#26 Gewalt im Namen Gottes (m. Pfr. Markus Rahn)

Ist Gott gewalttätig? Befürwortet er die Anwendung von Gewalt? Befiehlt er sie sogar manchmal? Markus Rahn, eine alter Bekannter von Gofi, ist Pfarrer in Marburg. Er rät uns, die heiligen Schriften wie Jesus zu lesen: kritisch. Das erläutert er in diesem wahnsinnig spannenden Gespräch.

 

41 Kommentare zu „#26 Gewalt im Namen Gottes (m. Pfr. Markus Rahn)“

  1. Sendung bei Min. 31 abgebrochen. Pfarrer Markus Rahn hat nie vom Orange Order gehört. Auch Carbonari sind ihm unbekannt (Christlicher Terror ist für ihn nicht gegeben ). Gibt positiv rassistische Platitüden über Friedfertigkeit „Schwarzer“ ab. Er unterscheidet nicht zwischen Muslimen und Islamistischem Terror. Verallgemeinert grob beim Islam. Jay und Gofi nicken. Grauenvoll.

    An dem Thema komplett überhoben. Schlecht vorbereitet, ungenügend informierter Gast.

    1. Lieber Dieter,
      danke für das kritische Feedback. Trotzdem kann ich dir nicht ganz folgen. Die Oranier und Carbonari waren vor allem in der Vergangenheit schlimme Akteure, sind aber in ihrer aktuellen Wirkung in keiner Weise mit Al-Qaida, IS, Boko Haram oder Al Shabaab zu vergleichen. Und selbstverständlich gibt es heute auch Terror durch schwarze Menschen, vor allem in Afrika. Dennoch erleben wir von Seiten schwarzer Migranten in Europa keine Aggression, die mit dem islamistischen Terror vergleichbar wäre. Und darum ging es in dem Gespräch, denn dies spricht für eine stärkere religiöse als soziale Ursache der Gewalt. Und selbstverständlich unterscheide ich zwischen der überwältigenden Mehrheit friedlicher Muslime und dem Extremismus. Das wurde mehr als einmal gesagt. Trotzdem frage ich dich: Würdest du die gegenwärtige Staatsdoktrin des Iran und Saudi-Arabiens als islamisch oder islamistisch bezeichnen? Und würdest du es als islamisch oder als islamistisch bezeichnen, wenn man alle Männer eines Volksstamms, der sich ohne vorausgehende Kampfhandlung ergeben hat, enthauptet und die Frauen und Kinder versklavt, wie Mohammed es mit den jüdischen Banu Quraiza tat? Solche Dinge wirken leider weiter, wenn die Quellen nicht im Licht der Liebe und Aufklärung kritisch gelesen werden. Oder was denkst du?
      Herzliche Grüße, Markus

      1. Also ich kann das Unbehagen von Dieter nachvollziehen, weil es mir an der Stelle auch so ging. Ich habe ähnliche Argumentationen schon von Rechtspopulisten gehört, die verschiedene Gruppen von Ausländern gegeneinander ausspielen, wer sich angeblich besser integriert als andere. Diesen Schuh will ich dir nicht anziehen, weil das sicher nicht deine Absicht ist, und deine Sichtweise im Kontext der gesamten Sendung auch viel differenzierter dargestellt wird. Von daher lohnt es sich wirklich die komplette Sendung zu hören!

        @Markus: Trotzdem finde ich deine Erklärung an dieser Stelle zu einfach, weil die Religion nur ein Aspekt unter vielen ist. Was mir an der Stelle fehlt, sind z.B. die Tatsache, dass der Westen und insb. die USA in den letzten Jahrzehnte bis heute insbesondere im arabisch/muslimisch geprägten Raum als Aggressor aufgetreten ist. Ich denke dass zum einen die Demütigungen zu einer Radikalisierung führten. Ich meine auch mal gehört zu haben, dass es noch vor 50 Jahren eine viel einflussreichere intellektuelle muslimische Schicht gab, aber durch das Chaos der vielen Kriege gewannen die radikalen die Oberhand (teilweise wiederum durch den Westen mit Waffen ausgestattet). Im Iran wurde eine gemäßigte Regierung mit CIA-Hilfe gestürzt, um den USA-hörigen Schah zu unterstützen mit dem Ergebnis, dass sich am Ende die radikalen Moslems durchsetzen. Die gemäßigten waren geschwächt.

        Ansonsten fand ich die Sendung sehr gut, es sind manchmal die kleinen Randthemen die plötzlich beim Hören Reibung verursachen 😉

        Ich krieg regelmäßig das Kotzen wenn ich Christen höre „Ja die gemäßigten Muslime nehmen ihren Glauben halt nicht ernst, sonst würden sie uns alle töten.“ Mich würde aber trotzdem interessieren, wie gemäßigte Muslime mit solchen Stellen umgehen. Das Problem haben/hatten wir Christen ja auch. Argumentieren sie genauso wie Markus, dass sie auf ihr Herz hören? Oder legen sie den Koran historisch-kritisch aus? Ignorieren sie sie einfach? Gibt es muslimische Hossa-Talks? Gibt es muslimische Comedy-Bands, die „Muslime müssen artig sein“ singen? Kann man sich Sunniten und Schiiten ungefähr so vorstellen wie Evangelen und Katholen? Gibt es auch muslimische Charismatiker und Worship mit Umfallen? Gibt es emergente Moscheen? Man redet so viel über Muslime, aber ein Einblick in die „Szene“ fänd ich interessant. Vielleicht könnt ihr ja mal einen einladen 🙂

        1. Lieber Tom,
          habe ein paar Tage nicht reingeschaut. Danke für deine Gedanken. Die Rechtspopulisten, die mir große Sorge machen, mischen natürlich auch manchmal zutreffende Argumente in ihr Giftcocktail. Sonst würden sie ja gar nichts erreichen. Damit werden diese Argumente aber nicht falsch und unbrauchbar. Sie müssen nur genau geprüft werden.
          Das Thema der religiös motivierten Gewalt ist zugegeben sehr komplex. Und bei einem hossa talk, der 100%-ig unabgesprochen und spontan läuft, werden zwangsläufig manche Aspekte vergessen oder haben einfach aus Zeitgründen keinen Platz. Völlig Recht hast du mit dem Hinweis, dass auch die militärischen Eingriffe des Westens in Wechselwirkung mit der gegenwärtigen islamistischen Gewalt stehen. Ich behaupte aber, dass dieser Einfluss nicht ursächlich, sondern schlimmstenfalls verstärkend ist. Zum einen war der Islam von Anfang an sehr gewalttätig, weil der Koran vielfach zum Dschihad mit dem Ziel der Unterwerfung (das genau bedeutet der Begriff „Islam“) der Welt auffordert, zum anderen würde sich heute die Gewalt hauptsächlich gegen den Westen richten, wenn dieser von den Muslimen als Hauptproblem wahrgenommen werden würde. Die Mehrheit der Opfer der Islamisten aber sind Muslime. Vor kurzem habe ich eine Studie darüber gelesen, wie sehr es sich auswirkt, ob der Westen interveniert hat wie in Afghanistan und Irak, oder eben nicht – wie lange Jahre in Syrien. Das Ergebnis: Kein Unterschied.
          Deine Fragen zu modernen Bewegungen unter den Muslimen finde ich übrigens hochspannend. Da würde ich auch gern noch mehr drüber wissen. Also, machen wir uns auf die Suche. Danke für die Anregung!

          1. Danke für deine Antwort, ich vermute wir liegen nicht soweit auseinander und setzen bei der Interpretation nur etwas andere Schwerpunkte 😉 Sicher legt der Islam gewalttätige Tendenzen nahe, aber wenn man Herz und Verstand gebraucht, kann die Religion einen positiven Einfluss haben. Soweit sind wir uns wohl einig.

            Jetzt frage ich mich, was gesellschaftlich notwendig ist, damit sich dieser positive Einfluss entfalten kann. Ich denke derartige Faktoren sind Frieden, Bildung und soziale Gerechtigkeit. Man kann nicht behaupten, dass der Westen diese Faktoren gefördert hat. Weil du Syrien als Gegenbeispiel nennst: ich vermute in Syrien kamen viele Faktoren zusammen: Der Westen wollte Assad als wichtigen Verbündeten Russlands schwächen und hat die Opposition unterstützt (darunter vermutlich auch den IS). Die Türkei wird ebenfalls verdächtigt den IS gegen die Kurden unterstützt zu haben. Assad wiederum hat sein eigenes Volk unterdrückt und so sicher viele in die Arme des IS getrieben. Und ich glaube nicht, dass der IS ohne den Irakkrieg so viel Erfolg gehabt hätte (zum einen propagandistisch, zum anderen durch das entstandene Machtvakuum im Irak).

            Ich bin mir nicht so sicher, ob man nicht auch umgekehrt sagen könnte, dass die katastrophalen Umstände den IS hervorgebracht haben, und die Religion ein verstärkender Faktor ist. Aber das ist wohl Interpretationssache, die Wahrheit liegt sicher irgendwo dazwischen.

            Es soll ja mal sehr fruchtbare kulturelle und wissenschaftliche Phasen gegeben haben, während das Christentum im tiefsten Mittelalter war. Dieser extreme Fundamentalismus dagegen soll eine eher moderne Phase sein. Aber dafür weiß ich zu wenig über die Geschichte des Islam.

        2. Also, nur zur Frage nach Schiiten und Sunniten und modernen Strömungen – es gibt gemäßigte Schiiten (z.B. in Bahrain) und auch radikale (z.B. Iran), auch die Sunna kann strenger (Wahabiten) und weniger streng ausgelegt werden. Insofern kann man das schon mit evangelisch und katholisch vergleichen: Unterschiedliche Ausgangspunkte, unter denen sich aber ein differenzierter Fächer gebildet hat. Den christlichen Charismatikern entsprechen vielleicht am ehesten die ekstatischen Andachten der Sufi-Strömung.

  2. –> An Dieter!
    Hab‘ den Beitrag noch nicht ganz angehört. Mir ist aber dein Kommentar aufgefallen.
    Ich bin Historiker und Anglist und muss deswegen gleich etwas dazu anmerken:
    Oranierorden (Orange Order) und Carbonari sind beides in erster Linie nationalistische Bewegungen (gewesen) und haben erst in zweiter oder dritter Linie überhaupt mit Religion zu tun. Allerdings sind beide, vor allem Oranierorden, in Zeiten entstanden, in denen ‚Nation‘, soweit der Begriff überhaupt schon verwendet wurde, und ‚Religion‘ enorm verwoben waren und kaum getrennt wurden. Deswegen sind beide Bewegungen nicht vorrangig relevant in einer Diskussion, wie ich sie in der Beschreibung wahrnehme und es ist m.E. kein Fehler sie an dieser Stelle wegzulassen. Ansonsten kann man gleich wieder eine dieser fruchtlosen und endlosen Diskussion über die Kreuzzüge führen. Auch für die sind die Beweggründe wesentlich komplexer als viele Kritiker des Christentums bereit sind, wahrzunehmen.
    Markus erwähnt ganz am Anfang (das hab‘ ich schon gehört), dass unter den Christen die Aufforderung Christi, die Feinde zu lieben, ‚erstaunlich‘ wenig zum Ausdruck kam und der christliche Glaube gerne für politische Ziele benutzt wurde. Mir gefiel dabei das Wort „erstaunlich“…
    Anyway: Insofern sind die von dir erwähnten Organisationen für eine historische Diskussion, beispielsweise über die Geschichte des Christentums in Europa relevant, für ein Gespräch über den aktuellen Glauben und aktuelle Geschehnisse… …eher weniger, würde ich sagen.
    Sprechen müssen wir sicher über Vorfälle wie dieses Attentat in den USA in der Planned Parenthood – Klinik. Denn hier haben wir ein Beispiel wie „erstaunlich“ wenig relevant die Feindesliebe auch bei modernen Christen sein kann.
    So, und jetzt hör‘ ich weiter…
    Gruß,
    Johannes

  3. Den Gedanken, dass Gottes Barmherzigkeit so groß ist dass er alle Menschen zu sich nimmt, finde ich schön und sehr wünschenswert. Ich bleibe aber immer an der Frage hängen, wieso dann Jesus so qualvoll am Kreuz sterben musste? Dann hätte er doch auch z.B. wie im Koran beschrieben einfach in den Himmel entrückt werden können.

    1. Sehr gute Frage, Manuel. Wir werden uns damit auseinandersetzen (mit dem Kreuz), und zwar in der vorösterlichen Zeit. Wir haben da ganz konkrete Pläne und hoffen, dass das alles so klappt. Aber das Thema kommt auf den Tisch, versprochen!

      1. Schön, dass ihr das Thema schon eingeplant habt!
        Vielleicht kann Markus ja trotzdem noch kurz antworten, sofern er hier mitliest. Würde mich interessieren wie er das sieht.

      2. Toll, toll. Großartiges Thema! Ich empfehle zur Inspiration (wenn nicht schon zu spät) das Buch „Ins Herz geschrieben – Die Weisheit der Bibel als spiritueller Weg“ von Richard Rohr. Er macht sich ab S. 263 unglaublich spannende und aufschlussreiche Gedanken über „Das Geheimnis des Kreuzes“. Kennt ihr Richard Rohr? Wenn noch nicht: Ich glaube ihr könntet Freunde werden 🙂 Er vertritt viele eurer Gedanken mit ganz viel Herz und Liebe und Inclusion!

    2. Lieber Manuel,
      lese eben erst deine Frage. Danke dafür. Ich stelle sie mal mit meinen Worten so: Warum brauchte Gott ein so furchtbares Opfer, wenn er doch einfach hätte sagen können: Schwamm drüber? Die logische Folge: Gott musste, um seinen Prinzipien treu zu bleiben, seinen Sohn opfern. Sonst hätte er sich selbst widersprochen und aufgegeben. Das ist die traditionelle Lehre.
      Dazu denke ich: So wie ich Gott verstehe, hätte er sich lieber selbst widersprochen (wie es Jona Gott zu Recht vorwirft, weil der gegen seine eigene Ankündigung Ninive doch nicht vernichtet) und seine Prinzipien gebrochen, wenn das den Tod Jesu verhindert hätte. Deshalb verstehe ich die Bedeutung des Todes Jesu aus einer etwas anderen Perspektive, nämlich von der Dreieinigkeit her. Für mich ist Gott eine untrennbare Einheit aus drei unendlich nah verbundenen Existenzformen – so wie ich eine untrennbare Einheit aus Körper, Seele und Verstand bin, die ich unterscheiden, aber nicht separieren kann. Aus dieser Perspektive ist es für mich Gott selbst, der am Kreuz stirbt (Sacharja 12.10: „Sie werden mich sehen, den sie durchbohrt haben“, sagt Gott schon im AT vorher). Das heißt: Gott selbst stürzt sich in das Leid, die Schuld und den Tod dieser Welt. Er bleibt nicht auf Distanz, er verbindet sich mit unserem Schicksal. Damit zeigt er unbeschreibliches Maß an Solidarität und Liebe. Und in dieser Berührung von Himmel und Erde geschieht zugleich eine Verwandlung: Indem der Heilige wie ein Verbrecher stirbt, werden Sünder zu Heiligen, indem der Ewige verendet, werden endliche Menschen mit ewigem Leben beschenkt. Letzte Frage: War das nötig? Hätte Gott nicht auch einen anderen Weg wählen können? Mein Antwort: Keine Ahnung. Ich sehe nur, dass es dieser Weg war, den er gewählt hat. Ein Weg, den sich wohl kein Mensch hätte ausdenken können, der aber Ungezählte und auch mich unmittelbar erreicht, tief berührt und erfasst.

      1. Danke für deine Ausführungen, Markus. Ich würde dich gerne noch etwas besser verstehen. Ist mit deiner Sichtweise auf den Opfertod die Frage, ob Jesus der einzige Weg zu Gott ist, nicht mehr relevant, da sich Gott (Vater, Sohn und Geist) geopfert hat? Oder hast du die Hoffnung dass Gott aufgrund seiner Barmherzigkeit, trotz Jesus, alle Menschen die ihn suchen zu sich nimmt?

        1. Danke für die Nachfrage, Manuel. Jesus ist für mich der einzige Weg zu Gott und zur Erlösung, weil er selbst Gott ist, der unsere Welt besucht. Gott hat sich in Jesus selbst zum Weg, zur Brücke gemacht. Eine andere Frage ist, ob Menschen das zwingend erkennen und glauben müssen, damit sie bei Gott ankommen und erlöst werden. Im Talk habe ich ein paar biblische Gründe dafür genannt, dass es Hoffnung für alle Menschen gibt. Ein Beispiel für Menschen, die ohne Glauben an Jesus erlöst werden können, sind die, die vor Jesus gelebt haben. Oder ein anderes Beispiel: Jesus sagt in Mark 10,24, dass den Kindern das Reich Gottes gehört. Folglich dürfen sie da auch rein. Außer dem Alter nennt Jesus keine Bedingungen. Ist doch wunderbar, oder?

  4. Ich musste das recht bald ausschalten, weil mir da zu wenige „Facts“ und zu viele unsubstanziierte Mutmaßungen kundgetan wurden. Die Aufklärung hat erst Frieden gebracht? Wirklich? Die franz. Revolution war sehr blutig und Napoleon war schneller mit seinen Truppen durch Europa gezogen, als die Aufklärer schauen konnten. Außerdem war die Aufklärung nur aufgrund der Reformation überhaupt möglich. Die großen Philosophen und Ethiker der Zeit hatten zu größten Teilen einen reformatorischen oder jüdischen Hintergrund. Menschenrechtsorganisation, wie zum Beispiel das Rote Kreuz (!) wurden von dezidierten Christen gegründet (Henry Dunant). Bill of Rights und Deklaration of Independence waren die politisch wichtigeren Dokumente.

    Die Bibel sei nicht Gottes Wort, sondern enthält Gottes – was gewinnt man damit? Letztlich will man sich gegen ein sog. „wörtliches“ Verständnis der Bibel absichern, aus Angst mit „fundamentalistischen“ Kreisen in Berührung zu kommen. Aber wohin führt das? Wer sagt mir jetzt, was in der Bibel Gottes Wort sei und was nicht? Ein Fachmann, ein Theologe, Pfr Rahn, feministische Theologinnen von der Uni Marburg, der Fachmann Sigi Zimmer? Und mit welcher Autorität wird das behauptet, wenn man die Autorität der Bibel ablehnt und sich lieber auf eine mystische, innere „Herzensreligion“ zurückzieht. Hier beißt sich der Beitrag selbst in den Schwanz: Erst wird auf die Rationalität der Aufklärung rekurriert, dann wird die Möglichkeit abgelehnt, Gottes Wort mit der Vernunft nachvollziehen zu können und sich auf Herz/Gefühl zurückgezogen.

    Man hätte hier doch viel kritischer diskutieren und rückfragen müssen!

    Meine Meinung: Das passiert, wenn man vor allem über Religion und zu wenig über Evangelium redet. Man kann ewig über Probleme diskutieren. Es gibt genug. Glauben wir noch, dass das Evangelium die gute erlösende Nachricht ist, oder wollen wir lieber über den unhandlichen Begriff „Religion“ reden, bzw weiter verkündigen, dass die Aufklärung die Probleme löst? „Denkt“, sagt Rahn. Folgt eurem „Herzen“. Absoluter Humbug! Das war doch die Errungenschaft der Reformation, dass der Mensch als incurvatus in se ipsum, als in sich selbst verkrümmter Sünder eben nicht seinem Verstand und seinem Herzen folgt. Es würde ihn nur in die Verzweiflung führen. Sondern dass der Mensch von seinen Außenschaften (nicht Eigenschaften), also der ihm von außen zugesprochenen Gnade und Erlösung und Offenbarung und Führung durch den Geist Gottes lebt.

    1. Vielleicht hättest Du doch noch weiter hören sollen?
      Immerhin ging der Talk im weiteren Verlauf auch auf einige Deiner Anfragen ein… Allerdings wahrscheinlich nicht in der Tiefe und auch nicht mit den Antworten, die du dir gewünscht hättest. Hossa Talk ist ja eben kein Predigt- oder Lehrformat sondern ein Talk.
      Die Aufnahme von einem Gespräch, in dem Menschen ihre Gedanken zu Themen teilen. Wir sagen dazu immer „lautes Denken auf dem Weg“. Da muss am Ende nicht „das Richtige“ bei rauskommen. Wir verstehen uns mehr als Beitrag und Einladung zum Gespräch, bei dem jeder das sagen kann/ darf, was er denkt. So wie Du es hier in deinem Kommentar getan hast.
      Viele Grüße,
      der Jay

    2. Lieber D., danke für deinen kontroversen Beitrag! Ich hoffe, dass sich Markus noch einmal zu Wort meldet, weil ich finde, dass das sehr spannend ist, was du schreibst, auch wenn ich dir nicht zustimme. Ich will ihn mal ein wenig in Schutz nehmen: Er hat die Autorität der Bibel nicht in Frage gestellt. Er misst ihr nur nicht in allem dieselbe Autorität bei wie du. Und wenn du ehrlich bist, tust du das auch nicht durchgehend. Ich vermute, dass du nicht mit dem Psalmisten betest: Gesegnet sei der, der die Kinder Babylons an den Felsen zerschmettert. Auch bist du sicher nicht der Meinung der Freunde Hiobs, weil du als Bibelkundiger weißt, dass sie am Ende nicht Recht haben werden. Markus hat das differenziert dargestellt, so differenziert, wie man das in einem offenen Gespräch eben kann. Auch hat er nicht gesagt, dass die Herzenfrömmigkeit, von der er spricht, reines Gefühl sei, sondern er plädiert für ein verständiges, mündiges Studieren der Bibel. Ich denke, da verstehst du ihn falsch, ich denke – mit Verlaub – da willst du ihn falsch verstehen. Der Maßstab, so hat er recht deutlich gemacht, ist Jesus. Auch dann, wenn wir das Alte Testament lesen. Und deshalb sollten wir es, wie Jesus, kritisch lesen. Das ist seine Position.

      Deine Frage ist natürlich berechtigt: Wenn die Bibel nicht das Wort Gottes IST, sondern ENTHÄLT, auf welcher Grundlage unterscheiden wir dann das eine vom anderen? Ich kann wirklich verstehen, wenn du da zu einem anderen Ergebnis kommst. Aber selbst wenn du dich auf das Erbe der Reformation berufst und davon ausgehst, dass der Mensch ein in sich gekrümmter Sünder ist, der bei allem Nachdenken doch immer nur bei sich selbst endet, so reden wir doch über erlöste Sünder, die sich der Bibel zuwenden, und von eben jener dazu aufgefordert werden, Gott, den Herrn, mit all ihrem … Verstand zu lieben und zu dienen. Die Schlussfolgerung kann doch unmöglich sein, dass nun alles nur noch Glaube und Vertrauen ist und der Verstand zu schweigen hat. Das ist mir zwar in meiner Jugend und Kindheit so eingetrichtert worden. Aber ich halte das für eine Sackgasse. Ich bin gewillt, den mir von Gott gegebenen Verstand zu nutzen, auch in der Lektüre seines ‚Wortes‘, was immer das heißt. Und ich behaupte, dass das ‚biblisch‘ ist.

      Übrigens: Die Greuel der Revolution direkt aus der Aufklärung abzuleiten, ist genauso zulässig, wie die Kreuzzüge aus der Heiligen Schrift abzuleiten (das dürfte wesentlich leichter sein) oder das Abschlachten der Bauern im Bauernkrieg aus der Reformation abzuleiten (oder der Ersäufen der Täufer, wenn wir schon dabei sind). Ich glaube, so einfach ist es nicht. Ob die Greuel der Islamisten direkt aus dem Islam abzuleiten sind, das war die spannende Frage dieser Folge. Markus Standpunkt war: Wenn sie den Koran wörtlich nehmen, dann schon. Und wer ein ganz kleines biscchen genauer zuhört, merkt, dass wir uns nicht immer einig gewesen sind. Aber bei uns hat der Gast das Recht, seine Gedanken auszuführen. Und wir erlauben es uns ihm zuzuhören. Und vertrauen darauf, dass Gott in seiner Größe uns allen, die wir zuhören, Hirn, Verstand und seinen Geist geschenkt hat, um das Gehörte zu beurteilen. Und gegebenfalls unsere Meinung zu ändern. So seh ich das wenigstens.

    3. Liebe(r) D., wichtige Fragen stellst du. Du hast Recht, wenn du sagst, dass die Aufklärung auch mit furchtbaren Irrwegen und Grausamkeiten verbunden war. Im Talk habe ich mich jedoch auf ihre gute und positive Seite bezogen, indem ich Kant zitiert habe: Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit; Unmündigkeit ist die Unfähigkeit, sich seines Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen. Das meine ich in diesem Zusammenhang mit Aufklärung. Nun ein Beispiel, das auf einige deiner Fragen antworten kann: Die Hexenverfolgung im christlichen Abendland tobte etwa von 1450 bis 1750. Die Zahl der Opfer wird zwischen 40.000 und Hundertausenden geschätzt. Sie hatte viele Ursachen, nicht zuletzt war sie ein leichter Weg, missliebige Personen zu beseitigen. Opfer waren vor allem Frauen, die erst grausam gefoltert und dann lebendig verbrannt wurden. Nicht möglich aber wäre dieses Menschheitsverbrechen gewesen, wenn es 2 Mose 22,17 und 3 Mose 20,27 nicht gegeben hätte, wo die Tötung von Okkultisten angeordnet wird. Hierauf bezogen sich nicht nur die Päpste, sondern auch Luther und Calvin. Die Reformation hat dieses Grauen mit ihrer Bibeltreue nicht beendet, sondern noch befördert. Die ev. und kath. Christen meinten, dass dem Staat gemäß Römer 13 die Schwertgewalt gegeben war und er sich dabei an den Geboten der Bibel, auch des AT zu orientieren hatte, soweit sie nicht ausdrücklich durch das NT aufgehoben worden waren. Aus dieser Logik kamen die Christen bis 17oo nicht heraus. Zwar gab es Kritik am offensichtlichen Denunziantentum und an der Wertlosigkeit der erpressten Geständnisse. Schnell standen aber die Kritiker im Verdacht, selbst mit dem Teufel zu paktieren. Und es half nicht, das Morden zu beenden. Erst als man mit der Frühaufklärung die Bibel kritisch zu lesen begann, konnte der Hexenwahn im 18. Jahrhundert langsam überwunden werden. Heldenhaft argumentierten hier Menschen wie der Frühaufklärer Christian Thomasius (gest. 1728), der sich eine lebensgefährliche Anklage des Atheismus und Hochverrats einhandelte.
      Wie aber kamen die Aufklärer zu ihren Ergebnissen? Indem sie auf ihr Herz und ihren Verstand hörten und gegen bestimmte biblische Aussagen Neues dachten – das sie dann auch in der Bibel entdecken konnten, etwa im Gebot der Nächstenliebe oder in Joh 8, wo Jesus die Todesstrafe ad absurdum führt („Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“). Diese Aussagen konnten aber erst zur Geltung kommen, als man sich erlaubte, die anderen kritisch zu lesen.
      Letzte Frage: Auf wen sollst du hören? Die Antwort lautet: Auf dein Herz und deinen Verstand im ergebnisoffenen, lernbereiten Gespräch mit der Bibel, liebevollen, überzeugenden, geistlichen Menschen und dann jedem, der nachvollziehbare Argumente vorträgt.

  5. Hey Gofi,
    danke für deine Antwort. Gute Gedanken!
    Man kann die ganze Bibel als Wort Gottes sehen und jedem Teil der Schrift die ganze Autorität zugestehen, und dennoch differenziert lesen. Keine Frage, da ist Poesie, da sind Metaphern, das kann man gar nicht wörtlich lesen (machst das überhaupt jemand? Was heißt das schon). Aber ich kann auch den von dir zitierten Psalm lesen ohne zu sagen, „das ist jetzt aber nicht Gottes Wort.“ Vielmehr bin ich beeindruckt darüber, dass Gott mit unseren frustrierendsten Momenten umgehen kann und dass er nicht einmal in die Gleichung Gott=Liebe passt, sondern sogar größer als das ist. Ich relativiere also nicht die Autorität der Schrift oder betreibe Selektion biblischer Texte, sondern ich hinterfrage mich, meine begrenzte Sicht, meine Selbstgerechtigkeit (Hiob!).

    Und absolut: Hier gilt es, Gott mit dem Verstand zu loben (Deut 6). Und uneingeschränkt. Nur sage ich, nicht die Bibel braucht meinen Verstand, sondern mein Verstand braucht die Bibel. Ich zitiere mal K. Barth aus seinem Römerbriefkommentar:

    „Die historisch-kritische Methode der Bibelforschung hat ihr Recht: sie weist auf eine Vorbereitung des Verständnisses, die nirgends überflüssig ist. Aber wenn ich wählen müßte zwischen ihr und der alten Inspirationslehre, ich würde entschlossen zu der letzteren greifen: sie hat das größere, tiefere, wichtigere Recht, weil sie auf die Arbeit des Verstehens selbst hinweist, ohne die alle Zurüstung wertlos ist.“

    Ich sage ja nicht, der Verstand sei schlecht, sondern der Verstand als krönende Eigenschaft des Menschen ist auf Außenschaften angewiesen. Er muss erhellt werden. Das haben die Reformatoren verstanden und als sie ihre Universitäten gründeten (Verstand!) und ihre Kirchen bauten, da haben sie große Fenster eingebaut, durch die Licht hineinscheint, um zu symbolisieren: Der Verstand im Mensch braucht Licht.

    Ich erlebe manche Evangelikale, die sich von ihrem Glauben abwenden, weil sie enttäuscht und gelangweilt sind und mit Frustration beobachten, dass die Predigten ihrer Kindheit sie nicht solide ausgestattet haben. Und sie haben Recht! Zu lange wurde verkündigt, dass Gott einfach nur Seelen retten will, dass nur Glaube zählt und Verstand nicht. Das stimmt nicht, er will den ganzen Menschen und die ganze Schöpfung heilen. Schuld an dieser Engführung ist aber nicht die Bibel, sondern schlechte Theologie. Traurig macht mich darum, wenn evangelikale Pastoren und Theologen nun die Autorität der Bibel relativieren. Das wird sie nicht glücklich machen. Vielmehr gilt es, die Schönheit und umfassende Ehre und Weisheit Gottes in allen Texten zu erforschen und zu entdecken.

  6. Hallo,
    erst mal ein Lob von mir. Ich höre eurem talk immer gerne zu und freue mich über die vielen Anregungen.

    Ich weiß, es wurde jetzt schon einige mal angesprochen, aber ich komme noch immer nicht so ganz mit dem Gedanken klar.
    Also, ich soll nicht alles wörtlich nehmen was in der Bibel steht ist mir klar. Aber, wenn Gott etwas sagt, nehme ich das doch als die Wahrheit – Gott ist immerhin unfehlbar.
    Wie soll ich denn eurer Meinung nach das AT bzw. die Gewalt, Mord und Totschlag verstehen? Immerhin gibt uns Gott die 10 Gebote mit “ Du sollst nicht töten“ und “ Liebe deinen Nächsten“ und dann soll das Volk aber alle Heiden töten wenn sie in das gelobte Land ziehen.
    Mir ist bewusst, dass ich mich hauptsächlich an Jesu Worte orientiere aber das AT existiert auch und Gott hat sich doch nicht verändert von Mordaufträgen zu „Wenn dir eine auf die Wange schlägt, halte deine andere hin“.
    Hab ich einfach noch einen zu fundamentalistischen Blick darauf( bin auch in einer konservativen Gemeinde aufgewachsen), oder setzt das NT das AT einfach auser Kraft, oder entscheide ich einfach mit meinem Herz was richtg ist, oder widerspricht sich Gott (!?) ?

    1. Hallo Denise, danke für deinen Kommentar! Wir sind da auch noch auf dem Weg. Aber in der über- und über-übernächsten Folge gehen wir diesen Fragen mit Prof. Siegfried Zimmer nach. Da kannst du dch schon drauf freuen. Liebe Grüße!

  7. Denise schreibt: „” Du sollst nicht töten” und ” Liebe deinen Nächsten” und dann soll das Volk aber alle Heiden töten wenn sie in das gelobte Land ziehen.
    Mir ist bewusst, dass ich mich hauptsächlich an Jesu Worte orientiere aber das AT existiert auch und Gott hat sich doch nicht verändert von Mordaufträgen zu “Wenn dir eine auf die Wange schlägt, halte deine andere hin”.“

    Nun, im ersten Ansatz möchte ich sagen, das die Bibel nicht Gott ist! Scheint klar zu sein,
    und doch findet sich im Umgang immer eine solche Unterwerfung vor.

    Ja, der Umgang mit den Texten der Schrift, wie du beschreibst findet bei Menschen
    so Einseitig statt.

    Ergibt die Frage: Was ist die Zentrale Info der Schrift?
    Vielleicht sollte man dies herausbekommen. Und,
    wem wird diese gesagt? Denn zuerst hat der Brief einen Absender und Empfänger.

    will sagen: Die Bibel wird zu einem unumstösslichen Prinzip an Stellen gemacht an , wo einfach eine Beschreibung vorliegt.

    Das Liebesgebot, das du ansprachst z.B.: ist ein Gesetz/Gebot.
    Das darf zu einem Unumstösslichen Prinzip herhalten.
    Aber warum?

    Das gilt es zu unterscheiden lernen.
    Prinzip des Himmels und, Irdische, Absender und Adressatorientiert.
    esgrüßt. dagobertrrck

  8. Hallo,

    für mich seid ihr mit diesem Podcast an einem ganz wichtigen Punkt gelandet. Als Evangelikaler liegt man immer so ein bisschen mit der Aufklärung im Clinch. Man ist einerseits mittendrin in der postmodernen Gesellschaft mit all ihren Errungenschaften in punkto Menschenrechte, Wissenschaft und pluraler Lebensgestaltung. Andererseits wurden einem einige zentrale Inhalte der evangelikalen Denke schon mit der Muttermilch als unumstößliches Zentrum des Evangeliums eingetrichtert: Irrtumslosigkeit der Bibel, die ausformulierte Sühneopfertheologie und das „Kein Heil ohne dass du dreimal laut den Namen Jesus aussprichst (oder so ähnlich)“-Zeug.

    Für mich hat das immer zu einer Abspaltung von Leben und Glaube geführt. Alles, was für einen aufgeklärten Menschen mit guter Schulbildung selbstverständlich ist (Kritisches Denken, Hinterfragen von Autoritäten, Sich seines Verstandes und Herzens bedienen und Menschen ernst nehmen, auch wenn sie andere Überzeugungen haben), wurde in Glaubens- oder Bibelfragen völlig ausgeschaltet. Wenn man nicht damit klar kommt, dass Gott befohlen hatte, ganze Völker umzubringen, dann wurde das auf das eigene mangelnde Bibelverständnis zurückgeführt, aber nie darauf, dass da vielleicht einfach an dieser Bibelstelle „Mist“ steht, der glücklicherweise lange überholt ist. Auch z.B. das Ablehnen der Evolution führt zu zwei Parallelgesellschaften im eigenen Kopf. Einmal den aktuellen Stand des wissenschaftlichen Weltbildes, den wir in Schule und Uni präsentiert bekommen, und auf der anderen Seite das wörtliche Verständnis der Schöpfungsberichte als Dogma. Es lässt sich einfach nicht beides zusammen denken.

    Auf der rationalen Seite ist die Kritik ein wichtiger Motor, um den Status Quo immer wieder zu hinterfragen und persönlich und als Gesellschaft weiterzukommen. Auf der gläubigen Seite sind Kritik und Zweifel Zeichen vom Wirken des Teufels und sollen schon im Kern erstickt werden.

    Mir ist das letztes Jahr nochmal besonders aufgefallen. Ich war auf einer Konfirmation in der EKHN, wo den jungen Leuten immer wieder klar gemacht wurde, dass sie als kritische Geister sehr willkommen sind und sich selbst einbringen sollen. Dann war ich auf einer „Entlassung aus dem Biblischen Unterricht“, in dem das Wort „Kritik“ oder sonstige Werte, die in einer aufgeklärten Gesellschaft wichtig sein sollten, nicht ein einziges Mal vorkamen. Es ging nur um Gehorsam, in der Gemeinde mitzuarbeiten und um irgendeinen Panzer des Glaubens, um die Angriffe des Teufels abzuwehren oder so. Keine Ahnung.

    Worauf ich hinaus will: in evangelikalen Gemeinden und unter evangelikalen Christen wird vieles intuitiv und aus einem liebenden Herzen heraus richtig gemacht. Aber weil in ihrer Denkweise im Glauben andere Mechanismen wirken als im realen Leben, wird viel Gutes wieder torpediert. Homosexuelle Paare werden vielleicht aus dem Herzen heraus als liebender glückliche erfüllte Partner wahrgenommen, aber die parallele Glaubenswelt im Kopf sagt: „Die sehen nur glücklich aus, das ist aber nicht das wahre wirkliche Glück, das sie bekommen, wenn sie sich dem biblischen Befund gemäß umpolen lassen“. Ein Moslem wird vielleicht mit dem Herzen als ehrfürchtiger, demütiger, gläubiger, bewundernswerter Mensch erlebt, aber die parallele Glaubenswelt im Kopf sagt: „isser nicht, der ist total verblendet und landet in der Hölle. Bekehr den!“

    Wenn ich das richtig verstanden habe, würde Markus dafür plädieren, die Prinzipien, die wir im realen Leben anwenden, auch auf den Bereich des Glaubens auszudehnen. Und ich denke, dass das genau der Weg ist, um die geistliche Schizophrenie zu beenden, Glaube und Leben zusammenzubringen und einen unvoreingenommenen Blick auf gesellschaftliche und persönliche Herausforderungen zu finden.

    Sorry, bisschen lang geworden. Nochmal danke für den guten Podcast!
    Tino

    1. Danke. Super formuliert. So sehe ich das auch im Großen und Ganzen.

      Allerdings frage ich mich schon, was man damit im Kleinen und Mittleren auch aufgibt bzw verliert? Bin da noch nicht ganz durch…

      LG,
      der Jay

      1. Gute Frage. Und ziemlich individuell. Da müsste ich jetzt die letzten 15 Jahre analysieren, um das für mich einigermaßen zu beantworten. Und auch die nächsten 15.

        Man verliert ein gutes Stück Gewissheit und Geborgenheit, denke ich. Aber andererseits fühlt sich der Glaube, der den Prozess der Kritik durchlaufen hat, echter an. Ich bin immer im Zwiespalt zwischen: „Mein Glaube ist jetzt total beliebig geworden, ich kann ja gar kein Dogma mehr so unhinterfragt mitsprechen, wie es meine evangelikalen Glaubensgeschwister können“ und „Der Glaube trägt wirklich und die Erfahrungen, die ich und andere Leute (auch die Autoren der Bibel) mit Gott gemacht haben, lassen sich zwar nur unzureichend und auch nur sehr individuell verbal ausdrücken, sind aber real“.

        Schwierig.

          1. Danke! Peters Blog ist in solchen Fragen immer eine gute Anlaufstelle.

            Interessant zur Gestaltung des Glaubenslebens in einer Welt ohne Sicherheiten finde ich auch Frank Schaeffers (Sohn von Francis Schaeffer) Buch „Why I am an Atheist Who Believes in God“, wo es viel darum geht, auf der einen Seite mit der unendlichen Leere und Einsamkeit des Universums gedanklich klarzukommen, aber trotzdem so zu leben und Gottesdienste zu feiern, „als gäbe es Gott“ und daraus Kraft zu schöpfen. Okay, ist alles sehr idiosynkratisch aus der Künstlerperspektive geschrieben und entweder zu radikal oder zu weichgespült, aber gerade das hat mich angesprochen.

    2. Genau so sehe das, lieber Tino! Für mich war eine enorme Hilfe der Satz von Ulrich Schaffer: „Du hast das Recht, du selbst zu sein und grenzenlos zu denken“ (In: Grundrechte) Jahrzehnte lang hatte ich davor Angst, habe nur mit angezogener Handbremse nachgedacht. Ich fürchtete, die Bibel und mein Glaube würden sich auflösen. Dann aber ging es mir, wie Richard Rohr es beschreibt (ich glaube, in: Das entfesselte Buch): Die Bibel ist ein Orientteppich. Du stellst dich drauf und merkst: das Teil fliegt! In guter Höhe siehst du erschrocken, wie sich Fäden aus dem Teppich lösen, Löcher entstehen, hier und dort kannst du durchschauen. aber überrascht stellst du fest: Ich fliege immer noch!
      Genau das leistet die Bibel in aller Unvollkommenheit. Offenbar liebt Gott die Untertreibung, die Krippe, den Stall, die Zimmermannswerkstatt, das Kreuz, das Grab, das schwierige Buch, uns. Was für ein Gott!

      1. Gut beschrieben, Markus.
        Manchmal nervt es mich allerdings als jemand, der in einer evangelikalen Gemeinde aufgewachsen ist, dass so viele Jahre Erfahrungen, Enttäuschungen, viel Lesen, Auseinandersetzung mit verschiedenen theologischen Richtungen, Frömmigkeiten und Kirchen, Grenzüberschreitungen, Gewissensbisse etc. notwendig sind, um dahin zu kommen, wo Teile des Mainstream-Christentums heute eh schon sind: ohne den Ballast der Denkverbote sein Leben in Verantwortung vor Gott und den anderen Menschen zu leben, praktische Antworten auf Fragen der Lebensführung finden und bei der Beurteilung von Anderen Gnade bzw. Zurückhaltung walten lassen.

        Oder aus einer anderen Perspektive: Warum maßt sich jemand, der begeistert über Gott redet, an, mehr über die richtige Lebensführung Bescheid zu wissen als jemand, der begeistert über das Leben redet? Da wo Leben aufblüht, ist Gott am Werk. Auch ohne die richtigen Vokabeln.
        Wie auch immer…
        Liebe Grüße aus Herborn

  9. Hallo zusammen,
    Auch ich muss hier mal meine Meinung äußern, bin begeisterter Hossa-Talk-Hörer seit erster Stunde und für euer Projekt ein dickes Lob, in Köln wird der Talk gut gehört!
    Zu dieser Sendung habe ich zwei Anmerkungen:

    1. Der Vorschlag, den Koran ähnlich kritisch wie die Bibel zu sehen, begrüße ich (beides!) Allerdings hat der Koran im Islam einen anderen Stellenwert (man kann Jesus mit dem Koran und Mohammed mit der Bibel vergleichen, nicht anders rum).
    Von daher ist es im Islam angelegt, dass der Koran eben das verbal inspirierte Wort Gottes ist und dass das Brett schwer zu bohren ist, wissen wir Evangelikalen ja 😉
    Also da muss man sich neue Wege einfallen lassen…

    2. Ist mir die christliche Gewalt, die HEUTE ausgeübt wird, zu kurz gekommen. Wenn ich mir (wie oben schon angemerkt) angucke, wieviel Leid die militärischen Interventionen des „christlichen“ Westens, die teils pseudochristlich begründet wurden, gebracht haben, wird mir schlecht.
    Und während der muslimische Terror meist der Terror der Schwächeren ist, terrorisieren wir unzählige Menschen aus einer Position der Stärke.
    hinzukommt (wenn man den Gewaltbegriff weiter fasst) die wirtschaftliche Gewalt, die wir verbreiten, wenn wir, um unseren Wohlstand zu mehren, Märke in Südamerika und Afrika zerstören, Hunger hervorrufen, korrupte Regimes stürzen und sogar in Europa Länder verhungern lassen (Griechenland!). Nein, die Gewalt der Christen ist keine Sache der Vergangenheit, sie ist stärker als je zuvor 🙁

    1. @Robert: zu 2.)
      Deine Kritik am Westen teile ich uneingeschränkt, aber ob das christlich begründet wird, würde ich infrage stellen. Hast du Beispiele? Ist nicht eher der Kapitalismus zu einer neuen Religion geworden? Gerade im Blick auf Griechenland, Zinspolitik usw hört man immer wieder davon, „die Märkte“ zu beruhigen, „die Märkte zwingen uns zu Maßnahmen“ usw. Das scheint mir manchmal ziemlich religiöse Züge zu haben.

      Aber sicher sollten wir uns fragen, inwieweit wir Christen das System (gewollt oder ungewollt) unterstützen bzw was wir dagegen tun können.

      Spannendes, aber schwieriges und oft deprimierendes Thema.

      1. Hallo Tom,
        Ja, absolut richtig, leider! Der Kapitalismus und die „unsichtbare Hand des Marktes“ ist zu einer echten Pseudo-Religion für viele (auch Christen!) geworden. Und wenn man Max Weber liest, kommt gerade diese Mentalität (sorry liebe Schwaben ;)) aus dem Pietismus und einer Lebenseinstellung, die von Werksgerechtigkeit und Reichtum als Zeichen von Gottes Segen geprägt ist – also auch wieder aus dem (falsch verstandenen) Christentum.
        Das ist also eine implizite Gewalt, die der Welt durch Christen und das Christentum angetan wird.
        Nicht ganz so implizit (im Falle von George Bush sogar ziemlich explizit) werden „humanitäre Interventionen“ wie der Irak-Krieg eben mit christlichen Motiven oder zumindest „christlichen Werten“ und in einer Ablehnung des Islam begründet.
        Gerade auch in der Flüchtlingsdebatte kommen viele der krassesten Äußerungen – mal ahnt es – aus evangelikalen Kreisen 🙁
        Die westliche Welt ist leider vieles, aber nicht zivilisiert, wir können es vielleicht nur besser verstecken…

  10. Erklärungsmodelle bei Hossa-Talk. Leider nicht über das mögliche Verstehen, bzw. Nichtverstehen hinaus.
    Eure Erklärungen kann man haben. Sind mir aber etwas zu exklusiv.
    Obwohl, ihr sagt ja manchmal dazu, das dies nur ins Unreine, spontan, eure Momentane Möglichkeit ist.
    So auch meins noch dazu:

    RACHEGOTT VS LIEBESGOTT, ~WARUM IST GOTT SO ANDERS IM 1. U.2.TESTAMENT?

    Ist ER nicht! Wir sind anders. Sozusagen nicht Gott-kompatible.
    Wir verwenden die Sprache Gottes (Bibel) auf menschlicher Ebene, nach unserem Sprachgebrauch. Und nicht, um Gott kennenzulernen, sondern um damit ein System zu begründen. Gutgemeint sicher.
    Aber das „System“ gibt es schon. Gottes Reich.
    Wir selbst leben nur noch nicht darin.
    Und wozu die Bibel? Zur genau dieser Belehrung!
    2.Timotheus 3
    …15Und weil du von Kind auf die heilige Schrift weißt, kann dich dieselbe unterweisen zur Seligkeit durch den Glauben an Christum Jesum. 16Denn alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur korrektur, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit, 17 daß ein Mensch Gottes sei vollkommen, zu allem guten Werk geschickt.

  11. Zum Thema Gewalt in der Bibel kann ich auch folgenden sehr aufschlussreichen Artikel in der Bibel empfehlen: http://atheismus.ch/07_artikel/die_bibel_ein_teuflisches_buch

    Vergessen wir nicht, dass auch Jesus definitiv nicht frei von Gewaltfantasien war. Vielleicht hatte er sich doch noch zu wenig von seinem gewalttätigen Vater emanzipiert. Hier eine Stelle aus Markus 9.42-9.43:

    „Und wer einen dieser Kleinen, die an mich glauben, zum Abfall verführt, für den wäre es besser, dass ihm ein Mühlstein an den Hals geängt und er ins Meer geworfen würde. Wenn dich aber deine Hand zum Abfall verführt, so haue sie ab! Es ist besser für dich, dass du verkrüppelt zum Leben eingehst, als dass du zwei Hände hast und fährst in die Hölle, in das Feuer, das nie verlöscht.“

    Oder vergessen wir auch nicht, wie Jesus Petrus mit dem Satan in Verbindung brachte und seine Zuhörer mit „Kinder des Teufels“ betitelte.

    Vielleicht machen wir uns Jesus einfach so, wie wir ihn haben möchten. Aber dann brauchen wir die Bibel nicht dafür.

    Beste Grüsse,
    Dominic

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