#190 Wenn die Vielfalt des Glaubens kein Problem, sondern sein Wesen ist – Ein interreligiöser Plausch mit Rabbiner Dr. Walter Rothschild

Nachdem wir in den vergangenen Folgen öfters versucht haben, eine jüdische Perspektive auf den Glauben und die Bibel einzunehmen, freuen wir uns sehr, dass sich Rabbiner Dr. Walter Rothschild aus Berlin Zeit genommen hat, um uns seine Sicht auf den Glauben und das Lesen der Bibel zu erklären. Walter ist freiberuflicher Rabbiner, lehrt, leitet Gottesdienste, schreibt Bücher und tritt als Kabarettist auf. Außerdem ist er ein ausgewiesener Eisenbahnexperte und-fan! Er erzählt uns, warum es ein Bibellesen ohne Kommentar im Judentum eigentlich nicht gibt, wie man damit klar kommt, dass das Lesen der Texte von einem vielstimmigen Kanon der Kommentatoren begleitet wird, warum Glaube und Textverständnis sich mit der Zeit wandeln müssen, aber auch, wie es um das jüdische Leben in Deutschland derzeit bestellt ist. Freut euch auf einen witzigen, klugen und äußerst schlagfertigen Gesprächspartner, der uns mühelos an die Wand redet.

Rabbiner Rothschilds Bücher findest du auf dieser Seite.

9 Kommentare zu „#190 Wenn die Vielfalt des Glaubens kein Problem, sondern sein Wesen ist – Ein interreligiöser Plausch mit Rabbiner Dr. Walter Rothschild“

  1. Ein Wahnsinnstyp. Danke, Rabbiner Rothschild!
    Momentan treiben mich die Begriffe „Verantwortungsgemeinschaft“ und „Anknüpfungspunkte“ um. Das Judentum ist einer unserer Quellflüsse. Unheimlich starke Gedanken stecken darin, auch wenn die alten archaischen Religionen inklusive Christentum doch noch sehr ungeschliffene Diamanten sind. Aber sie können sich wandeln. Auch negative Punkte überwinden. Und selbst wenn die theistische Religion ausstirbt, so wird der Strom der Menschheit weitergehen und immer wird es Güte geben.

  2. Hallo!

    – Yetzer tov, yetzer hara: Kannte ich schon. Finde ich auch gut. Das Christentum lehnte die exzessive Leibfeindlichkeit der Gnosis immer ab. Mangelnde Leibfeindlichkeit steht erotischen Komponenten in der Liebe zu Gott nicht unbedingt entgegen. Auch im Judentum wird das Hohelied auch allegorisch als Beziehung zwischen Gott und Mensch gedeutet.
    – Masturbationsphantasien: werden meist eher graphisch dargestellt, nicht so oft verbal.
    – Humor als Form von Demut: sehr interessanter Gedanke vom Jay!
    – Studienbibeln mit Kommentaren versch. Theologen finde ich schwierig. Da wird die Bibel vielbändig: https://www.youtube.com/watch?v=OxBCIi1phkI. Allein die Stuttgarter Studienbibel, die nur die historisch-kritische Perspektive beinhaltet, besteht aus 4 dicken Bänden. Trotzem kann immer noch ein Theologe fehlen, weil der Herausgeber ihn nicht als wichtig ansah. Würde man die Kommentare von Klaus Koch einbringen, der das mit dem Tun-Ergehen-Zusammenhang rausgefunden hat, was Siggi sehr wichtig nimmt? Da die Bibel sich selbst auslegt, sind viele theologische Schriften auch gar nicht Auslegungen einzelner Stellen, sondern erklären, wie ganz verschiedene Bibelstellen zusammen etwas sagen. Das ist zumindestens bei Paulus, Aquinas und Luther so. Viele verschiedene Perspektiven kennenzulernen ist natürlich richtig. Das hängt aber m.E. mehr von der investierten Zeit als von der Editionsform ab.
    – Juden können nicht an einen Christos, einen Meschiach glauben?
    Das scheint mir seltsam. Wer daran glaubt, daß Rabbi Mendel Menachem Schneerson der Meschiach war, ist der kein Jude mehr? Wie ist das mit den Anhängern von Schabtai Zwi? War Rabbi Akiva kein Jude, weil er an einen Meschiach glaubte, nämlich den Bar Kochba? Hier kann ich Dr. Rothschild nicht folgen.
    Zudem: Wenn man dadurch Jude wird, daß man von einer jüdischen Mutter geboren wird, dann kann man gar nicht vom Juden zum Nicht-Juden werden, schon gar nicht durch „falsche Gedanken“. Wie ist das bei „mathematischen Halb-Jüdin“ mit zwei jüdischen Großeltern, aber scheinbar ohne jüdische Mutter?
    – Sacharja 9, 1-8: Eine sehr interessante Passage. „Ich werde euch vernichten“ steht da entweder gar nicht, aber zumindestens nicht in mehrfacher Wiederholung. Die Prophezeiungen scheinen eingetroffen zu sein. Sacharja 9: „3 Tyros hat sich eine Festung gebaut und Silber angehäuft wie Staub und Gold wie Kot in den Gassen. 4 Sieh, der Herr wird ihm den Besitz nehmen und seine Macht im Meer schlagen. Und es selbst wird vom Feuer gefressen!“ https://de.wikipedia.org/wiki/Belagerung_von_Tyros_%28332_v._Chr.%29 332 wurde Tyros von Alexander belagert. Die Stadt konnte er erst dann erobern, als er die Phönizier zur See geschlagen hatte. Die Bevölkerung wurde evakuiert, bzw. verschleppt. Möglicherweise hat Yeschua das auch so interpretiert und daher keinen Krieg gegen die Nachbarländer anzetteln wollen. Einen König von Gaza gab es zu seiner Zeit schon lange nicht mehr. Yeschuas Aktionsplan war wohl eher Jesaja 53.
    Die Ankündigung der Zerstörung dieser Länder hat vor allem dann Relevanz für unsere Zukunft, wenn man den Ritt auf dem Esel als etwas ansieht, was noch kommt und was Yeschua als illegitimer Pseudo-Meschiach nur gefakt hat. Hat hier Dr. Rothschild den Schuh, den er Yeschua anziehen will, nicht schon längst selber an? Oder ist für ihn Sacharja nicht bindend, sondern nur die Phantasie eines ärgerlichen Priester-Propheten?
    – Yeschua soll in seine Zeit gepaßt haben. Aber die Mischna wurde ja ca. 150 Jahre später geschrieben. Kann man ausschließen, daß da einige gute Ideen von Yeschua ungekennzeichnet übernommen worden?
    – „Keiner kommt zum Vater außer durch mich.“
    https://www.youtube.com/watch?v=J454HU1ViCw
    Der dezidiert nicht-christliche Rabbi Eli Cohen hat erklärt, daß Christen sich total irren, wenn sie behaupten, daß nur die christliche Religion die Gnade Gottes lehre! Da hat er auch recht, denn schon im Tanach wird die Gnade Gottes an vielen Stellen thematisiert. In Psalm 103 steht auch die Rechtfertigung aus Gnade: “ 8 Barmherzig und gnädig ist der HERR, langmütig und reich an Güte. 9 Nicht für immer klagt er an, und nicht ewig verharrt er im Zorn. 10 Nicht nach unseren Sünden handelt er an uns, und er vergilt uns nicht nach unserer Schuld. 11 So hoch der Himmel über der Erde, so mächtig ist seine Gnade über denen, die ihn fürchten. 12 So fern der Aufgang ist vom Untergang, so fern lässt er unsere Verfehlungen von uns sein. 13 Wie ein Vater sich der Kinder erbarmt, so erbarmt der HERR sich derer, die ihn fürchten.“ Yeschua hat das durch seine beliebtesten Gleichnisse bestätigt. Im entscheidenden Punkt können Juden und Christen also übereinstimmen: Keiner kommt zum Vater außer durch Gnade.
    Yeschua war aber die anthropomorphe Personifikation von Gottes Gnade. Er hat jedenfalls bei dem „Jünger. welcher Jesus liebhatte“ einen entsprechenden tiefen persönlichen Eindruck hinterlassen: Johannes 1: „14 Und das Wort, der Logos, wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir schauten seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit, wie sie ein Einziggeborener vom Vater hat, voller Gnade und Wahrheit. … 16 Aus seiner Fülle haben wir ja alle empfangen, Gnade um Gnade. 17 Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben, die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden.“ Paulus hatte einen ähnlichen Eindruck. Paulus, Petrus, Johannes etc. sind aber nicht zu Nicht-Juden geworden.
    Die Idee, daß Gott auch mal in menschlicher Gestalt rumläuft, ist jetzt nichts, was der Tora völlig fremd ist: 1. Mose 32: „25 Jakob aber blieb allein zurück. Da rang einer mit ihm, bis die Morgenröte heraufzog. 26 Und er sah, dass er ihn nicht bezwingen konnte, und berührte sein Hüftgelenk, so dass sich das Hüftgelenk Jakobs ausrenkte, als er mit ihm rang. 27 Und er sprach: Lass mich los, denn die Morgenröte ist heraufgezogen. Er aber sprach: Ich lasse dich nicht, es sei denn, du segnest mich. 28 Da sprach er zu ihm: Wie heisst du? Und er sprach: Jakob. 29 Da sprach er: Du sollst nicht mehr Jakob heissen, sondern Israel, denn du hast mit Gott und mit Menschen gestritten[2] und hast gesiegt. 30 Und Jakob fragte und sprach: Bitte nenne mir deinen Namen. Er aber sprach: Was fragst du nach meinem Namen? Und dort segnete er ihn. 31 Und Jakob nannte die Stätte Peniel. Denn, sagte er, ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen und bin mit dem Leben davongekommen.“
    Auch die Idee der Trinität soll den antiken Juden nicht völlig fremd gewesen sein: https://www.youtube.com/watch?v=d-aVQ8MELeg
    Etwas mehr apologetische Kompetenz bei Jay und Gofi wäre hier nett gewesen.
    – Daß praktische Lebenserfahrung unverzichtbar zum Glaubensverständnis ist, klingt gut. „Logos“ ist aber auch eine einsame Spitze der Abstraktheit in der Bibel. „Gott sprach“ in Genesis 1 ist aber auch etwas abstrakt, denn Gott hat offenbar keine Schallwellen in der Luft und Töne erzeugt, da die Luft der Erde in Genesis 1 am Anfang noch nicht da war.
    – Die Beschwerde von Rabbi Rothschild über Leute, die nur glauben, daß sie glauben, finde ich 100%ig richtig.
    – Die Idee der Vielfalt der Religionen finde ich in politischer Hinsicht sehr richtig. Kein Zwang im Glauben ist auch meine Meinung. Das mit den Antworten und Fragen sehe ich gemäßigter. Meist hat man doch ein paar Antworten, aus denen sich dann weitere Fragen ergeben. Religionsfreiheit ist ja auch eine Teil-Antwort.
    – Wie sehen Engel aus?
    Taya hat neulich darauf aufmerksam gemacht, daß einige Engel sechs Flügel haben:
    Jesaja 6: „2 Über ihm standen Serafim; sechs Flügel hatte ein jeder, mit zweien hielt ein jeder sein Angesicht bedeckt, mit zweien hielt ein jeder seine Füsse bedeckt, und mit zweien hielt ein jeder sich in der Luft. 3 Und unablässig rief der eine dem anderen zu und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR der Heerscharen! Die Fülle der ganzen Erde ist seine Herrlichkeit.“
    Offenbarung 4: „7 Das erste Wesen gleicht einem Löwen, das zweite gleicht einem Stier, das dritte hat das Gesicht eines Menschen, das vierte gleicht einem Adler im Flug. 8 Und die vier Wesen haben, jedes einzelne, sechs Flügel, und aussen herum und innen sind sie mit Augen übersät, und sie rufen ohne Unterlass Tag und Nacht: Heilig, heilig, heilig ist der Herr, Gott, der Herrscher über das All, der war und der ist und der kommt.“
    Gottes Kreativität hat auch unter der Internet-Jugend subkreative Fans:
    https://www.artstation.com/artwork/qZnvP
    https://www.deviantart.com/airimiu/art/c-216th-02-756314692
    https://allthebeautifulthings9828.tumblr.com/tagged/angels
    – Lesungen im Gottesdienst finde ich auch zu kurz. Durch die ganze Tora durchzugehen, ist aber auch suboptimal. Wen interessiert schon Numeri 1-2? Kein Wunder, das da schnell durchgenuschelt wird.
    – Der Hobby-Theologe Manfred Hoffmann, dessen Frau Siggi vor ca. 1 Jahr nach Leipzig eingeladen hatte, hat auch viel zu jüdisch-christlichen Beziehungen zu sagen und geschrieben: http://tornachzion.de/index.php/de Den könntet ihr auch mal einladen.

    Alles Gute!

    1. Dass Juden nicht an den Messias glauben können, weil sie dann keine Juden sind, finde ich ebenfalls eine sehr dreiste und unlogische Annahme. Deine Anmerkungen dazu finde ich super André. Schliesslich waren die ersten Gläubigen alles Juden und sie lebten weiter als Juden und waren ebenfalls in den Synagogen. Sie waren halt keine Mainstream-Juden und wurden später ausgeschlossen. Aber Orthodoxe Juden würden Rabbi Rothschild wahrscheinlich auch das Jude-Sein absprechen, wenn er keine jüdische Mutter hätte.

  3. Im NT gibt es nur Jungfrauen und Huren.

    Sorry, da bin ich raus. So platt und verkürzend kann man einfach nicht argumentieren.
    Kein Eirt davon, dass es die Frauen waren, die Jesu Auferstehung ⁷zuerst bezeugten etc. pp.

    Es war auch der erste Gast, der mir persönlich richtig undympathisch und überheblich vorkam.
    Ein par wenigr Sätze haben mich angesprochen; ansonsten nich mein Geschmack, aber hey, wer die 2 Dauerredner J und Gofi so dermaßen den Text kürzt – schon auch ne einmalige Leistung.

  4. Ja, unsympathisch und teilweise überheblich.
    Schade!
    Was mir gefallen hat, über das jüdische Menschenbild zu hören.

    „Je weniger man spricht, desto gesünder.“
    Jüdisches Sprichwort

  5. Auch wenn einige Stimmen anderes sagen: Euere beste Folge!
    Da habt ihr einen Meilenstein gesetzt, das werdet ihr so schnell nicht toppen.

  6. Was für ein großartiger Talk!
    Ich bin begeistert und danke Dr. Walter Rothschild für unzählige weise Gedanken- und Lebensanstöße!!
    Da werde ich drauf kauen und von hoffentlich von lernen.

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