalten oder zu haben. Und falls ja, wie das aussehen könnte. Außerdem gab es spannende Fragen aus dem Publikum über die angeregt und in Hossa-Manier diskutiert wurde. Es war ein wahnsinnig schöner Abend in besonderer Atmosphäre. Viel Spaß also mit Talk Eins unserer Schweiz-Tour.

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4 Kommentare

  1. André Ay André Ay

    Hallo!

    Der mutmaßliche Bruder Jay sagt uns hier: progressiv oder konservativ – das sei der entscheidende Unterschied.
    Ich akzeptiere dieses Framing gar nicht.
    Mein Alternativvorschlag: dumm oder auf hohem Niveau.
    Postevangelikale sind ja meist Leute, die Siggis Legende glauben, daß nur progressive Christen auf hohem Niveau operieren können. Da scheint aber auch Selbstüberschätzung mit dabei zu sein.
    Es gibt zwei verschiedene Exegese-Richtungen: historisch-grammatische Exegese und historisch-kritische Exegese. Die historisch-grammatische Exegese ist diejenige der Konservativen bis Fundamentalisten. Sie wurde im Rahmen der Aufklärung durch den Leipziger Theologie-Professor Johann August Ernesti (1707-1781) entwickelt. In Deutschland ist allerdings schon der Begriff „historisch-grammatische Exegese“ völlig in Vergessenheit geraten. In keinem Video von Worthaus, glaubendenken oder sonstirgendeinem deutschen christlichen Kanal wurde er auch nur erwähnt. Ich habe ihn nur zufällig gefunden in einer Selbsteinordnung von Chris Date von Rethinking Hell. Mein Fazit: Das Niveau in Deutschland ist durch die Bank eher lau.
    Wenn man die Tradition, auf die sich Konservative berufen, gar nicht kennt, kann man sich über das, was Konservative denken, keine Meinung erlauben.
    https://en.wikipedia.org/wiki/Historical-grammatical_method
    https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_August_Ernesti

    Geisterfüllt leben?
    Das ist naiver Quatsch.
    Hören wir lieber auf die Bibel!
    Römer 7: “ 15 Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will; sondern was ich hasse, das tue ich. 16 Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, stimme ich dem Gesetz zu, dass es gut ist. 17 So tue ich das nicht mehr selbst, sondern die Sünde, die in mir wohnt. 18 Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch[1], nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. 19 Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“
    Calvin kommentiert dazu, daß es sich bei der Sündhaftigkeit des Christen nicht um einzelne, punktuelle, zufällige Sünden handelt, sondern das die gesamte Lebenführung gemeint ist.

    Warum haben Leute, die sehr exklusiv sind, wenig Selbstzweifel?
    Am exklusivsten ist John MacArthur, der bekanntlich alle Katholiken und Charismatiker für irregeleitet hält.
    Als Calvinist hat er rezipiert, was Calvin in seinem Johanneskommentar über Heilsgewißheit sagt. Natürlich ist Jays Formulierung, daß man irgendwelche Anforderungen erfüllen muß, Quatsch: Der Mensch kann sich nicht selbst erlösen, sondern muß erwählt werden.

    Jays Definition, daß Progressive den Glauben darüber bestimmen, wo sie hin wollen, ist offensichtlich problematisch: Woher weiß man, daß das Ziel, was man da hat, richtig ist? Wenn man das Ziel jetzt aus der Bibel ableiten würde, dann wäre man wieder konservativ …

    Was haben Christen anzubieten?
    Absolut nichts.
    Christus hat etwas anzubieten: Ewiges Leben anstelle eines Vernichtungsgerichts.

    Das Vernichtungsgericht gegen die unbußfertigen Sünder ist notwendig, da ja hier auf Erden nicht alle Straftäter gefangen werden. Man kann auf letzteren Umstand nochmal besonders aufmerksam werden, wenn einem ein krasser Fall im Seelsorgegespräch unterkommt, wie hier bei Jay. Man kann auch merken, daß der Umstand in der Bibel ständig vorkommt.
    Das Glück der Ungerechten:
    Psalm 73: „4 Denn für sie gibt es keine Qualen, gesund und feist ist ihr Leib. 5 Sie sind nicht in Mühsal wie sonst die Leute und werden nicht wie andere Menschen geplagt. … 11 Sie sprechen: Wie sollte Gott es wissen? Wie sollte der Höchste etwas merken? 12 Siehe, das sind die Frevler; die sind glücklich für immer und werden reich.“
    Gottes Reaktion:
    Jesaja 42: „1 Siehe, das ist mein Knecht, den ich halte, und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben; er wird das Recht unter die Heiden bringen.“
    Psalm 11: „2 Denn siehe, die Frevler spannen den Bogen / und legen ihre Pfeile auf die Sehne, damit heimlich zu schießen auf die Frommen. 3 Ja, sie reißen die Grundfesten um; was kann da der Gerechte ausrichten?« 4 Der HERR ist in seinem heiligen Tempel, des HERRN Thron ist im Himmel. Seine Augen sehen herab, seine Blicke prüfen die Menschenkinder. 5 Der HERR prüft den Gerechten, aber den Frevler hasst er und den, der Gewalttat liebt. 6 Er wird regnen lassen über die Frevler Feuer und Schwefel und Glutwind ihnen zum Lohne geben. 7 Denn der HERR ist gerecht und hat Gerechtigkeit lieb. Die Frommen werden schauen sein Angesicht.“
    Man sollte den Psalm 11 auch auf Hebräisch lesen und die darin enthaltenen Begriffe rascha, zadik, ahaev, chamas, tsedakah kennen und in vielen anderen Bibelpassagen wiedererkennen. Das ist wieder eine Frage des Niveaus. Wer das nicht kann, ist als Lehrer des Christentums untauglich.
    https://www.blueletterbible.org/wlc/psa/11/1/s_489001

    Alles Gute!

  2. Jannik Jannik

    Hi!
    Wirklich sehr interessant zu Fragen, wieso man dem christlichen Glauben anhängen soll, wenn sich dieser aus der Mittel-Zweck-Relation verabschiedet hat. Denn es ist doch so: Wenn die Hölle verabschiedet, keine metaphysische Welterklärung mehr trägt und man durch den Sozialstaat so abgesichert ist, dass es keine wirklich existenzielle Not für einen guten Samariter mehr hat, was ist denn noch der „USP“ bei uns im spätmodernen Westen? Bei Vielen, mich eingeschlossen, habe ich den Eindruck, dass die zu bewältigende (intellektuelle) Aufgabe die ist, dem nachzugehen, warum ich denn eigentlich dennoch dabei bleibe und nicht nur dabei bleibe, sondern immer noch fasziniert davon bin. Ich glaube, für mich ist dies, dass das Christentum selbst dann noch etwas hat, wenn alle Mittel-Zweck-Relationen weggefallen sind, der Hinweis auf dessen dahinterliegender „unbedingter Güte“. Vielleicht ist gerade dieser Umstand der Nacktheit die einzigartige Chance, der Sache selbst näher auf die Spur zu kommen. Und das nicht mehr durch das Mittel der Argumentation, sondern im Hin- und Durchblick auf das Erzählen.

    • Hallo Jannik,
      damit kann ich superviel anfangen. Danke, für die guten Gedanken.

      Für mich ist es tatsächlich so, dass ich den christlichen Blick auf das Leben (auch ohne jede Mittel-Zweck-Relationen) so schön, erhellend und inspirierend empfinde, dass ich ihn nicht missen möchte, bzw ihn als gute Grundlage für alle weitere Beschäftigungen mit dem Leben sehe. Die klassische Lehre von der Inkarnation, dem Tode und der Auferstehung Gottes spielen dabei für mich nach wie vor eine entscheidende Rolle. Ich brauche keine Hölle und davon entzückt zu sein. Ich brauche dafür noch nicht mal einen Himmel.

      Manchmal denke ich, dass progressiv Glaubende leider vielfach so sehr von dem Verbrannt sind, was sie als Orthodoxie erlebt haben, dass ihnen kaum noch auffällt, dass zwischen dem, was sie verbrannt hat und tatsächlicher Orthodoxie oft ein himmelweiter Unterschied besteht. Deswegen haben sie das Gefühl, dass ihnen der komplette Glaube fremd geworden ist. Für mich ist die Nachricht von der Nähe Gottes, die sich in Jesus ausdrückt nach wie vor eine ganz ausgezeichnete Nachricht, die es wert ist, ihr mit Vertrauen und Entzücken zu begegnen. Du nennst das die „dahinterliegende unbedingte Güte“ – auch damit kann ich mich sehr gut identifizieren.

      LG,
      der Jay

  3. Jannik Jannik

    Hi Jay,
    Ja, den durch die Geschichte(n) der Gottesshinwendung zur Welt in Jesus veränderten Blick auf die Welt finde ich ein gutes Stichwort.
    Ich könnte mir denken, dass die von Dir erwähnten Verbrennungen auch damit zusammenhängen, dass auf die Ableitungen der Geschichte(n) ein zu großer Fokus gesetzt wurde. Die Ableitungen vielleicht sogar oft zur Sache selbst erhoben wurden. Ich denke da an die wahnsinnigen Systembildungen (Dispensationalismus) und ethischen, gar nicht böse, sondern gut gemeinten, Rigorismen (vielleicht eine der Hauptverführungen heutzutage). Immer wird hier das Weil, das Wozu und das Darum der Geschichte(n) nach vorne gestellt, ohne erst einmal bei der Geschichte selbst zu verharren.
    Aber was bringt denn wirklich das von dir erwähnte Verzücken hervor? Doch wohl irgendwie die wahrgenommene Passung, das Ereignis des Zusammenkommens von Gottesgeschichte(n) und Welterleben. Das Verschmelzen von beidem. Sei es in der besonderen Stimmung der Lichter eines ansonsten dunklen, winterlichen Weihnachtsabends, im Erblühen der Erde und Erwachen der Düfte im Frühling oder das Erblicken der geliebten Tochter/ des geliebten Sohns in einem Unsymphaten.
    Das alles sind doch unmittelbare Wirkungen des Rekurrierens auf die Geschichte(n) selbst.
    Vielleicht ist es dies was Not tut. Zu lernen, einen Schritt zurück zu gehen und der Geschichte Gottes Raum zu geben um sich im eigenen Welterleben ausbreiten zu können, ohne sich vorschnell an das Sekundäre, das daraus Folgende zu verlieren. Es zu genießen, was passiert. Ein bisschen mehr Maria, etwas weniger Marta.
    Ich denke, dass gerade der Kunst dahingehend eine wichtige Rolle zukommen könnte.

    LG

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