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Online Live-Talk zum Thema Blasphemie
Kann man Gott beleidigen? Müssen Menschen ihn gar verteidigen?
Wieviel Satire verträgt Religion? Und gibt es ein Recht darauf, dass religiöse Gefühle nicht verletzt werden dürfen?
Über all diese Fragen und mehr haben Jay, Marco und Gofi vor Kurzem in einem Hossa Online-Talk diskutiert. Ausgehend von der Empörung und Aufregung aus christlichen Kreisen über die angebliche Abendmahlsdarstellung bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris entspinnt sich ein angeregter Diskurs über den Tatbestand der Blasphemie, Religionsfreiheit, gesellschaftliche Tabus und Gottesbilder.
Außerdem kommen natürlich auch die anwesenden Hörer*innen zu Wort und teilen ihre Erfahrungen und Perspektiven zum Thema Blasphemie und selbstverständlich wird gemeinsam auch noch das zehnjährige Hossa-Jubiläum zelebriert.
Vorab reden Jay, Marco und Gofi aber auch über die turbulenten (welt)politischen Ereignisse der letzten Woche mit der US-Wahl und der geplanten Ampel-Koalition und erzählen, wie es ihnen damit ging und geht, wie sie damit umgehen und wie das alles einzuordnen ist.
Ein spannender Talk, der nahelegt, dass dieses Online-Format demnächst wiederholt werden sollte.
Ich haue mal zwei Thesen dazu raus.
1) Hinter der starken Ablehnung von Blasphemie stehen ZWEI Missverständnisse gleichzeitig: eines über (den christlichen) Gott und eines über Kunst
2) Beide Missverständnisse sind sich untereinander wahnsinnig ähnlich, vielleicht verursachen sie sich sogar gegenseitig (und zwar weil Glauben und Kunst sich selbst ähnlich sind).
Darf man, sagen wir, Jesus beleidigen, verspotten und bespucken? Das kann man so oder so sehen. Jesus selbst hatte eine klare Haltung: JA, DARF MAN!. Er hat das, so die Erzählung, alles geduldig ertragen und sich sogar ans Kreuz nageln lassen (darauf kam Jay ja zu sprechen). Wenn Christen sagen, dass der gekreuzigte Jesus ihnen so viel wert ist, dann meinen sie damit einen Jesus, der jede Blasphemie widerspruchslos erträgt, der sogar SELBST wegen „Blasphemie“ hingerichtet wird! Natürlich versteht er sein eigenes Wirken nicht als Blasphemie, aber er weiß, dass die anderen das so sehen – und lässt das stehen. Er kann das nicht ändern, er akzeptiert, dass ER SELBST die Blasphemie sein soll.
Unter „Jesus“ stellen sich verschiedene Christ:innen, verschiedene Konfessionen sehr verschiedenes vor: einen mystischen Lehrer, einen sozialen Revolutionär, einen göttlichen Herrscher, einen persönlichen Freund und Therapeuten und und und. Welcher Jesus ist „der richtige“?
Die Figur Jesus kann sich nicht dagegen wehren, was wir in ihr sehen (wollen), genauso wenig, wie Jesus sich gegen seine Verspottung gewehrt hat. Das NT setzt sogar noch einen drauf und lässt Jesus die Jünger ausdrücklich fragen: „Wer sagen die Leute, dass ich bin?“ – und dann „und IHR, wer sagt IHR, dass ich bin?“ Selbst der lebende Jesus weiß anscheinend, dass er das ist, was andere in ihn sehen – und er lässt das zu.
Und jetzt kommt’s: GENAU SO ist Kunst.
Was Kunst „bedeutet“, hängt sehr stark von der Zuschauerin ab, vom Rezipienten, davon, was wir in ihr lesen. Kunst ist offen für VIELE Interpretationen, insbesondere „große“ Kunst. Genau das macht sie ja so großartig. (vielleicht nicht für JEDE Interpretation, aber doch für viele)
Sie wehrt sich nicht dagegen. Nicht nur, weil sie das sowieso nicht kann, sondern weil genau das ihre Macht und ihre Magie ausmacht. Kunst wird schlechter, sie wird ärmer, wenn sie nur genau „eine“ Sache bedeutet.
Wenn ich behaupte, diese (vermeintliche) Abendmahl-Satire sei „Blasphemie“, behaupte ich zweierlei:
1) Man darf Gott nicht beleidigen
2) Gott zu beleidigen ist DIE EINE FESTSTEHENDE Bedeutung dieser Satire.
Dabei könnte der Konservative doch die Performance einfach anders lesen und sagen: „Für mich drückt das aus, wie schlimm und gottverlassen die Welt ist und WEIL es das ausdrückt, ist das sogar irgendwie „gut““. Vielleicht ist das von der Autorin so nicht „gemeint“, aber hey: wen stört’s? Niemand hindert dich daran, die Kunst so zu lesen, dass sie Sinn erzeugt und dein Leben irgendwie bereichert.
Ich habe also den Verdacht: Ein „eindeutiges“, verengtes Gottesbild erzeugt gleichzeitig ein „eindeutiges“, verengtes Kunstverständnis – und damit ein deutlich ärmeres Leben, schlicht weil diesem Leben ein großer Reichtum an Kunst fehlen wird.
Der gekreuzigte Jesus kann sich nicht dagegen wehren, dass Banksy ihm Einkaufstaschen anhängt.
Genauso wenig kann Banksys Bild sich dagegen wehren, was wir in ihm sehen wollen. In dem Moment, wo es „fertig“ ist, bedeutet es nur noch das, was die Welt in ihm sieht; Banksy hat keinen Einfluss mehr darauf; in der Postmoderne sprachen Barthes und Foucault vom „Tod des Autors“
Oder anders:
An Jesus „glauben“ im christlichen Sinn kann man erst, wenn er nicht leibhaftig da ist. Dann muss man etwas in ihn hinein-glauben: „So ist es“, „so ist er“ usw.
Erst der Tod des Erlösers ist die Geburt des Glaubens.
Erst der Tod des Autors ermöglicht die Geburt des Lesers (Roland Barthes)
„1) Hinter der starken Ablehnung von Blasphemie stehen ZWEI Missverständnisse gleichzeitig: eines über (den christlichen) Gott und eines über Kunst“
1a) Gott/Vernunft soll alles, also wettbewerbsbedingt einen christlichen gibt es nicht.
1b) Kunst passt hervorragend zur KI Mensch, das offenbar nichts … (Korrektur)
👋😇 – Matthäus 12, 31-32
Sorry, es muss Matthäus 21,18-22
Schön, dass die Hörerin (Hanna?) Life of Brian angesprochen hat.
Der Film wäre ein super Thema für einen Crossover von Hossa und / oder Popcorn Culture und / oder Cobain Erben.
Ein anderes Thema, das mich mega interessieren würde (vielleicht passt das eher zu Cobains Erben): Nachdem das Kabarett lange Jahre eine linke Domäne war (Volker Pispers, Hagen Rether, Urban Priol etc), gibt es nun richtig erfolgreiche Figuren mit rechte(re)n Einschlägen, namentlich Dieter Nuhr und vor allem Lisa Eckhardt, die davon lebt, den Tabubruch und das wohlige Schaudern daran zu zelebrieren.
(Die Forderung, dass der Humor nur nach oben treten soll, kontern sie damit, dass „oben“ natürlich die woken linksgrünen Eliten sitzen, die sie gerade in Wahrheit treten usw.)
Was denkt ihr darüber?
Ist das sozusagen handwerklich gut gemacht?
Hört ihr euch das an? Warum (nicht)?
Könnt ihr darüber lachen?
Wenn wir über uns selbst lachen, soll das nur zu „unseren“ Bedingungen passieren? Oder liegt auch ein Wert, eine Stärke darin, sich dem fremden Humor auszuliefern, also ganz bewusst richtig weit aus der eigenen Blase herauszutreten?
LG
Hi,
Ich bin da inhaltlich nahe an Jay. Mit (ernster;)) ironischer Brechung lässt sich schwer blasphemisch reden.
Unter Blasphemie verstehe ich das Einnehmen des Gottesstandpunktes um eine persönliche Agenda durchzusetzen (Wille zur Macht). Dies vorausgesetzt, ist wahre Blasphemie ironischerweise nur möglich, indem gesagt wird „Das ist Blasphemie!“, weil nur hier sich der Gottesstandpunkt tatsächlich angemaßt wird.
Alle anderen Dinge kommen mMn. umso näher heran (ohne es doch je erreichen zu können), desto konkreter die Agenda wird. Alles fundamentalistische z.B. ist sehr nahe dran. Auch manch progressiv, oder „wokes“ riecht teilweise stark nach Anmaßung, dadurch, dass der eigene Standpunkt für mich allzu leicht auf Gott selbst übertragen wird. Und seien es auch noch so ehrenhafte Ziele.
Wenn Gott als Gewehrsmann erscheint, sollten die Alarmglocken klingen.
LG
Blasphemie ist Menschenverachtung, doch weil Menschen die Gott/Vernunft nicht mit Menschlichkeit/Menschsein verbinden, sondern mit der herkömmlich-gewohnten Macht des imperialistisch-faschistischen Erbensystems von/zu materialistischer „Absicherung“, ist …!?
👋😇
Hi ihrs!
Ich würde mir gerne den Podcast über Jim Jones anhören, den Jay im Vorgeplänkel erwähnt hat. Wo finde ich den?
Glg,
Kristina
Such mal nach „Jonestown Geschichten einer Tragödie“ oder nach Gerrit Schönberger in deiner Pidcastapp.
Wir sprechen übrigens im nächsten Talk mit Gerrit darüber.
LG, der Jay