#169 „Für mich war Jesus immer schwul“

Wie ist das, wenn man merkt, dass man erotische Gefühle nur für Menschen des eigenen Geschlechtes empfinden kann, und sich trotzdem vor allem in konservativ-christlichen Kreisen wohlfühlt? Was passiert, wenn man sich nichts mehr als ein ganz normales Leben wünscht – und dann mit seiner Homosexualität konfrontiert ist? Annika und Benjamin von dem Podcast ‚Zwischenfunk‘ sind zu Gast und nehmen uns hinein in ihre Gefühls- und Gedankenwelt: Zwei großartige Menschen, die sich trotz aller Enttäuschungen immer noch um einen konstruktiven Dialog bemühen. Superspannend! Aber hör selbst.

Dr. Martin Grabes Buch ‚Homosexualität und christlicher Glaube‘ findest du hier.
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Annikas und Benjamins Podcast ‚Zwischenfunk‘ findest du hier.
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29 Kommentare zu „#169 „Für mich war Jesus immer schwul““

  1. Vielen Dank für das schöne Gespräch!
    Annika & Benjamin strahlen so eine ehrliche, echte Freundlichkeit aus, wie ich sie schon in den Talks mit Timo und Katrin empfunden habe. Die man in besonders frommen Kreisen so selten findet.

    Bei eurer Wortkunde ist eine Frage aufgeploppt, die mich schon eine Weile beschäftigt – vielleicht habt ihr dazu ja auch Gedanken oder wisst dazu mehr aus Gesprächen mit transidenten Personen:
    Wie fühlt man sich eigentlich als Mann bzw. Frau?
    Ich kann nicht sagen, dass ich mich auf eine bestimmte Art fühle, weil mein Körper der Kategorie „Frau“ entspricht. Ich fühle mich als Ich. Und ich weiß auch gar nicht, wie sich Frau im Vergleich zu Mann anfühlt, denn ich kann ja meinen Körper nicht wechseln und nicht in Männer hineinschauen. Ich kenne sowohl Frauen als auch Männer, mit denen ich meine Empfindungen und Weltwahrnemung teile, unabhängig davon, in welchem Körper sie sich befinden. Es und es gibt sowohl Frauen als auch Männer, mit denen ich so gar nichts gemein habe.
    Ist vielleicht hier das Problem, dass man sich zu sehr an gesellschaftlichen Konstrukten orientiert, die vorgeben, wie Frauen/Männer zu sein, was sie zu denken und zu empfinden haben? Gäbe es vielleicht diesen Konflikt von transidenten Personen gar nicht, wenn die Gesellschaft solche Konstrukte nicht vorgeben würde? Oder ist das bei transidenten Menschen eher so, dass sie sich mit ihren äußerlich sichtbaren Geschlechtsmerkmalen unwohl fühlen und deshalb sagen, sie fühlen sich nicht als Mann oder Frau?
    Freue mich auf Ideen dazu!
    Alles Gute für eure wertvolle Arbeit!
    Katja

    1. Hey liebe Katja,
      danke für dein Feedback!

      Ich finde deine Frage sehr gut! Darüber habe ich mir auch schon oft Gedanken gemacht. Was bedeutet weiblich und was bedeutet männlich? In Gesprächen mit Freund*innen darüber kam ganz oft zu Beginn ein „Na, das ist doch ganz klar.“ Jedoch konnte mir bisher niemand tatsächlich klare Unterschiede benennen.
      Auch ich kann es nur mit deinen Worten beschreiben wie ich mich fühle. Ich fühle mich als ich. Ich fühle mich als Mensch.

      Meine Diskrepanz bestand aus meiner empfundenen Sexualität (gleichgeschlechtlich) und derer, die ich während meines Aufwachsens um mich herum mehrheitlich wahrgenommen habe (gegengeschlechtlich). Die Diskrepanz war dann am Größten, wenn das eine (gegengeschlechtliche Sexualität) als das Normale deklariert wurde und meine empfundene Sexualität als nicht normal. Also dann wenn eine unterschiedliche Behandlung und eine Wertung in das Thema kam.
      Diesbezüglich würde ich also sagen, dass wenn wir einer Welt Leben würden in der es egal wäre welche Sexualität wir hätten, dann hätte ich meine Homosexualität sicherlich auch nicht problematisch empfunden.

      Mich würde auch interessieren, ob dies vergleichbar ist mit dem Konflikt von transidenten Personen. Und ob das Problematische verschwinden würde, wenn es keine ungleiche Behandlung von Menschen mit unterschiedlichen Geschlechtern geben würde und weiblich, männlich und divers nicht bewertet werden würde.

      Vielleicht kann uns ja an dieser Stelle eine transidente Person weiterhelfen.

      Alles Liebe,
      Annika

    2. Hallo Katja,

      ich habe mich mit exakt denselben Fragen angefangen zu beschäftigen als ich vor einigen Jahren zum ersten Mal von trans Menschen gehört habe und mich anschließend intensiv über Podcasts, Blogs, YouTube, Twitter mit der Trans-Community befasst habe (habe den Eindruck Fremd-Beschreibungen sind meist schlecht und verwenden verletzende Sprache).

      Ich erinnere mich, wie ich irritiert eine Freundin fragte: „Fühlst du dich denn als Frau?“ Und sie irritiert erwiderte: „Na klar! Du nicht?“ Und ich: „Ich weiß gar nicht wie sich das anfühlen soll.“ Ich fühlte mich nicht besonders weiblich (trotz Anatomie). Aber ich fühlte mich auch keineswegs als Mann. Auf meiner Reise seither fiel mir zunehmend auf, dass es sich für mich unstimmig anfühlt als „Frau“ angesprochen oder bezeichnet zu werden. Mir fiel auf, dass ich irgendwie schon immer Probleme mit meinem Vornamen hatte – schon zahlreiche Spitznamen und Abwandlungen ausprobiert habe und seit ein paar Jahren gut mit einem fahre, der (wie mir nun auffiel) genderneutral ist. Mir fiel auf, dass ich schon immer eine große Abneigung gegen meine Brust habe und am liebsten Sport BHs-/Minimizer trage, um sie möglichst wenig selbst wahrzunehmen und aber auch nicht wahrgenommen zu werden.
      Für all die Punkte hatte ich mir vorher auch immer gute Erklärungsversuche zurecht gelegt, aber nun musste ich alles neu einordnen.

      Ich würde nicht sagen, dass ich schon angekommen, aber: Seit einigen Monaten habe ich festgestellt, dass ich mich mit der Bezeichnung nicht-binär/non-binary/NB/Enby (letzteres ist eine (teilw. verniedlichende) Eigenbezeichnung und sollte nicht von anderen verwendet werden) sehr wohl fühle – sich das richtig anfühlt. Und ich werde zunehmend sogar ärgerlich, wenn ich in Texten oder Worten merke, dass ich hier oft nicht mitgedacht werde, oder mich bei Formularen beim Geschlecht auf „Mann“ oder „Frau“ festlegen muss. Es erscheint inzwischen fast absurd, dass dies überhaupt eine Rolle spielt.

      Ohne dich zu kennen – aber vielleicht ist es für dich auch eine Option, deine Erkundungsreise in diese Richtung zu denken? Für mich war es ein langsamer und zaghafter Prozess festzustellen, dass ich anders bin. Und eine Erleichterung festzustellen, dass dies okay ist. Und: Auch über die Non-Binary-Community zu erleben, dass dies nicht bedeutet, dass man sich für ein Neo-Pronomen entscheiden muss. Es ist auch okay, weiterhin sie/ihr zu verwenden und trotzdem nicht als „Frau“ angesprochen werden zu wollen. Es ist auch okay, sich weiterhin „weiblich“ zu kleiden und keine Pflicht oder Voraussetzung androgyn zu sein. Alles ist okay.

      An dieser Stelle auch nochmal ein ganz herzliches DANKE an Gofi und Jay fürs Gendern beziehungsweise, was ich eine treffendere und bessere Bezeichnung finde, fürs Ent-Gendern. Ich fühle mich durch den Glottisschlag (die kurze Pause, die das Gender-Sternchen ausdrückt) gesehen, akzeptiert und willkommen.
      Und Jay: Du packst das, es wird immer flüssiger 😉 Danke für deine Bemühung, ich schätze das sehr.

      Und an dieser Stelle noch ein allgemeiner Einwurf:
      Inklusiver als LGBT/LSBT empfinde ich den Begriff LGBTQIA* (kriegt man nach ein paar Mal aufsagen auch flüssig hin). Ich fühle mich inzwischen dem Ace-Spektrum (Asexualität) zugehörig und wir werden oft übersehen. Auch diese Erkenntnis war ein langer Weg. Denn ja – gerade im christlichen Kontext ist es auch schwierig, wenn man asexuell ist: „Gott hat Sex doch gemacht, Sex ist gut, Sexualität ist ein Segen, wenn du Sex nicht magst (aber das erst in der Ehe), bist du kaputt / krank / brauchst Gebet“. Das ist nochmal ein ganz anderes Fass. Manche (radikalen?) LGB-Gruppen schließen Asexualität bewusst aus, weil das nicht „zählt“. Ich finde aber gerade im christlichen Kontext fällt durchaus auf, dass man genauso wie die anderen queeren Gruppen durchs normative Raster fällt und es je nach Sozialisierung ein beschwerlicher Weg ist, sich anzunehmen und zu akzeptieren.

      1. Nun habe ich komplett vergessen zu sagen:
        Danke für den tollen Talk an Gofi, Jay, Annika und Benjamin. Es war mir eine Freude und Bereicherung euch zuzuhören!

    3. Hallo Annika und Pia,
      danke eure Rückmeldungen und danke Pia für den Einblick in deine Empfindungen! Das hilft mir, die Aussage „ich fühle mich nicht als Frau/Mann“ besser einzuordnen.
      Ich finde auch manche Aspekte an einem weiblichen Körper extrem nervig (zB dass ich damit einmal im Monat emotional und körperlich durch die Hölle gehen muss, die einzige in meiner Partnerschaft bin, die schwanger werden kann und Kinder aus sich herauspressen und sich damit ihren Körper ruiniert usw.), aber ich denke, wenn ich in einem männlichen Körper leben würde, würde ich mich auch nicht rundum wohlfühlen (weil ich dann den gesellschaftlichen Erwartungen an mich nicht entsprechen könnte, zu sensibel wäre oder wegen chronischer Krankheiten/Einschränkungen eben nicht der Starke sein kann usw.).
      Mein Name oder die Anrede „Frau…“ stört mich nicht.
      Ich glaube, ich kann mich einfach in Extrempositionen nicht wiederfinden. Also zB in einem Frauenbild, in dem sie stark geschminkt und möglichst sexy gekleidet sein sollte, oder in dem Bild der Frau als Mutter, deren größtes Glück es ist, Kinder in die Welt zu setzen und den Haushalt zu schmeißen. Allerdings auch nicht in der knallharten, karrierefixierten Managerin 🙂
      Mich nerven die Erwartungen, die an Menschen herangetragen werden, weil sie ein bestimmtes körperliches Erscheinungsbild haben. – Das fängt ja schon mit „blau oder rosa?“ an. Wieso ausgerechnet blau oder rosa? Wieso Hosen vs. Kleider, kurze vs. lange Haare, Puppen vs. Bagger….?
      Ich fände es schöner, wenn wir einfach alle Menschen sein dürften und jede*r mit den eigenen Fähigkeiten und Interessen dazu beitragen kann, dass wir liebevoll zusammenleben, in gegenseitiger Achtung und Fürsorge mit uns und den anderen Lebewesen umgehen.

    4. Hallo!
      Erst einmal vielen Dank für das interessante Gespräch!
      Ich hätte da mal eine Frage/Anmerkung die vielleicht ganz gut unter deinen Post und die bisher gegebenen Antworten passt, Katja.
      Wie auch Jay habe ich im beruflichen Umfeld in den letzten Jahren viel mit der Thematik der Geschlechtsidentität zu tun. Seit zwei, drei Jahren haben diese Fragen unter den Klienten wirklich extrem zugenommen. Doch leider leuchtet mir der theoretische Hintergrund der Transidentität noch immer nicht ein und ich habe leider noch keine wirklich zufriedenstellende Antwort erhalten/gefunden. Sehr gerne würde ich die Theorie dahinter und die Menschen besser verstehen können.
      Meine Verständnisschwierigkeit tangiert die Thematik: Was ist Mann/Frau oder männlich/weiblich. Die konkrete Frage im Hinblick auf Transidentität wäre: Woher weiß ich als Mann/Frau, dass ich im falschen Körper geboren worden bin, wenn ich eigentlich keine Vorstellung davon haben kann, wie es sich im „richtigen“ Körper anfühlt. Beispielsweise bin ich ein Mann, der, wie Annika im Talk beschrieben hat, alle Geschlechtsmerkmale eines Mannes hat, der sein Gehirn und Seele aber als weiblich empfindet. Wie kann ich sagen, dass mein Gehirn und meine Seele weiblich sind, wenn ich nicht weiß, wie sich eine weibliche Seele und Gehirn anfühlen? Das würde nur funktionieren, wenn ich klare Kriterien/Vorstellungen davon habe, wie sich eine „weibliche Seele“ anzufühlen hat. Diese Kriterien könnte ich vielleicht über das biologische oder das soziale Geschlecht gewinnen. Das biologische würde als Kriterium dabei aussscheiden, da ich mir selbst die Grundlage entziehen würde: Ich kann nicht sagen, dass biologische Geschlecht ist Bezugspunkt meiner Argumentation, wenn ich als Mann mit allen dazugehörigen biologischen Merkmalen, mein Standpunkt selbst unterminiere, indem ich sage: ,,Ich als biologischer Mann, fühle mich als Frau“. Bleibt noch das soziale Geschlecht. Ich würde also, im Falle des Beispiels, das, was weiblich ist, irgendwie an den vorherrschenden soziokulturellen Faktoren fest machen. Diese sind, wie die Forschung zeigt, fluide. Genau das wird mir aber jetzt wiederum zum Problem. Denn um Kriterien zu gewinnen, was essenziell weiblich ist, bin ich darauf angewießen, diese Kriterien fest zu setzen, zu definieren. Um ein Klischee zu bedienen: ,,Schon als Kind habe ich immer lieber mit Puppen als mit Baggern gespielt“ kann ich nicht als Indiz anführen, im falschen Körper geboren zu sein, wenn gleichzeitig gilt, dass es nicht typisch weiblich ist mit Puppen zu spielen oder typisch männlich, mit Baggern. Man wäre schlicht ein Junge, der gerne mit Puppen gespielt hat. Ich kann somit der Theorie, dass Geschlechter soziokulturell immer konstruiert sind, nicht zustimmen. Ich würde mir den Ast absägen, auf dem ich sitzen will.

      Wäre es somit in diesem Beispiel nicht stringenter, näherliegender zu sagen: ,,Ich als Mann kann mich mit vielen weiblichen Merkmalen mehr identifizieren als mit männlichen. Das macht mich aber nicht zu einer Frau, sondern eben zu einem Mann, der sich mit vielen, dem weiblichen Geschlecht zugeschrieben Merkmalen, mehr identifizieren kann. Das ist Teil meines Mannseins.“
      Es ist mir durchaus bewusst, dass es viele Menschen mit großem Leidensdruck gibt und diese Variante für sie nicht gangbar ist und somit eventuelle Operationen vielleicht unabdingbar.

      Aber wie gesagt, vielleicht habe ich da einen blinden Fleck und verstehe etwas nicht richtig oder nur unzureichend und jemand kann mir vielleicht weiterhelfen!

      Liebe Grüße

      Jannik

      1. Hallo Jannik,
        ob ich dir weiterhelfen kann, weiß ich nicht, aber beschränkst du die Frage nach der Identitätensuche nicht ein bisschen arg auf den inneren Prozess? Der ist doch bei jedem Menschen immer auch ein Abgleich mit der äußeren Welt, also mit der, die uns begegnet. Und dort begegnen uns ja auch die geschlechtlichen Seiten, die wir vom biologischen Geschlecht nicht selber haben. Ein transidenter Mensch mag ja zunächst noch gar nicht benennen können, was sich schräg anfühlt, im Abgleich mit der Welt die ihr/ ihm begegnet, wird das dann auf der Ebene der geschlechtlichen Identifikation greifbar. Zumindest kann ich mir vorstellen, dass es bei vielen so läuft.
        LG,
        der Jay

        1. Hi Jay,

          danke für deine Antwort! Wenn ich dich richtig verstehe, schreibst du, dass die wahrgenommene Diskrepanz durch den Abgleich des eigenen („zugewiesenen“) Geschlechts mit dem mir in der Welt begegnendem anderem Geschlecht entsteht. Das wird auch so sein und macht ja durchaus Sinn.
          Aber bewegt man sich (auf rein theoretischer Ebene) nicht hier in einem essentialistischen Modell (man geht von einem Wesen des weiblichen/männlichen, wenn auch erst einmal unreflektiert, aus), welches im Grunde genommen nicht erlaubt, einem konstruktivistischen Ansatz allzu weit zu folgen, weil sonst die Essenz, auf die ich mich beziehe/mit der ich Abgleiche, verloren geht? Oder anders: Indem ich feststelle, das ich im falschen Körper geboren bin, muss die Existenz eines wesentlich Weiblichem/Männlichem voraussgesetzt sein.

          LG
          Jannik

          1. Hallo Jannik

            Wenn ich dich richtig verstehe, schreibst du, dass die wahrgenommene Diskrepanz durch den Abgleich des eigenen (“zugewiesenen”) Geschlechts mit dem mir in der Welt begegnendem anderem Geschlecht entsteht.

            Ja, so hatte ich es gemeint.

            Oder anders: Indem ich feststelle, das ich im falschen Körper geboren bin, muss die Existenz eines wesentlich Weiblichem/Männlichem voraussgesetzt sein.

            Ah, ok. Jetzt verstehe ich, worauf Du hinaus willst. Hast Du den Kommentar von Alexandra Meier gelesen? Sie erzählt darin, wie sie sich ihrer Transidentität bewusst geworden ist. Das beantwortet keine deiner philosophischen/ anthropologischen Fragen, macht aber gut deutlich, wie bei ihr der Bewusstwerdungsprozess, mit ihrem biologischen Geschlecht nicht zurecht zu kommen, von statten ging. Interessanter Weise hat sie das ja eben eher als innere Gewissheiten und inneres Drängen erlebt, denn als einen bewussten Konstruktionsprozess.

            Aber zurück zu Deiner Frage. Steht das weiblich/ männliche als etwas von Essenz denn zur Debatte? Selbst wenn man intensiv konstruktivistisch denkt, bezieht sich doch jede Konstruktion immer auf das was man kennt, oder? Entweder in Abgrenzung dazu oder in Weiterentwicklung. Männliches und Weibliches als zwei Pole eines Spannungsfeldes macht doch erst mal Sinn, oder übersehe ich da was? Ist doch biologisch gesehen auch erst mal da.

            Für mich ist die genaue anthropologische Einordnung auch nicht so wichtig. Wie man es nennt, mag der der eine Ansatz so und der andere anders beantworten – für mich zählt, dass Menschen, denen es so geht, den Raum finden, den sie brauchen, um sich zu entwickeln und ein frohes Leben zu führen.

            LG,
            der Jay

        2. Hallo Jay,
          ist jetzt schon ein bisschen her, der Kommentar bezieht sich auf deine Antwort vom 18.05.

          Ja, ich habe den Kommentar von Alexandra Meier gelesen. Fand ich auch interessant, auf welche Art und Weise sie es erlebt hat.
          Das die Essenz von weiblich/männlich zur Debatte steht, erlebe ich schon. Es wird zum einen in Hinsicht auf die Biologie her ja so argumentiert, dass, um Männlichkeit/Weiblichkeit bestimmen zu können, schon vorher postuliert werden muss, was dieses denn nun ist. Also das, was männlich/weiblich ist, muss als Kriterium von vornherein feststehen, sonst kann ich keine Unterscheidungen das Geschlecht betreffend ziehen. Und das, was ich als das jeweilige Geschlecht beschreibe, ist somit immer schon von gesellschaftlichen Vorstellungen überlagert. So die knappe Theorie.
          Aus soziologischer Sicht wird gesagt, dass das Geschlecht schon immer diskursiv überformt ist, also letztlich ein Effekt gesellschaftlicher Diskurse ist. Das, was ist, ist also durch ständige Wiederholung geworden und wurde quasi mehr und mehr zementiert.
          Diese Positionen würde ich als kontsruktivistisch beschreiben.
          Aber… kann ich nun, die obigen Positionen als theoretischen Hintergrund voraussetzend, anhand meines Abgleiches, den ich vollziehe und durch den ich merke, dass ich mich eigentlich einem anderen Geschlecht zuordnen würde, diesen Hintergrund wirklich bejahen? Das würde ja letztlich bedeuten, dass das, mit dem ich Abgleiche, was ich für das „andere Geschlecht“ halte, eben „nur“ ein Konstrukt ist, das, so wie es mir erscheint, nun einmal erscheint, wie es erscheint, es aber auch nicht unbedingt müsste. Es könnte, diskursivtheoretisch, auch anders sein. Ich muss aber sagen können, dies und dies IST (und sei es auch diskursiv geprägt) weiblich, definitiv weiblich, um als Mann Kriterien haben zu können, die mich dazu veranlassen mich eigentlich als Frau zu fühlen/wahrzunehmen. Ich gehe davon aus, Frau ist…; Mann ist…um sagen zu können, Ich bin…mich auf ein reines Konstrukt zu beziehen wäre da doch zu wenig.
          Du schreibst, männlich und weiblich als zwei Pole eines Spannungsfeldes macht Sinn. Ja, finde ich auch. Allerdings nur, wenn diese zwei Pole auch gegeben sind. Wenn sie das aber nicht sind – und ich sehe nicht, wie sie in dem konstruktivistischen Modell noch gegeben sein sollten, jeder Pol würde sich ja quasi diskursiv in die Unendlichkeit verlängern und letztlich überhaupt keinen Bezugspunkt bieten – löst sich das Feld in dem es spannend sein könnte auf und man hat Alles und vor allem – Nichts.

          Zu deinem letzten Punkt vollste Zustimmung! Letztlich ist alle Theorie verschenkt, wenn man den Menschen aus den Augen verliert.

          Danke dir für Denkanregungen, macht Spaß!:)

          LG

          Jannik

  2. Melanie Catossi

    Hey, ich habe heute zum ersten Mal ganz aufmerksam euren Podcast angehört. Das fällt mir immer ein bisschen schwer weil der Podcast meist sehr lang ist.
    Aber heute hatte ich Zeit.
    Das Thema ist kein leichtes, und wird es nie sein. Zumindest in der Christenheit.
    Es hängt halt immer an der Frage, wie ich die Bibel auslege. Und den Leuten die die Bibel wörtlich nehmen, kann man sicher sagen, dass man (wenn man es als Sünde definiert Homosexuell zu LEBEN), alle Sünden gleich behandeln muss. Und die Gemeinden auffordern da gute Wege zu finden und diese klar zu formulieren.
    Die Gemeinden, die ein liberaler es Bibelverständnis haben, haben ja meist eh schon eine offene Position dazu.
    Was mich nervt ist, dass am Ende immer einer Falsch ist, oder etwas nicht verstanden hat. Das weiß doch keiner!
    Kann irgendjemand wirklich sagen wie Gott das findet? Ich kann das nicht. Ich weiß nicht warum Menschen überhaupt so empfinden. Ich weiß nicht, warum manche Menschen (egal von was) geheilt werden und manche nicht. Ich habe viele Fragen an….Und da ist die richtige Adresse…an Gott, auf die kein Mensch mir ein „richtig“ oder „falsch“ sagen kann.
    Ich selbst habe 4,5 Jahre in einer Homosexuellen Beziehung gelebt. Ich war in einer evangelikalen Gemeinde, und bin aus eigenem Dafür halten gegangen, weil mein Bibelverständnis nicht mit meiner Entscheidung für die Beziehung zusammen passte. Nach der Beziehung habe ich mich neu mit meinem Glauben auseinander gesetzt. Und ich hatte so meine Schwierigkeiten einfach wieder in die Gemeinde zurück zu gehen. Aber an meiner Meinung/ Bibelverständnis hat sich nie etwas geändert.
    Ich weiß um die Verzweiflung die man hat, wenn man so empfindet und seinen Glauben nicht aufgeben möchte.
    Aber es gibt mir nicht das Recht die Menschen in Frage zu stellen, die das Wort Gottes wörtlich nehmen. Genauso, wie ich nicht das Recht habe Kopftuchträgerinnen in Frage zu stellen. Als Beispiel…
    Ich bin dankbar für diese Sendung weil sie ganz viel über die Menschen erzählt die Jesus lieben und Homosexuell empfinden. Das ist wichtig darüber zu reden. Das hilft vielleicht nicht Homophob zu reagieren oder leichtfertige Scheinkompromisse in den Gemeinden zu zelebrieren.
    Und dennoch wünsche ich mir mit meiner Bibelauslege stehengelassen und auch nicht diskriminiert zu werden, bei einem Thema bei dem es durchaus auch so sein könnte, dass es für Gott nicht ok ist, wenn Menschen ihre Homosexuellen Empfindungen ausleben.

    1. Hallo Melanie,
      vielen Dank für deine persönlichen Gedanken zu unserem Talk. Wenn ich dich richtig verstehe, fühlst du dich durch den Talk mit deinem Bibelverständnis in Frage gestellt. Ich glaube, da gibt es zunächst ja einen ganz wichtigen Unterschied: Es darf nie darum gehen einen Menschen aufgrund seines Bibelverständnisses zu diskriminieren oder sogar als Mensch in Frage stellen. Genau deswegen wollen wir vom Zwischenraum ja auch auf Gemeinden und konservative Christ:innen zugehen und für unseren Standpunkt werben. Deshalb machen wir überhaupt so Sachen wie den Talk oder unsere Veranstaltungen.
      Etwas anderes als Menschen aufgrund ihrer (Glaubens-)Überzeugung zu diskriminieren, ist es aber ihre Meinungen zu kritisieren. Das ist ja genau unsere Aufgaben als Christ:innen die Gesellschaft – und insbesondere auch unsere Mitchrist:innen – auf ihre blinden Flecke hinzuweisen und die Stellen, wo Gottes Liebe noch nicht präsent ist, ins Licht zu bringen. Meiner Meinung nach ist die Ausgrenzung von LGBT-Menschen eine Stelle, an der das dringend nötig. LGBT-Menschen werden dort ja nicht aufgrund einer Meinung diskriminiert, sondern aufgrund einer unveränderbaren Persönlichkeitseigenschaft ausgeschlossen und häufig abgewertet. Dass Homosexualität so wenig gezielt geändert werden kann wie bspw. die Hautfarbe, ist mittlerweile wissenschaftlicher Konsens, der sich auch in christlichen Kreisen immer mehr durchsetzt (spannend ist hier zu gucken, was die ehemaligen großen Ex-Gay-Werke wie Exodus International machen: fast alle bieten keine Therapien an, haben eingestanden, dass es nicht funktioniert und sich bei allen Betroffenen entschuldigt.)
      Ich stimme dir zu, dass letztlich das Bibelverständnis eine entscheidende Rolle spielt, bei der Frage ob man homosexuelle Beziehungen lebt oder nicht. Dass die Ausgrenzung und Verurteilung von bestimmten Personengruppen aber nicht Gottes Willen entspricht, ist für mich aber eine ganz eindeutige biblische Botschaft.
      Spannend finde ich auch, was du über deine eigene Geschichte schreibst. Es klingt als ob wir da einige Gemeinsamkeiten hätten. Für mich war in meiner eigenen Geschichten entscheidend zu überlegen, welche Früchte mein Glaube und mein Bibelverständnis bringt – denn daran lässt es sich nach Jesus ja messen. Dabei habe ich aus eigener Erfahrung aber auch aus anderen Erzählungen ganz viel Leid, zerstörte Leben und Leben in Unwahrheiten als Konsequenz einer Unterdrückung der eigenen sexuellen Orientierung bzw. geschl. Identität erlebt. Auf der anderen Seite erlebe ich meine homosexuelle Beziehung als etwas unglaublich Wertvolles, das mir Kraft, Ermutigung, Glauben, Liebe uvm. gibt und mich durchs Leben trägt. Und da ich glaube, dass es Gottes Wille ist, dass jedes Leben gelingt, fühle ich mich da von ihm gesegnet. (Und selbst in dem Fall, dass ich falsch liegen sollte, weiß ich, dass es nichts an Gottes Liebe für mich ändert!).
      Lass uns gerne dazu ins Gespräch kommen! Gottes Segen dir!

    2. Hallo Melanie,
      da sprichst du einen wichtigen Punkt an.
      Mir ist das zB einfach nicht mehr möglich, eine „wörtliche“ Bibelauslegung als handhabbar zu betrachten, nachdem ich erkannt habe, wie sinnvoll und wertvoll eine Bibelauslegung ist, die sowohl den innerbiblischen als auch den historischen/kulturellen Kontext miteinbezieht. Und wieviel tiefer und aktueller dadurch biblische Texte werden können.
      Ich teile den Ansatz von Benjamin: Sich fragen, welche Früchte welche Bibelauslegungspraxis mit sich bringt.

      Ich tu mich schwer mit dem Begriff „wörtliche“ Auslegung. Denn sie greift ja nie auf die Urtexte zurück, sondern auf Übersetzungen, und die sind in sich ja schon Interpretationen eines Textes, in denen die Weltsicht der Übersetzenden mit enthalten ist.
      So steht zB in der „Hoffnung für Alle“ in Römer 1,26: „Ihre Frauen praktizierten gleichgeschlechtliche Liebe“. In unseren heutigen Ohren klingt das nach: „Sie waren lesbisch und lebten das auch so aus“. Das hat Paulus aber so gar nicht geschrieben. Oder in 1Kor 6,9 steht in der HfA: „Wer homosexuell verkehrt, wird nicht ins Reich Gottes kommen.“ Das hat Paulus aber auch nicht geschrieben (ähnlich auch 1, Tim. 1,10). Wenn man diese Übersetzung wörtlich nimmt, ist die Sache klar. Aber dann nimmt man einen Text wörtlich, den Paulus so nicht formuliert hat.
      Um die Begriffe zu verstehen, die Paulus da verwendet hat, braucht man Wissen über die damalige Situation und die von Paulus beschriebenen Praktiken. Die mit dem, was wir heute unter Homosexualität verstehen, nichts gemein haben, vor allem nicht mit verbindlichen gleichgeschlechtlichen Beziehungen auf Augenhöhe. Ich denke, das ist der Grund, weshalb hier Menschen mit einem „wörtlichen“ Bibelverständnis sich so oft der Kritik ausgesetzt sehen, ihre Auslegung sei „falsch“. Und da geht es nicht darum, ob Gott etwas richtig oder falsch findet, sondern rein philologisch darum, ob eine Übersetzung/Textinterpretation richtig oder falsch ist (bzw wie nahe es dem kommt, was dort ursprünglich gemeint ist), so wie man das bei allen anderen Texten aus der Antike in der Philologie auch macht.

  3. Hallo, herzlichen Dank für diesen Podcast.
    Die Fragestellung queer = „Berufung“ fand ich höchst spannend und musste länger drüber nachdenken. Annika hatte ja was dazu gesagt, danach wurde leider das Thema gewechselt.
    Von meiner Seite aus kann ich tatsächlich auch sagen, dass mein (geistlicher) Horizont allein durch mein schwul sein weiter werden musste, um als gläubiger Mensch überhaupt weiter existieren zu können. Dafür bin ich mittlerweile sehr dankbar – vermutlich wäre ich im engen frommen Denken stecken geblieben.
    Ob dies nun eine Berufung ist würde ich aber erstmal verneinen, da ich (wie auch massig andere) mit hoher Wahrscheinlich auch daran zu Grunde hätte gehen können. Aus diesem Grund steht hinter der Bezeichnung Berufung einer anderen Person für mich eine Abwehrhaltung, z.B. „Hey, sei doch froh, dass Du so bist“.
    Nein, ich kann nicht sagen, dass ich froh bin. Ein Leben als Hetero ist schlichtweg einfacher bis hin zu selbst Elternteil werden. Aber es ist gut so – so bunt, vielfältig und damit kraftvoll und ebenbildlich hat Gott die Menschen geschaffen.
    Sicherlich kann Berufung aber auch anders gesehen werden. Vielleicht mal ein Podcast dazu?

    1. Hallo Thomas,
      ja ich fand die Frage auch ziemlich gut, aber fand es spontan schwierig eine Antwort zu geben. Im Wort „Berufung“ klingt für mich so vieles Seltsames mit: „Gott hat genau einen Plan für jede Entscheidung deines Lebens und du musst genau aufpassen immer richtig zu entscheiden, damit du in diesem Plan bleibst.“ Dementsprechend wird ja manchmal argumentiert, dass z.B. Schwule ja viel empathischer sind und das in eine Gemeinde einbringen sollten. Das ist mir irgendwie zu pauschal und platt – queere Menschen sind ja genau so unterschiedlich wie alle anderen auch und jede:r hat seine:ihre eigenen Begabungen.
      Was ich aber schon glaube ist, dass der Prozess des Coming-Outs gerade in christlichen Kreisen dazu zwingt, den eigenen Glauben/Ethik/Sicht auf Mitmenschen nochmal ganz tiefgreifend zu reflektieren und das häufig gewinnbringend für die eigene Persönlichkeit ist. Und ganz allgemein bin ich davon überzeugt, dass es jeder Gemeinde gut tut so divers wie nur möglich zu sein – z.B. ist das Miteinander von Alt und Jung in Gemeinden für mich oft einzigartig. Genauso denke ich, dass auch das Miteinander von queeren und nicht-queeren Menschen eine große Bereicherung ist!
      Ich stimme dir voll zu, dass ein Hossa-Talk zum Thema „Berufung“ wirklich spannend wäre!

  4. Gerade gehört, zwei Eindrücke auf die Schnelle:

    1. Mir ist im Grunde jetzt erst aufgefallen, dass diese ganzen Diskussion über Homosexualität, wie gut sie auch immer gemeint sein mag, eigentlich ganz schön diskriminierend und beleidigend ist, weil sie Homosexuelle immer nur auf dieses Sexding reduziert.

    2. Wenn es die Schuld von Sodom war, sich nicht um die Armen zu kümmern (Hes. 16,49), dann würde ich gerne mal eine Gemeinde erleben, in der kniepige Menschen nicht mitarbeiten dürfen oder denen wenigstens eine Konversionstherapie nahegelegt wird, um davon loszukommen.

    1. Sorry Jay, ich bin heute so in Schreiblaune 🙈

      @Alexander: Gute Beobachtung mit dem Geiz. Da sind Fromme erstaunlich lax in ihrer Praxis, Sünde auch Sünde zu nennen…

      Ich habe mich schon öfter nach Gesprächen und Argumentaustauschen gefragt, warum sie das so unbedingt wollen, dass Homosexualität eine Sünde ist. Und wenn man ihnen zigmal erklärt, dass es eben nicht notwendig ist, die biblischen Texte so zu verstehen, wie sie es tun. Und mit einer anderen Lesart sogar zerrüttete Familienverhältnisse wiederherstellen könnte. Ist das die Angst vor einem Gott, der einen für die falsche Hermeneutik bestraft? Oder der eigene Stolz, der es verhindert, dass sie zugeben, anderen das Leben zur Hölle gemacht zu haben und um Vergebung zu bitten?

      1. Ich denke, es hat auch mit Trägheit zu tun. Die Texte wirken auf den ersten Blick relativ eindeutig und man muss schon die zweite Meile mit ihnen gehen, um sie anders zu lesen. Dazu gehört aber auch, sich verunsichern zu lassen – und verunsichert zu bleiben, da auf einer tieferen Verständnisebene Ambiguitäten immer dazugehören. Und dann ist die Frage, welche Ziele man verfolgt und ob man es sich leisten kann (und will), auf dem Weg dorthin ständig zwischen Entweder-Oder, Sowohl-als-auch und Weder-noch hin und her zu stolpern – wobei das, was wie Stolpern aussieht, vielleicht auch ein Tanz ist, mit dem man zwar langsamer ans Ziel kommt, aber dafür den Weg intensiver erlebt.

        1. Du bist so klug, mal wieder 🙂
          Zu dem Stolpern fällt mir ein gutes Beispiel ein: Ich lese immer mal wieder was zu den „Homosexualitäts“-Stellen im Buch Leviticus. Das ist so ein Tanz. Im letzten Artikel darüber habe ich gelesen, dass es schon allein die Kombination der hebräischen Wörter im Originaltext schier unmöglich macht, das irgendwie schlüssig in unsere Sprache (in diesem Fall das Englische) zu übertragen. Und dann hat man noch nichtmal Parallelstellen, aus denen man ableiten könnte, was denn genau mit dieser Wortkombination gemeint sein könnte.
          Weshalb also vereindeutigt man auf Biegen und Brechen solche sprachlich schwebenden Konstruktionen? Und sagt über die, die in Anbetracht dieser Bibelstellen zu Uneindeutigkeits-Schlussfolgerungen kommen und stattdessen das Eindeutige „Liebt einander“, „Barmherzigkeit will ich“ leben und fordern: „Die drehen sich die Bibel halt so, wie es ihnen passt“. Immer mit einem impliziten, oder expliziten: Aber ICH richte mich nach dem Heiligen Geist und lasse mich in meiner Bibelauslegung allein von ihm leiten! Komisch nur, dass sich das Geleitetwerden vom Geist Gottes (von dem Gott, der ja als Jesus Barmherzigkeit und Liebe in Person war) dann in Härte, Verurteilung, Verteufelung, Abwertung und Abgrenzung äußert….
          Ehrlich, da weint mein Herz.

  5. Schön, wie alles, was hossa talk und zwischenraum machen. zu der Thematik und so wichtig fürs kennenlernen und über den TellerRand schauen.
    Aber was ich noch nicht wusste, ist dass das Sternchen die Eli’s oder Allys sind..Wie schreibt man es ?..Ist das offiziell? Ich finde das als heterocisfrau so rührend… echt . Bin halt ne Eli und nun sogar ein Stern😍
    Das coming in zu feiern ist jetzt aber echt mal an der Zeit

  6. Alexandra Meier

    Hallo zusammen,
    Nachdem die Frage nach Transidentität aufkam und woran man das merkt: Bei mir ging das schon als Kind los, in der Pubertät wurde es massiv. Es gab Phantomkörperwahrnehmungen, wie sie z.B. Frauen nach der Amputation einer Brust auch manchmal haben – bei mir ab der Pubertät. Ich kannte dafür keinen Begriff und es war mir auch nicht klar. Aber sie waren da. Gleichzeitig war ich von Außen gesehen „Mann“. Aber das passte nicht. Ich litt darunter, dass meine Brustwarzen zu klein waren. Also ging ich mit 20 oder 21 zu einem Hautarzt und fragte ihn, ob er die größer operieren kann. Aber der schaute mich nur irritiert an und ich war bald wieder weg, weil ich nicht erklären konnte, warum ich mit meinem Körper so unzufrieden war. Heimlich trug ich weibliche Kleidung – es war wie ein innerer Zwang. Dann warf ich wieder alles weg. Als ich vom Thema das erste Mal hörte war ich vielleicht 26 und ging daraufhin zu einem Psychiater, denn ich wollte einen Busen haben – aber der akzeptierte mich nicht als Frau und erzählte war von der Operation und ob ich die wollte. Ich gab erst auf, aber der innere Druck ließ nicht nach. Heimlich bei einem Besuch nahm ich mir von einer Frau Östrogencreme im Badezimmer – aber das war keine Lösung und ich schämte mich noch mehr. Ich wusste nicht, warum ich so einen Sog nach weiblichen Hormonen hatte. Aber ich wusste: Ich brauche sie unbedingt. Viele Jahre später startete ich einen zweiten Versuch und fand einen Spezialisten, der mir dann die Freigabe für die Hormontherapie gab. Dadurch verweiblichte mein Körper und die innere Diskrepanz nahm ab. Jetzt bin ich „ich“. D.H. ich fühle eine innere Übereinstimmung. Durch die weibl. Hormone änderte sich aber meine sexuelle Orientierung nicht, d.h. ich war vorher heterosexuell und bin es immer noch – nur dass ich mir jetzt nach der Operation vorstellen kann, mit einem Mann Sex zu haben, weil ich eben als Frau körperlich mehr oder weniger komplett bin. Als „schwul“ empfand ich mich dagegen vorher nicht.

    1. Hallo Alexandra,
      danke für deine Geschichte. Das hört sich so schmerzhaft an. Wie gut, dass du Menschen gefunden hast, die dir helfen konnten, Du zu werden!
      Das, was du beschreibst, wirft für mich ein neues Licht auf die Frage(n), wie eng die Einheint von Körper und Geist/Seele ist, was bestimmt, wer wir sind oder welches Geschlecht wir haben etc. Und auf das fromme Mantra, an dem ich mich schon seit meiner frühen Jugend abarbeite, dass Gott einen wunderbar geschaffen hat und man genauso gewollt ist, wie man ist – und es geradezu Gotteslästerung ist, wenn man an diesem wunderbaren Geschaffensein etwas auszusetzen hat oder es gar verändern lässt, weil man sich damit schrecklich fühlt.
      Ich bin nicht sicher, ob ich deinen letzten Absatz richtig verstanden habe. Du schreibst, du seist immer heterosexuell gewesen, hast dich aber nie als schwul empfunden. Bedeutet das, dass du, als dein Körper noch ein Mann war, dich auch schon nur in Männer verliebt hast (also dein „Inneres“)? Oder warst du in dem Sinne hetero, dass du dich damals zu Frauen hingezogen gefühlt hast?

  7. Bei dem Thema muss ich an meinen Cousin denken. Damals in den 80er und 90ern war es ja ohnehin schon nicht leicht, seine Pubertät in einem streng evangelikalen Umfeld zu verbringen. Man wäre gerne hier und da mal ausgebrochen und zu sich selbst gefunden, fürchtete sich aber vor den Folgen der „ewigen Verdammnis“, mit der man in seiner Blase gewaltsam daran gehindert wurde.

    Zu meinem Cousin hatte ich bis vor einiger Zeit jeden Kontakt verloren. In der Familie hieß es über ihn immer nur, er sei homosexuell und ein Krimineller und habe im Gefängnis gesessen, vor „so einem“ solle man sich besser fernhalten. Die Erzählung war bewusst so angelegt, als ob die kriminelle Laufbahn quasi die logische Folge der Homosexualität gewesen wäre (für manche Leute ist das scheinbar die gleiche Schublade, in der sie in ihrem Weltbild Menschen einordnen). Inzwischen weiß ich aber, wie es wirklich abgelaufen ist, und es macht mich immer noch wütend.

    Mit 18 oder 19 hatte sich mein Cousin in der Familie als homosexuell geoutet. Das war damals für meinen Onkel und meine Tante keine große Überraschung, aber die Welle im Bekannten- und Verwandtenkreis und nicht zuletzt in der Gemeinde war trotzdem gewaltig. Eines Abends erschien jedenfalls eine Abordnung des Ältestenrates der Brüdergemeinde und teilte meinem Onkel und meiner Tante mit, dass diese ihren Sohn wegen 1. Kor. 5 sofort „dem Satan übergeben“ und jeglichen Kontakt zu ihm abbrechen müssten. Nur so könnten sie sich von seiner „Unzucht“ rein halten. So kam es also, dass mein Cousin von seinen eigenen Eltern quasi über Nacht verstoßen und auf die Straße gesetzt wurde. Das führte letztlich zu einem psychischen Zusammenbruch, dem Abdriften in Alkoholismus und Drogenkonsum und in Beschaffungskriminalität mit entsprechenden strafrechtlichen Folgen.

    Seit dem hat mein Cousin einen Entzug hinter sich, wieder im Berufsleben Fuß gefasst, und was das wichtigste ist, einen treuen Partner an seiner Seite gefunden, der ihm Kraft und den nötigen Rückhalt gibt, sein Leben in geordneten Bahnen zu leben. Aus diesem Rückhalt heraus konnte mein Cousin inzwischen auch wieder den Kontakt zu seinen Eltern und zum Rest der Familie aufbauen. Die Eltern sind inzwischen alt und pflegebedürftig und werden von ihm aufoperungsvoll umsorgt. Wenn ich ihn frage, weshalb er das trotz der Vorgeschichte macht, sagt er nur: weil es eben meine Eltern sind und meine Art, meinen Glauben zu leben. Das nennt man wohl gelebte Nächstenliebe.

    Im Gegensatz zum Rest der sogenannten „bibeltreuen“ Verwandtschaft nehme ich meinen Cousin heute als offenen und aufrichtigen, geerdeten Menschen wahr, der mit beiden Beinen fest im Leben steht. Mit den „evangelikalen Sekten“, wie er sie nennt, will mein Cousin aber nichts mehr zu tun haben. Dieser Zug ist für ihn endgültig abgefahren, die Wunde sitzt einfach zu tief. „Um meinen Glauben zu leben, brauche ich die nicht“, sagt er. Und das ist wohl auch gut so.

    1. Was für eine krasse Geschichte. Und die ist leider kein Einzelfall. Danke fürs erzählen.
      Allerdings erklärt sie auch, warum manche Kreise so vehement darauf bestehen, dass Homosexualität Sünde sei. Dem eigenen als heilig empfundenen Arschloch ins Gesicht zu sehen, ist für viele unmöglich. Dann lieber bei dem bleiben, was man immer schon gesagt hat und Recht behalten. Die Alternative würde alles ins Wanken bringen.

      LG,
      der Jay

  8. Ich glaube, bei der Wortkunde wurden die Asexuellen vergessen 😉 Ist ja net schlimm, passiert oft. Ist nur so, dass viele (ich teilweise auch) sich damit in diesem Kontext sehen und dann kommt das A auch gut an.
    LG

  9. Ich habe diesen Talk nicht bis zum Ende gehört. Also: Hossa Talk ist super! Dass hier Menschen ihre persönlichen Geschichten erzählen ist super und ich höre sie gerne! Aber warum zum Kuckuck ist Christsein und Queersein noch immer, noch immer, noch immer so ein Thema, was ÜBERHAUPT zur Debatte steht?!?! Hallo, 21. Jahrhundert?? Wenn ich so einen Podcast höre, frage ich mich, warum diese Welt an manchen Stellen noch tief im Mittelalter, nee, in der Steinzeit feststeckt! Ist doch sch**ßegal, ob mein Nachbar, meine beste Freundin, mein Kollege, meine Schwester, mein Pastor, der Politiker oder die Putzfrau schwul, lesbisch, transsexuell, intersexuell oder irgendeine außerreguläre Form der Sexualität lebt. Okay, ich hab gut reden, ich habe bisher meiner christlichen Familie immer nur meine heterosexuelle Seite (also männliche Partner) vorgestellt – aber da ich gerne auch mal eine Partnerin hätte, wird sicherlich der Tag kommen, dass ich ihnen dann meine Freundin als meine Loverin vorstelle. Ja… und? Wenn die Christen in meinem Umfeld dann ein Problem mit ihrem Glauben und meiner Sexualität haben, dann ist das doch DEREN Problem, nicht meins. Mich langweilt das Thema.
    Finde gut, was Alexander hier in den Kommentaren unter seinem Punkt 1 schreibt!
    Irgendwie echt seltsam, dass hier Menschen mit Behinderung in einem Zug genannt werden mit Menschen mit queerer Sexualität. Okay, hat alles mit ausgegrenzten Menschen zu tun, aber dennoch: Hä?!? Da ihr offensichtlich Schubladen braucht („Ich als Hete…“) zur Orientierung: Ich bin zu 85 Prozent heterosexuell, zu 10 Prozent homosexuell und zu 5 Prozent pansexuell.
    Okay, ja, ich verstehe auch irgendwie, dass Sexualität und Religion nah beieinander liegen (Ich hoffe, sie verhüten.) und dass das Ganze deswegen schon immer Thema war und sein wird. Trotzdem irgendwie nicht mehr zeitgemäß nach meinem Geschmack.
    Übrigens hatte ich am Anfang einen lustigen Verhörer: Jay sagte, dass ihr nun auch Bioprodukte im Onlineshop habt, z. B. T-Shirts und Gummis. Ich so: Oh cool, Bio-Kondome von Hossa-Talk! Und als ich dann in eurem Shop nichts dergleichen sichtete, verstand ich: Hoodies! Nicht Gummis. 😀

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