Freunde, bei diesem Talk habe ich ein bisschen den Bogen überspannt. Während des Gespräches habe ich es gar nicht so gemerkt. Aber hinterher beim Schneiden dachte ich ‚Au Backe, was war denn mit dir los?‘ Aber das ist halt Hossa Talk, wir reden drauf los und schauen mal, wo wir rauskommen. Ich hoffe, ihr nehmt es sportlich. Unsinn ist natürlich meine Behauptung, der Heilige Geist würde nicht unter Konservativen wirken oder Progressive würden nicht mit seinem Handeln rechnen. Allerdings halte ich an meiner Behauptung fest, dass wir keine ausreichende Theologie der Mystik haben und dass wir zu oft um dieses Thema einen Bogen machen. Bin gespannt auf eure Meinungen. Liebe Grüße, Gofi
Kein Problem, finde ich. Also was mich angeht, du hast mich eigentlich damit nur gespiegelt, weil ich mich manchmal bei diesem Denken ertappe.
Hat aber irgendwo seinen Grund, denke ich. Denn diese Gedankenkontrolle kenne ich auch, und was da sonst noch gemacht wird. Und seit ich ein bisschen reflektiert habe und ein bisschen mehr über selektive Wahrnehmung, Hypnose und so weiß, frage ich mich eben, was von dem, was ich damals erlebt habe, wirklich Gott war. Und davon ausgehend auch, was von dem, was ich heute erlebe Gott ist oder nur meine selektive Wahrnehmung, alte Denkmuster, weiß der Kuckuck. Ich vertraue meinen Wahrnehmungen oft nicht mehr. Deswegen bin ich wohl manchmal so anti.
Kristian
Ja die ersten 40 Minuten haben auf mich sehr übereilt und wütend gewirkt, ist vielleicht auch der Tatsache geschuldet dass die Diskussion beim Aufnehmen noch nicht so weit zurück lag? Die Position der „Kritiker“ wurde etwas verzerrt dargestellt; eine differenziertere Betrachtung hätte mir gefallen.
Die zweite Hälfte finde ich übrigens super, ich predige schon seit Jahren, dass wir von allen hiesigen christlichen Strömungen lernen können und sollen und das schließt natürlich auch die Traditionellen mit ein. Als das Freakstock in Borgentreich war, waren die Kopten sehr präsent und das war ein wunderbar befruchtender Austausch zwischen einer sehr alten und einer (mittlerweile nicht mehr ganz so) jungen Strömung.
Gofi
Ja, die Kopten in Borgentreich habe ich auch kennengelernt. Das hat mich ziemlich beeindruckt. Wenn du weitere Gedanken hast zum Themenkreis Liturgie – Gottesbegegnung – Mystik würden die mich interessieren. Vor allem auch die Frage, was all das für die emergente Diskussion bedeuten könnte.
Tobias
Gute Folge.
ein Mensch
Da wärste mal lieber im Bett geblieben, lieber Gofi 😉 hier gibt es halt auch viele Verletzte,die noch nicht an dem Punkt sind, diese Sachen erstmal stehen zu lassen.
So ein Talk ist halt eine Momentaufnahme. Dein Buchzitat am Ende war dann für mich das göttlich progessive Leitbild. Weil es eben die Rechtgläubigkeit durch eine universale zeitgebundene Kirche überwinden will. Und das nicht durch abgrenzendes korrektes Handeln, sondern durch Einschluss und Verbundenheit.
Gofi
Stimme dir in allem zu, auch was das Im-Bett-Bleiben angeht. 🙂 Hört man ja auch deutlich (Sorry fürs Rumschnorcheln und Nasehochziehen).
Hallo ihr zwei,
euer „Vorgeplänkel“ ist für mich einer der besten Talks hier, weil ich auch die meißten dieser Fragen habe.
Werde ihn noch mal in Ruhe hören und drüber nachdenken. Dieses ein für allemal Festlegen auf eine bestimmte Theologie/ Frömmigkeit fühlt sich irgendwie so an, als würde ich eher meinem Bild, dass ich von Gott ( bzw. von seinem Handeln) habe, mehr Glauben schenken, als ihm selbst. Meine „für mich passt das Theologie“ (bin nicht vom Fach) kann mir Gottes Handeln doch nicht komplett plausibel machen. Ich verstehe ja oft nicht mal meine Frau, geschweige denn Gott. Danke für die beiden letzten Folgen und eure Offenheit.
LG Christian
Kristian
Jetzt muss ich nochmal was zum Mittelteil loswerden:
Nur weil Gott TROTZ noch so fragwürdiger Methoden und TROTZ noch so fragwürdiger Theologie TROTZDEM wirkt, heißt doch nicht dass jeder Scheiß immun gegen Kritik ist, nur weil „Jesus“ draufsteht?
Ob das für das Bremische Turning der Fall will ich erstmal nicht beurteilen, aber je nachdem wie man diese Frage (ganz allgemein) beantwortet, ist der Großteil der „Kritik an der Kritik“ hinfällig.
Ja, dem stimme ich zu. Und zwar voll und ganz. Ist ja nun auch nicht so, dass wir kritiklose Schönfärber wären. Trotzdem stehe ich auch zum Mittelteil. Kann ja auch an Beidem was dran sein, oder? 🙂
LG
Der Jay
Gartendings
Fast exakt das Gleiche habe ich auch gedacht!
Und TROTZ guter, mittelmäßiger oder miserabler Methode und TROTZ Kritik und TROTZ Hossa Talk und TROTZ und TROTZ und TROTZ – macht Gott eh was er will, vermute ich zumindest sehr stark. 🙂
Gofi
Mir geht es nicht ums Nicht-Kritisieren, sondern darum, bei aller berechtigten und auch geäußerten Kritik weiter hinzuschauen, um vielleicht etwas lernen zu können. Ich kritisiere die Kritik dann, wenn sie, nachdem sie alle ihre Argumente vorgebracht hat, die Tür zuschlägt und glaubt, ihr Job wäre erledigt, während es (möglicherweise) zwischen all dem Kritikwürdigen eigentlich Phänomene gibt, die zu bedenken wären. Mir ist allerdings auch klar, dass das nur dann geht, wenn man nicht ständig retraumatisiert wird.
Ina
Hallo an alle,
kurze Anmerkung zu Gofis Gedanken über Pietismus versus Katholizismus:
Ja, pietistische Frömmigkeit kreist ziemlich um die permanente Selbstprüfung. Das hat aber nicht unbedingt etwas mit evangelischer Theologie allgemein zu tun, sondern der Pietismus greift auf andere theologische Quellen zurück als das „Luthertum“. Bei Calvin z.B. gibt es keine Glaubensgewissheit, bei Luther schon. Man muss also nicht gleich katholisch werden, wenn man Gnade statt Gesetzlichkeit sucht.
Für das „Mystische“ ist Luther allerdings auch nicht ganz die richtige Adresse, obwohl er nicht so rationalistisch drauf war, wie die nachfolgenden Generationen. 🙂
Liebe Grüße
Ina
Gofi
Nach allem, was ich weiß, ist der Pietismus eine Gegenreaktion gegen die lutherische Orthodoxie, die die Gnade betonte, aber das geheiligte Leben vernachlässigte. Spener, der so weit ich weiß Lutheraner war, suchte in seiner Pia desideria nach einem Weg, Glauben authentisch zu leben. Er gründete kleine Zirkel, Hauskreise, in denen die Menschen die Bibel studierten und sich fragten, wie Christsein praktisch aussehen soll. Noch Zinzendorf, der zu einer späteren Generation des Pietismus gehörte, berief sich auf das lutherische Gnadenverständnis und grenzte sich entschieden gegen Wesleys Methodismus ab, der die Heiligung viel stärker betonte und sich darin sicher auf Calvin berief. Im Pietismus gibt es also beides, das Verständnis der Gnade, aber auch das Bemühen um ein ‚frommes‘ Leben. Diese ewige Selbstprüfung scheint sich im Lauf der Jahre stärker durchgesetzt zu haben. Ich bin mir aber nicht sicher, ob Calvin daran schuld ist.
Der Unterschied zwischen dem Katholizismus und dem Pietismus sehe ich vor allem in der starken Individualisierung, die den Pietismus ausmacht. Darauf vor allem wollte ich hinaus. Der Katholizismus scheint doch ein stärkeres ‚Wir, die Kirche‘-Gefühl zu haben, während der Pietist immer als einzelner vor seinem Gott steht. Man sagt dem Pietismus ja auch nach, er sei ein Vorreiter des bürgerlichen Individualismus, aber ich glaube, da streiten sich die Gelehrten noch.
Ich persönlich kann übrigens mit einigen pietistischen Traditionen sehr viel anfangen. Und es gab auch unter den Pietisten mystische Strömungen. Ich bin also noch weit davon entfernt, Katholik zu werden. 🙂
Ina
Ich kann dem Pietismus eines Spener und Zinsendorf auch viel abgewinnen! (Ja, die waren beide „Lutheraner“ und kritisierten die Orthodoxie, die im kirchlichen System erstickte.) Derzeit entdeckt der evangelische Theologe Peter Zimmerling das unter dem Stichwort „evangelische Spiritualität“ ja wieder neu (und zeigt auch, dass es mit Luthers persönlicher Frömmigkeit viel gemeinsam hat).
Ich bin mir auch nicht ganz sicher, wie Calvin ins Spiel kommt. Der Calvinismus hat definitiv besonders den angelsächsischen Protestantismus beeinflusst. https://de.wikipedia.org/wiki/Calvinismus
Und da darf man dann nicht vergessen, dass die europäischen Pietisten spätestens im 20. Jahrhundert stark von den evangelikalen amerikanischen Strömungen erfasst oder gar „überlagert“ wurden. (Ab dem 19. Jahrhundert hatten sie schon einen gemeinsamen Feind: „Liberale“ Theologie. Im 20. Jahrhundert schieden sich die Geister aber endgültig an Rudolf Bultmann, der ja international berühmt-berüchtigt wurde). https://de.wikipedia.org/wiki/Pietismus https://de.wikipedia.org/wiki/Evangelikalismus
Man muss sich also fragen, ob heutige Pietisten noch viel mit Spener oder Zinsendorf gemeinsam haben oder ob sie eher „Evangelikale“ sind (im Sinne der Chicago-Erklärung, der sich ja wohl auch die württembergischen Pietisten nun verpflichtet fühlen). Ich stelle immer wieder auf evangelikalen Blogs fest, dass sie sich auf die reformierte Tradition berufen (Calvin) und Luther nur eine ungeordnete (sozusagen historische) Rolle spielt.
Für Peter Zimmerlings Konzept von Spiritualität ist übrigens besonders Bonhoeffers Schrift „Gemeinsam Leben“ von Bedeutung (er hat sie gerade neu herausgegeben). Darin beschreibt Bonhoeffer seine illegale Untergrund-Bruderschaft für Vikare. Dahin konnten auch Pfarrer für eine gewisse Zeit zurückkommen, um für ihren schweren Dienst wieder geistig-spirituell „aufzutanken“. (Das inzwischen 80 Jahre alte Buch „Gemeinsam Leben“ lohnt sich auch heute noch für Leute wie Dich, die sich für Bruderschaften oder generell geistige Übungen interessieren.) Damit hätten wir dann auch den Bogen zur Gemeinschaftlichkeit statt Individualismus. 🙂
Bonhoeffer wetterte übrigens (in „Widerstand und Ergebung“) ziemlich gegen Pietisten, denen er zu viel „Religion“ bescheinigte (mit „Religion“ ist ein erstarrtes System gemeint).
Solange Du nicht katholisch wirst, ist alles gut! *gepflegtes_feindbild* 🙂
Daraus Punkt 20:
…geschieht weder im Rahmen konservativer bzw. evangelikaler, noch im Rahmen liberaler Theologie und Frömmigkeit. Die Erneuerung des christlichen Glaubens überwindet diese Polarisierung und lässt sie hinter sich. Sowohl die konservative als auch die liberale Theologie und Frömmigkeit beinhalten berechtigte und wertvolle Aspekte, die volle Anerkennung verdienen. Beide sind aber auch beeinträchtigt durch erhebliche Einseitigkeiten und Ausblendungen. Wichtig ist die Gesprächsbereitschaft nach beiden Seiten. Brücken bauen ist besser als Gräben aufreißen und Schubladendenken. Wenn es auch bei der Erneuerung darum geht, religiöse Engstirnigkeiten zu überwinden – und dafür gegebenenfalls auch energisch zu kämpfen –, bleibt es dennoch von grundlegender Bedeutung, das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Einheit aller Christen zu stärken. Mit „Einheit“ der Christen ist keine lehrmäßige Einheit gemeint – die haben wir in 2000 Jahren nicht erreicht und werden sie auch in absehbarer Zeit nicht erreichen –, sondern eine vom Heiligen Geist gewirkte Einheit der Herzen.
Die Kritik der jetzigen “Progressiven“ aufgrund der letzten Folge rührt weniger daher, dass sie nicht an das Wirken des Heiligen Geistes glauben, sondern dass ihnen früher ein schlechtes Gewissen gepredigt wurde nicht genug missioniert zu haben.
Bisher hat sich noch keiner der Verantwortlichen solcher Aussagen öffentlich dafür entschuldigt.
Kurz musste ich schlucken bei der Aussage, dass wenn die Freundin nicht missionierengegangen wäre, sie nicht den Sohn der Freundin über den Glauben angesprochen hätte-das hat schon manipulatorischen Karakter.
Wenn die Leute aber wirklich nur Menschen suchen und ansprechen, die offen sind und ihnen sagen, dass Gott sie liebt ist dagegen nichts einzuwenden.
LG
toblog
Hallo zusammen,
für mich war das einer der besten Talks von euch!
Weil er eine ehrliche Bestandsaufnahme über die beiden extremen Ausprägungen des gelebten Christsein macht. Auf die Frage: Woher weiß man, was man tun soll? sagen die einen: Es steht doch alles in der Bibel, das kann ich mit meinem Verstand erfassen, was brauch ich Visionen?! Dann ist das Christenleben nur eine Befolgung von Gesetzen, von Regeln, ein Abarbeitung von todo-Listen. Dann sind wir über das AT nicht wirklich hinaus. Die anderen können sich vor Visionen und Geisteswirken – woher das auch immer kommen mag – kaum retten und sagen: Ihr mit eurem Verstand! Ich habe beides erlebt. Eine Theologie über das normale Christenleben ist nicht vorhanden oder verschütt gegangen.
Ich denke, Christsein ist das Ausleben des jetzt lebendigen und auferstanden Christuslebens. Wir haben kein eigenes neues Leben außerhalb des Weinstocks! Wir haben Anteil an ihm. Und das vermittelt er durch seinen Heiligen Geist. Der technische Ausdruck dafür ist das in IHM bleiben. Für mich ist dies zur Herstellung der Gottverbundenheit (Mystik/Spiritualität) total ausreichend. Und Jesus übergeht doch meine Person mit ihrem Verstand und ihren Erfahrungen nicht. Die Propheten des AT waren ja auch keine von allem losgelösten Charismatiker. Sie haben in der Regel im Bewusstein gehabt a) was Gott bislang gesagt hat oder auch aufschreiben ließ und b) wie Gott in ihrer Geschichte bisher gehandelt hat.
Warum ich euch das hier schreibe? Weil mich Jesus durch seinen Geist dazu einlädt, meine Erfahrungen und Ansichten mit euch zu teilen.
wollte mich einfach kurz bei euch für diesen Talk und Hossa Talk insgesammt bedanken.
Ich finde es einfach großartig, dass ihr auf alle möglichen Strömungen und Ideen erstmal offen zugeht, euch aber auch nicht davor scheut alle Richtungen zu hinterfragen und auch an alle auszuteilen, oder es zumindest versucht.
Diese Mischung aus, echter Suche nach Gottes Wesen und seinem Handeln und gleichzeitigem Hinterfragen an allem was wir über Gott wissen und wie sich das in gewissen Praktiken auswirkt ist so wichtig, weil es eine ganz wichtige Zwischenposition einnimmt, die mir oft in Diskussionen fehlt.
Hallo Jay, hallo Gofi,
Der Titel ist hervorragend gewählt. Genau deshalb habe ich mir – als nicht so regelmäßige Hörerin – diesen Talk angetan. Ich gehe nämlich zur Zeit häufig in die katholische Kirche, nachdem ich gerade aus einer Freikirche ausgetreten bin, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, das Evangelikale mit dem Charismatischen zu versöhnen, was wir (mein Mann und ich) dermaleinst sehr sympathisch fanden, nach unseren einseitigen Erfahrungen im pietistischen Kontext. Ich selbst bin von Haus aus evangelisch (Pfarrersenkeltochter) und hatte eigentlich mit dem Gedanken gespielt wieder in die evangelische Kirche zurück zu gehen. Jetzt waren wir aber öfter in der katholischen Kirche, weil wir in einer katholischen Gegend leben und mein Mann mit dem katholischen Priester ein freundschaftliches Verhältnis pflegt. Und schließlich war eines unserer Kinder so angetan vom katholischen Gottesdienst und der Erfahrung dort gesegnet worden zu sein und auch wir fühlen uns interessanterweise so wohl mit der unaufgeregten katholischen Art, dass wir gerade gerne dorthin gehen. Ehrlich gesagt weiß ich auch gerade gar nicht, wo das alles hinführt und frage mich, ob ich nicht einfach ökumenisch werden kann…
Auf der einen Seite ist es sehr befreiend eine große Offenheit für vieles haben zu können und ich fühle mich momentan pudelwohl damit, nirgends fest dazu zugehören, allerdings weiß ich nicht, ob das auf lange Sicht Sinn macht. Ich bin sehr gespannt auf das vor uns liegende Jahr. Ich glaube Torsten Dietz hatte das bei euch so schön formuliert, dass eben jede christliche Richtung ihren Schatz hat und wir das nicht gegeneinander ausspielen können. So ähnlich jedenfalls. Dieser Weitblick ist es, der mir öfter fehlt. Deshalb finde ich es richtig, dass ihr ins Gespräch geht mit Menschen, mit denen ihr verschiedener Meinung seid. Wir werden nur über diese Hör-und Gesprächsbereitschaft gemeinsam einen Weg aus der christlich-spirituellen Krise unseres Zeitraums finden. Immer wieder Wunderschön, dass ihr euren unvorbereiteten Diskurs darüber öffentlich führt ? Das ist sehr erfrischend natürlich und kommt der eigenen unfertigen Auseinandersetzung sehr nah.
Ich find’s ganz großartig, dass Ihr Euch hier so ausführlich auf den Dialog mit Euren Hörer*innen einlasst. Und ich finde es absolut in Ordnung, wenn da hier und da auch mal die Fetzen fliegen. Meine Güte. Das ist doch auch ein Zeichen von Leidenschaft (frommdeutsch: „gemeinsam um xy ringen“). Wenn da mal ein paar Statements rausgehauen werden, ist das auch kein Untergang. Hauptsache, alle finden irgendwie zu einem respektvollen Gespräch (zurück). Immerhin kommen bei Euch überhaupt unterschiedliche Seiten zu Wort.
Wir müssen alle raus aus unseren bequemen, selbstgefälligen Filterblasen. Wir müssen uns trauen, auszuteilen und lernen, auch mal einzustecken. Sonst käme am Ende doch wieder so ein weichgespülter Polit-Sprech raus, der sich keinen Zentimeter bewegt, aus Angst, irgendwem auf die Füße zu treten.
Also: Hossa, Hossa, … Ach Ihr wisst schon…
Esther Frey
Hallo Gofi,
Probiere es doch mal mit den Altkatholiken.
Und- bei vielen neuen Abspaltungen geht es schlicht und einfach um Macht.
Übrigens, Liturgien sind super und wenn das langweilig ist- Langeweile entwickelt Kreativität.
dominique
an die musste ich auch denken… 😉
hier ein ganz schöner beitrag von wdr5:
Im Sinne von: Jesus ist uns extrem wichtig, wir wollen mit ihm auf dem Weg sein, sogar unser Verstand darf mit und Fragen stellen. Der Zweifel darf mit, und sich an der Hoffnung festhalten. JUST AS I AM! Die alten Hymnen haben es in sich!
Und was ich jetzt nicht so verstehe…. wieso denkt ihr, die Progressiven haben keinen Platz für Mystik?
Ich habe das in dem Buch „Emerging Church“ von Dan Kimball kennengelernt und finde da viel Platz für Gotteswirken und Begegnung… also Mystik. Progressiv ist wohl noch Nadia Bolz-Weber, auch sie schreibt jede Menge über Begegnung (sie diskutiert ja auch ziemlich oft mit Gott rum… aber sie beten auch für Menschen, Situationen, und zwar mit ziemlich viel Überzeugung, dass es etwas bewirkt).
Oder sind die Emergenten in Deutschland völlig anders gestrickt?
phoenix
Ich habe mich sofort ertappt gefühlt bei der Bemerkung, dass „die Progressiven“ keinen Raum mehr für Mystik haben. Klar ist das verallgemeinert und trifft wohl auf die meisten „Progressiven“ nicht zu, ich merke aber, dass es für mich stimmt.
Oft fällt mir auf, dass ich meinen Glauben darüber definiere, was ich nicht (mehr) glaube um zu vermeiden mich damit zu beschäftigen was ich eigentlich glaube. Es ist immer einfach den Glauben anderer oder ihre Aktionen zu beurteilen oder zu verurteilen. Manchmal mag diese Kritik ihre Berechtigung haben, aber andererseits muss ich auch mich fragen, was mache ich denn besser?
lydi
hi gofi,
cooles zitat von hermann kurzke – könntest du das hier verschriftlichen?
klingt übrigens ein bisschen nach dem hohelied der liebe, vom klang her, irgendwie :).
Hallo Jay,
nur mal interessehalber. Warum glaubst du nicht (mehr) an die Jungfrauengeburt? War das schon mal Thema in einer vergangenen Folge die ich nachhören könnte?
Grüße
Gary
Hallo Gary. Als Vorbemerkung sei gesagt, dass das für mich kein Streitthema ist. Ich kann sehr entspannt damit leben, wenn man hier die „orthodoxe“ Position einnimmt (und kämpfe im Grunde nur dafür, dass auch Leute wie ich, die ihre Mühe mit dem Thema haben, bzw zu einem anderen Schluss kommen, in der Kirche Platz haben). Warum die Jungfrauengeburt für viele Menschen heute zum besonderen Zweifelstein wird, kann ich letztlich nicht beantworten. Ich sehe nur auch, dass es so ist. Ich denke, es liegt an der Wissenschaftsorientierung der Moderne. Die Menschen sehen sich von Christen oft mit einem „entweder-du-schluckst-alles-oder-nix“-Anspruch konfrontiert, der ihnen als Menschen der Moderne Mühe macht, sich dem Glauben zu nähern. Mir ging/ geht es jedenfalls so.
Man, war ich froh, als ich entdeckte, dass zum Christsein der Glaube an die Jungfrauengeburt nicht konstitutiv dazu gehört. Genauso wäre es mir gegangen, wenn man von mir verlangt hätte, an singende Steine, fliegende Teppiche oder ähnliches – für mich – absurdes als Insignien des Glaubens zu glauben. Ist es nicht immer so, dass unser Weltbild zum großen Teil mitbestimmt, was wir für möglich halten/ glauben können? Da nehme ich mich nicht aus. Und anders als bei der Auferstehung (die du ja als Beispiel dafür anführst, dass bei mir durchaus Glauben an Übernatürliches Wirken Gottes gibt), hat mich witziger Weise mein Bibelstudium von dem Gedanken an die Jungfrauengeburt glauben zu müssen, erlöst. Bei der Auferstehung ging es genau anders herum. An die scheinen die neutestamentlichen Autoren durch die Bank weg geglaubt zu haben. Die verkündigen und predigen sie. Das ist kein Nebenschauplatz, an der hängt auch richtig was. Das alles trifft für die Jungfrauengeburt nicht zu.
Lass mich das kurz begründen. Die Jungfrauengeburt wird überhaupt nur zwei Mal thematisiert (in den Weihnachtsgeschichten von Matthäus und Lukas – danach nicht einmal von denen mehr). Weder Markus, noch Johannes, noch das 5. Evangelium (damit meine ich Paulus) noch einer der anderen neutestamentlichen Autoren bezieht sich an irgendeinem Punkt auf solch ein Ereignis. Entweder wussten sie nichts davon (was ich für am wahrscheinlichsten halte) oder sie hielten es nicht für wichtig, jedenfalls nicht für wichtig genug, um es zu erwähnen (selbst wenn das Zweite zuträfe, würde das zumindest nahe legen, dass der Glaube an die Jungfrauengeburt keinen wichtigen Platz in ihrem Glaubensleben einnahm, was mich wieder fragen lässt, warum mir etwas wichtig sein soll, was offensichtlich weder Paulus, Johannes oder Petrus wichtig gewesen ist?). Da passiert so ein großes Wunder, das eine Jungfrau schwanger wird und keiner außer Matthäus und Lukas hält es für wert, daas zu erwähnen? Das finde ich nicht besonders glaubhaft. Jedenfalls nicht, wenn es Teil ihres Glaubens an Jesus gewesen sein soll. Das der Autor des Markusevangeliums (das ja das älteste der Evangelien ist) nichts von der Jungfrauengeburt wusste, wird schön deutlich, wenn er erwähnt, dass sich die Verwandten von Jesus auf den Weg machten, um Jesus festzusetzen, weil sie der Überzeugung waren, Jesus sei verrückt geworden (3,21). Als sie dann einige Verse später bei Jesus ankommen, um ihr vorhaben in die Tat umzusetzen, wird erwähnt, dass auch seine Mutter bei ihnen ist (3,31). Wieso kommt die auf die Idee, ihr Sohn sei verrückt geworden? Hat Maria so schnell vergessen, was rund um Empfängnis und Geburt ihres Sohnes geschehen ist? Kann man so etwas überhaupt vergessen, wenn einem so etwas passiert ist? Und hat Lukas nicht geschrieben, dass sie das alles in ihrem Herzen bewahrte? Wieso denkt sie hier bei Markus nun plötzlich, Jesus ist von Sinnen? Und interessanter Weise habe Matthäus und Lukas zwar den Teil von Markus übernommen, wo Jesu Mutter und Brüder zu ihm kommen (also Mk 3,31f) aber den Teil wo Markus sagt, weshalb sie zu ihm kommen (Mk. 3,21) nicht. Die Vermutung, dass sie das unter den Tische haben fallen lassen, weil es im direkten Widerspruch zu der wundersamen Mutterschaft Marias stünde, von der sie berichtet haben, liegt ja wohl nahe. Aber das ist gar nicht mein Punkt. Mein Punkt ist, dass Markus demnach nichts von einer Jungfrauengeburt gewusst haben kann.
In der Verkündigung der Apostel kommt die Jungfrauengeburt nicht vor. In keiner Predigt. Sie reden darüber, dass Jesus der Messias ist, Gottes Sohn, und halten es nicht für nötig, das größte Ass diesbezüglich zu ziehen? Mir fällt kein Grund ein, warum man so etwas wie eine Jungfrauengeburt nicht zu einem der Haupt-Bulletpoints machen würde, wenn man über den SOHN GOTTES spricht – außer, dass sie nichts von ihr gewusst haben.
Aber haben Lukas und Matthäus das Ganze dann nur erfunden? Haben sie gelogen? Diese Frage unterstellt, dass es nur eine Wahrheit geben kann, nämlich die historische, das was tatsächlich geschehen ist. Das halte ich bei antiken Schriften wie den Evangelien für eine sehr verkürzte Sicht. Natürlich gibt es auch so etwas wie literarische Wahrheit. Und wenn man die beiden Geburtsgeschichten von Matthäus und Lukas nebeneinander legt, dann fällt doch auf, dass es jeweils sorgfältig durchkomponierte Geschichten sind. Es gibt so gut wie nichts, was in beiden passiert. Außer dass Jesus in Bethlehem von einer Jungfrau geboren wird, haben beide Geburtsgeschichten nichts miteinander gemein. Nichts! Wir sind so sehr die Melanche der Beiden Geschichten im Krippenspiel gewöhnt, dass uns das gar nicht mehr auffällt. Aber einzeln betrachtet, wird schnell deutlich, dass beide sehr unterschiedliche Punkte mit ihrer Schilderung machen wollen. Matthäus beschreibt die Geburt eines Königs. Lukas die Geburt von einem Underdog. Der Punkt ist, dass hier literarische, theologische Wahrheiten transportiert werden sollen und keine historischen. Und die Jungfrauengeburt passt da gut hinein. Jedenfalls lese ich die Weihnachtsgeschichten so. Und deshalb sagt mir „die Jungfrauengeburt“ auch nach wie vor etwas (als Bild funktioniert sie großartig). Das kann sie auch wunderbar, wenn ich nicht an ihre historische Akkuratheit glaube.
Mein letzter Punkt wäre noch, dass mir die Jungfrauengeburt die Inkarnation vernagelt. Also vermutlich genau umgedreht wie bei dir, der du in der Jungfrauengeburt vielleicht DAS Zeichen für den göttlichen Ursprung Jesu siehst. Eine Jungfrauengeburt wäre meines Erachtens aber keine echte Inkarnation, sondern göttliche Schummellei. Zum Menschwerden gehören nun mal Penis und Vagina. Und Sex. Hierbei entsteht Leben. Das hat sich Gott ja so ausgedacht. Dass sich die Gottheit dann dazu entschließen sollte echter, wahrer Mensch zu werden und diesen Teil umgeht, halte ich nicht für glaubwürdig und verkündbar.
Sorry für den langen Text, aber kürzer habe ich es nicht hingekriegt.
LG,
der Jay
Das liest sich für mich ganz überzeugend. Eine weitere Anmerkunge noch, wenn ich darf.
Die Lehre von der Jungfrauengeburt transportiert eine gewisse Leib- und Sexfeindlichkeit. Wenn sie nämlich „unbefleckte Empfängnis“ heißt, dann suggeriert das ja, dass Sex bzw der („empfangende“) weibliche Körper etwas an sich Schmutziges, Anstößiges sei. “Befleckt” wird in diesem Bild (sorry, alles nicht ganz jugendfrei hier) ausschließlich die Frau.
Damit hat die Lehre eine gewisse Schlagseite hin zu einer repressiven Sexualmoral bzw einer religiös artikulierten Herrschaft über die Körper Anderer, sowie zu einem patriarchalischen Gesellschaftsbild. Was in der Kirchengeschichte durchaus auch rausgekommen ist.
Natürlich MUSS es diese Verbindung nicht automatisch geben, aber es GIBT sie nun mal. Zugespitzt würde ich sagen: Diese Lehre hat in der Praxis entweder gar keine Konsequenzen oder ziemlich negative.
Zu dem Thema gibt’s aber sicher auch massig Literatur.
Das ist ja mal eine echt geile Exegese!!! Vielen Dank!
Ich habe gestern erst im Römerbrief gelesen, dass Christus „nach dem Fleisch“ zu den Erzvätern Israels gehört, und dachte automatisch: klar, dem Geist nach nicht = Jungfrauengeburt. Jetzt hab ich nochmal nachgelesen und: Da steht nichts davon. Mein Hirn hat das bloß ergänzt. Paulus hat das anders gemeint!
@Florian:
Die meisten heutzutage sehen darin etwas Sexual- und Frauenfeindliches. Das steckt aber in den Texten gar nicht drin, sondern hat mit der späteren Kirchengeschichte, speziell der Marienverehrung zu tun. Das kann man der Jungfrauengeburt (egal, wie man zu ihr steht) nicht anlasten, denn es handelt sich um zwei verschiedene Dogmen.
Mit „unbefleckter Empfängnis“ wollte man Maria von der „Erbsünde“ befreien. Das bezieht sich auf Jesu Großmutter Anna, die ihre Tochter Maria „unbefleckt“ (=ohne Erbsünde) empfangen haben soll!
Das lässt sich selbstverständlich gar nicht aus der Bibel ableiten und wird deshalb von Protestanten und Altkatholiken abgelehnt.
Ein rein katholisches und orthodoxes Dogma, dem allerdings Luther persönlich noch anhing und das von Papst Benedikt erstaunlicherweise bestritten wurde.
OK, Ina, das habe ich wirklich durcheinandergebracht.
Trotzdem ist es doch so, dass die Betonung der Jungfräulichkeit Marias immer wieder auf irgend eine Art von „Sündlosigkeit“ etc. zielte (siehe Wikipedia, „Jungfrauengeburt“). Wenn Jungfräulichkeit grundsätzlich eine weibliche Tugend ist, hat diese Lehre aus meiner Sicht wohl oder übel die erwähnte Schlagseite.
Gofi
Großartig, Jay!
Dennis
Um Weihnachten 2016 rum hab ich diese ganze Jungfrauenstory erstmals in Frage gestellt und was für mich das Interessanteste dabei war, war die Frage nach der Machtperspektive.
Die Idee dass jemand halb Menschenkind (durch die Mutter) und halb Gotteskind (ein Gott als Vater) war, war ja nicht ganz neu. Kaiser Augustus und vielen anderen wurde bereits ebenso nachgesagt, sie wären auch von Jungfrauen geboren worden, als Zeichen ihrer göttlichen Legitimation als Herrscher. Das war der Bevölkerung auch als solches bekannt.
Wenn also Matthäus und Lukas davon schreiben, dann rufen sie damit in die Welt: „Dieser Mann ist ein König!“ Das ist eine super politische Aussage, die die bestehenden Machtverhältnisse angreift!
Man denke nur an den Kindermord von Bethlehem: Der Machthaber Herodes fürchtet sich bereits so sehr vor einem kleinen Baby dass er in seiner Verzweiflung hunderte Neugeborene abschlachten lässt.
Nur das dieser Machtkampf so unerwartet anders abläuft: Der große König Jesus ist geboren – aber unter ärmsten Bedingungen. Warum? Weil Jesu Königreich eben nicht von dieser Welt ist und an ganz anderen Maßstäben gemessen wird.
Ähnlich wie in Lukas‘ Geburtserzählung den Hirten auf dem Feld in einer pompösen Erscheinung des gesamten himmlischen Engelchors die Geburt des Herrn, des Retters, des Messias angekündigt wird und das Zeichen hierfür ist (was für ein rießiger Gegensatz…) ein kleines Kind in einer Futtergrippe für Tiere…
Dieser absurd scheinende Anspruch Jesu der Umkehrung der Verhältnisse, der immer wieder betont wird – die Ersten werden die Letzten sein – wer groß sein will der diene – lässt sich bereits deutlich aus der Geburtsgeschichte herauslesen und die Story von der Jungfrauengeburt passt hier wunderbar dazu.
Ohne diese Perspektive sehe ich auch immer weniger eine Notwendigkeit für eine Jungfrauengeburt. Und kurz zu dem was Ina schreibt. Die Argumentationslinie mit der Erbsünde halte ich für zweifelhaft (und zutiefst patriarchal gedacht – von wegen die Sünde wird nur über den Mann übertragen! – Und die RKK führt das ganze dann noch ad absurdum mit der Lehre von der unbefleckten Empfängnis Mariem, so dass Jesus wirklich frei von jeder Erbsünde sein konnte – was m.E. in sich aber wieder völlig unschlüssig ist, denn entweder die Erbsünde wird nur über den Mann übertragen, dann ist Maria eh egal, oder sie wird auch über die Frau übertragen und dann hätte auch die vaterlose Maria sie von ihrer Mutter Anna bekommen haben müssen etc… – wer das besser versteht als ich möge mich gerne korrigieren)
Es erscheint mir sehr viel einleuchtender, dass Jesus eben einfach die Erbanlagen von dem Mix aus Josef und Maria erhalten hat (irgendein Gesicht braucht er ja ;-)), sein Geist aber Gott selbst war. (Da gebe ich dir, Jay, nämlich völlig recht – den Anspruch Jesus war ganzer Mensch sehe ich auch nicht wirklich erfüllt, wenn er keinen menschlichen Vater hat)
Übrigens – und da möchte ich J’s Argumentation eine Kleinigkeit entgegenhalten – kommt die Jungfrauengeburt zwar nicht mehr im NT vor, aber sie hat es interessanterweise ja doch in das, im 5. Jhdt. entstandene, Apostolische Glaubensbekenntnis geschafft. Denen war das wohl tatsächlich wichtig genug!
Inzwischen freue ich mich schon jedesmal wenn wir das im CT sprechen über diese Stelle, weil ich darin dann dieser politischen „Kampfansage“ meinen Ausdruck mitverleihen kann =)
Soweit mein Senf dazu 😛
LG
Der Dennis
Ina
Hi Dennis,
unabhängig von Deiner Deutung der Jungfrauengeburt hast Du da wohl etwas verwechselt:
„Erbsünde“ haben alle Menschen, das ist keine Frage von Übertragung irgendeines Geschlechtes. Es hat vor allem rein gar nichts mit dem Dogma Jungfrauengeburt zu tun.
Das andere Dogma der „unbefleckten Empfängnis“ ist davon unabhängig. Man könnte sogar sagen, dass es „ketzerisch“ ist, weil es gar nicht um Jesus geht, sondern einzig und allein um die Verehrung Marias als „Gottesmutter“. 😉
Erst hier kommt die „Erbsünde“ ins Spiel, aber nicht wegen Sexualität, denn Maria wurde ganz normal und natürlich von ihren Eltern gezeugt, sagt das Dogma. Maria ist nicht vaterlos.
Gott soll auf irgendeine wundersame Weise die „Erbsünde“ von Maria fern gehalten haben, sodass sie ohne Fegefeuer direkt in den Himmel gehen konnte.
Dogma 1 – Jungfrauengeburt/Empfängnis Jesu – biblisch – angekündigtes Zeichen im AT (kein Bezug zur Erbsünde!)
Dogma 2 – unbefleckte Empfängnis Marias – unbiblisch – Maria ist natürlich gezeugt und empfangen, trotzdem durch Gott frei von Erbsünde und wird selber quasi-göttlich (kein Bezug zu Jesus!)
Erst durch sexuelle Verklemmtheit und patriarchale Kultur wurde aus beiden Dogmen irgendwann im Laufe der europäischen Geschichte eine einzige Suppe mit sexistischer und sexualfeindlicher Tönung. Bis heute, wie man an den Diskussionen hier sieht.
Mir ging es nur darum, dass man vor lauter Kirchenkritik nicht Dinge kritisiert, die so gar nicht gemeint sind. 😉
LG, Ina
P.S.
Ich hatte mich oben bei Papst Benedikt vertan. Das war nicht Ratzinger, sondern ein Benedikt aus dem Mittelalter. 😀
Dass diese Dinge „gemeint“ sind, habe ich übrigens auch nicht geschrieben. Das spielt aber m. E. gar keine so große Rolle.
Wir können heute nicht immer rekonstruieren, wie bestimmte Dogmen / Lehrsätze „gemeint“ waren. Wir können aber etwas ganz anderes, viel wichtigeres tun: Wir können beurteilen, was sie angerichtet haben. Und daraus Konsequenzen ziehen.
Das wollte ich ja gerade sagen. Selbst WENN Jungfrauengeburt, unbefleckte Empfängnis etc. ursprünglich keine sexistische Intention verfolgt haben, bieten sie doch gewissermaßen das ideologische Gehäuse, in dem sich Sexismus und Patriarchat nachher sehr bequem zur Diskurshoheit aufschwingen können. Und wenn bestimmte Lehrsätze, Bilder etc. solche Einfallsstellen offen lassen – oder geradezu anbieten -, kann man ihnen das durchaus auch vorwerfen.
Wenn man sie aber gegen ihre spätere Verwendung „retten“ will, müsste man zumindest zeigen, was es im Gegenzug auch positives bringen kann, heute noch daran festzuhalten.
Daher meine – wirklich ganz ehrliche und nicht rhetorische – Frage: Kannst Du den beiden Lehren etwas abgewinnen und was wäre das?
Hallo Ina und Florian,
Weil es thematisch so schön passt, kopiere ich euch hier mal den aktuellen Blogeintrag von Bart Ehrmann hinein (kann es leider nicht verkinken, weil der Blog jostepflichtig ist und nur angemeldete user den kompletten Beitrag kesen können, deshalb hier per copy & paste). (Btw damit wäre wohl etabliert, dass sich Marienverehrung doch um einiges früher zu etablieren begann, als ich gedacht hätte – Mitte 2. Jhdt):
Was Jesus *Really* Born? The Proto-Gospel of James
In my last post I mentioned the Proto-Gospel of James in relation to a textual variant (in Luke) that indicates that Mary gave birth not *in* Bethlehem but *en route* there. That made me think it would be a good time to say something about what else is in this intriguing book. You can find my recent translation of it in the collection of non-canonical Gospels that I edited, translated, and introduced with my colleague Zlatko Plese, called The Other Gospels. Here is what I said about the Proto-Gospel many years ago now on the blog, with an excerpt from the translation of one of the most amazing sections, to whet your appetite.
In my graduate course last week, we analyzed the Proto-Gospel of James (which scholars call the Protevangelium Jacobi — a Latin phrase that means “Proto-Gospel of James,” but sounds much cooler….). It is called the “proto” Gospel because it records events that (allegedly) took place before the accounts of the NT Gospels. Its overarching focus is on Mary, the mother of Jesus; it is interested in explaining who she was. Why was *she* the one who was chosen to bear the Son of God? What made her so special? How did she come into the world? What made her more holy than any other woman? Etc. These questions drive the narrative, and make it our earliest surviving instance of the adoration of Mary. On the legends found here was built an entire superstructure of Marian tradition. Most of the book deals with the question of how Mary was conceived (miraculously, but not virginally), what her early years were like (highly sanctified; her youth up to twelve (lived in the temple, fed every day by an angel), her betrothal to Joseph, an elderly widower with sons from a previous marriage, the discovery of her pregnancy and the “proof” that she (and Joseph) were both pure from any “sin” (such as, well, sex).
The book was originally composed in the second Christian century. There are a number of intriguing passages, none of which is more famous than the one I translate here (the original language is Greek). In this striking narrative, when Mary is about ready to give birth in a cave just outside of Bethlehem, Joseph runs off to find a midwife who can help. They arrive too late. The child appears without any human help or intervention (is the child really a newborn? Jesus appears to walk over to his mother to take her breast; and he performs a healing miracle!).
The midwife is astounded and is convinced that Mary has given birth as a virgin. She goes out and fetches a colleague of hers, Salome, and informs her of the miracle. Salome won’t believe it unless she gives Mary a postpartum ….
To see the rest of this post, you need to belong to the blog. If you don’t belong yet, what are you waiting for? Christmas? We did that already! Give yourself a treat. JOIN!!
Salome won’t believe it unless she gives Mary a postpartum inspection, to see if her hymen is still intact. (If it is, then in ancient thinking Mary not only conceived while still a virgin; since she remains intact, she is *still* a “virgin” – that is physically unaltered by anything involving sex or childbirth).
It’s an amazing passage, that everyone should know about. (The first bit is given in the first-person, with Joseph himself talking). Here it is:
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(1) I saw a woman coming down from the hill country, and she said to me, “O man, where are you going?” I replied, “I am looking for a Hebrew midwife.” She asked me, “Are you from Israel?” I said to her, “Yes.” She asked, “Who is the one who has given birth in the cave?” I replied, “My betrothed.” She said to me, “Is she not your wife?” I said to her, “She is Mary, the one who was brought up in the Lord’s Temple, and I received the lot to take her as my wife. She is not, however, my wife, but she has conceived her child by the Holy Spirit.” The midwife said to him, “Can this be true?” Joseph replied to her, “Come and see.” And the midwife went with him.
(2) They stood at the entrance of the cave, and a bright cloud overshadowed it. The midwife said, “My soul has been magnified today, for my eyes have seen a miraculous sign: salvation has been born to Israel.” Right away the cloud began to depart from the cave, and a great light appeared within, so that their eyes could not bear it. Soon that light began to depart, until an infant could be seen. It came and took hold of the breast of Mary, its mother. The midwife cried out, “Today is a great day for me, for I have seen this new wonder.”
(3) The midwife went out of the cave and Salome met her. And she said to her, “Salome, Salome, I can describe a new wonder to you. A virgin has given birth, contrary to her natural condition.” Salome replied, “As the Lord my God lives, if I do not insert my finger and examine her condition, I will not believe that the virgin has given birth.”
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(1) The midwife went in and said to Mary, “Brace yourself. For there is no small controversy concerning you.” Then Salome inserted her finger in order to examine her condition, and she cried out, “Woe to me for my sin and faithlessness. For I have put the living God to the test, and see, my hand is burning, falling away from me.” (2) She kneeled before the Master and said, “O God of my fathers, remember that I am a descendant of Abraham, Isaac, and Jacob. Do not make me an example to the sons of Israel, but deliver me over to the poor. For you know, O Master, that I have performed my services in your name and have received my wages from you.”
(3) And behold, an angel of the Lord appeared and said to her, “Salome, Salome, the Master of all has heard your prayer. Bring your hand to the child and lift him up; and you will find salvation and joy.” (4) Salome joyfully came and lifted the child, saying, “I will worship him, for he has been born as a great king to Israel.” Salome was immediately cured, and she went out of the cave justified. And behold a voice came saying, “Salome, Salome, do not report all the miraculous deeds you have seen until the child enters Jerusalem.”
Dennis
Hallo Ina,
vielen Dank für die Aufklärung. Diese beiden Dogmen hab ich tatsächlich noch nicht voneinander unterschieden. Diese katholische Welt ist mir viel zu kompliziert xD
LG
Ina
Hallo Florian,
ich bin einfach nicht der Ansicht, dass es der alles entscheidende Maßstab sein kann, was eine Lehre – neben ihrem konkreten Inhalt – sonst noch alles angerichtet hat. Schmeißen wir die Idee der Sünde z.B. über Bord, weil jahrhundertelang Menschen mit einem moralistischen Verständnis von Sünde getriezt wurden? Missionieren/Evangelisieren wir nicht mehr, weil das in der Geschichte des Christentums auch Gewaltorgien zur Folge hatte und bei manchen Freikirchen heutzutage manipulativ eingesetzt wird?
Ja, die Jungfrauengeburt wurde zusammen mit dem Dogma der „unbefleckten Empfängnis“ und einem moralinsauren sexualisierten Sündenbegriff zur Idee, dass der weibliche Körper irgendwie „verschmutzt“ werden würde. Und das ist jetzt DER Grund, uns davon zu verabschieden? Ich will hier wahrlich nichts „restaurieren“ um der Tradition Willen (wie das Konservative tun), sondern ein Dogma wie die Jungfrauengeburt so weit es geht, „biblisch“ beurteilen, wie es z.B. Jay ganz oben gemacht hat.
(Jays Sicht könnte man übrigens eine andere – ebenfalls von der Bibel abgeleitete – Sicht entgegenstellen: Markus hat keine Jungfrauengeburt, weil seine ganze Theologie darauf aufbaut, äußeren Zeichen zu misstrauen. Deshalb mahnt der markinische Jesus immer, seine Heilungen und Wunder nicht herumzuerzählen, und daher gab es im Urtext des Markus keine Ostergeschichten vom Auferstandenen. Die Theologen nennen das die „Geheimnistheorie“ von Markus. Wen es interessiert: http://www.bibelwissenschaft.de/bibelkunde/neues-testament/evangelien/markus/ )
Ganz konkret, weil Du gefragt hast:
Von der „unbefleckten Empfängnis“ halte ich nichts, weil es überhaupt keinen Anhaltspunkt in der Bibel dafür gibt und weil ich die Verehrung Marias ablehne (wir sollen keine anderen Götter haben). Ist ja auch gar kein evangelisches Dogma, kann man also genauso behandelt wie die angebliche Unfehlbarkeit des Papstes: menschengemacht, kann weg. 😉
Bei der Jungfrauengeburt eiere ich herum. Früher habe ich nicht an sie geglaubt mit der Begründung, dass man das als intellektuell redlicher Mensch „heutzutage“ als Mythos ablehnen muss. Ich stamme aus einer der liberalsten Landeskirchen Deutschlands, habe also aufgrund meiner Prägung im Glauben einen anderen Blick auf manche Dinge als die meisten Hossa-Hörer/innen. Dass die Jungfrauengeburt eine Legende sei, ist für mich seit Jahrzehnten das Normalste der Welt, weil wir Progressiven ja so „modern“ sind.
Ich glaube an die Auferstehung und muss konsequenterweise zumindest zugeben, dass Gott, wenn er Gott ist, auch eine Jungfrauengeburt hinkriegt. Andererseits gebe ich Jay recht, dass die Auferstehung einen ganz anderen Stellenwert hat: sie ist der Grund und das Zentrum des NT.
Also, ich rede mich mal damit heraus, dass die Jungfrauengeburt nicht heilsentscheident ist. 😀
Übrigens habe ich u.a. deshalb Hemmungen, die Jungfrauengeburt komplett zu verwerfen, weil die Evangelisten sich ja auf eine AT-Prophezeiung beziehen (das Argument, dass im AT „junge Frau“ und nicht „Jungfrau“ steht, ist nicht unumstritten, kann also nicht als ultimative Begründung herhalten.).
Laut Luther wird Jesus außerdem zusätzlich bereits angekündigt, nachdem Adam und Eva aus dem Paradies geflogen sind, und zwar als Jungfrauengeburt:
„Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir (Schlange) und der Frau und zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.“ (1. Mose 3,15) Same der Frau? Gibt’s nicht in der Vorstellungswelt des AT. Muss also ein vaterloser Nachkomme gemeint sein, so Luther.
Kann man hermeneutisch alles dekonstruieren, ist schon klar. Ich bin mir lediglich nicht sicher, ob wir das mit allergrößter Selbstgewissheit tun sollten. „Modernität“ ist kein Argument, meine ich. Das unsägliche Dogma der „unbefleckten Empfämgnis“ war um 1000 n. Chr. auch modern, weil Scholastik „in“ war und man Glaubensvorstellungen (Marienverehrung, Glaube an Fegefeuer für alle Menschen) plausibel machen wollte, die man von außen in die Bibel eingetragen hat…
Ich bin mit den ganzen kritischen Theologien großgeworden (feministische, black und Befreiungstheologie, Entmythologisierungsansatz u.a.), habe davon viel mitgenommen, bin aber inzwischen zu der schlichten Auffassung gelangt, dass ich keine Ahnung habe, wie tief die Bibel womöglich trotz unserer heutigen Lesarten ist. Bei vielen Dingen weiß ich schlicht und ergreifend nicht, was denn nun „stimmt“.
Das ist so ähnlich, wie wenn Gofi sagt, er will mit dem Wirken Gottes rechnen und Raum dafür freihalten. Ich will die Göttlichkeit Gottes ernst nehmen, und das bedeutet, nicht alles wissen zu können.
Ich hoffe, ich konnte mich verständlich machen… Falls nicht, frag gerne nach.
Liebe Grüße, Ina
P.S. @Jay
Interessant, dieses „Evangelium“. Wundert mich nicht, dass es unter „Apokryphen des NT“ gelandet ist. Es dreht sich ja alles um die Verehrung Marias!
P.P.S.
Dank Deines ersten Kommentars, Florian, bin ich auf die altkatholische Kirche gestoßen, die ebenfalls die „unbefleckte Empfängnis“ (und den Papst) ablehnt. (Außerdem ordinieren sie Frauen, segnen homosexuelle Paare, geben Protestanten Hostie und Wein und sind synodal organisiert, d.h. der Bischof wird gewählt.)
Ich habe mit denen schon beim Weltfrauengebetstag zusammen gebetet und es nicht geschnallt, dass das eine eigene Konfession ist, die sich 200 Jahre nach uns Protestanten von Rom abgespalten hat. Bei mir um die Ecke gibt es eine Gemeinde, wo ich demnächst mal zur Eucharistiefeier hingehen werde, denn das interssiert mich jetzt. http://www.alt-katholisch.de/information/alt-katholisch-alt-katholisch.html
Bezug zu diesem Podcast: Vielleicht werde ich ALT-katholisch! 😀
Ich sage nicht, dass Konsequenzen der einzige Maßstab sein müssen, um Theologie zu beurteilen. Aber sie sind immerhin EIN Maßstab und kein unwichtiger. Auch wenn es weitere geben mag.
Innerhalb dieses Kriteriums muss man positive und negative Konsequenzen gegeneinander abwägen. Im Fall der Jungfrauengeburt habe ich immer noch keine wichtige positive Konsequenz gehört. Dagegen fallen die Probleme dann halt schon ins Gewicht.
Im Fall „Sünde“, den Du ansprichst, liegt das etwas anders. Ich halte den Begriff für ziemlich unscharf, weil er letztlich sehr viel Verschiedenes bezeichnet. Aber er hat auch ein Bedeutungsspektrum, über das man einen gewissen Konsens herstellen kann, sogar über den christlichen Glauben hinaus: Nämlich dass im menschlichen (Zusammen-)Leben Dinge regelmäßig und u. U. im großen Maßstab schief laufen und wir diesem Schief-Laufen ein Stückweit hilflos ausgesetzt sind. Das anzuerkennen bedeutet ein realistisches, aber gleichzeitig anspruchsvolles Menschenbild zu entwerfen und es ermöglicht zugleich, moralische Ansprüche an Einzelne und an die Gesellschaft zu stellen.
Da hätte ich also ein Bedeutungsspektrum, an dem ich – gegen seinen „Missbrauch“ – sinnvollerweise festhalten kann, unabhängig davon, ob ich den Begriff weiter ausdehnen will.
Christ*innen haben immer wieder das Gefühl, dass wir Lehre XY endgültig festhalten müssen („Sünde“, „Auferstehung“, …), weil sonst der Glaube irgendwie nicht mehr funktioniert. Das Muster wäre: Ich WILL xyz glauben können und dafür glaube ich dann eben Glaubenssätze abcd. Ich kann das nicht mehr. Wenn a, b, c und / oder d mich nicht mehr überzeugen, muss ich sie auf den Prüfstand stellen. Ich kann mich da nicht einfach „fallen lassen“, wie das so schön beschrieben wurde. Da bin ich vielleicht nicht katholisch genug…
Ina
Du argumentierst hier auf zwei verschiedenen Ebenen und vermischst sie leider.
Einerseits scheinst Du aus einer christlichen Szene zu kommen, in der autoritär Dogmen nach dem Prinzip „friss oder stirb“ durchgedrückt wurden, und nun rebellierst Du verständlicherweise dagegen. Wenn Du also die Jungfrauengeburt nicht überzeugend findest, musst Du halt einen anderen Umgang damit finden. Ist legitim, hab ich kein Problem damit.
Andererseits legst Du jedoch noch einen weiteren Maßstab neben dem Kriterium „überzeugend“ an und scheinst beide in eins zu setzen: Nützlichkeit.
Du hattest weiter oben ja gefragt, was ich der Jungfrauengeburt abgewinnen kann. Ich habe darauf nicht direkt geantwortet, weil ich die Frage für falsch halte… Jetzt wolltest du nochmal „positive Konsequenzen“ von mir wissen. Warum eigentlich? ICH habe ursprünglich nur darauf aufmerksam gemacht, dass es zwei Dogmen gibt und mir manche Diskussionen wie ein Strohmann-Argument (Sexualfeindlichkeit) erscheinen. Dann hatte ich Dir auf Nachfrage erklärt, warum ich persönlich die Idee der Jungfrauengeburt nicht komplett über Bord werfe. Nicht mehr und nicht weniger. Wenn Du wissen willst, warum die Jungfrauengeburt für manche Christen total zentral ist, dann musst Du die fragen, nicht mich. 😉
Ich antworte Dir jetzt aber nochmal, weil ich Deine Idee über den Gewinn, den Glaubensaussagen haben sollen, nicht teile.
„Sünde“ ist demnach für Dich deshalb nach wie vor nützlich, weil sie ein Menschenbild ermöglicht, mit dem man „moralische Ansprüche an Einzelne und an die Gesellschaft “ stellen kann? Nö, das können auch atheistische Humanisten ganz ohne Sünde.
Der Witz des gesamten NT ist doch gerade, dass moralische Ansprüche immer wieder und auch bei Christen versagen! Du überträgst die Gesetzlichkeit, die Du vermutlich in Deiner Ex-Gemeinde erlebt hast, auf die Gesellschaft und v.a. das Evangelium (=GUTE Nachricht).
Die neutestamentliche Rede von der Sünde richtet den Blick weg vom Gesetz und hin zur Gnade, aus der Christen leben können, gerade weil sie immer auch Sünder bleiben (das ist jetzt eher lutherisch gedacht und fällt bei vielen „evangelikalen“ Gruppen unter den Tisch, weil die „Heiligung“ zackzack nach dem Übergabegebet sichtbar erfolgen muss…)
„Heil“ hat nicht viel mit „Nützlichkeit“ zu tun .
„Christ*innen haben immer wieder das Gefühl, dass wir Lehre XY endgültig festhalten müssen (“Sünde”, “Auferstehung”, …), weil sonst der Glaube irgendwie nicht mehr funktioniert. Das Muster wäre: Ich WILL xyz glauben können und dafür glaube ich dann eben Glaubenssätze abcd. Ich kann das nicht mehr.“
Nicht Christ*innen generell, sondern eine bestimmte („evangelikale“) christliche Subkultur.
Dass Du Dich aus dieser Gesetzlichkeit befreien willst, verstehe ich, das ist gut so (Gesetzlichkeit tötet, sagt schon Paulus). Das bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, dass es keine zentralen Glaubensinhalte gäbe, die die Grenze christlichen Glaubens markieren. (Womöglich wollstest Du das aber auch gar nicht sagen.) Die Jungfrauengeburt gehört m.E. nicht unbedingt dazu, aber ohne Auferstehung kannst Du das komplette Christentum tatsächlich wegschmeißen. Dogmatik hat also durchaus ihre Berechtigung und ist nicht umsonst ein eigenes Fach für angehende Theologen.
„Ich sage nicht, dass Konsequenzen der einzige Maßstab sein müssen, um Theologie zu beurteilen. Aber sie sind immerhin EIN Maßstab und kein unwichtiger. Auch wenn es weitere geben mag.
Innerhalb dieses Kriteriums muss man positive und negative Konsequenzen gegeneinander abwägen.“
Ich probier’s nochmal anders… Du hast eine sehr spezielle Vorstellung von Theologie…
Theologie ist ein Hinterher-Denken entlang der Spuren, die Gott dagelassen hat, wie es die Bibel bezeugt. Man kann als Theologe die Jungfrauengeburt anders auffassen als in den letzten 2000 Jahren, aber nicht aus der Bibel streichen. Das machen noch nicht mal ultra-liberale Theologen. Konkrete Bibelstellen zur Jungfrauengeburt kann man interpretieren und in einen biblischen Kontext stellen, wie auch Jay das getan hat.
Was Du hier ansprichst, ist die total wichtige Frage, was Dogmatik leisten kann und muss und was sie gegebenenfalls nicht tun darf. Wann wird Dogmatik unethisch?
Aber auch: Was ist biblisch begründete Ethik? Dazu brauchen wir wiederum Dogmatik. Das geht nur Hand in Hand.
My five cents.
Für die Ehrenrettung der Jungfrauengeburt über meinen persönlichen Umgang damit hinaus bin ich die falsche Ansprechpartnerin. 🙂
leider gelingt es mir anscheinend, je mehr ich erkläre, umso weniger, mich Dir verständlich zu machen.
Ich würde sagen, wir lassen es dabei, OK?
Beste Grüße!
Ina
Hey Dennis, vielen lieben Dank für Dein Feed-Back!
Ich hatte es schon bereut, mich bei diesem Thema überhaupt eingemischt zu haben…
Deine Überlegungen zu den Weihnachtsgeschichten fand ich übrigens gut (ist leider total untergegangen…).
Wen es interessiert (und wer wie ich entweder nicht bei Facebook ist oder da nie nachschaut), dort gab es anhand von Jays Interpretation der Jungfrauengeburt eine kleine und (wie ich finde) interessante Diskussion über die möglichen theologischen Auslegungen:
Hab die Folge letzte Nacht noch mal gehört und mit Abstand lassen sich die Argumente viel besser nachvollziehen.
Warum macht ihr nicht mal ne Folge über Mystik.die Franziskaner und Richard Rohr?
Und zum Thema Evangelisation: Worthaus wirkt auch bei Nichtchristen, wie man bei den Rückmeldungen von Siggi Zimmer sieht. Auch ein interessanter Weg für das postmoderne 21. Jahrhundert. Muss also nicht immer turn or burn sein(kleiner Scherz ;-))
Freunde, bei diesem Talk habe ich ein bisschen den Bogen überspannt. Während des Gespräches habe ich es gar nicht so gemerkt. Aber hinterher beim Schneiden dachte ich ‚Au Backe, was war denn mit dir los?‘ Aber das ist halt Hossa Talk, wir reden drauf los und schauen mal, wo wir rauskommen. Ich hoffe, ihr nehmt es sportlich. Unsinn ist natürlich meine Behauptung, der Heilige Geist würde nicht unter Konservativen wirken oder Progressive würden nicht mit seinem Handeln rechnen. Allerdings halte ich an meiner Behauptung fest, dass wir keine ausreichende Theologie der Mystik haben und dass wir zu oft um dieses Thema einen Bogen machen. Bin gespannt auf eure Meinungen. Liebe Grüße, Gofi
Kein Problem, finde ich. Also was mich angeht, du hast mich eigentlich damit nur gespiegelt, weil ich mich manchmal bei diesem Denken ertappe.
Hat aber irgendwo seinen Grund, denke ich. Denn diese Gedankenkontrolle kenne ich auch, und was da sonst noch gemacht wird. Und seit ich ein bisschen reflektiert habe und ein bisschen mehr über selektive Wahrnehmung, Hypnose und so weiß, frage ich mich eben, was von dem, was ich damals erlebt habe, wirklich Gott war. Und davon ausgehend auch, was von dem, was ich heute erlebe Gott ist oder nur meine selektive Wahrnehmung, alte Denkmuster, weiß der Kuckuck. Ich vertraue meinen Wahrnehmungen oft nicht mehr. Deswegen bin ich wohl manchmal so anti.
Ja die ersten 40 Minuten haben auf mich sehr übereilt und wütend gewirkt, ist vielleicht auch der Tatsache geschuldet dass die Diskussion beim Aufnehmen noch nicht so weit zurück lag? Die Position der „Kritiker“ wurde etwas verzerrt dargestellt; eine differenziertere Betrachtung hätte mir gefallen.
Die zweite Hälfte finde ich übrigens super, ich predige schon seit Jahren, dass wir von allen hiesigen christlichen Strömungen lernen können und sollen und das schließt natürlich auch die Traditionellen mit ein. Als das Freakstock in Borgentreich war, waren die Kopten sehr präsent und das war ein wunderbar befruchtender Austausch zwischen einer sehr alten und einer (mittlerweile nicht mehr ganz so) jungen Strömung.
Ja, die Kopten in Borgentreich habe ich auch kennengelernt. Das hat mich ziemlich beeindruckt. Wenn du weitere Gedanken hast zum Themenkreis Liturgie – Gottesbegegnung – Mystik würden die mich interessieren. Vor allem auch die Frage, was all das für die emergente Diskussion bedeuten könnte.
Gute Folge.
Da wärste mal lieber im Bett geblieben, lieber Gofi 😉 hier gibt es halt auch viele Verletzte,die noch nicht an dem Punkt sind, diese Sachen erstmal stehen zu lassen.
So ein Talk ist halt eine Momentaufnahme. Dein Buchzitat am Ende war dann für mich das göttlich progessive Leitbild. Weil es eben die Rechtgläubigkeit durch eine universale zeitgebundene Kirche überwinden will. Und das nicht durch abgrenzendes korrektes Handeln, sondern durch Einschluss und Verbundenheit.
Stimme dir in allem zu, auch was das Im-Bett-Bleiben angeht. 🙂 Hört man ja auch deutlich (Sorry fürs Rumschnorcheln und Nasehochziehen).
Gute Besserung 😀
danke! 😀
Hallo ihr zwei,
euer „Vorgeplänkel“ ist für mich einer der besten Talks hier, weil ich auch die meißten dieser Fragen habe.
Werde ihn noch mal in Ruhe hören und drüber nachdenken. Dieses ein für allemal Festlegen auf eine bestimmte Theologie/ Frömmigkeit fühlt sich irgendwie so an, als würde ich eher meinem Bild, dass ich von Gott ( bzw. von seinem Handeln) habe, mehr Glauben schenken, als ihm selbst. Meine „für mich passt das Theologie“ (bin nicht vom Fach) kann mir Gottes Handeln doch nicht komplett plausibel machen. Ich verstehe ja oft nicht mal meine Frau, geschweige denn Gott. Danke für die beiden letzten Folgen und eure Offenheit.
LG Christian
Jetzt muss ich nochmal was zum Mittelteil loswerden:
Nur weil Gott TROTZ noch so fragwürdiger Methoden und TROTZ noch so fragwürdiger Theologie TROTZDEM wirkt, heißt doch nicht dass jeder Scheiß immun gegen Kritik ist, nur weil „Jesus“ draufsteht?
Ob das für das Bremische Turning der Fall will ich erstmal nicht beurteilen, aber je nachdem wie man diese Frage (ganz allgemein) beantwortet, ist der Großteil der „Kritik an der Kritik“ hinfällig.
Ja, dem stimme ich zu. Und zwar voll und ganz. Ist ja nun auch nicht so, dass wir kritiklose Schönfärber wären. Trotzdem stehe ich auch zum Mittelteil. Kann ja auch an Beidem was dran sein, oder? 🙂
LG
Der Jay
Fast exakt das Gleiche habe ich auch gedacht!
Und TROTZ guter, mittelmäßiger oder miserabler Methode und TROTZ Kritik und TROTZ Hossa Talk und TROTZ und TROTZ und TROTZ – macht Gott eh was er will, vermute ich zumindest sehr stark. 🙂
Mir geht es nicht ums Nicht-Kritisieren, sondern darum, bei aller berechtigten und auch geäußerten Kritik weiter hinzuschauen, um vielleicht etwas lernen zu können. Ich kritisiere die Kritik dann, wenn sie, nachdem sie alle ihre Argumente vorgebracht hat, die Tür zuschlägt und glaubt, ihr Job wäre erledigt, während es (möglicherweise) zwischen all dem Kritikwürdigen eigentlich Phänomene gibt, die zu bedenken wären. Mir ist allerdings auch klar, dass das nur dann geht, wenn man nicht ständig retraumatisiert wird.
Hallo an alle,
kurze Anmerkung zu Gofis Gedanken über Pietismus versus Katholizismus:
Ja, pietistische Frömmigkeit kreist ziemlich um die permanente Selbstprüfung. Das hat aber nicht unbedingt etwas mit evangelischer Theologie allgemein zu tun, sondern der Pietismus greift auf andere theologische Quellen zurück als das „Luthertum“. Bei Calvin z.B. gibt es keine Glaubensgewissheit, bei Luther schon. Man muss also nicht gleich katholisch werden, wenn man Gnade statt Gesetzlichkeit sucht.
Für das „Mystische“ ist Luther allerdings auch nicht ganz die richtige Adresse, obwohl er nicht so rationalistisch drauf war, wie die nachfolgenden Generationen. 🙂
Liebe Grüße
Ina
Nach allem, was ich weiß, ist der Pietismus eine Gegenreaktion gegen die lutherische Orthodoxie, die die Gnade betonte, aber das geheiligte Leben vernachlässigte. Spener, der so weit ich weiß Lutheraner war, suchte in seiner Pia desideria nach einem Weg, Glauben authentisch zu leben. Er gründete kleine Zirkel, Hauskreise, in denen die Menschen die Bibel studierten und sich fragten, wie Christsein praktisch aussehen soll. Noch Zinzendorf, der zu einer späteren Generation des Pietismus gehörte, berief sich auf das lutherische Gnadenverständnis und grenzte sich entschieden gegen Wesleys Methodismus ab, der die Heiligung viel stärker betonte und sich darin sicher auf Calvin berief. Im Pietismus gibt es also beides, das Verständnis der Gnade, aber auch das Bemühen um ein ‚frommes‘ Leben. Diese ewige Selbstprüfung scheint sich im Lauf der Jahre stärker durchgesetzt zu haben. Ich bin mir aber nicht sicher, ob Calvin daran schuld ist.
Der Unterschied zwischen dem Katholizismus und dem Pietismus sehe ich vor allem in der starken Individualisierung, die den Pietismus ausmacht. Darauf vor allem wollte ich hinaus. Der Katholizismus scheint doch ein stärkeres ‚Wir, die Kirche‘-Gefühl zu haben, während der Pietist immer als einzelner vor seinem Gott steht. Man sagt dem Pietismus ja auch nach, er sei ein Vorreiter des bürgerlichen Individualismus, aber ich glaube, da streiten sich die Gelehrten noch.
Ich persönlich kann übrigens mit einigen pietistischen Traditionen sehr viel anfangen. Und es gab auch unter den Pietisten mystische Strömungen. Ich bin also noch weit davon entfernt, Katholik zu werden. 🙂
Ich kann dem Pietismus eines Spener und Zinsendorf auch viel abgewinnen! (Ja, die waren beide „Lutheraner“ und kritisierten die Orthodoxie, die im kirchlichen System erstickte.) Derzeit entdeckt der evangelische Theologe Peter Zimmerling das unter dem Stichwort „evangelische Spiritualität“ ja wieder neu (und zeigt auch, dass es mit Luthers persönlicher Frömmigkeit viel gemeinsam hat).
Ich bin mir auch nicht ganz sicher, wie Calvin ins Spiel kommt. Der Calvinismus hat definitiv besonders den angelsächsischen Protestantismus beeinflusst.
https://de.wikipedia.org/wiki/Calvinismus
Und da darf man dann nicht vergessen, dass die europäischen Pietisten spätestens im 20. Jahrhundert stark von den evangelikalen amerikanischen Strömungen erfasst oder gar „überlagert“ wurden. (Ab dem 19. Jahrhundert hatten sie schon einen gemeinsamen Feind: „Liberale“ Theologie. Im 20. Jahrhundert schieden sich die Geister aber endgültig an Rudolf Bultmann, der ja international berühmt-berüchtigt wurde).
https://de.wikipedia.org/wiki/Pietismus
https://de.wikipedia.org/wiki/Evangelikalismus
Man muss sich also fragen, ob heutige Pietisten noch viel mit Spener oder Zinsendorf gemeinsam haben oder ob sie eher „Evangelikale“ sind (im Sinne der Chicago-Erklärung, der sich ja wohl auch die württembergischen Pietisten nun verpflichtet fühlen). Ich stelle immer wieder auf evangelikalen Blogs fest, dass sie sich auf die reformierte Tradition berufen (Calvin) und Luther nur eine ungeordnete (sozusagen historische) Rolle spielt.
Für Peter Zimmerlings Konzept von Spiritualität ist übrigens besonders Bonhoeffers Schrift „Gemeinsam Leben“ von Bedeutung (er hat sie gerade neu herausgegeben). Darin beschreibt Bonhoeffer seine illegale Untergrund-Bruderschaft für Vikare. Dahin konnten auch Pfarrer für eine gewisse Zeit zurückkommen, um für ihren schweren Dienst wieder geistig-spirituell „aufzutanken“. (Das inzwischen 80 Jahre alte Buch „Gemeinsam Leben“ lohnt sich auch heute noch für Leute wie Dich, die sich für Bruderschaften oder generell geistige Übungen interessieren.) Damit hätten wir dann auch den Bogen zur Gemeinschaftlichkeit statt Individualismus. 🙂
Bonhoeffer wetterte übrigens (in „Widerstand und Ergebung“) ziemlich gegen Pietisten, denen er zu viel „Religion“ bescheinigte (mit „Religion“ ist ein erstarrtes System gemeint).
Solange Du nicht katholisch wirst, ist alles gut! *gepflegtes_feindbild* 🙂
Danke für den großartigen Tipp!
Für jeden, der es noch nicht kennt, empfehle ich:
http://siegfriedzimmer.de/theologisches-leitbild/
Daraus Punkt 20:
…geschieht weder im Rahmen konservativer bzw. evangelikaler, noch im Rahmen liberaler Theologie und Frömmigkeit. Die Erneuerung des christlichen Glaubens überwindet diese Polarisierung und lässt sie hinter sich. Sowohl die konservative als auch die liberale Theologie und Frömmigkeit beinhalten berechtigte und wertvolle Aspekte, die volle Anerkennung verdienen. Beide sind aber auch beeinträchtigt durch erhebliche Einseitigkeiten und Ausblendungen. Wichtig ist die Gesprächsbereitschaft nach beiden Seiten. Brücken bauen ist besser als Gräben aufreißen und Schubladendenken. Wenn es auch bei der Erneuerung darum geht, religiöse Engstirnigkeiten zu überwinden – und dafür gegebenenfalls auch energisch zu kämpfen –, bleibt es dennoch von grundlegender Bedeutung, das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Einheit aller Christen zu stärken. Mit „Einheit“ der Christen ist keine lehrmäßige Einheit gemeint – die haben wir in 2000 Jahren nicht erreicht und werden sie auch in absehbarer Zeit nicht erreichen –, sondern eine vom Heiligen Geist gewirkte Einheit der Herzen.
Die Kritik der jetzigen “Progressiven“ aufgrund der letzten Folge rührt weniger daher, dass sie nicht an das Wirken des Heiligen Geistes glauben, sondern dass ihnen früher ein schlechtes Gewissen gepredigt wurde nicht genug missioniert zu haben.
Bisher hat sich noch keiner der Verantwortlichen solcher Aussagen öffentlich dafür entschuldigt.
Kurz musste ich schlucken bei der Aussage, dass wenn die Freundin nicht missionierengegangen wäre, sie nicht den Sohn der Freundin über den Glauben angesprochen hätte-das hat schon manipulatorischen Karakter.
Wenn die Leute aber wirklich nur Menschen suchen und ansprechen, die offen sind und ihnen sagen, dass Gott sie liebt ist dagegen nichts einzuwenden.
LG
Hallo zusammen,
für mich war das einer der besten Talks von euch!
Weil er eine ehrliche Bestandsaufnahme über die beiden extremen Ausprägungen des gelebten Christsein macht. Auf die Frage: Woher weiß man, was man tun soll? sagen die einen: Es steht doch alles in der Bibel, das kann ich mit meinem Verstand erfassen, was brauch ich Visionen?! Dann ist das Christenleben nur eine Befolgung von Gesetzen, von Regeln, ein Abarbeitung von todo-Listen. Dann sind wir über das AT nicht wirklich hinaus. Die anderen können sich vor Visionen und Geisteswirken – woher das auch immer kommen mag – kaum retten und sagen: Ihr mit eurem Verstand! Ich habe beides erlebt. Eine Theologie über das normale Christenleben ist nicht vorhanden oder verschütt gegangen.
Ich denke, Christsein ist das Ausleben des jetzt lebendigen und auferstanden Christuslebens. Wir haben kein eigenes neues Leben außerhalb des Weinstocks! Wir haben Anteil an ihm. Und das vermittelt er durch seinen Heiligen Geist. Der technische Ausdruck dafür ist das in IHM bleiben. Für mich ist dies zur Herstellung der Gottverbundenheit (Mystik/Spiritualität) total ausreichend. Und Jesus übergeht doch meine Person mit ihrem Verstand und ihren Erfahrungen nicht. Die Propheten des AT waren ja auch keine von allem losgelösten Charismatiker. Sie haben in der Regel im Bewusstein gehabt a) was Gott bislang gesagt hat oder auch aufschreiben ließ und b) wie Gott in ihrer Geschichte bisher gehandelt hat.
Warum ich euch das hier schreibe? Weil mich Jesus durch seinen Geist dazu einlädt, meine Erfahrungen und Ansichten mit euch zu teilen.
Gruß toblog
Vielleicht noch interessante Blogartikel zum Thema post-evangelikale Dogmatik vom ICF Pastor aus Basel(bitte nicht vom Namen abschrecken lassen 😉 )
http://www.ideaschweiz.ch/spektrum/detail/gott-hat-keinen-plan-fuer-dein-leben-104002.html
und hier die Entgegnung:
http://hanniel.ch/2018/01/31/der-offene-theismus-schliesst-die-luecke-in-der-nach-evangelikalen-dogmatik-eine-stellungnahme/
Hi,
wollte mich einfach kurz bei euch für diesen Talk und Hossa Talk insgesammt bedanken.
Ich finde es einfach großartig, dass ihr auf alle möglichen Strömungen und Ideen erstmal offen zugeht, euch aber auch nicht davor scheut alle Richtungen zu hinterfragen und auch an alle auszuteilen, oder es zumindest versucht.
Diese Mischung aus, echter Suche nach Gottes Wesen und seinem Handeln und gleichzeitigem Hinterfragen an allem was wir über Gott wissen und wie sich das in gewissen Praktiken auswirkt ist so wichtig, weil es eine ganz wichtige Zwischenposition einnimmt, die mir oft in Diskussionen fehlt.
Danke!
Hallo Jay, hallo Gofi,
Der Titel ist hervorragend gewählt. Genau deshalb habe ich mir – als nicht so regelmäßige Hörerin – diesen Talk angetan. Ich gehe nämlich zur Zeit häufig in die katholische Kirche, nachdem ich gerade aus einer Freikirche ausgetreten bin, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, das Evangelikale mit dem Charismatischen zu versöhnen, was wir (mein Mann und ich) dermaleinst sehr sympathisch fanden, nach unseren einseitigen Erfahrungen im pietistischen Kontext. Ich selbst bin von Haus aus evangelisch (Pfarrersenkeltochter) und hatte eigentlich mit dem Gedanken gespielt wieder in die evangelische Kirche zurück zu gehen. Jetzt waren wir aber öfter in der katholischen Kirche, weil wir in einer katholischen Gegend leben und mein Mann mit dem katholischen Priester ein freundschaftliches Verhältnis pflegt. Und schließlich war eines unserer Kinder so angetan vom katholischen Gottesdienst und der Erfahrung dort gesegnet worden zu sein und auch wir fühlen uns interessanterweise so wohl mit der unaufgeregten katholischen Art, dass wir gerade gerne dorthin gehen. Ehrlich gesagt weiß ich auch gerade gar nicht, wo das alles hinführt und frage mich, ob ich nicht einfach ökumenisch werden kann…
Auf der einen Seite ist es sehr befreiend eine große Offenheit für vieles haben zu können und ich fühle mich momentan pudelwohl damit, nirgends fest dazu zugehören, allerdings weiß ich nicht, ob das auf lange Sicht Sinn macht. Ich bin sehr gespannt auf das vor uns liegende Jahr. Ich glaube Torsten Dietz hatte das bei euch so schön formuliert, dass eben jede christliche Richtung ihren Schatz hat und wir das nicht gegeneinander ausspielen können. So ähnlich jedenfalls. Dieser Weitblick ist es, der mir öfter fehlt. Deshalb finde ich es richtig, dass ihr ins Gespräch geht mit Menschen, mit denen ihr verschiedener Meinung seid. Wir werden nur über diese Hör-und Gesprächsbereitschaft gemeinsam einen Weg aus der christlich-spirituellen Krise unseres Zeitraums finden. Immer wieder Wunderschön, dass ihr euren unvorbereiteten Diskurs darüber öffentlich führt ? Das ist sehr erfrischend natürlich und kommt der eigenen unfertigen Auseinandersetzung sehr nah.
Ich find’s ganz großartig, dass Ihr Euch hier so ausführlich auf den Dialog mit Euren Hörer*innen einlasst. Und ich finde es absolut in Ordnung, wenn da hier und da auch mal die Fetzen fliegen. Meine Güte. Das ist doch auch ein Zeichen von Leidenschaft (frommdeutsch: „gemeinsam um xy ringen“). Wenn da mal ein paar Statements rausgehauen werden, ist das auch kein Untergang. Hauptsache, alle finden irgendwie zu einem respektvollen Gespräch (zurück). Immerhin kommen bei Euch überhaupt unterschiedliche Seiten zu Wort.
Wir müssen alle raus aus unseren bequemen, selbstgefälligen Filterblasen. Wir müssen uns trauen, auszuteilen und lernen, auch mal einzustecken. Sonst käme am Ende doch wieder so ein weichgespülter Polit-Sprech raus, der sich keinen Zentimeter bewegt, aus Angst, irgendwem auf die Füße zu treten.
Also: Hossa, Hossa, … Ach Ihr wisst schon…
Hallo Gofi,
Probiere es doch mal mit den Altkatholiken.
Und- bei vielen neuen Abspaltungen geht es schlicht und einfach um Macht.
Übrigens, Liturgien sind super und wenn das langweilig ist- Langeweile entwickelt Kreativität.
an die musste ich auch denken… 😉
hier ein ganz schöner beitrag von wdr5:
https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-diesseits-von-eden-beitraege/audio-altkatholiken-mit-progressiven-ideen-100.html
Yeah. Wir sind alle Evangelikal!!!!
Im Sinne von: Jesus ist uns extrem wichtig, wir wollen mit ihm auf dem Weg sein, sogar unser Verstand darf mit und Fragen stellen. Der Zweifel darf mit, und sich an der Hoffnung festhalten. JUST AS I AM! Die alten Hymnen haben es in sich!
Und was ich jetzt nicht so verstehe…. wieso denkt ihr, die Progressiven haben keinen Platz für Mystik?
Ich habe das in dem Buch „Emerging Church“ von Dan Kimball kennengelernt und finde da viel Platz für Gotteswirken und Begegnung… also Mystik. Progressiv ist wohl noch Nadia Bolz-Weber, auch sie schreibt jede Menge über Begegnung (sie diskutiert ja auch ziemlich oft mit Gott rum… aber sie beten auch für Menschen, Situationen, und zwar mit ziemlich viel Überzeugung, dass es etwas bewirkt).
Oder sind die Emergenten in Deutschland völlig anders gestrickt?
Ich habe mich sofort ertappt gefühlt bei der Bemerkung, dass „die Progressiven“ keinen Raum mehr für Mystik haben. Klar ist das verallgemeinert und trifft wohl auf die meisten „Progressiven“ nicht zu, ich merke aber, dass es für mich stimmt.
Oft fällt mir auf, dass ich meinen Glauben darüber definiere, was ich nicht (mehr) glaube um zu vermeiden mich damit zu beschäftigen was ich eigentlich glaube. Es ist immer einfach den Glauben anderer oder ihre Aktionen zu beurteilen oder zu verurteilen. Manchmal mag diese Kritik ihre Berechtigung haben, aber andererseits muss ich auch mich fragen, was mache ich denn besser?
hi gofi,
cooles zitat von hermann kurzke – könntest du das hier verschriftlichen?
klingt übrigens ein bisschen nach dem hohelied der liebe, vom klang her, irgendwie :).
Lydia, hier finest du ein Foto der beiden Buchseiten: https://www.evernote.com/shard/s299/sh/6c09dbc1-e664-4c14-9d2b-56b00e6ad9da/0f97686b5acba45bb3055f42f1e344e9
LG
Der Jay
Hallo Jay,
nur mal interessehalber. Warum glaubst du nicht (mehr) an die Jungfrauengeburt? War das schon mal Thema in einer vergangenen Folge die ich nachhören könnte?
Grüße
Gary
Hallo Gary. Als Vorbemerkung sei gesagt, dass das für mich kein Streitthema ist. Ich kann sehr entspannt damit leben, wenn man hier die „orthodoxe“ Position einnimmt (und kämpfe im Grunde nur dafür, dass auch Leute wie ich, die ihre Mühe mit dem Thema haben, bzw zu einem anderen Schluss kommen, in der Kirche Platz haben). Warum die Jungfrauengeburt für viele Menschen heute zum besonderen Zweifelstein wird, kann ich letztlich nicht beantworten. Ich sehe nur auch, dass es so ist. Ich denke, es liegt an der Wissenschaftsorientierung der Moderne. Die Menschen sehen sich von Christen oft mit einem „entweder-du-schluckst-alles-oder-nix“-Anspruch konfrontiert, der ihnen als Menschen der Moderne Mühe macht, sich dem Glauben zu nähern. Mir ging/ geht es jedenfalls so.
Man, war ich froh, als ich entdeckte, dass zum Christsein der Glaube an die Jungfrauengeburt nicht konstitutiv dazu gehört. Genauso wäre es mir gegangen, wenn man von mir verlangt hätte, an singende Steine, fliegende Teppiche oder ähnliches – für mich – absurdes als Insignien des Glaubens zu glauben. Ist es nicht immer so, dass unser Weltbild zum großen Teil mitbestimmt, was wir für möglich halten/ glauben können? Da nehme ich mich nicht aus. Und anders als bei der Auferstehung (die du ja als Beispiel dafür anführst, dass bei mir durchaus Glauben an Übernatürliches Wirken Gottes gibt), hat mich witziger Weise mein Bibelstudium von dem Gedanken an die Jungfrauengeburt glauben zu müssen, erlöst. Bei der Auferstehung ging es genau anders herum. An die scheinen die neutestamentlichen Autoren durch die Bank weg geglaubt zu haben. Die verkündigen und predigen sie. Das ist kein Nebenschauplatz, an der hängt auch richtig was. Das alles trifft für die Jungfrauengeburt nicht zu.
Lass mich das kurz begründen. Die Jungfrauengeburt wird überhaupt nur zwei Mal thematisiert (in den Weihnachtsgeschichten von Matthäus und Lukas – danach nicht einmal von denen mehr). Weder Markus, noch Johannes, noch das 5. Evangelium (damit meine ich Paulus) noch einer der anderen neutestamentlichen Autoren bezieht sich an irgendeinem Punkt auf solch ein Ereignis. Entweder wussten sie nichts davon (was ich für am wahrscheinlichsten halte) oder sie hielten es nicht für wichtig, jedenfalls nicht für wichtig genug, um es zu erwähnen (selbst wenn das Zweite zuträfe, würde das zumindest nahe legen, dass der Glaube an die Jungfrauengeburt keinen wichtigen Platz in ihrem Glaubensleben einnahm, was mich wieder fragen lässt, warum mir etwas wichtig sein soll, was offensichtlich weder Paulus, Johannes oder Petrus wichtig gewesen ist?). Da passiert so ein großes Wunder, das eine Jungfrau schwanger wird und keiner außer Matthäus und Lukas hält es für wert, daas zu erwähnen? Das finde ich nicht besonders glaubhaft. Jedenfalls nicht, wenn es Teil ihres Glaubens an Jesus gewesen sein soll. Das der Autor des Markusevangeliums (das ja das älteste der Evangelien ist) nichts von der Jungfrauengeburt wusste, wird schön deutlich, wenn er erwähnt, dass sich die Verwandten von Jesus auf den Weg machten, um Jesus festzusetzen, weil sie der Überzeugung waren, Jesus sei verrückt geworden (3,21). Als sie dann einige Verse später bei Jesus ankommen, um ihr vorhaben in die Tat umzusetzen, wird erwähnt, dass auch seine Mutter bei ihnen ist (3,31). Wieso kommt die auf die Idee, ihr Sohn sei verrückt geworden? Hat Maria so schnell vergessen, was rund um Empfängnis und Geburt ihres Sohnes geschehen ist? Kann man so etwas überhaupt vergessen, wenn einem so etwas passiert ist? Und hat Lukas nicht geschrieben, dass sie das alles in ihrem Herzen bewahrte? Wieso denkt sie hier bei Markus nun plötzlich, Jesus ist von Sinnen? Und interessanter Weise habe Matthäus und Lukas zwar den Teil von Markus übernommen, wo Jesu Mutter und Brüder zu ihm kommen (also Mk 3,31f) aber den Teil wo Markus sagt, weshalb sie zu ihm kommen (Mk. 3,21) nicht. Die Vermutung, dass sie das unter den Tische haben fallen lassen, weil es im direkten Widerspruch zu der wundersamen Mutterschaft Marias stünde, von der sie berichtet haben, liegt ja wohl nahe. Aber das ist gar nicht mein Punkt. Mein Punkt ist, dass Markus demnach nichts von einer Jungfrauengeburt gewusst haben kann.
In der Verkündigung der Apostel kommt die Jungfrauengeburt nicht vor. In keiner Predigt. Sie reden darüber, dass Jesus der Messias ist, Gottes Sohn, und halten es nicht für nötig, das größte Ass diesbezüglich zu ziehen? Mir fällt kein Grund ein, warum man so etwas wie eine Jungfrauengeburt nicht zu einem der Haupt-Bulletpoints machen würde, wenn man über den SOHN GOTTES spricht – außer, dass sie nichts von ihr gewusst haben.
Aber haben Lukas und Matthäus das Ganze dann nur erfunden? Haben sie gelogen? Diese Frage unterstellt, dass es nur eine Wahrheit geben kann, nämlich die historische, das was tatsächlich geschehen ist. Das halte ich bei antiken Schriften wie den Evangelien für eine sehr verkürzte Sicht. Natürlich gibt es auch so etwas wie literarische Wahrheit. Und wenn man die beiden Geburtsgeschichten von Matthäus und Lukas nebeneinander legt, dann fällt doch auf, dass es jeweils sorgfältig durchkomponierte Geschichten sind. Es gibt so gut wie nichts, was in beiden passiert. Außer dass Jesus in Bethlehem von einer Jungfrau geboren wird, haben beide Geburtsgeschichten nichts miteinander gemein. Nichts! Wir sind so sehr die Melanche der Beiden Geschichten im Krippenspiel gewöhnt, dass uns das gar nicht mehr auffällt. Aber einzeln betrachtet, wird schnell deutlich, dass beide sehr unterschiedliche Punkte mit ihrer Schilderung machen wollen. Matthäus beschreibt die Geburt eines Königs. Lukas die Geburt von einem Underdog. Der Punkt ist, dass hier literarische, theologische Wahrheiten transportiert werden sollen und keine historischen. Und die Jungfrauengeburt passt da gut hinein. Jedenfalls lese ich die Weihnachtsgeschichten so. Und deshalb sagt mir „die Jungfrauengeburt“ auch nach wie vor etwas (als Bild funktioniert sie großartig). Das kann sie auch wunderbar, wenn ich nicht an ihre historische Akkuratheit glaube.
Mein letzter Punkt wäre noch, dass mir die Jungfrauengeburt die Inkarnation vernagelt. Also vermutlich genau umgedreht wie bei dir, der du in der Jungfrauengeburt vielleicht DAS Zeichen für den göttlichen Ursprung Jesu siehst. Eine Jungfrauengeburt wäre meines Erachtens aber keine echte Inkarnation, sondern göttliche Schummellei. Zum Menschwerden gehören nun mal Penis und Vagina. Und Sex. Hierbei entsteht Leben. Das hat sich Gott ja so ausgedacht. Dass sich die Gottheit dann dazu entschließen sollte echter, wahrer Mensch zu werden und diesen Teil umgeht, halte ich nicht für glaubwürdig und verkündbar.
Sorry für den langen Text, aber kürzer habe ich es nicht hingekriegt.
LG,
der Jay
Das liest sich für mich ganz überzeugend. Eine weitere Anmerkunge noch, wenn ich darf.
Die Lehre von der Jungfrauengeburt transportiert eine gewisse Leib- und Sexfeindlichkeit. Wenn sie nämlich „unbefleckte Empfängnis“ heißt, dann suggeriert das ja, dass Sex bzw der („empfangende“) weibliche Körper etwas an sich Schmutziges, Anstößiges sei. “Befleckt” wird in diesem Bild (sorry, alles nicht ganz jugendfrei hier) ausschließlich die Frau.
Damit hat die Lehre eine gewisse Schlagseite hin zu einer repressiven Sexualmoral bzw einer religiös artikulierten Herrschaft über die Körper Anderer, sowie zu einem patriarchalischen Gesellschaftsbild. Was in der Kirchengeschichte durchaus auch rausgekommen ist.
Natürlich MUSS es diese Verbindung nicht automatisch geben, aber es GIBT sie nun mal. Zugespitzt würde ich sagen: Diese Lehre hat in der Praxis entweder gar keine Konsequenzen oder ziemlich negative.
Zu dem Thema gibt’s aber sicher auch massig Literatur.
Yep.
Danke für die Ergänzung.
LG
Der Jay
@Jay:
Das ist ja mal eine echt geile Exegese!!! Vielen Dank!
Ich habe gestern erst im Römerbrief gelesen, dass Christus „nach dem Fleisch“ zu den Erzvätern Israels gehört, und dachte automatisch: klar, dem Geist nach nicht = Jungfrauengeburt. Jetzt hab ich nochmal nachgelesen und: Da steht nichts davon. Mein Hirn hat das bloß ergänzt. Paulus hat das anders gemeint!
@Florian:
Die meisten heutzutage sehen darin etwas Sexual- und Frauenfeindliches. Das steckt aber in den Texten gar nicht drin, sondern hat mit der späteren Kirchengeschichte, speziell der Marienverehrung zu tun. Das kann man der Jungfrauengeburt (egal, wie man zu ihr steht) nicht anlasten, denn es handelt sich um zwei verschiedene Dogmen.
Mit „unbefleckter Empfängnis“ wollte man Maria von der „Erbsünde“ befreien. Das bezieht sich auf Jesu Großmutter Anna, die ihre Tochter Maria „unbefleckt“ (=ohne Erbsünde) empfangen haben soll!
Das lässt sich selbstverständlich gar nicht aus der Bibel ableiten und wird deshalb von Protestanten und Altkatholiken abgelehnt.
Ein rein katholisches und orthodoxes Dogma, dem allerdings Luther persönlich noch anhing und das von Papst Benedikt erstaunlicherweise bestritten wurde.
https://de.wikipedia.org/wiki/Unbefleckte_Empf%C3%A4ngnis
OK, Ina, das habe ich wirklich durcheinandergebracht.
Trotzdem ist es doch so, dass die Betonung der Jungfräulichkeit Marias immer wieder auf irgend eine Art von „Sündlosigkeit“ etc. zielte (siehe Wikipedia, „Jungfrauengeburt“). Wenn Jungfräulichkeit grundsätzlich eine weibliche Tugend ist, hat diese Lehre aus meiner Sicht wohl oder übel die erwähnte Schlagseite.
Großartig, Jay!
Um Weihnachten 2016 rum hab ich diese ganze Jungfrauenstory erstmals in Frage gestellt und was für mich das Interessanteste dabei war, war die Frage nach der Machtperspektive.
Die Idee dass jemand halb Menschenkind (durch die Mutter) und halb Gotteskind (ein Gott als Vater) war, war ja nicht ganz neu. Kaiser Augustus und vielen anderen wurde bereits ebenso nachgesagt, sie wären auch von Jungfrauen geboren worden, als Zeichen ihrer göttlichen Legitimation als Herrscher. Das war der Bevölkerung auch als solches bekannt.
Wenn also Matthäus und Lukas davon schreiben, dann rufen sie damit in die Welt: „Dieser Mann ist ein König!“ Das ist eine super politische Aussage, die die bestehenden Machtverhältnisse angreift!
Man denke nur an den Kindermord von Bethlehem: Der Machthaber Herodes fürchtet sich bereits so sehr vor einem kleinen Baby dass er in seiner Verzweiflung hunderte Neugeborene abschlachten lässt.
Nur das dieser Machtkampf so unerwartet anders abläuft: Der große König Jesus ist geboren – aber unter ärmsten Bedingungen. Warum? Weil Jesu Königreich eben nicht von dieser Welt ist und an ganz anderen Maßstäben gemessen wird.
Ähnlich wie in Lukas‘ Geburtserzählung den Hirten auf dem Feld in einer pompösen Erscheinung des gesamten himmlischen Engelchors die Geburt des Herrn, des Retters, des Messias angekündigt wird und das Zeichen hierfür ist (was für ein rießiger Gegensatz…) ein kleines Kind in einer Futtergrippe für Tiere…
Dieser absurd scheinende Anspruch Jesu der Umkehrung der Verhältnisse, der immer wieder betont wird – die Ersten werden die Letzten sein – wer groß sein will der diene – lässt sich bereits deutlich aus der Geburtsgeschichte herauslesen und die Story von der Jungfrauengeburt passt hier wunderbar dazu.
Ohne diese Perspektive sehe ich auch immer weniger eine Notwendigkeit für eine Jungfrauengeburt. Und kurz zu dem was Ina schreibt. Die Argumentationslinie mit der Erbsünde halte ich für zweifelhaft (und zutiefst patriarchal gedacht – von wegen die Sünde wird nur über den Mann übertragen! – Und die RKK führt das ganze dann noch ad absurdum mit der Lehre von der unbefleckten Empfängnis Mariem, so dass Jesus wirklich frei von jeder Erbsünde sein konnte – was m.E. in sich aber wieder völlig unschlüssig ist, denn entweder die Erbsünde wird nur über den Mann übertragen, dann ist Maria eh egal, oder sie wird auch über die Frau übertragen und dann hätte auch die vaterlose Maria sie von ihrer Mutter Anna bekommen haben müssen etc… – wer das besser versteht als ich möge mich gerne korrigieren)
Es erscheint mir sehr viel einleuchtender, dass Jesus eben einfach die Erbanlagen von dem Mix aus Josef und Maria erhalten hat (irgendein Gesicht braucht er ja ;-)), sein Geist aber Gott selbst war. (Da gebe ich dir, Jay, nämlich völlig recht – den Anspruch Jesus war ganzer Mensch sehe ich auch nicht wirklich erfüllt, wenn er keinen menschlichen Vater hat)
Übrigens – und da möchte ich J’s Argumentation eine Kleinigkeit entgegenhalten – kommt die Jungfrauengeburt zwar nicht mehr im NT vor, aber sie hat es interessanterweise ja doch in das, im 5. Jhdt. entstandene, Apostolische Glaubensbekenntnis geschafft. Denen war das wohl tatsächlich wichtig genug!
Inzwischen freue ich mich schon jedesmal wenn wir das im CT sprechen über diese Stelle, weil ich darin dann dieser politischen „Kampfansage“ meinen Ausdruck mitverleihen kann =)
Soweit mein Senf dazu 😛
LG
Der Dennis
Hi Dennis,
unabhängig von Deiner Deutung der Jungfrauengeburt hast Du da wohl etwas verwechselt:
„Erbsünde“ haben alle Menschen, das ist keine Frage von Übertragung irgendeines Geschlechtes. Es hat vor allem rein gar nichts mit dem Dogma Jungfrauengeburt zu tun.
Das andere Dogma der „unbefleckten Empfängnis“ ist davon unabhängig. Man könnte sogar sagen, dass es „ketzerisch“ ist, weil es gar nicht um Jesus geht, sondern einzig und allein um die Verehrung Marias als „Gottesmutter“. 😉
Erst hier kommt die „Erbsünde“ ins Spiel, aber nicht wegen Sexualität, denn Maria wurde ganz normal und natürlich von ihren Eltern gezeugt, sagt das Dogma. Maria ist nicht vaterlos.
Gott soll auf irgendeine wundersame Weise die „Erbsünde“ von Maria fern gehalten haben, sodass sie ohne Fegefeuer direkt in den Himmel gehen konnte.
Dogma 1 – Jungfrauengeburt/Empfängnis Jesu – biblisch – angekündigtes Zeichen im AT (kein Bezug zur Erbsünde!)
Dogma 2 – unbefleckte Empfängnis Marias – unbiblisch – Maria ist natürlich gezeugt und empfangen, trotzdem durch Gott frei von Erbsünde und wird selber quasi-göttlich (kein Bezug zu Jesus!)
Erst durch sexuelle Verklemmtheit und patriarchale Kultur wurde aus beiden Dogmen irgendwann im Laufe der europäischen Geschichte eine einzige Suppe mit sexistischer und sexualfeindlicher Tönung. Bis heute, wie man an den Diskussionen hier sieht.
Mir ging es nur darum, dass man vor lauter Kirchenkritik nicht Dinge kritisiert, die so gar nicht gemeint sind. 😉
LG, Ina
P.S.
Ich hatte mich oben bei Papst Benedikt vertan. Das war nicht Ratzinger, sondern ein Benedikt aus dem Mittelalter. 😀
Dass diese Dinge „gemeint“ sind, habe ich übrigens auch nicht geschrieben. Das spielt aber m. E. gar keine so große Rolle.
Wir können heute nicht immer rekonstruieren, wie bestimmte Dogmen / Lehrsätze „gemeint“ waren. Wir können aber etwas ganz anderes, viel wichtigeres tun: Wir können beurteilen, was sie angerichtet haben. Und daraus Konsequenzen ziehen.
Das wollte ich ja gerade sagen. Selbst WENN Jungfrauengeburt, unbefleckte Empfängnis etc. ursprünglich keine sexistische Intention verfolgt haben, bieten sie doch gewissermaßen das ideologische Gehäuse, in dem sich Sexismus und Patriarchat nachher sehr bequem zur Diskurshoheit aufschwingen können. Und wenn bestimmte Lehrsätze, Bilder etc. solche Einfallsstellen offen lassen – oder geradezu anbieten -, kann man ihnen das durchaus auch vorwerfen.
Wenn man sie aber gegen ihre spätere Verwendung „retten“ will, müsste man zumindest zeigen, was es im Gegenzug auch positives bringen kann, heute noch daran festzuhalten.
Daher meine – wirklich ganz ehrliche und nicht rhetorische – Frage: Kannst Du den beiden Lehren etwas abgewinnen und was wäre das?
Hallo Ina und Florian,
Weil es thematisch so schön passt, kopiere ich euch hier mal den aktuellen Blogeintrag von Bart Ehrmann hinein (kann es leider nicht verkinken, weil der Blog jostepflichtig ist und nur angemeldete user den kompletten Beitrag kesen können, deshalb hier per copy & paste). (Btw damit wäre wohl etabliert, dass sich Marienverehrung doch um einiges früher zu etablieren begann, als ich gedacht hätte – Mitte 2. Jhdt):
Was Jesus *Really* Born? The Proto-Gospel of James
In my last post I mentioned the Proto-Gospel of James in relation to a textual variant (in Luke) that indicates that Mary gave birth not *in* Bethlehem but *en route* there. That made me think it would be a good time to say something about what else is in this intriguing book. You can find my recent translation of it in the collection of non-canonical Gospels that I edited, translated, and introduced with my colleague Zlatko Plese, called The Other Gospels. Here is what I said about the Proto-Gospel many years ago now on the blog, with an excerpt from the translation of one of the most amazing sections, to whet your appetite.
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In my graduate course last week, we analyzed the Proto-Gospel of James (which scholars call the Protevangelium Jacobi — a Latin phrase that means “Proto-Gospel of James,” but sounds much cooler….). It is called the “proto” Gospel because it records events that (allegedly) took place before the accounts of the NT Gospels. Its overarching focus is on Mary, the mother of Jesus; it is interested in explaining who she was. Why was *she* the one who was chosen to bear the Son of God? What made her so special? How did she come into the world? What made her more holy than any other woman? Etc. These questions drive the narrative, and make it our earliest surviving instance of the adoration of Mary. On the legends found here was built an entire superstructure of Marian tradition. Most of the book deals with the question of how Mary was conceived (miraculously, but not virginally), what her early years were like (highly sanctified; her youth up to twelve (lived in the temple, fed every day by an angel), her betrothal to Joseph, an elderly widower with sons from a previous marriage, the discovery of her pregnancy and the “proof” that she (and Joseph) were both pure from any “sin” (such as, well, sex).
The book was originally composed in the second Christian century. There are a number of intriguing passages, none of which is more famous than the one I translate here (the original language is Greek). In this striking narrative, when Mary is about ready to give birth in a cave just outside of Bethlehem, Joseph runs off to find a midwife who can help. They arrive too late. The child appears without any human help or intervention (is the child really a newborn? Jesus appears to walk over to his mother to take her breast; and he performs a healing miracle!).
The midwife is astounded and is convinced that Mary has given birth as a virgin. She goes out and fetches a colleague of hers, Salome, and informs her of the miracle. Salome won’t believe it unless she gives Mary a postpartum ….
To see the rest of this post, you need to belong to the blog. If you don’t belong yet, what are you waiting for? Christmas? We did that already! Give yourself a treat. JOIN!!
Salome won’t believe it unless she gives Mary a postpartum inspection, to see if her hymen is still intact. (If it is, then in ancient thinking Mary not only conceived while still a virgin; since she remains intact, she is *still* a “virgin” – that is physically unaltered by anything involving sex or childbirth).
It’s an amazing passage, that everyone should know about. (The first bit is given in the first-person, with Joseph himself talking). Here it is:
19
(1) I saw a woman coming down from the hill country, and she said to me, “O man, where are you going?” I replied, “I am looking for a Hebrew midwife.” She asked me, “Are you from Israel?” I said to her, “Yes.” She asked, “Who is the one who has given birth in the cave?” I replied, “My betrothed.” She said to me, “Is she not your wife?” I said to her, “She is Mary, the one who was brought up in the Lord’s Temple, and I received the lot to take her as my wife. She is not, however, my wife, but she has conceived her child by the Holy Spirit.” The midwife said to him, “Can this be true?” Joseph replied to her, “Come and see.” And the midwife went with him.
(2) They stood at the entrance of the cave, and a bright cloud overshadowed it. The midwife said, “My soul has been magnified today, for my eyes have seen a miraculous sign: salvation has been born to Israel.” Right away the cloud began to depart from the cave, and a great light appeared within, so that their eyes could not bear it. Soon that light began to depart, until an infant could be seen. It came and took hold of the breast of Mary, its mother. The midwife cried out, “Today is a great day for me, for I have seen this new wonder.”
(3) The midwife went out of the cave and Salome met her. And she said to her, “Salome, Salome, I can describe a new wonder to you. A virgin has given birth, contrary to her natural condition.” Salome replied, “As the Lord my God lives, if I do not insert my finger and examine her condition, I will not believe that the virgin has given birth.”
20
(1) The midwife went in and said to Mary, “Brace yourself. For there is no small controversy concerning you.” Then Salome inserted her finger in order to examine her condition, and she cried out, “Woe to me for my sin and faithlessness. For I have put the living God to the test, and see, my hand is burning, falling away from me.” (2) She kneeled before the Master and said, “O God of my fathers, remember that I am a descendant of Abraham, Isaac, and Jacob. Do not make me an example to the sons of Israel, but deliver me over to the poor. For you know, O Master, that I have performed my services in your name and have received my wages from you.”
(3) And behold, an angel of the Lord appeared and said to her, “Salome, Salome, the Master of all has heard your prayer. Bring your hand to the child and lift him up; and you will find salvation and joy.” (4) Salome joyfully came and lifted the child, saying, “I will worship him, for he has been born as a great king to Israel.” Salome was immediately cured, and she went out of the cave justified. And behold a voice came saying, “Salome, Salome, do not report all the miraculous deeds you have seen until the child enters Jerusalem.”
Hallo Ina,
vielen Dank für die Aufklärung. Diese beiden Dogmen hab ich tatsächlich noch nicht voneinander unterschieden. Diese katholische Welt ist mir viel zu kompliziert xD
LG
Hallo Florian,
ich bin einfach nicht der Ansicht, dass es der alles entscheidende Maßstab sein kann, was eine Lehre – neben ihrem konkreten Inhalt – sonst noch alles angerichtet hat. Schmeißen wir die Idee der Sünde z.B. über Bord, weil jahrhundertelang Menschen mit einem moralistischen Verständnis von Sünde getriezt wurden? Missionieren/Evangelisieren wir nicht mehr, weil das in der Geschichte des Christentums auch Gewaltorgien zur Folge hatte und bei manchen Freikirchen heutzutage manipulativ eingesetzt wird?
Ja, die Jungfrauengeburt wurde zusammen mit dem Dogma der „unbefleckten Empfängnis“ und einem moralinsauren sexualisierten Sündenbegriff zur Idee, dass der weibliche Körper irgendwie „verschmutzt“ werden würde. Und das ist jetzt DER Grund, uns davon zu verabschieden? Ich will hier wahrlich nichts „restaurieren“ um der Tradition Willen (wie das Konservative tun), sondern ein Dogma wie die Jungfrauengeburt so weit es geht, „biblisch“ beurteilen, wie es z.B. Jay ganz oben gemacht hat.
(Jays Sicht könnte man übrigens eine andere – ebenfalls von der Bibel abgeleitete – Sicht entgegenstellen: Markus hat keine Jungfrauengeburt, weil seine ganze Theologie darauf aufbaut, äußeren Zeichen zu misstrauen. Deshalb mahnt der markinische Jesus immer, seine Heilungen und Wunder nicht herumzuerzählen, und daher gab es im Urtext des Markus keine Ostergeschichten vom Auferstandenen. Die Theologen nennen das die „Geheimnistheorie“ von Markus. Wen es interessiert:
http://www.bibelwissenschaft.de/bibelkunde/neues-testament/evangelien/markus/ )
Ganz konkret, weil Du gefragt hast:
Von der „unbefleckten Empfängnis“ halte ich nichts, weil es überhaupt keinen Anhaltspunkt in der Bibel dafür gibt und weil ich die Verehrung Marias ablehne (wir sollen keine anderen Götter haben). Ist ja auch gar kein evangelisches Dogma, kann man also genauso behandelt wie die angebliche Unfehlbarkeit des Papstes: menschengemacht, kann weg. 😉
Bei der Jungfrauengeburt eiere ich herum. Früher habe ich nicht an sie geglaubt mit der Begründung, dass man das als intellektuell redlicher Mensch „heutzutage“ als Mythos ablehnen muss. Ich stamme aus einer der liberalsten Landeskirchen Deutschlands, habe also aufgrund meiner Prägung im Glauben einen anderen Blick auf manche Dinge als die meisten Hossa-Hörer/innen. Dass die Jungfrauengeburt eine Legende sei, ist für mich seit Jahrzehnten das Normalste der Welt, weil wir Progressiven ja so „modern“ sind.
Ich glaube an die Auferstehung und muss konsequenterweise zumindest zugeben, dass Gott, wenn er Gott ist, auch eine Jungfrauengeburt hinkriegt. Andererseits gebe ich Jay recht, dass die Auferstehung einen ganz anderen Stellenwert hat: sie ist der Grund und das Zentrum des NT.
Also, ich rede mich mal damit heraus, dass die Jungfrauengeburt nicht heilsentscheident ist. 😀
Übrigens habe ich u.a. deshalb Hemmungen, die Jungfrauengeburt komplett zu verwerfen, weil die Evangelisten sich ja auf eine AT-Prophezeiung beziehen (das Argument, dass im AT „junge Frau“ und nicht „Jungfrau“ steht, ist nicht unumstritten, kann also nicht als ultimative Begründung herhalten.).
Laut Luther wird Jesus außerdem zusätzlich bereits angekündigt, nachdem Adam und Eva aus dem Paradies geflogen sind, und zwar als Jungfrauengeburt:
„Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir (Schlange) und der Frau und zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.“ (1. Mose 3,15) Same der Frau? Gibt’s nicht in der Vorstellungswelt des AT. Muss also ein vaterloser Nachkomme gemeint sein, so Luther.
Kann man hermeneutisch alles dekonstruieren, ist schon klar. Ich bin mir lediglich nicht sicher, ob wir das mit allergrößter Selbstgewissheit tun sollten. „Modernität“ ist kein Argument, meine ich. Das unsägliche Dogma der „unbefleckten Empfämgnis“ war um 1000 n. Chr. auch modern, weil Scholastik „in“ war und man Glaubensvorstellungen (Marienverehrung, Glaube an Fegefeuer für alle Menschen) plausibel machen wollte, die man von außen in die Bibel eingetragen hat…
Ich bin mit den ganzen kritischen Theologien großgeworden (feministische, black und Befreiungstheologie, Entmythologisierungsansatz u.a.), habe davon viel mitgenommen, bin aber inzwischen zu der schlichten Auffassung gelangt, dass ich keine Ahnung habe, wie tief die Bibel womöglich trotz unserer heutigen Lesarten ist. Bei vielen Dingen weiß ich schlicht und ergreifend nicht, was denn nun „stimmt“.
Das ist so ähnlich, wie wenn Gofi sagt, er will mit dem Wirken Gottes rechnen und Raum dafür freihalten. Ich will die Göttlichkeit Gottes ernst nehmen, und das bedeutet, nicht alles wissen zu können.
Ich hoffe, ich konnte mich verständlich machen… Falls nicht, frag gerne nach.
Liebe Grüße, Ina
P.S. @Jay
Interessant, dieses „Evangelium“. Wundert mich nicht, dass es unter „Apokryphen des NT“ gelandet ist. Es dreht sich ja alles um die Verehrung Marias!
P.P.S.
Dank Deines ersten Kommentars, Florian, bin ich auf die altkatholische Kirche gestoßen, die ebenfalls die „unbefleckte Empfängnis“ (und den Papst) ablehnt. (Außerdem ordinieren sie Frauen, segnen homosexuelle Paare, geben Protestanten Hostie und Wein und sind synodal organisiert, d.h. der Bischof wird gewählt.)
Ich habe mit denen schon beim Weltfrauengebetstag zusammen gebetet und es nicht geschnallt, dass das eine eigene Konfession ist, die sich 200 Jahre nach uns Protestanten von Rom abgespalten hat. Bei mir um die Ecke gibt es eine Gemeinde, wo ich demnächst mal zur Eucharistiefeier hingehen werde, denn das interssiert mich jetzt.
http://www.alt-katholisch.de/information/alt-katholisch-alt-katholisch.html
Bezug zu diesem Podcast: Vielleicht werde ich ALT-katholisch! 😀
Gut, ich präzisiere noch weiter.
Ich sage nicht, dass Konsequenzen der einzige Maßstab sein müssen, um Theologie zu beurteilen. Aber sie sind immerhin EIN Maßstab und kein unwichtiger. Auch wenn es weitere geben mag.
Innerhalb dieses Kriteriums muss man positive und negative Konsequenzen gegeneinander abwägen. Im Fall der Jungfrauengeburt habe ich immer noch keine wichtige positive Konsequenz gehört. Dagegen fallen die Probleme dann halt schon ins Gewicht.
Im Fall „Sünde“, den Du ansprichst, liegt das etwas anders. Ich halte den Begriff für ziemlich unscharf, weil er letztlich sehr viel Verschiedenes bezeichnet. Aber er hat auch ein Bedeutungsspektrum, über das man einen gewissen Konsens herstellen kann, sogar über den christlichen Glauben hinaus: Nämlich dass im menschlichen (Zusammen-)Leben Dinge regelmäßig und u. U. im großen Maßstab schief laufen und wir diesem Schief-Laufen ein Stückweit hilflos ausgesetzt sind. Das anzuerkennen bedeutet ein realistisches, aber gleichzeitig anspruchsvolles Menschenbild zu entwerfen und es ermöglicht zugleich, moralische Ansprüche an Einzelne und an die Gesellschaft zu stellen.
Da hätte ich also ein Bedeutungsspektrum, an dem ich – gegen seinen „Missbrauch“ – sinnvollerweise festhalten kann, unabhängig davon, ob ich den Begriff weiter ausdehnen will.
Christ*innen haben immer wieder das Gefühl, dass wir Lehre XY endgültig festhalten müssen („Sünde“, „Auferstehung“, …), weil sonst der Glaube irgendwie nicht mehr funktioniert. Das Muster wäre: Ich WILL xyz glauben können und dafür glaube ich dann eben Glaubenssätze abcd. Ich kann das nicht mehr. Wenn a, b, c und / oder d mich nicht mehr überzeugen, muss ich sie auf den Prüfstand stellen. Ich kann mich da nicht einfach „fallen lassen“, wie das so schön beschrieben wurde. Da bin ich vielleicht nicht katholisch genug…
Du argumentierst hier auf zwei verschiedenen Ebenen und vermischst sie leider.
Einerseits scheinst Du aus einer christlichen Szene zu kommen, in der autoritär Dogmen nach dem Prinzip „friss oder stirb“ durchgedrückt wurden, und nun rebellierst Du verständlicherweise dagegen. Wenn Du also die Jungfrauengeburt nicht überzeugend findest, musst Du halt einen anderen Umgang damit finden. Ist legitim, hab ich kein Problem damit.
Andererseits legst Du jedoch noch einen weiteren Maßstab neben dem Kriterium „überzeugend“ an und scheinst beide in eins zu setzen: Nützlichkeit.
Du hattest weiter oben ja gefragt, was ich der Jungfrauengeburt abgewinnen kann. Ich habe darauf nicht direkt geantwortet, weil ich die Frage für falsch halte… Jetzt wolltest du nochmal „positive Konsequenzen“ von mir wissen. Warum eigentlich? ICH habe ursprünglich nur darauf aufmerksam gemacht, dass es zwei Dogmen gibt und mir manche Diskussionen wie ein Strohmann-Argument (Sexualfeindlichkeit) erscheinen. Dann hatte ich Dir auf Nachfrage erklärt, warum ich persönlich die Idee der Jungfrauengeburt nicht komplett über Bord werfe. Nicht mehr und nicht weniger. Wenn Du wissen willst, warum die Jungfrauengeburt für manche Christen total zentral ist, dann musst Du die fragen, nicht mich. 😉
Ich antworte Dir jetzt aber nochmal, weil ich Deine Idee über den Gewinn, den Glaubensaussagen haben sollen, nicht teile.
„Sünde“ ist demnach für Dich deshalb nach wie vor nützlich, weil sie ein Menschenbild ermöglicht, mit dem man „moralische Ansprüche an Einzelne und an die Gesellschaft “ stellen kann? Nö, das können auch atheistische Humanisten ganz ohne Sünde.
Der Witz des gesamten NT ist doch gerade, dass moralische Ansprüche immer wieder und auch bei Christen versagen! Du überträgst die Gesetzlichkeit, die Du vermutlich in Deiner Ex-Gemeinde erlebt hast, auf die Gesellschaft und v.a. das Evangelium (=GUTE Nachricht).
Die neutestamentliche Rede von der Sünde richtet den Blick weg vom Gesetz und hin zur Gnade, aus der Christen leben können, gerade weil sie immer auch Sünder bleiben (das ist jetzt eher lutherisch gedacht und fällt bei vielen „evangelikalen“ Gruppen unter den Tisch, weil die „Heiligung“ zackzack nach dem Übergabegebet sichtbar erfolgen muss…)
„Heil“ hat nicht viel mit „Nützlichkeit“ zu tun .
„Christ*innen haben immer wieder das Gefühl, dass wir Lehre XY endgültig festhalten müssen (“Sünde”, “Auferstehung”, …), weil sonst der Glaube irgendwie nicht mehr funktioniert. Das Muster wäre: Ich WILL xyz glauben können und dafür glaube ich dann eben Glaubenssätze abcd. Ich kann das nicht mehr.“
Nicht Christ*innen generell, sondern eine bestimmte („evangelikale“) christliche Subkultur.
Dass Du Dich aus dieser Gesetzlichkeit befreien willst, verstehe ich, das ist gut so (Gesetzlichkeit tötet, sagt schon Paulus). Das bedeutet im Umkehrschluss jedoch nicht, dass es keine zentralen Glaubensinhalte gäbe, die die Grenze christlichen Glaubens markieren. (Womöglich wollstest Du das aber auch gar nicht sagen.) Die Jungfrauengeburt gehört m.E. nicht unbedingt dazu, aber ohne Auferstehung kannst Du das komplette Christentum tatsächlich wegschmeißen. Dogmatik hat also durchaus ihre Berechtigung und ist nicht umsonst ein eigenes Fach für angehende Theologen.
„Ich sage nicht, dass Konsequenzen der einzige Maßstab sein müssen, um Theologie zu beurteilen. Aber sie sind immerhin EIN Maßstab und kein unwichtiger. Auch wenn es weitere geben mag.
Innerhalb dieses Kriteriums muss man positive und negative Konsequenzen gegeneinander abwägen.“
Ich probier’s nochmal anders… Du hast eine sehr spezielle Vorstellung von Theologie…
Theologie ist ein Hinterher-Denken entlang der Spuren, die Gott dagelassen hat, wie es die Bibel bezeugt. Man kann als Theologe die Jungfrauengeburt anders auffassen als in den letzten 2000 Jahren, aber nicht aus der Bibel streichen. Das machen noch nicht mal ultra-liberale Theologen. Konkrete Bibelstellen zur Jungfrauengeburt kann man interpretieren und in einen biblischen Kontext stellen, wie auch Jay das getan hat.
Was Du hier ansprichst, ist die total wichtige Frage, was Dogmatik leisten kann und muss und was sie gegebenenfalls nicht tun darf. Wann wird Dogmatik unethisch?
Aber auch: Was ist biblisch begründete Ethik? Dazu brauchen wir wiederum Dogmatik. Das geht nur Hand in Hand.
My five cents.
Für die Ehrenrettung der Jungfrauengeburt über meinen persönlichen Umgang damit hinaus bin ich die falsche Ansprechpartnerin. 🙂
Liebe Ina,
leider gelingt es mir anscheinend, je mehr ich erkläre, umso weniger, mich Dir verständlich zu machen.
Ich würde sagen, wir lassen es dabei, OK?
Beste Grüße!
Hey Dennis, vielen lieben Dank für Dein Feed-Back!
Ich hatte es schon bereut, mich bei diesem Thema überhaupt eingemischt zu haben…
Deine Überlegungen zu den Weihnachtsgeschichten fand ich übrigens gut (ist leider total untergegangen…).
Wen es interessiert (und wer wie ich entweder nicht bei Facebook ist oder da nie nachschaut), dort gab es anhand von Jays Interpretation der Jungfrauengeburt eine kleine und (wie ich finde) interessante Diskussion über die möglichen theologischen Auslegungen:
https://www.facebook.com/403598783124944/posts/1021420128009470
Liebe Grüße, Ina
Hab die Folge letzte Nacht noch mal gehört und mit Abstand lassen sich die Argumente viel besser nachvollziehen.
Warum macht ihr nicht mal ne Folge über Mystik.die Franziskaner und Richard Rohr?
Und zum Thema Evangelisation: Worthaus wirkt auch bei Nichtchristen, wie man bei den Rückmeldungen von Siggi Zimmer sieht. Auch ein interessanter Weg für das postmoderne 21. Jahrhundert. Muss also nicht immer turn or burn sein(kleiner Scherz ;-))