#93 Der Jesus-Dschihad

23 Kommentare zu „#93 Der Jesus-Dschihad“

  1. Fand den Talk nicht so spannend, weil er voll von bereits bekannten ideologisch-motiviertem Wunschdenken und seltsamer Gleichmacherei ist. Es wird suggeriert, Christentum und Islam würden heute gleichermaßen gewalttätig seien. Ein unverstellter Blick in die Nachrichten an jedem beliebigen Tag zeigt ganz klar, dass HEUTzutage eindeutig mehr Gewalt vom Islam als vom Christentum ausgeht. Hier eine kleine Übersicht der Anschläge der letzten Jahre. Hinter jeder dieser Opferzahlen stehen ganz konkrete Menschenleben… https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_Islamist_terrorist_attacks
    Von all den grausamen täglichen Unterdrückungen und Verfolgungen Andersdenkender, moderater Muslime und Nicht-Muslimen in streng-islamischen Ländern wie Saudi-Arabien, Pakistan, Iran, Marokko, Algerien, Indonesien etc. ganz zu schweigen!
    Obwohl ich ein Verfechter davon bin, Probleme auch aus historischer Sicht zu betrachten, ist es nicht hilfreich, eine pseudo-Parität von Gewalt herstellen zu wollen, indem man jahrhundertealte Konflikte (zB Kreuzzüge) aufwärmt, die zudem auch noch einseitig dargestellt werden (das gängige Narrativ, dass die Muslime in den Kreuzzügen nur arme unschuldige Opfer von blutrünstigen Christen waren, darf gerne mal hinterfragt werden). Dem ersten Kreuzzug 1095 gingen konkrete muslimische Eroberungen und Aggressionen voraus (z.B. Hinderung christlicher Pilger, Jerusalem zu betreten), alle anderen Kreuzzüge waren das übliche Spiel von Gewalt Gegengewalt. Dass sich dabei der Islam in den ersten Jahrhunderten fast ausschließlich durch gewaltsame Eroberungen verbreitet hat, wird auch gerne unterschlagen.

    Die Verweise auf die Irakkriege als Beispiele heutiger christlicher Gewalt sind eher so lala. Auch wenn der rhetorische Kampfbegriff Kreuzzug von George W. Bush einmal in den Mund genommen wurde, waren die Kreuzzüge in erster Linie nicht religiös motiviert, sondern politisch-wirtschaftlich. Es ging nicht darum, das Land christlicher zu machen, den Islam zu schwächen oder ein weltweites Kalifat zu errichten. Aber gut, von mir aus lass ich das Argument gelten. Letztendlich geht es aber doch um den Entwicklungsstand der Religion und die Denkvoraussetzungen vieler Gläubiger. Und da sehe ich leider ein sehr viel größeres Gewaltpotential bei Muslimen, die sich unverfroren auf gewaltätige Passagen im Koran berufen, während die gewalttätigen Passagen der Bibel kaum noch eine Auswirkung auf irgendeinen Christen haben. Wenn doch, dann nenne man mir ganz konkrete Beispiele aus den letzten fünf Jahren!

    1. Hahaha, also ich fand den Kommentar jetzt nicht so spannend, weil er von bereits bekannten ideologischen Wunschdenken motiviert ist…
      Immer nur das Märchen vom bösem Islam und vom friedlichen Christentum hochzuhalten, wird nicht helfen,die Gewalt (auf welcher Seite auch immer zu beenden). Ich finde Dave erzählt in dem Talk von vielversprechenderen Ansätzen.
      LG,
      Der Jay

      1. gut gekontert, Jay 😉
        Es ist gut und wichtig, lösungsorientierte Ansätze zu entwickeln, um die Gewalt in allen Religionen zu beenden. Dazu gehört jedoch eine nüchterne Diagnose des derzeitigen Zustands und der, dabei bleibe ich, zeigt doch recht eindeutig, wo Reformbedarf besteht. Wie sich gewalttätige islamistische Strömungen, Terrorismus, Radikalisierungsprozesse, autoritäre islamische Systeme stoppen bzw. eindämmen lassen, steht wieder auf einem ganz anderen Blatt – da bedarf es einer Vielzahl verschiedener Ansätze (Bildung, Dialog, Diplomatie etc.). Welche Ansätze nennt Dave denn konkret, wie religiös-motivierte Gewalt gestoppt werden kann? Ich habe da nicht so viel raushören können. Seine Gemeindepraxis finde ich cool, aber das hat ja nichts mit dem Thema zu tun.
        Ob der „böse Islam“ (präziser: in einigen Ausprägungen gewalttätig auftretende Islam) ein „Märchen“ ist, wie du sagst, da braucht man nur die Millionen Menschen fragen, die ganz konkret in ihrem Leben unter einigen seiner Auswüchsen leiden (z.B. Christen in Nordnigeria, Opfer des islamischen Staats, Malala aus Pakistan).

        1. Na ja, wenn ein Georg W. Bush sagt, er habe den Irak-Krieg geführt, weil ihm Gott das gesagt habe, ist hier eben auch eine christlich motivierte Begründung geliefert worden. Den Opfern ist natürlich egal, welche Gott ihr Ende beschlossen hat…

          Ich verstehe den christlichen Reflex einfach nicht, den ich auch aus deinem Kommentar herausgelesen habe, auf den anderen zu zeigen, sich selbst als friedlich zu gebärden, während der andere Gott der gewalttätige sei. Da fand ich Daves Ansatz hilfreicher, aktiv mit den Muslimen, die eine friedliche Lesart des Islam vertreten, daran zu arbeiten, dass ihre Lesart gefördert wird und sich durchsetzt.

          Und dass zurzeit Gewaltlosigkeit im Christentum eher eine Mehrheit hat, liegt mE eher an anderen Sachen (Wohlstand, Aufklärung, Säkularisierungsdruck etc), als an der Bergpredigt. Sonst wären die letzten 2000 Jahre Christentum nicht so blutig gewesen.

          LG
          Der Jay

    2. Hallo lieber Thomas, nicht aus den letzten fünf, aber immerhin 10 Jahren: Pat Robertson (700Club, rief dazu auf, Hugo Chavez per Sniper zu erledigen), Marc Driscoll (der sagte, einen Jesus, den er problemlos zusammenschlagen könne, könne er nicht anbeten), Jerry Falwell Jr. (Präseident der Liberty University, der seine Studenten dazu aufforderte, Waffen zu tragen, um sich gegen Muslime verteidigen zu können), Henry Orombi (Erzbischof der Anglikanischen Kirche in Uganda, der sich für die Todesstrafe für Schwule einsetzte, ich habe mit ihm zusammen in Kapstadt Abendmahl gefeiert; nicht zu vergessen sein Nachfolger und außerdem der Minister für Ethik und Anstand, ein ehemaliger Priester). Vielleicht könte man noch die Russisch-Orthodoxe Kirche im Fall von Pussy Riot erwähnen, die Serbisch-Orthodoxe Kirche im Falle des Balkan-Konfliktes … Das sind Beispiele off the top of my head. Es gibt sicher noch mehr und noch bessere.

      1. Danke dir Gofi fürs Teilen dieser Auflistung. Einige waren mir gar nicht bewusst!

        Ein letzter Gedanke noch, dann gebe ich auch Ruh: Auch wenn ich jede einzelne Äußerung/Taten deiner Liste scharf verurteile, würde ich dennoch sagen, dass die aktuellen Entwicklungen in einigen islamischen Gesellschaften und Gruppierungen mir doch weitaus mehr Sorgen machen und sie auch weitaus größeren und oftmals tödlichen Schaden anrichten. Ich glaube worauf ich insgesamt hinauswill, ist, dass es mir sinnvoller erscheint, sich – um es mal etwas plump in Zahlen/Schätzungen auszudrücken, dafür einzusetzen, den 80%-Anteil der „Gewaltquelle“ zu zu verringern, statt sich mit den restlichen 20% zu beschäftigen…

        Wobei, ganz sicher bin ich mir da auch nicht, denn – da muss ich Dave rechtgeben – ich finde es seltsam und unangebracht, den Muslimen zu sagen, was sie zu ändern haben – das muss von ihnen selber, von innen kommen. Wir können uns nur um unseren Teil kümmern.
        Vielleicht ist es mir auch sauer aufgestoßen, dass eine Art 50-50-Verhältnis der aktuell religiös-motivierten Gewalt suggeriert wird, was aber aufgrund der vielfältigen islamisch-motivierten Aggressionen allein der letzten 20 Jahre einfach (völlig) unverhältnismäßig erscheint.

        1. Gerne, drehen wir der 80%-Gewaltquelle mal den Hahn zu.

          Diesen Quellen sind – ratet mal – Armut. Korruption. Mangelnde Bildung. Folgen des Imperialismus. Perspektivlosigkeit und ökonomische Benachteiligung. Es ist immer das gleiche Spiel.

    3. Das wirft jetzt bei mir doch ein paar Fragen auf, Thomas (inwiefern gibt es denn in ganz Indonesien „grausame Unterdrückung Andersdenkender“? – das nur am Rande)

      Wenn wir das Thema schon politisch aufziehen, muss da auch der Perspektivwechsel rein. Die allermeisten Muslime halten Gewalt von Islamisten für einen un-islamischen Irrweg, Muslime sind ja selbst in den allermeisten Fällen die Opfer. „Islamisch“ sind die Terroristen aus westlich-säkularer Sicht. Muslime dagegen können sagen: Nein, die sind genauso wenig islamisch wie der Papst. Damit haben sie nicht automatisch recht. Wir aber auch nicht.

      Drehen wir den Spieß mal um. Islamische Länder interpretieren die Aktionen des Westens häufig als Aktionen „der Christen“. Da spielt eine religiös begründete Irak-Invasion von G W Bush halt doch eine ziemlich Rolle (v. a. wenn wir mal an die hunderttausende (!!!!!!!!) zivilen Opfer denken). Da würden Christen im Westen sagen: not in my name.

      Selbst, wenn „das Christentum“ oder „der Islam“ homogene Blöcke wären (was sie natürlich nicht sind) – wer legt denn jetzt fest, wer was ist und was wem zuzurechnen ist? Der Block selbst? Oder der andere Block?

      Ich will nicht sagen, dass es darauf gar keine Antworten gibt, aber es ist ganz offensichtlich nicht so einfach, wie Du es hier darstellst. Das ist nicht „so lala“, das ist einfach ein Stück sehr komplizierte politische Wirklichkeit.

      Vor allem stört mich die Gegenüberstellung „wir im Westen“ vs. „die Muslime (im Osten)“ – in Deutschland allein leben 4 Millionen Muslime, davon sind 1 Million dt. Staatsbürger. Die sind auch „wir“. Sind die jetzt Träger des Problems? Ich meine, nein. Die wenigen Muslime, die ich selbst etwas besser persönlich kenne, sind – Überraschung! – völlig normale Leute mit völlig normalen Sorgen und Wünschen.

  2. Aber ist sie wirklich islamisch motiviert oder stecken da ganz andere Faktoren dahinter? Du schließt damit ja alle friedlichen steuerzahlenden mit aus. Soll nan alle jungen, frustrierten Männer in den USa wegsperren, nur weil der Anteil der Amikläufer in dieser Gruppe besonders groß ist? Mit Ausgrenzung wurde ib den letzten Jahrzehnten schon genug gearbeitet und es hat nichts gebracht. Dann lass uns doch mal dwn liebe und verständnisvollen Weg gehen..

    1. Nun ja, wenn jemand „Alluha Akbar“ ruft und danach
      – in eine Menschenmenge eines Konzerts schießt,
      – sich an einem öffentlichen Ort die Luft sprengt,
      – die Redaktion eines Satiremagazins zusammenschießt
      – ein Flugzeug in einen Turm fliegt
      – einen Menschen aufgrund irgend einer fehlenden religiösen Zugehörigkeit köpft/anzündet/ steinigt (siehe z.B. Islam, aber auch staatlich verordnete Justiz oder Lynchjustiz in einigen islamischen Theokratien/Republiken) etc.
      – etc.
      dann kann man davon ausgehen, dass religiöse Motive eine entscheidende Rolle spielen. Natürlich kann man das übliche Erklärungsmuster, es würde den Menschen nur um Macht, vielleicht auch Geld, gehen, anwenden, aber damit man sich es zu einfach. Welche Macht hat denn jemand, wenn er im Namen seines Gottes ein Selbstmordattentat begeht? Er persönlich erstmal keine, außer vielleicht ein Lohn im Paradies – aber selbst dieser Gedanke ist eindeutig religiös motiviert.

      Von Wegsperren und Ausgrenzen habe ich nie gesprochen. Ich habe Lösungsansätze wie Bildung, Dialog etc. angesprochen (s.o.). Die Existenz von Millionen friedlich steuerzahlenden Muslimen habe ich nie geleugnet, ich habe immer differenziert von Ausprägungen und Extremisten gesprochen. Bitte keine Strohmannargumente benutzen, das ist ungenau.

    1. Vielen Dank für diesen versöhnlichen Ansatz. Ich leide wie ein Muslim unter den Kriegen der USA. Leider machen viele Natopartner da mit. Es wäre m.E. gut, wenn viele Menschen für eine friedlichere Welt vor der Ramstein Air Base sich versammeln. Findet statt am 28.6. – 30.6.18 („Stop Ramstein“).
      Wenn über Ramstein AirBase die Drohnenschüsse laufen, ist das so, als würde ich einem Massenmörder gestatten von meiner Wohnung aus die Leute auf der Straße abzuknallen. Deutschland ist mitschuldig an Ramstein und den Todesopfern, die da produziert werden.

  3. Interessante Folge.
    Könntet ihr auch mal einen Muslimin oder einen Muslim zum Thema religiöse Gewalt und den Versuch friedlichen Miteinanderlebens einladen?

    Eine sehr beeindruckende Persönlichkeit zum Beispiel der Orientalist und Schriftsteller Navid Kermani, der Ungläubiges Staunen“ über das Christentum und „Gott ist schön“ über die eigene Religion geschrieben hat.

    Sehr zu empfehlen ist seine Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreis des Deutschen Buchhandels:
    https://www.youtube.com/watch?v=5_JAGn74-do

    Er tut das was ihr immer wieder fordert, nämlich das Mitglieder einer Religion auch diese auch selbstkritisch betrachten und das man gleichzeitig ein freundschaftliches Verhältnis zu anderen Religionen haben kann. Auf der anderen Seite übt er auch Kritik an der westlichen Politik.

    Wahrscheinlich ist er nur so bekannt, das schwer an in ran zukommen ist. Aber man kann es ja immer Versuchen (http://www.navidkermani.de/view.php?nid=18). Eine Muslimin oder ein Muslim wäre aber auf jeden Fall mal cool.

    1. Yep. Navid Kermani wäre der Ritterschlag…!
      Aber das traue ich mich gar nicht zu versuchen, so bekannt wie der ist.
      Wenn Du ansonsten einen einen interessanten Muslim/ Muslima kennst – immer her damit 🙂
      LG,
      der Jay

      1. Das mit der Simultanübersetzung habt ihr sehr gut hinbekommen, Gofi und Jay. Dickes Lob und danke für eure Mühen!
        Was Dave Andrews sagte, war hoch interessant. Da seine Berichte aber allesamt nicht von hier stammten, wehte ein wenig der Hauch des „Exoten am anderen Ende der Welt“ mit, der wenig bis keinen Bezug zur Situation in Deutschland herstellen konnte. Kein Vorwurf meinerseits. Vielleicht war einfach meine Erwartung eine andere gewesen.

        Ein paar Gedanken, die mir beim Zuhören kamen.
        In meinem Umfeld kenne ich niemanden, der einen Menschen ablehnen würde, nur weil er sich dem Islam zugehörig fühlt oder sich als Moslem bekennt. Ich lebe seit meiner Kindheit mit Muslimen zusammen. Sie sind Teil meiner Stadt. Ein Austausch über Weltanschauungen, Religionen, Lebensmodelle und Glaubenssätze ist aber nur mit Personen möglich, die ihren Glauben reflektieren können, die sich nicht in engstirnigen, fundamentalistischen Systemen beheimatet sehen, die sich öffnen können und die anderen nicht ihre Überzeugungen aufdrängen wollen. Solche Menschen treffe ich leider viel zu selten. Auf genau dieser Ebene findet wohl auch der akademische Austausch statt, von dem einige Theologen ins Schwärmen geraten, wenn sie berichten, was sie von anderen Religionen gelernt hätten. Auf dieser Ebene ist es möglich über Begriffe und ihre Deutungsmöglichkeiten zu reden. Und wenn es dann heißt, Dschihad meine im Prinzip dasselbe wie 1.Timotheus 6,11-12 („Kämpfe den guten Kampf des Glaubens“), dann überrascht mich das nicht sehr. Bis zur Entstehung des Korans hatte das Christentum bereits über 500 Jahre Wirkgeschichte hinter sich und ganz offensichtlich sind Spuren dieser Geschichte auch im Islam zu finden. Auf dieser Ebene gibt es also die allerwenigsten Probleme im Miteinander. Man hört sich zu, fragt nach und lernt das Gute zu behalten und das Schlechte zu verwerfen.

        Wir haben es in Deutschland aber nicht mit „dem Islam“, sondern mit allen möglichen Strömungen „des Islams“ zu tun. Die lautesten Vertreter sind die Vertreter des politischen Islams. Wir müssen also lernen zu differenzieren. Muslim ist nicht gleich Muslim, genauso wenig wie Christ gleich Christ ist. Fremdbezeichnungen kann man sowieso vergessen.
        Da sind z.B. die vom türkischen Nationalismus getriebenen und vom türkischen Staat finanzierten Moscheevereine der DITIB, der türkischen Religionsbehörde. In meiner Heimat sind sie sehr stark vertreten. Gut die Hälfte von über 20 Moscheen in meiner Stadt gehören zur DITIB, 2 gehören zu Millî Görüş. Dort leben die Besucher weitgehend in ihrer türkisch-nationalistisch-konservativ-islamischen Parallelwelt. Ginge es den (übrigens nicht der deutschen Sprache kundigen) Imamen dort um Verständigung, um Spiritualität und Frieden, sie würden sich vermutlich anders verhalten. Ihr Reich bleibt eine „Black-Box“ für den interessierten Mitbürger.
        Dann gibt es die unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes stehende Salafistenszene mit den sogenannten „Hass-Predigern“, den „Lies“-Ständen und ihren leitenden deutschen Konvertiten. – Eine Begegnung zwischen Dave Andrews und Pierre Vogel wäre sicherlich höchst interessant. Ich fürchte nur, das Ergebnis wäre auch nicht das, was man gelungene Verständigung zwischen Christen und Muslimen nennen könnte.
        In Deutschland leben auch liberale Muslime, die wiederum teilweise wegen Todesdrohungen aus der Salafistenszene unter Polizeischutz stehen, so wie z.B. Prof. Mouhanad Khorchide oder Seyran Ates. Gespräche mit solchen Leuten sind kein Problem im Sinne des Talks.
        Und seit 2 Jahren gibt es zehntausende Analphabeten, die einen fanatischen Islam aus ihrer Heimat (Afghanistan oder Sudan) mitgebracht haben und/oder davor geflohen sind. Menschen also, die entsetzliche Auswüchse erlebt haben und selbst kaum differenzieren können woraus ihr Glaube eigentlich besteht. Ist es Tradition, Indoktrination, Angst oder doch die friedvolle Spiritualität im Sinne des in diesem Hossa-Talk vorgestellten Islam? Nicht zu vergessen der in Israels Nachbarländern ausgeprägte Antisemitismus, welcher seit ein paar Jahren gleich mit einwandert und von Deutschen erst langsam wahrgenommen wird. Hitler ist nicht nur für Nazis ein Held gewesen.
        Schließlich das Problem, dass die meisten der vom Islam geprägten Kulturen keine Trennung zwischen Familie, Religion, Gesellschaft und Staat kennen. Diese Menschen sind vollkommen überfordert darin, sich in unserer pluralistisch-demokratischen Gesellschaftsordnung zurechtzufinden. Patriachat macht üblicherweise sehr klare Ansagen, kennt nur Schwarz und Weiß, Befehl und Gehorsam. Ist ein so geprägter Islam mit dem Grundgesetz kompatibel?
        Wie schaffen wir es also in Deutschland in dem größer gewordenen Religions- und Kultur-Mix friedlich miteinander zu leben?

        Im letzten Jahr konnte ich einen Vortrag von Yassir Eric erleben. Das war sehr praktisch orientiert und ein echt hilfreicher Augenöffner. Er zeigte aus seiner Perspektive „den Islam“ und half dabei, dieses Wort und seine vielfache Bedeutung auseinander zu dröseln. Er sprach über Dinge, die teils unüberwindbare Hürden sind in der Kommunikation und im Umgang mit Muslimen aus Afrika und dem Nahen Osten, wenn man sich als Europäer dessen nicht bewusst ist. Ich bin davon überzeugt, wir sollten häufiger Menschen befragen, die direkt aus dem Kulturkreis des „herrschenden Islams“ stammen und ihnen genau zuhören, um die vollkommen andere Denkweise der islamisch geprägten Menschen zumindest ansatzweise verstehen zu lernen. Das kann kein christlich geprägter Europäer oder Australier so vermitteln wie jemand, der einst selbst Teil des Systems war. Wer Yassir Eric nicht kennen sollte (ich nenne ihn „Gerald Asamoahs Bruder“, weil er eine ähnlich ansteckend positive Ausstrahlung hat), dem sei dieser kurze Clip aus der ARD-Mediathek über ihn und seine Arbeit nahegelegt.
        http://www.ardmediathek.de/tv/STATIONEN/Vom-Islamisten-zum-Br%C3%BCckenbauer/BR-Fernsehen/Video?bcastId=14913478&documentId=50222490
        Wäre auch ein interessanter Talk-Gast.

        1. Vielen Dank für diese sehr differenzierten Ausführungen, die sowohl diverse Hintergründe als auch konkrete Akteure diverser Strömungen berücksichtigen. Danke auch für den Hinweis auf Yassir Eric, den ich vorher noch nicht kannte, dessen Kurzportrait mich aber bereits beeindruckt hat! In der Tat ein interessanter Gast, gerade mit seiner Vorgeschichte!

        2. Vielen Dank, Ralf, Du hast die Komplexität des Themas echt super auf den Punkt gebracht! Mir sind ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen in den letzten Tagen.

          Mir persönlich sind an Daves konkreter Argumentationsweise ein paar Dinge noch aufgestoßen. Er scheint zu glauben, dass man nur über Gemeinsamkeiten einen Dialog führen kann. Das ist sowieso so ein Thema in der Öffentlichkeit, dass man anscheinend glauben muss, dass alle Religionen irgendwie letztlich gleich sind oder gleich gemacht werden können. Für mich hat das aber mehr mit Missverstehen als mit Verstehen zu tun. Verstehen bedeutet, das Andersartige des anderen wahrzunehmen und ihn zu respektieren, gerade weil und obwohl er in manchen Dingen auch anders ist. Wenn Toleranz sich immer nur auf Gleiches beziehen würde (oder auf etwas, was ich vorher gleich gemacht habe), wäre es keine Toleranz, sondern Ignoranz…

          Bei Dave resultiert daraus eine Sicht auf Jesus im Islam, die mir bei konkreten Muslimen fast nie untergekommen ist, wenn überhaupt, dann bei zwei bis drei liberalen und weltoffenen, die hier leben: Jesus als Ethik- und Weisheitslehrer. Ist zwar nicht meine Frömmigkeit, aber es soll mir recht sein. Alles, was den Frieden stärkt, ist super. Mir gefällt nur nicht, dass Dave daraus so eine Art Generalangriff auf das Christentum macht („Monopol auf Jesus“ usw.)

          Er erwähnt die Bewegung „Isa for Muslims“. Ich habe das gegoogelt und bin auf die Webseite gelangt. Das ist eine Missionsseite eines ehemaligen Muslimen. So viel zum Thema, man könne ein Jesus-Anhänger sein und Muslim bleiben. In der Regel ist es eher so, dass Muslime, die sich ernsthaft mit Jesus beschäftigen, ziemlich bald vor der Konvertierungsfrage stehen, weil sie feststellen, dass Jesus im Koran jemand anders als in der Bibel ist.

          Es mag vereinzelte Freigeister geben, die sich ihre eigene Religion zusammenbauen, aber im „normalen Leben“ fragen sich die Leute, welche Geschichten denn nun stimmen: Hat Jesus einen gedeckten Tisch vom Himmel gezaubert (koranische Erklärung des Abendmahls) oder hat er mit seinen Jüngern und Freunden ein letztes Mal zusammen gegessen, bevor er sich bewusst seinen Mördern ausgeliefert hat (biblische Überlieferung)? Ist er von Gott im letzten Moment vor der Kreuzigung bewahrt worden (weil es für Gott eine unglaubliche Majestätsbeleidigung wäre, wenn sein Prophet hingerichtet würde) oder hat er, der in einzigartiger Weise Teil Gottes war, uns gezeigt, wie Gott eigentlich ist?

          Dann bin ich ganz schnell bei Fragen der Trinität und habe als Muslim ein Problem, weil das eine schlimme Form der Gotteslästerung ist. – Diese „Entscheidungssituation“ legt auch der Koran selber nahe, weil er behauptet, die Juden und Christen hätten ihre Schriften verfälscht. Deshalb musste Gott Mohammed schicken und das „wahre Buch“ aufs Gesicht drücken. Das lernt jedes Kind in der Koranschule. (Und im Koran kommt Jesus als Messias am Ende der Zeiten wieder, um alle Nicht-Muslime zu töten… Ob das gelehrt wird, hängt allerdings von der Koranschule ab.)

          Also, ich bin hier gar nicht bei der abstrakten „Wahrheitsfrage“. Es gibt Christen, denen es vielleicht darum geht, dass ihr Gott „die dicksten Eier hat“, ja. Das ist aber nicht mein Punkt, sondern mir geht es ganz praktisch darum, dass Muslime, die sich für Jesus interessieren, vor der konkreten Frage stehen, welches Buch „wahr“ ist.

          Da ändert auch die Tradition des Sufismus nichts dran (Dave erwähnte das Buch „Pilgrims of Christ on the Muslim Road“ – geschrieben von einem Amerikaner (!), der sich für Sufismus interessiert), denn die Sufis sind eine „Sekte“ innerhalb des schiitischen Islam und gelten als ketzerisch. Ganz zu schweigen davon, dass die Mehrheit der Muslime Sunniten sind, für die bereits „normale Schiiten“ Ketzer sind.

          Der Sufismus hat eine Jesus-Verehrung seit Jahrhunderten, ja. Und so eine Art Liebes-Mystik. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum z.B. Navid Kermani (selber Schiit) und alle schiitischen liberalen muslimischen Freunde von mir den Sufismus toll finden, ohne ihn zu praktizieren. Das ist sozusagen eine „synkretistische Lösung“ für hier lebende gebildete Muslime, aber in der komplexen muslimischen Welt bislang nicht „wahrheitsfähig“.

          Ich halte mich da raus, weil das erstens allein die Sache von Muslimen ist, sich über „den Islam“ zu verständigen und weil zweitens der Jesus des Sufismus ebenfalls nicht viel mit meiner persönlichen Frömmigkeit zu tun hat. Der Sufismus hat nämlich sehr viele Elemente der antiken Gnosis aufgenommen, die meiner Ansicht nach zu recht nicht zum biblischen Kanon gehören.

          Nochmal: Es gibt Christen, die aus der praktischen Entscheidungssituation zwischen zwei Traditionen/Büchern eine Ideologie machen. Das halte ich für falsch. Aber wenn es um meine persönliche Frömmigkeit geht, habe ich keine Lust, irgendetwas „anzupassen“, wie Dave das tut. Es gibt muslimische Gelehrte, die die Auferstehung anerkennen? Die soll er mir zeigen. Damit würde der Betreffende sich gegen den Koran stellen (und das Gewicht des Koran wiegt viel schwerer als die Bibel bei den „Bibeltreuen“). Es gibt christliche Theologen, die die Auferstehung leugnen? Öhm, da fällt mir nur der Fall Lüdemann ein, der dann ja auch nicht mehr Theologie unterrichten durfte…

          In Gesprächen mit Muslimen habe ich festgestellt, dass sie es sogar wertschätzen, dass ich einen Standpunkt habe, der mir persönlich viel bedeutet. Sie nehmen es ernst. Im Koran steht nicht nur, dass Christen und Juden getötet werden oder eine „Kopfsteuer“ zahlen sollen (späte Phase Mohammads), sondern auch, dass sie „Leute des Buchs“ sind und akzeptiert werden müssen (frühe Phase Mohammeds). Normale volksfrömmige Muslime halten es mit „Leute des Buchs“.
          In welchem Verhältnis die frühe und die späte Theologie des Koran zueinander stehen, ist DIE innermuslimische Frontlinie und muss von den Muslimen geklärt werden. Auf ihre Art. Da können wir nicht viel dazu sagen, weil unsere Form der Aufklärung nicht nur an bestimmte historische Verhältnisse in Europa gebunden war, sondern weil die Bibel als Text (völlig wertneutral) eine andere Sorte Buch ist als der Koran. Folglich müssen die Gläubigen auch einen eigenen Weg finden, mit ihrem Buch umzugehen.

          Integration in Deutschland und friedliches Zusammenleben hat viel mit persönlichem Kontakt zu tun. Neugier für den anderen hilft auch. Wer sich damit beschäftigen will, welche Missverständnisse regelmäßig auftauchen, wenn man sich mit normalen volksfrömmigen Muslimen unterhält, dem kann ich dieses Buch eines Jesuitenpaters und Islamwissenschaftlers empfehlen, der auch in muslimischen Ländern gelebt hat. Sehr differenziert, unideologisch und gut zu lesen:
          Christian W. Troll: Muslime fragen, Christen antworten.

          LG, Ina

      2. Wie wär’s denn mit Korchide, der ist ja, im Gegensatz zu Kermani, Professor für islamische Theologie und hat auch einige substanzielle, populärwissenschaftliche Bücher zum Thema geschrieben („Der andere Prophet: Jesus im Koran“, „Islam ist Barmherzigkeit“, „Ist der Islam noch zu retten?“)

  4. Was ich interessant fand, war der Ansatz von Dave, Muslime nicht zum Christentum zu bekehren, sondern ihnen sozusagen Jesus nahe zu bringen. Dieses Missionsverständnis ist nicht so eine „Überstülpung“ des Glaubens, sondern irgendwie menschlicher.

    1. Hm, also ich wüsste keinen anderen Ansatz als den von Dave.

      Ich hoffe doch nicht, dass jemand nur deshalb die Nähe und Gemeinschaft von Menschen sucht, weil er meint, Jesus habe ihm den Auftrag gegeben diese Menschen in ein Glaubenssystem zu bugsieren. Was ist denn das Christentum? Ein sehr abstrakter Begriff, der ein komplexes System von Organisationen, Menschen und Verflechtungen beschreibt, welches sich an verschiedenen Orten zu unterschiedlichen Zeiten sehr variantenreich zeigte bzw. zeigt. Christentum sieht überall auf der Welt verschieden aus – manchmal im selben Dorf vielfach anders und ein paar Straßen weiter wieder ganz anders.

      Bei ca. 00:47 bezeichnet Dave sich als „Follower of Jesus“ und kritisiert den Gedanken, Religion als System zu begreifen. Beim Zuhören auf der Autobahn habe ich an dieser Stelle dreimal laut Hossa! gerufen. Alle aufgepappten Label, alle Selbst- und Fremdbezeichnungen, alles „man müsste“ und „du solltest“ kann man in die Tonne kloppen. In diesem Sinne muss ein Mensch tatsächlich nicht dazu gebracht werden, sich selbst Christ zu nennen. Er kann auch ohne diesen Sticker Jesus nachfolgen. In diesem Sinne habe ich Daves Ausführungen verstanden.

  5. ein großes Problem ist doch, dass seit dem 11. September vor alllem die Probleme wahrgenommen werden. Die will ich auch gar nicht leugnen. Dafür haben wir aber ein Grundgesetz, Polizei und Verfassungsschutz.

    Dann gibt es aber eine extrem große schweigende Masse, die still und heimlich innerlich immigriert sind und genauso am Islam zweifeln, wie wir hier an bestimmten Positionen im Christentum.
    Das habt ihr ja auch mal mit Michael Blume besprochen.
    Und diese Masse findet sich unter den schon länger hier lebenden wie auch unter den zugewanderten Menschen mit nahöstlichem Background.

    Für mich ist die größte Erkenntnis des Talks das Reden miteinander. In der Debatte wird doch grötenteils nicht miteinander, sondern übereinander geredet. Siehe Seehofer und Konsorten. Wenn dann jeder mal in seiner Nachbarschaft anfangen würde und sei es nur mit dem Dönnermann/Frau ist schon viel geholfen, um gegenseitige Ängste abzubauen.

  6. Hallo, ich muss gestehen, dass ich den Talk nicht angehört habe, weil ich zu ungeduldig war, um auf die Übersetzungen zu warten ^^‘ Ich wollte nur mal noch ne andere Buchempfehlung in die Runde werfen: „Christen begegnen Muslimen“ und David Shenk (erschienen in irgendeinem christlichen Verlag). David Shenk war viele Jahre Missionar in Ländern mit muslimischen Mehrheiten und ich fand an dem Buch toll, wie er ein total wertschätzendes Bild von Muslimen und dem Islam zeichnet und viele Anknüpfungspunkte und Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und Islam findet.

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