#225 Gott ist Feministin m. Mira Ungewitter

Die Mutter Gottes, die erste Apostelin, Lady Gaga und Pro-Choice

In der aktuellen Folge wird wieder zu dritt getalkt. Jay und Marco unterhalten sich mit Mira Ungewitter. Mira ist Theologin und Pastorin der Projektgemeinde in Wien und ist für langjährige Hossa-Hörende keine Unbekannte. In Folge 154 war sie nämlich schonmal zu Gast. Im Gespräch mit Marco und Jay erzählt sie von ihrem kürzlich erschienen Buch „Gott ist Feministin“. 

Darf man das überhaupt – Gott so bezeichnen? Mira findet ja und erzählt, wie sie auf den Titel kam und was sie damit meint.

Sie nimmt uns mit hinein in den mühevollen Schreibprozess des Buchs, erzählt von überraschend progressiven biblischen Frauenfiguren, von Erotik und Selbstbestimmung und was diese Texte mit ihrer eigenen Biografie zu tun haben. In einem Kapitel des Buchs schreibt Mira auch über Abtreibung und Pro-Choice. Auch darum geht es ausführlich in diesem Gespräch.

Außerdem liest Mira eine Passage aus „Gott ist Feministin“ und verknüpft dabei ein Lady Gaga Konzert mit der biblischen Geschichte von Ruth und Naomi und ihrer theologischen Sicht auf Queerness. 

Eine Folge voller heißer Eisen, wichtiger Fragen und dem eigenen Ringen damit.  

Hier gehts zu Miras Buch „Gott ist Feministin“: https://www.herder.de/religion-spiritualitaet/shop/p3/71016-gott-ist-feministin-klappenbroschur/?gad_source=1&gclid=CjwKCAiA04arBhAkEiwAuNOsIuKnacsDov5qUHT6h245mTZ99u48OBRQjEavBKE10f5XAcOxG92S5BoC9XMQAvD_BwE

Hier findet ihr Marcos Buch „Wir werden alle verwandelt werden“: https://www.lektora.de/buecher/wir-werden-alle-verwandelt-werden/

Und hier gehts zur aktuellen Folge von Popcorn Culture: https://www.reflab.ch/sex-education-2-0-oder-woke-me-up/

4 Kommentare zu „#225 Gott ist Feministin m. Mira Ungewitter“

  1. Hallo, ihr drei!

    Mira wirkte sehr nett.
    Das mit Eva als Helferin hatte ich schonmal gehört, und zwar in einem Vortrag von TIm Mackie bei BibleProject zum Anfang der Genesis. Da gibt es im Hebräischen eine Art „Wortspiel“ mit lauter Begriffen aus drei Buchstaben, die sich immer nur in einem Buchstaben unterscheiden. Einiges sind Zuwendungen Gottes, andere Selbsthilfen der Menschen, z.B. die Stadt, die Kain baut.
    Der Adam ist ja eher eine trübe Tasse: emotional abhängig von der Frau. Erst ist er einsam, dann rückgratlos angesichts einer Frucht, und schließlich verläßt der Mann die Eltern, um der Frau nachzurennen.
    Hanna, die Mutter von Schmuel, wurde leider nicht erwähnt.

    Bei der Abtreibungsfrage schien einiges durcheinanderzugehen. Ob abtreibungswillige Frauen irgendwo sexuell belästigt werden, ist zum Beispiel für die Frage, ob Abtreibung Sünde ist, irrelevant, wenn auch sehr schlecht. Auch daß nicht alle Abtreibungen so aussehen, wie auf den Schockbildern der Fans von Jeff Durbin, sagt letztlich nichts. Man muß wie folgt gedanklich vorgehen:
    1. Was für Wesen sind moralisch relevant? Menschen, leidfähige Wesen, vernünftige Wesen?
    2. Gehört das, was da abgetrieben werden soll, in die unter 1. anerkannte Kategorie moralisch relevanter Wesen?
    Sind alle Menschen, die ja laut Miras Feminismus-Definition alle gleich sein sollen, moralisch relevant, dann ist die Frage: Wie entsteht ein Mensch?
    Die Bibel sagt: Jahwe bläst seine Ruach in den Irdenen, aus dem eine Nefesch entsteht. Das wäre der erste Atemzug. Das so zu übernehmen, wäre aber kruder Bibelfundamentalismus. Beseelungstheorien erscheinenen mir angesichts des hebräischen Begriffs Nefesch als irrelevant.
    Robert Spaemann sagte mündlich im Philosophischen Kolloquium der Uni Leipzig, daß die konservative Position davon ausgeht, daß nur die Vereinigung von Ei- und Samenzellen eine kurze, umfassende Veränderung darstellt, die als Menschwerdung zählen kann, während alle späteren Änderungen am Fötus als allmähliches langsames Wachstum erfolgen. Kann man nicht widersprechen.
    Singer, über den Dietz und Faix kürzlich in ihrem Podcast berichteten, meint hingegen, Menschsein sei keine moralisch relevante Kategorie. Die Vernunft bekommt der Mensch aber wie gesagt nur graduell, so daß man bei der Grenzziehung in massive Probleme kommt.

    Alles Gute!

  2. Danke für den tollen Talk. Ja Abtreibung ist ein spannendes Thema, das in meinem Studium (BA Soziale Arbeit) sehr kontrovers diskutiert wurde. Da war ich häufig die „Konservative“, weil ich die deutsche Regelung für sehr gut halte. Meinen Eltern bin ich dagegen viel viel zu liberal, aber ich glaube das kommt einfach mit den Begegnungen. Ich kenne Menschen, die abgetrieben haben oder es unter bestimmten Umständen getan hätten. Und wer weiß, ob ich nicht auch zu denen gezählt hätte!?!? Und ich kenne beruflich Familien, in denen bereits 5 Kinder sind und die Eltern völlig unkompetent / zum Teil überfordert bzw einfach kein Interesse an Verhütung haben. Diese Kinder tun mir Leid, weil sie nie die Chancen haben, die Kinder in anderen Kontexten haben. Wenn es den Eltern egal ist, ob die Kinder zu Schule gehen oder nicht, werde ich manchmal durchaus traurig, wenn ich mitbekomme, dass entsprechende Familien ihr 6 Kind bekommen, welchen wieder vernachlässigt wird. In diesem Kontext dachte ich nochmal ganz neu über das Thema Abtreibung nach und ja, manchen dieser Menschen würde ich zu einer Abtreibung raten. So hart das auch klingt. Was nicht bedeutet, dass ich das Leben „wegwerfe“ oder als nicht schützenswert ansehe. Da herrscht in mir dieser innere Zwiespalt, den Mira ebenfalls beschrieben hat.
    Hirnrissig und völlig am Thema vorbei fand ich dagegen die gesellschaftliche Debatte über „Werbung“, was ja lediglich Informationen bekommen bedeutet. Da hätte ich mir von Christen mehr und offensivere Worte gewünscht, weil ich es wichtig finde, dass Frauen in Not, alle relevanten Infos sofort bei Schwangerschaftsfeststellung vom Gynäkologen bekommen und dieser das auch auf seiner Homepage schreiben darf.

    Zum Thema „Hilfe des Mannes“ , hatte ich vor einige Jahren mal eine Predigt gehalten. Diese Wort, das da in Genesis verwendet wird, kommt sonst AUSSCHLIEßLICH um Kontext von Gott vor. Zum Beispiel in der Psalmen „Woher kommt meine Hilfe? meine Hilfe kommt vom Herrn!“ Da geht es um elementare lebensnotwendige Hilfe und NICHT darum, lästige und dummer Aufgaben an eine Hilfskraft abzugeben. Das hat mein Blick auf diese Genesisgeschichte völlig neu gemacht.

    Viele Grüße und eine schöne Adventszeit euch allen 🙂

  3. Wer schaut den synchronisierte Pornos? 😀
    Der AbschlussGag kam ja schlimmer als das reingeschnittene Ende von Fight Club. Chapeu!

    Ja, Gott hat alle Kinder lieb! und die Frauen sowieso.
    Auch die, die abgetrieben werden.
    Bei den jüdischen Gelehrten mit den 40/80 Tagen war das wohl nur eine theoretische bzw. auf natürliche Abgänge/Fehlgeburten gemünzte Debatte und nicht im Lichte von massenhaft Abtreibungen.
    Und die Geschichte von Maria im Rahmen von pro-choice zu bringen; da wackeln mir die Ohren, aber gut, es ist eben HossaTalk.

    Letztlich kommt mir in der gesellschaftlichen Debatte, der auch in der Episode geäußerte Wunsch „Weniger Abtreibungen sind immer gut.“ viel zu kurz.
    Wo sind die flankierenden Maßnahmen des Staates, um ungeplante Schwangerschaften sozial abzufedern?
    Wo sind da die Grünen, die Roten und die Linken, denen angeblich der Mensch und nicht das schnöde Kapital wichtig sind?
    „Euer Bauch gehört euch.“ – schön und gut.

    Freiheit, Freiheit über alles?

    Andererseits empfinde ich auch die Gotteskrieger als verblendet?
    Was hat die KinderbuchMami mit 5 Sprösslingen davon, wenn die Nachbarin nicht abtreiben darf?
    Klar, es geht ums Prinzip und deswegen dann auch gegen Menschen.
    Auch hier gilt im Vorgriff zum SaisonAbschluss: Bleibt barmherzig! Alle!

    Aber ach, auch der Ruf nach Barmherzigkeit kann nur ein Einstieg in eine Aufarbeitung dieser Thematik sein.
    Sicherlich gibt es da auch Frauen, die das leicht wegstecken; solche, die dazu gedrängt werden, es nicht verkraften usw.
    In den Grauzonen geht es immer am buntesten zu.
    Hossa-Talk ist kein konfrontatives Format und das ist ja auch gut so, aber manchmal täte es not, vllt ein anderes Format und ehrlich „based“ argumentierende Personen, denen es kompromissbereit und offen um die Sache geht.
    So wäre die erste Frage, die zu klären wäre:
    Möchtest du lieber in einer Gesellschaft leben, in der Frauen abtreiben können oder in einer, in denen der Staat machbare Alternative (Baby & Berufsausbildung) „aufdrängt“?
    Was hängt höher: Das Recht auf Selbstbestimmung oder die „Pflicht“ zur Fortpflanzung (gibt es sicher schönere und treffendere Begriffe, aber der Punkt sollte klar sein).
    Und über allem hängt die Frage: Wo steuert unsere Gesellschaft hin? Was wird besser, wenn abgetrieben werden darf, und was wird für wen bzw. alle schlechter?

    Ja, das Thema hat nicht nur eine ganze Folge, sondern ganze Folgen verdient, um es umfassend zu beleuchten.

  4. Hallo zusammen,

    ich bin mehr oder weniger zufällig auf diesen Beitrag gestoßen, verfolge diesen Podcast bisher nicht und weiß daher auch nicht, ob nach einigen Wochen noch jemand hier vorbeischaut. Aber speziell zum Thema Abtreibung und zur Begründung einer Streichung des §218 aus dem Strafgesetzbuch wurde hier ein zentrales Argument vorgebracht, dessen Stichhaltigkeit ich, vorsichtig ausgedrückt, für sehr zweifelhaft halte.

    Nach einem kurzen Blick auf die facebook-Seite von Hossa habe ich dann auch einen Beitrag gefunden, in dem die wiederum auf facebook getätigte Aussage „Die Zahlen zeigen, dass dort, wo Abtreibung verboten ist, nicht weniger Abtreibungen durchgeführt werden, diese dann nur lebensgefährlicher für die Mütter sind“ mit einem Blogpost aus dem Jahr 2012 bzw. den dort angegebenen Quellen belegt wird. Dieser Blogpost bezieht sich wiederum auf einen Artikel der NY-Times zu einer Lancet-Studie aus dem Jahr 2012, die leider auch in diesem Times-Artikel nicht konkret zitiert wird. Nach einer weiteren kurzen Recherche konnte diese Studie jedoch identifiziert werden (Sedgh G, Singh S, Shah IH, Ahman E, Henshaw SK, Bankole A., Induced abortion: incidence and trends worldwide from 1995 to 2008. Lancet. 2012).

    Da mir solche Aussagen immer häufiger begegnen, möchte ich im Folgenden erläutern, warum ich sie für unzutreffend halte. Ich beziehe mich hier bewusst nur auf diesen Teilaspekt, weil ich ihn für die Argumentation als zentral empfunden habe – wohl wissend, dass damit nur ein Bruchteil des gesamten Problemkomplexes angesprochen ist (und dass mein Schwerpunkt bei der Beschäftigung mit diesem Thema eigentlich nicht im medizinischen oder soziologischen, sondern im moralphilosophischen Bereich der Debatte liegt).

    Von den Befürwortern eines Rechts auf bzw. der Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen wird – wie auch hier – häufig eingewandt, dass ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen die tatsächliche Zahl der Schwangerschaftsabbrüche ohnehin nicht reduzieren würde. Vielmehr würde die Inanspruchnahme illegaler Abtreibungen nur die Sterblichkeitsrate ungewollt schwangerer Frauen erhöhen. Zudem wird immer wieder behauptet, dass Frauen, die aufgrund eines Abtreibungsverbots oder einer versäumten gesetzlichen Frist ihr Kind dennoch austragen, später häufiger unter psychischen Problemen leiden als Frauen, denen eine Abtreibung zugestanden wurde. Problematisch ist jedoch nicht nur, dass die Erhebung verlässlicher und aussagekräftiger Daten zu den diesen Behauptungen zugrundeliegenden Fragestellungen mit zahlreichen Schwierigkeiten verbunden ist (vgl. hierzu insbesondere: Calum Miller, Maternal Mortality from Induced Abortion in Malawi: What does the latest Evidence suggest? in: Int. J. Environ. Res. Public Health 18 (2021), 10506), sondern dass die tatsächlich verfügbaren Daten sogar das Gegenteil nahelegen.

    Hinsichtlich der Mortalität durch illegale Schwangerschaftsabbrüche lässt sich generell feststellen, dass in wohlhabenden Ländern mit einer Gesetzgebung, die Schwangerschaftsabbrüche stark einschränkt oder verbietet, tatsächlich nur sehr wenige Todesfälle auf illegale Schwangerschaftsabbrüche zurückgeführt werden können. In Malta, einem der wenigen Länder, in denen Abtreibungen ohne kriminelle oder schwerwiegende medizinische Indikation gänzlich verboten sind, gab es seit 2011 keinen einzigen Todesfall in diesem Zusammenhang (vgl. Directorate for Health Information & Research, National Obstetric Information System, 2019, S. 25), und Polen, ebenfalls ein Land mit (noch) sehr restriktivem Abtreibungsrecht, hat eine der niedrigsten Müttersterblichkeitsraten der Welt (vgl. Statista, Maternal Mortality Rates Worldwide in 2020, by Country).

    In weniger wohlhabenden Ländern mit liberalen Abtreibungsgesetzen ist die Zahl der Todesfälle durch Schwangerschaftsabbruch dagegen hoch (z.B. Ruanda, Äthiopien oder Ghana). Wenn Abtreibung legalisiert wird, bleiben zudem sowohl die Müttersterblichkeit als auch die Abtreibungssterblichkeit zunächst fast immer unverändert. Tatsächlich hat die Legalisierung in den meisten Ländern, in denen Studien zur Legalisierung durchgeführt wurden, nicht zu einem Rückgang der illegalen Abtreibungen geführt. Sie führte in den meisten Fällen lediglich zu einem Anstieg der legalen Abbrüche bei Frauen, die sonst nicht abgetrieben hätten. In einigen wenigen Fällen stiegen Mortalität und Morbidität nach der Liberalisierung der Abtreibungsgesetze sogar an (z. B. in den Niederlanden, Ruanda und Äthiopien). In Ländern, in denen der Schwangerschaftsabbruch verboten ist, gehen dagegen sowohl die Müttersterblichkeit als auch die Abtreibungssterblichkeit allmählich zurück (für Quellen zu all diesen Aussagen siehe Calum Miller, Maternal Mortality from Induced Abortion in Malawi: What does the latest Evidence suggest? in: Int. J. Environ. Res. Public Health 18 (2021), 10506, S. 4-5). Insgesamt legen die Daten also nahe, dass die Sterblichkeit von Frauen nach einem Schwangerschaftsabbruch oder bei Schwangerschaftskomplikationen nicht vom rechtlichen Status des Abbruchs abhängt, sondern von der Qualität der geburtshilflichen Notfallversorgung (insbesondere der flächendeckenden Verfügbarkeit von Antibiotika).

    Weiteres zum Thema Müttersterblichkeit durch illegale Abtreibungen s. hier:
    https://calumsblog.com/2022/02/10/abortion-and-maternal-mortality/

    Als Beleg für die erste Behauptung (strengere Abtreibungsgesetze führen zu keinem Rückgang von Abtreibungen) werden dann meiner Erfahrung nach ausschließlich Studien genannt, die in Zusammenarbeit mit dem Guttmacher Institut und / oder der WHO sowie anderen Organisationen erstellt wurden, die sich für ein Recht auf Abtreibung bzw. die Legalisierung von Abtreibungen einsetzen. Die dabei meist genannten Studien sind die folgenden:

    Sedgh G, Singh S, Shah IH, Ahman E, Henshaw SK, Bankole A., Induced abortion: incidence and trends worldwide from 1995 to 2008. Lancet. 2012 Feb 18;379(9816):625-32. doi: 10.1016/S0140-6736(11)61786-8. Epub 2012 Jan 19. PMID: 22264435.

    Bearak J, Popinchalk A, Ganatra B, Moller AB, Tunçalp Ö, Beavin C, Kwok L, Alkema L., Unintended pregnancy and abortion by income, region, and the legal status of abortion: estimates from a comprehensive model for 1990-2019. Lancet Glob Health. 2020 Sep;8(9):e1152-e1161. doi: 10.1016/S2214-109X(20)30315-6. Epub 2020 Jul 22. PMID: 32710833.

    Der Hauptautor der zweiten und neuesten Studie, Dr. Bearak, und die nächsten beiden aufgeführten Autoren dieser Studie sind Forscher am Guttmacher Institut (der wissenschaftliche Arm der Planned Parenthood Foundation). Die nächsten drei Autoren arbeiten für die WHO, insbesondere für das UNDP/UNFPA/UNICEF/WHO/World Bank Special Programme of Research. Mit der WHO, der Bill and Melinda Gates Foundation sowie mit Regierungsgeldern aus dem Vereinigten Königreich und dem niederländischen Außenministerium wird die Studie damit von zwei Organisationen finanziert, die als Verfechter eines Rechts auf Abtreibung gelten und von zwei Regierungen mit sehr liberalen Abtreibungsgesetzen. Das alles ist natürlich kein Beleg dafür, dass die Daten falsch oder tendenziös erhoben oder ausgewertet worden sind. Es spricht aber sicher nicht für Neutralität und man sollte hier meiner Ansicht nach mindestens genauso skeptisch sein, wie wenn der Vatikan zusammen mit Polen (unter der alten Regierung) und Malta eine Studie zum Thema Abtreibung bei der Hochschule Heiligenkreuz in Auftrag geben würde.

    Doch was ist das tatsächliche Problem der Studie? Die Organisation „Secular Pro Life“ hat dieses meiner Einschätzung nach sehr gut herausgearbeitet. In der Studie wurden folgende drei Faktoren untersucht: Die Anzahl ungewollter Schwangerschaften (UGS), die Abtreibungsgesetze (AG) und die Abtreibungsraten (AR). Prinzipiell würde man erwarten, dass eine höhere Anzahl an UGS zu höheren AR und strengere AG zu niedrigeren AR führen. Länder mit einer großen Anzahl an UGS und liberaleren AG müssten somit die höchsten AR haben, während Länder mit einer niedrigen Anzahl UGS und strengen AG die niedrigsten AR haben sollten. Das Problem ist jedoch folgendes: Oft haben Länder mit einer hohen Anzahl UGS strenge AG und Länder mit einer niedrigen Anzahl UGS haben liberale AG. So heißt es in der Studie: „We found that unintended pregnancy rates were generally higher in settings where abortion is restricted than in settings where it is broadly legal.“ (S. e1158)

    Diese Beziehung zwischen den beiden Variablen (UGS und AG) erschwert somit die Analyse. Die beiden Faktoren wirken sich gegenseitig abschwächend aus und verdecken ihre jeweiligen individuellen Auswirkungen auf die AR. Dieser abschwächende Effekt führt dazu, dass Länder mit strengen AG und Länder mit liberalen AG ähnliche Abtreibungsraten haben. Daraus wird dann fälschlicherweise der Schluss gezogen, dass das AG die AR nicht wirklich beeinflusst. Die Autoren der Studie untermauern diesen Irrtum bspw. mit dieser Aussage: „We found no evidence that abortion rates were lower in settings where abortion was restricted.“ (S. e1159)

    Zusätzlich sollte übrigens beachtet werden, dass der abschwächende Effekt auch bedeutet, dass Länder mit einer hohen Anzahl an UGS (73 pro 1000 Frauen) und Länder mit einer niedrigen Anzahl an UGS (58 pro 1000 Frauen) ähnliche Abtreibungsraten haben (36 vs. 40 pro 1000 Frauen). Niemand kommt dabei jedoch zu dem Schluss, dass UGS die AR nicht wirklich beeinflussen (s. Tabelle 2 der Studie auf S. e1157). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Prozentsatz der UGS, die abgetrieben werden. Der Studie zufolge werden in Ländern, in denen es strikte AG gibt, etwa 50 % der UGS abgebrochen. In Ländern, in denen die AG liberal sind, sind es jedoch etwa 70 %. Beides sind zwar hohe Zahlen, aber ein Unterschied von 20 Prozentpunkten ist durchaus signifikant.

    Diana Greene Foster, die Autorin der Turnaway Studie und eine klare Verfechterin eines Rechts auf Abtreibung, erörterte diesen Sachverhalt (auf der Grundlage ähnlicher Daten aus einer früheren Studie) in ihrer Kolumne „Stop Saying That Making Abortion Illegal Won’t Stop People From Having Them“:

    „The unintended pregnancy rate is significantly higher in countries where abortion is illegal – probably because contraceptives are also difficult to access. That only 48 percent of unintended pregnancies are aborted in countries where abortion is illegal compared to 69 percent where it is legal indicates that many women have carried unwanted pregnancies to term.“ (Diana Greene Foster, Stop Saying That Making Abortion Illegal Won’t Stop People From Having Them, Rewire News Group)

    Die Lancet-Studie aus dem Jahr 2020 ergab außerdem, dass die weltweite Anzahl an UGS von 1990 bis 2019 um 18 % gesunken ist. Wenn die AR in erster Linie durch die UGS und nicht durch die AG beeinflusst werden würde, würde man doch erwarten, dass die weltweiten AR zusammen mit dem Rückgang der UGS sinken würden. Stattdessen sind die AR weltweit jedoch in etwa gleich geblieben. Hier spielen viele Faktoren eine Rolle, aber das AG ist sicherlich einer der wichtigsten. Das Center for Reproductive Rights hat zudem einen Bericht herausgegeben, in dem das internationale AG von 1994 bis 2014 folgendermaßen zusammengefasst wird:

    „During the past 20 years, more than 30 countries have liberalized their abortion laws, expanding the grounds under which women can legally access abortion services. Only a handful of countries have taken steps to legally restrict abortion or make it more difficult for women to procure abortions during this time.“ (Abortion Worldwide: 20 Year of Reform, Center for Reproductive Rights)

    Die Rate der UGS ist also weltweit zurückgegangen, aber die AG wurden insgesamt liberaler. Es sollte daher nicht überraschen, dass sich die AR weltweit nicht wesentlich verändert hat. Auch hier scheinen sich die UGS und die Liberalisierung der AG gegenseitig abzuschwächen. So wie Korrelation nicht immer Kausalität bedeutet, bedeutet fehlende Korrelation nicht immer fehlende Kausalität. Wenn wir daher die weltweiten AR nur im Zusammenhang mit den jeweiligen AG betrachten, sehen wir keine Korrelation. Wenn wir jedoch ebenso die Rate der UGS berücksichtigen, liegt der Schluss auf der Hand, dass strenge AG die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche tatsächlich verringern. Oder anders ausgedrückt: In Ländern, in denen der Zugang zu Abtreibungen (und meist auch Verhütungsmittel) stärker eingeschränkt oder verboten ist, ist die Anzahl ungeplanter Schwangerschaften i. d. R. deutlich höher. D. h. es gibt dort mehr Frauen, die eine Abtreibung in Anspruch nehmen wollen. Wenn die AR in diesem Fall trotzdem nahezu gleich ist, wie in Ländern, in denen die AG liberal und die Anzahl der UGS deutlich geringer ist, dann deutet dies daraufhin, dass strengere AG zu weniger Abtreibungen führen.

    Zudem gibt es eine weitere Studie, die zu dem Ergebnis kommt, dass die große Mehrheit der Frauen, denen eine Abtreibung aus rechtlichen Gründen verweigert wurde, das Kind bis zum Ende austrug und keine illegale Abtreibung vornehmen ließ (vgl. M. Antonia Biggs/Ushma D. Upadhyay/Charles E. McCulloch/Diana G. Foster, Women’s Mental Health and Well-being 5 Years After Receiving or Being Denied an Abortion. A Prospective, Longitudinal Cohort Study, in: AMA Psychiatry 74 (2017), S. 169–178) und das Austragen einer UGS die psychische Gesundheit von Frauen nicht negativer beeinflusst, als bei der Inanspruchnahme einer Abtreibung – im Gegenteil. David M. Fergusson, Psychologe und ebenfalls Verfechter eines Rechts auf Abtreibung, kommt nach Auswertung einer 30-jährigen Langzeitstudie sogar zu folgendem Ergebnis

    „In this paper we have used extensive data gathered over the course of a 30-year longitudinal study to examine the links between a series of pregnancy outcomes (abortion, pregnancy loss, unwanted pregnancy leading to live birth, and other live birth) and common mental health outcomes, including depression, anxiety, suicidal behaviours and substance use disorders. The major finding of this analysis is that even following extensive control for prospectively and concurrently measured confounders, women who had had abortions had rates of mental health problems that were about 30% higher than rates of disorder in other women. Although rates of all forms of disorder were higher in women exposed to abortion, the conditions most associated with abortion included anxiety disorders and substance use disorders. In contrast, none of the other pregnancy outcomes (pregnancy loss, live birth following unwanted pregnancy or a pregnancy having an initial adverse reaction, and other live birth) was consistently related to significantly increased risks of mental health problems.“ (David M. Fergusson/L. John Horwood/Joseph M. Boden, Abortion and Mental Health Disorders: Evidence from a 30-year longitudinal Study, in: The British Journal of Psychiatry 193 (2008), S. 444–451, hier S. 449).

    Auf diesen Sachverhalt wird beispielsweise auch in den offiziellen Richtlinien des „Royal College of Obstetricians and Gynaecologists“ hingewiesen:

    „Women with an unintended pregnancy should be informed that the evidence suggests that they are no more or less likely to suffer adverse psychological sequelae whether they have an abortion or continue with the pregnancy“ (Royal College of Obstetricians and Gynaecologists Guidelines, The Care of Women Requesting Induced Abortion. Evidence-based Clinical Guideline Number 7, S. 10).

    Tatsächlich wünschten sich selbst gemäß der methodisch ebenfalls fragwürdigen Turnaway-Studie 96 % der Frauen, denen eine Abtreibung verweigert wurde, fünf Jahre nach der Geburt ihres Kindes nicht mehr, dass sie eine Abtreibung hätten haben können (die restlichen 4 % waren sich diesbezüglich unsicher). Diese Gruppe ist damit sogar prozentual geringfügig größer als die jener Frauen, die angaben, dass eine Abtreibung für sie die richtige Entscheidung war. Außerdem räumt auch Foster ein, dass die Verweigerung einer Abtreibung keine nachweisbaren negativen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Frauen hat:

    „I admit I was surprised about this finding. Carrying an unwanted pregnancy to term was not associated with mental health harm […] I expected that raising a child one wasn’t planning to have might be associated with depression or anxiety. But this is not what we found over the long run […] Women are resilient to the experience […] at least in terms of their mental health […] Women’s symptoms of depression and anxiety are slowly relieved following an unwanted pregnancy, regardless of how that pregnancy ends. (Diana Greene Foster (Hg.), The Turnaway Study: Ten Years, a Thousand Women, and the Consequences of Having—or Being Denied—an Abortion, New York, 2021, S. 109+127)

    Abschließend hier noch eine Auflistung diverser Studien bis zur Gegenwart, die zu dem Ergebnis kommen, dass restriktive Abtreibungsgesetze eine Wirkung haben und zu weniger Abtreibungen bzw. mehr Geburten führen:
    https://secularprolife.org/abortion-rates/
    https://secularprolife.org/pregnancy-rates/
    https://calumsblog.com/2022/02/10/how-to-reduce-the-abortion-rate/

    Bei Rückfragen oder Einwänden, gerne hier melden. Ich versuche dann darauf zu antworten.

    Herzliche Grüße
    Johannes

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